EuGH Urteil v. - C-344/18

Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2001/23/EG – Art. 3 Abs. 1 – Übergang von Unternehmen – Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer – Öffentlicher Auftrag für Reinigungsleistungen – Vergabe der Lose des Auftrags an zwei neue Zuschlagsempfänger – Übernahme eines bei allen Losen des Auftrags eingesetzten Arbeitnehmers

Leitsatz

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist im Fall eines Unternehmensübergangs, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht noch die Wahrung der durch diese Richtlinie gewährleisteten Ansprüche berührt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Sollte sich eine solche Aufspaltung als unmöglich herausstellen oder die Ansprüche dieses Arbeitnehmers beeinträchtigen, wäre bei der etwaigen nachfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Art. 4 dieser Richtlinie davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sonia Govaerts auf der einen und der ISS Facility Services NV (im Folgenden: ISS) sowie der Atalian NV, vormals Euroclean NV, auf der anderen Seite über die Kündigung der Erstgenannten und deren Folgen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 lautet:

„Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.“

4 Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.

…“

5 Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses unberührt.

Die Mitgliedstaaten können jedoch vom Anwendungsbereich der Richtlinie Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse nicht allein deshalb ausschließen, weil

a) nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet wird oder zu leisten ist,

…“

6 Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.“

7 Art. 4 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:

„1. Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Unterabsatz 1 auf einige abgegrenzte Gruppen von Arbeitnehmern, auf die sich die Rechtsvorschriften oder die Praxis der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes nicht erstrecken, keine Anwendung findet.

2. Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.“

Belgisches Recht

8 Das durch Königlichen Erlass vom (Belgisches Staatsblatt vom , S. 11527) für allgemeinverbindlich erklärte kollektive Arbeitsabkommen Nr. 32bis vom über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Wechsel des Arbeitgebers aufgrund der vertraglichen Übertragung von Unternehmen und zur Regelung der Ansprüche der Arbeitnehmer, die bei der Übernahme der Aktiva nach einem Konkurs oder gerichtlichen Vergleich durch Vermögensübertragung übernommen werden, in der Fassung des durch Königlichen Erlass vom (Belgisches Staatsblatt vom , S. 13382) für allgemeinverbindlich erklärten kollektiven Arbeitsabkommens Nr. 32quinquies vom setzte die Richtlinie 2001/23 in belgisches Recht um. Es steht außer Streit, dass diese Umsetzung im Einklang mit der Richtlinie erfolgt ist.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9 Frau Govaerts war seit dem zunächst bei der Multiple Immo Services NV und dann bei deren Rechtsnachfolgern – zuletzt bei ISS – beschäftigt. Mit letzterem Unternehmen schloss Frau Govaerts am einen neuen unbefristeten Arbeitsvertrag ab, wobei die seit dem erworbene Betriebszugehörigkeit beibehalten wurde.

10 ISS war für die Reinigung und Instandhaltung verschiedener, auf drei Lose aufgeteilter Gebäude der Stadt Gent (Belgien) verantwortlich. Los 1 umfasste die Museen und historischen Gebäude, Los 2 die Bibliotheken und Gemeindezentren, Los 3 die Verwaltungsgebäude. Am wurde Frau Govaerts Projektleiterin für die drei diesen Losen entsprechenden Objekte.

11 Später führte die Stadt Gent für den Zeitraum vom bis zum eine Ausschreibung für alle oben genannten Lose durch. Am Ende dieses Verfahrens, am , erhielt ISS nicht den Zuschlag. Die Lose 1 und 3 wurden an Atalian vergeben, das Los 2 an Cleaning Masters NV.

12 Am teilte ISS Atalian mit, dass auf Frau Govaerts, die für die genannten Objekte eine Vollzeitbeschäftigung innehatte, das kollektive Arbeitsabkommen Nr. 32bis anzuwenden sei. Atalian widersprach dieser Einschätzung bereits am .

