OFD Frankfurt/M. - S 0127 A-003-St 631

Zuständigkeitswechsel nach § 26 AO

1. Allgemeines

Tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, so hat das neu zuständig gewordene Finanzamt die Besteuerung in vollem Umfang zu übernehmen. Es hat also unerledigte Veranlagungen zu bearbeiten und die Kassengeschäfte abzuwickeln. Erforderlichenfalls hat es auch Vollstreckungsmaßnahmen wegen Steuerrückständen aus zurückliegenden Jahren vorzunehmen bzw. fortzuführen, weil die Zuständigkeit für die Besteuerung auch die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen umfasst. Die Übernahme der Besteuerung kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass

  • Veranlagungen noch nicht durchgeführt worden sind,

  • die Steuerpflicht erloschen ist,

  • die Steuerpflicht zwischen unbeschränkter und beschränkter gewechselt hat,

  • über Anträge des Steuerpflichtigen noch nicht entschieden ist (z. B. auf Erlass von Steuern) oder

  • rückständige Steuern noch vom bisher zuständigen Finanzamt beizutreiben sind.

Auch ein anhängiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren hindert die Aktenabgabe nicht, weil nach § 367 Abs. 1 Satz 2 AO jeder nach Erlass des Verwaltungsaktes eintretende Zuständigkeitswechsel auch eine Zuständigkeitsänderung im Einspruchsverfahren bewirkt (vgl. ofix: AO/367/3). Die Rechtsbehelfsvorgänge sind daher mit den übrigen Akten abzugeben.

Zu den Auswirkungen eines Zuständigkeitswechsels auf das finanzgerichtliche Rechtsbehelfsverfahren siehe ofix: FGO/63/1.

Wenn sich in den zu überweisenden Steuerakten noch unerledigte Veranlagungen aus den Vorjahren befinden, so ist in der Abgabeverfügung darauf hinzuweisen.

Zum Abgabe-/Übernahmeverfahren von Steuerfällen siehe auch ofix: IT/125 und ofix: FK/51.

2. Zuständigkeitswechsel bei Arbeitnehmerfällen (Fälle der aktenlosen Bearbeitung)

Für Fälle aktenloser Bearbeitung und für Antragsveranlagungen nach § 46 EStG sind die Sonderbestimmungen des § 88 BuchO bisherige Fassung entfallen (siehe ofix: FK/8).

3. Zuständigkeitswechsel zwischen den alten und neuen Bundesländern

Die nach den bisherigen Verhältnissen für die Besteuerung des Vermögens zuständige Finanzbehörde bleibt bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit in das Beitrittsgebiet bis einschließlich 1998 für die Vermögensteuer zuständig, da die Vermögensteuer in den neuen Bundesländern gemäß § 24c Vermögensteuergesetz bis 1998 ausgesetzt ist (Art. 97a § 1 Abs. 2 EGAO). Gleiches gilt für gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 AO.

4. Fortführung des Verwaltungsverfahrens nach § 26 Satz 2 AO

Nach § 26 Satz 2 AO kann die bisher zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzämtern kann sich nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels bereits anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit insgesamt. Soll die örtliche Zuständigkeit insgesamt bei dem bisher zuständigen Finanzamt verbleiben, so ist ggf. eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO zu treffen.

Als Verwaltungsverfahren im Sinne des § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das Besteuerungsverfahren im engeren Sinne anzusehen, das im allgemeinen mit der - ggf. öffentlichen Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der - erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchzuführenden - Verwirklichung (Einziehung bzw. Erstattung) endet, einschließlich eines etwaigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten.

Vereinbarungen nach § 26 Satz 2 AO können insbesondere zweckmäßig sein, wenn

  • der Steuerpflichtige die Fortführung des Verfahrens durch das bisher zuständige Finanzamt beantragt und dafür wichtige Gründe anführt oder

  • die Bearbeitung eines Falles kurz vor dem Abschluss steht oder

  • eine Außenprüfung stattgefunden hat und der Prüfungsbericht noch nicht ausgewertet ist.