13 Mit Einschreiben vom informierte ISS Frau Govaerts, dass sie aufgrund des Unternehmensübergangs und ihrer Beschäftigung im Rahmen der den Losen 1 und 3 entsprechenden Objekte ab dem in den Dienst von Atalian trete und ab diesem Tag nicht mehr dem Personal von ISS angehöre. Daraufhin stellte ISS Frau Govaerts eine Arbeitslosenbescheinigung mit dem als letztem Beschäftigungstag aus.

14 Mit einem weiteren Einschreiben vom ließ ISS Atalian wissen, dass der Arbeitsvertrag von Frau Govaerts mit Wirkung vom von Rechts wegen auf sie übergehe.

15 Am teilte Atalian ISS mit, dass es sich ihrer Ansicht nach nicht um einen Unternehmensübergang im Sinne des kollektiven Arbeitsabkommens Nr. 32bis handele und daher kein Vertragsverhältnis zwischen ihr und Frau Govaerts bestehe.

16 Am erhob Frau Govaerts bei der Arbeidsrechtbank te Gent (Arbeitsgericht Gent, Belgien) Klage gegen ISS und Atalian auf Zahlung von Kündigungsentschädigungen, einer anteiligen Jahresendprämie und von Urlaubsgeld für die Referenzzeiträume der Jahre 2012 und 2013.

17 Mit Urteil vom entschied dieses Gericht, dass die Kündigung von Frau Govaerts rechtswidrig sei, und verurteilte ISS zur Zahlung einer Kündigungsentschädigung, einer Jahresendprämie und von Urlaubsgeld. Die Klage gegen Atalian wurde hingegen für unzulässig erklärt.

18 Nach Ansicht dieses Gerichts war das kollektive Arbeitsabkommen Nr. 32bis auf Frau Govaerts nicht anwendbar, da sie administrative und organisatorische Aufgaben wahrnahm und bei den Objekten in der Stadt Gent nicht an den Reinigungsarbeiten beteiligt war, die Gegenstand des Übergangs waren.

19 ISS legte gegen dieses erstinstanzliche Urteil beim Arbeidshof te Gent (Arbeitsgerichtshof Gent) Berufung ein. Sie machte geltend, dass gemäß dem kollektiven Arbeitsabkommen Nr. 32bis der Arbeitsvertrag von Frau Govaerts mit Wirkung vom zu 85 % auf Atalian und zu 15 % auf Cleaning Masters übergegangen sei.

20 Das vorlegende Gericht ist entgegen dem erstinstanzlichen Gericht der Ansicht, eine Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2001/23 sei gegeben, so dass ein Unternehmensübergang im Sinne dieses Artikels vorliege. Daraus leitet es ab, dass nach Art. 7 des kollektiven Arbeitsabkommens Nr. 32bis, der Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 umsetzt, die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus den zum Zeitpunkt des Übergangs, d. h. zum , bestehenden Arbeitsverträgen aufgrund des Übergangs von Rechts wegen auf Atalian und auf Cleaning Masters als Erwerber übergegangen seien.

21 Da die Aufgaben von Frau Govaerts ausschließlich Objekte der Stadt Gent betrafen, geht das vorlegende Gericht davon aus, dass die Betroffene am dem übergegangenen Unternehmen angehörte, und fragt sich daher, welche Folgen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dieser Unternehmensübergang auf den Arbeitsvertrag von Frau Govaerts hat.

22 Unter diesen Umständen hat der Arbeitshof te Gent (Arbeitsgerichtshof Gent) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen, dass im Fall eines gleichzeitigen Übergangs verschiedener Unternehmensteile im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie auf verschiedene Erwerber die Rechte und Pflichten aus dem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers, der in jedem der übertragenen Teile beschäftigt war, auf jeden der Erwerber übergehen, und zwar im Verhältnis zum Umfang der Beschäftigung des genannten Arbeitnehmers in dem durch den jeweiligen Erwerber erworbenen Unternehmensteil,

oder dahin, dass die genannten Rechte und Pflichten insgesamt auf den Erwerber des Unternehmensteils übergehen, in dem der genannte Arbeitnehmer hauptsächlich beschäftigt war,

oder dahin, dass es, wenn die Richtlinienbestimmungen nicht in einer der vorstehend angeführten Weisen ausgelegt werden können, die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag des genannten Arbeitnehmers auf keinen der Erwerber übergehen, wobei dies auch für den Fall gilt, dass es nicht möglich ist, den Umfang der Beschäftigung des Arbeitnehmers in jedem der übertragenen Unternehmensteile gesondert zu bestimmen?