Die Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO ist zwar nicht von der Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängig, jedoch sind seine Interessen angemessen zu berücksichtigen. Der Steuerpflichtige soll gehört werden; er ist von der Fortführung des Verwaltungsverfahrens zu benachrichtigen, AEAO zu § 26, Nr. 2.

5. Örtliche Zuständigkeit im Zusammenhang mit der gesonderten Gewinnfeststellung gemäß § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO

Fallen der Wohnort und der Betriebs- bzw. Tätigkeitsort auseinander und liegen diese Orte im Bereich verschiedener Finanzämter, sind die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder freiberuflicher Tätigkeit gesondert festzustellen (§ 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO). Maßgebend sind die Verhältnisse zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums. Spätere Änderungen dieser Verhältnisse sind unbeachtlich. Bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr oder einem Rumpfwirtschaftsjahr sind die Verhältnisse zum Schluss dieses Zeitraums maßgebend, AEAO zu § 180, Nr. 2. Zur zeitlichen Anwendung des § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO vgl. Art. 97 § 1 Abs. 4 EGAO.

Bei der Anwendung der Regelung des § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO sind u.a. folgende Fallgestaltungen denkbar:

5.1 Wohnsitzwechsel unter gleichzeitiger Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe

Beispiel:

Der Steuerpflichtige verlegt im Laufe des Jahres 03 seinen Wohnsitz vom bisherigen Bezirk des FA A in den Bezirk des FA B und gibt zum gleichen Zeitpunkt seinen ebenfalls im Bezirk des FA A gelegenen Betrieb auf.

Verfahrensrechtliche Behandlung:

Für das Jahr 03 ist keine gesonderte Feststellung vorzunehmen, weil der Wohnsitz und der Ort der Geschäftsleitung bzw. der Tätigkeitsort am Ende des Gewinnermittlungszeitraums (Rumpfwirtschaftsjahr) in den Zuständigkeitsbereich desselben Finanzamts (FA A) fallen (vgl. auch AEAO zu § 26, Nr. 3).

Die Personensteuerakten (ohne Bilanzakten) sind unverzüglich an das neue Wohnsitzfinanzamt abzugeben. Bei der Aktenabgabe ist das Wohnsitzfinanzamt ggf. darauf hinzuweisen, dass die Einkommensteuerveranlagung(en) für das/die betreffende(n) Jahr(e) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) durchzuführen ist/sind, da eine Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht besteht.

Das bisher zuständige Betriebsfinanzamt ermittelt im Wege der Amtshilfe für Zwecke der Einkommensteuer die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb für die Zeit bis zur Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe (einschließlich eines etwaigen Veräußerungs- oder Aufgabegewinns). Dazu übersendet das neue Wohnsitzfinanzamt ggf. die vom Steuerpflichtigen eingereichten Gewinnermittlungsunterlagen an das bisherige Betriebsfinanzamt. Das Betriebsfinanzamt teilt die Höhe der gewerblichen Einkünfte dem neuen Wohnsitzfinanzamt formlos mit.

Da eine gesonderte Feststellung der aus dem veräußerten oder aufgegebenen Betrieb erzielten Einkünfte nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO nicht zulässig ist, obliegt die Entscheidung, in welcher Höhe die Einkünfte bei der Veranlagung anzusetzen sind - unbeschadet der vom Betriebsfinanzamt zu leistenden Amtshilfe - dem neuen Wohnsitzfinanzamt. Das Betriebsfinanzamt hat deshalb ggf. dem Wohnsitzfinanzamt die Ermittlung eines von der Einkommensteuererklärung des Steuerpflichtigen abweichenden Gewinns/Verlustes zu erläutern. Das Wohnsitzfinanzamt entscheidet selbständig, ob es diese Einkünfte in den Einkommensteuerbescheid übernehmen will oder nicht; ggf. kann es noch eigene Ermittlungen vornehmen.

Für die Betriebssteuern bleibt grundsätzlich das Betriebsfinanzamt (FA A) zuständig. Zur Frage einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO siehe AEAO zu § 26, Nr. 3, a.a.O.

5.2. Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe ohne Wohnsitzverlegung

Beispiel:

Der Wohnsitz befindet sich im Bezirk des FA A, der Betrieb im Bezirk des FA B. Der Betrieb wird im Laufe des Jahres 03 aufgegeben.