Zur Vorlagefrage

23 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 im Fall eines Unternehmensübergangs im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen ist, dass die Rechte und Pflichten aus dem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen oder nur auf den Erwerber, für den der Arbeitnehmer seine Aufgaben hauptsächlich wahrzunehmen hat. Hilfsweise fragt das vorlegende Gericht, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass die Wahrung der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag keinem der Erwerber entgegengehalten werden kann.

24 Vorab ist festzustellen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 vorsieht, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen, ohne den Fall eines Übergangs zu regeln, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind.

25 Insoweit sei zunächst daran erinnert, dass die Richtlinie 2001/23 die Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens dadurch gewährleisten soll, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu eben den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren. Die Richtlinie soll so weit wie möglich die Fortsetzung der Arbeitsverträge oder der Arbeitsverhältnisse mit dem Erwerber in unveränderter Form sicherstellen, um eine Verschlechterung der Lage der betroffenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs zu verhindern (Urteil vom , Colino Sigüenza, C‑472/16, EU:C:2018:646, Rn. 48). Dagegen kann diese Richtlinie nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, um beim Übergang von Unternehmen eine Verbesserung des Arbeitsentgelts oder anderer Arbeitsbedingungen zu erwirken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Scattolon, C‑108/10, EU:C:2011:542, Rn. 77).

26 Außerdem können, auch wenn gemäß dem Ziel der Richtlinie die Interessen der von dem Übergang betroffenen Arbeitnehmer zu schützen sind, die Interessen des Erwerbers nicht unberücksichtigt bleiben, der in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Werhof, C‑499/04, EU:C:2006:168, Rn. 31). Die Richtlinie 2001/23 dient nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Unternehmensübergang, sondern sie soll auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Alemo-Herron u. a., C‑426/11, EU:C:2013:521, Rn. 25).

27 Vor diesem Hintergrund ist sodann darauf hinzuweisen, dass es, wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sobald die wirtschaftliche Einheit, der ein Arbeitnehmer angehörte, im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 übergegangen ist, für den Übergang der Rechte und Pflichten des Veräußerers aus dem zum Zeitpunkt des Übergangs der wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsvertrag unerheblich ist, ob die wirtschaftliche Einheit auf einen oder mehrere Erwerber übergegangen ist.

28 Somit ist die vom vorlegenden Gericht hilfsweise in Betracht gezogene Alternative zu verwerfen, da sie darauf hinausläuft, die Wahrung der Rechte und Pflichten aus dem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs bestehenden Arbeitsvertrag auszuschließen und somit der Richtlinie 2001/23 ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen.

29 Schließlich sind die beiden vom vorlegenden Gericht in der Vorlagefrage in erster Linie genannten und in Rn. 23 des vorliegenden Urteils nochmals erwähnten Alternativen zu prüfen.

30 Was erstens die Alternative anbelangt, bei der der Arbeitsvertrag nur auf den Erwerber übergeht, bei dem der Arbeitnehmer seine Aufgaben hauptsächlich wahrnimmt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 es ermöglicht, die Wahrung der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag im Hinblick auf den Erwerber zu gewährleisten, und so die Interessen des Arbeitnehmers schützt.

31 Allerdings läuft diese Alternative darauf hinaus, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 ohne Berücksichtigung der Interessen des Erwerbers auszulegen, da die Rechte und Pflichten aus einem Vollzeitarbeitsvertrag auf ihn übergehen, der betreffende Arbeitnehmer seine Aufgaben bei ihm aber nur in Teilzeitbeschäftigung wahrnimmt.

32 Was zweitens die Alternative anbelangt, bei der die Rechte und Pflichten aus dem mit dem Veräußerer geschlossenen Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, ist zum einen klarzustellen, dass die Richtlinie 2001/23 nach ihrem Art. 2 Abs. 2 das einzelstaatliche Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses unberührt lässt. Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Einzelheiten einer etwaigen Aufteilung des Arbeitsvertrags festzulegen. Dabei kann es den wirtschaftlichen Wert der Lose berücksichtigen, bei denen der Arbeitnehmer zum Einsatz kommt, wie ISS vorschlägt, oder die Zeit, die er tatsächlich für jedes Los aufwendet, wie die Europäische Kommission vorschlägt.

33 Zum anderen ist, soweit diese Alternative darauf hinausläuft, einen Vollzeitarbeitsvertrag in mehrere Teilzeitarbeitsverträge aufzuspalten, darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse nicht allein deshalb vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen können, weil nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet wird oder zu leisten ist. Somit kann eine solche Aufspaltung nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil sie den Übergang eines wenige Arbeitsstunden umfassenden Arbeitsvertrags auf einen der Erwerber zur Folge hat.

34 Außerdem ermöglicht ein solcher Übergang der Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben es grundsätzlich, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Schutz der Interessen der Arbeitnehmer und denen der Erwerber sicherzustellen, da die Ansprüche des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsvertrag gewahrt bleiben und den Erwerbern nicht mehr Pflichten auferlegt werden, als der betreffende Unternehmensübergang für sie mit sich bringt.

35 Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die praktischen Folgen dieser Aufspaltung des Arbeitsvertrags im Hinblick auf die mit der Richtlinie 2001/23 verfolgten Ziele, auf die in den Rn. 25 und 26 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, zu berücksichtigen. Wie der Generalanwalt in Nr. 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann diese Richtlinie nämlich nicht geltend gemacht werden, um die Arbeitsbedingungen des von einem Unternehmensübergang betroffenen Arbeitnehmers zu verschlechtern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Merckx und Neuhuys, C‑171/94 und C‑172/94, EU:C:1996:87, Rn. 38, sowie vom , Scattolon, C‑108/10, EU:C:2011:542, Rn. 81 und 82).

36 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie der Übergang eines Unternehmens oder Unternehmensteils zwar als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber außer in den von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 erfassten Fällen keinen Grund zur Kündigung darstellen kann, diese Bestimmung aber etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegensteht. Zudem stellt Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie klar, dass, sollte es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses kommen, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, davon auszugehen ist, dass diese Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

37 Wie der Generalanwalt in Nr. 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann es somit, sollte sich die Aufspaltung des Arbeitsvertrags als unmöglich herausstellen oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder der durch die Richtlinie 2001/23 gewährleisteten Rechte der Arbeitnehmer nach sich ziehen, zu einer Beendigung des betreffenden Arbeitsvertrags kommen und ist bei dieser Beendigung nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.

38 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 im Fall eines Unternehmensübergangs, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen ist, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht noch die Wahrung der durch diese Richtlinie gewährleisteten Ansprüche berührt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Sollte sich eine solche Aufspaltung als unmöglich herausstellen oder die Ansprüche dieses Arbeitnehmers beeinträchtigen, wäre bei der etwaigen nachfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Art. 4 dieser Richtlinie davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.

Kosten

39 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist im Fall eines Unternehmensübergangs, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht noch die Wahrung der durch diese Richtlinie gewährleisteten Ansprüche berührt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Sollte sich eine solche Aufspaltung als unmöglich herausstellen oder die Ansprüche dieses Arbeitnehmers beeinträchtigen, wäre bei der etwaigen nachfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Art. 4 dieser Richtlinie davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2020:239

Fundstelle(n):
HAAAH-74000