Verfahrensrechtliche Behandlung:

Das FA B hat nicht nur für die Veranlagungszeiträume 01 und 02, sondern auch für den Veranlagungszeitraum 03 eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO durchzuführen, da nach den Verhältnissen zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums (Rumpfwirtschaftsjahr) der Wohnsitz und der Ort der Geschäftsleitung bzw. der Tätigkeitsort in dem Zuständigkeitsbereich verschiedener Finanzämter liegen.

Das FA B ist ebenfalls für die Betriebssteuern der Veranlagungszeiträume 01 bis 03 zuständig.

5.3. Trennung von Wohnsitz und Geschäftsleitung

Beispiel 1:

Der Steuerpflichtige verlegt seinen Wohnsitz im Laufe des Jahres 03 in den Bezirk des FA B und behält seine gewerbliche Tätigkeit im Bezirk des bisherigen Wohnsitzfinanzamts (FA A) unverändert bei.

Verfahrensrechtliche Behandlung:

Das FA A hat für den Feststellungszeitraum 03 und für die folgenden Feststellungszeiträume gesonderte Feststellungen gemäß § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO durchzuführen, weil nach den Verhältnissen zum Schluss dieser Gewinnermittlungszeiträume der Wohnsitz und der Ort der Geschäftsleitung bzw. der Tätigkeitsort in den Zuständigkeitsbereich verschiedener Finanzämter fallen.

Für die Jahre 01 und 02 teilt es dem Wohnsitzfinanzamt (FA B) den Gewinn/Verlust im Wege der Amtshilfe formlos mit (vgl. hierzu auch Beispiel zu Nr. 5.1.).

Für die Betriebssteuern ergeben sich aus der Wohnsitzverlegung keine Änderungen.

Beim FA B ist der Fall für die Jahre 01 und 02 im VTB G steuerlich zu führen.

Der Beispielfall ist in ofix: AO/26/6 ausführlich aufbereitet.

Beispiel: 2

Der Steuerpflichtige verlegt im Laufe des Jahres 03 die Geschäftsleitung seines Betriebes vom bisherigen einheitlichen Wohn- und Betriebssitz im Bezirk des FA A in den Bezirk des FA B.

Verfahrensrechtliche Behandlung:

Das FA B hat für den Feststellungszeitraum 03 und die folgenden Feststellungszeiträume die Einkünfte nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. b AO festzustellen.

Es wird aufgrund des Zuständigkeitswechsels auch für die Betriebssteuern zuständig.

5.4. Zusammenlegung von Wohnsitz und Geschäftsleitung

Beispiel:

Der bisherige Wohnsitz im Bezirk des FA A wird im Laufe des Jahres 03 am Ort der Geschäftsleitung im Bezirk des FA B begründet.

Verfahrensrechtliche Behandlung:

Das Finanzamt B hat für die Feststellungszeiträume 01 und 02 grds. gesonderte Feststellungen durchzuführen, weil nach den Verhältnissen zum Schluss dieser Gewinnermittlungszeiträume der Wohnsitz und der Ort der Geschäftsleitung bzw. der Tätigkeitsort in den Zuständigkeitsbereich verschiedener Finanzämter fallen.

Die Zuständigkeit hinsichtlich der Betriebssteuern liegt ebenfalls beim FA B.

Für die Einkommensbesteuerung wird das FA B dann zuständig, wenn eines der beiden beteiligten Finanzämter von dem Wohnsitzwechsel erfährt (§ 26 Satz 1 AO). Nachdem dasselbe Finanzamt (FA B) auch für die Einkommensteuerveranlagung zuständig geworden ist, können noch nicht vorgenommene gesonderte Feststellungen für die Veranlagungszeiträume 01 und 02 unterbleiben, da es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, § 180 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 AO, AEAO zu § 180, Nr. 4.

Die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Betriebssitz in den Bezirk des Wohnsitzfinanzamts verlegt wird (vgl. AEAO zu § 180, Nr. 4).

OFD Frankfurt/M. v. - S 0127 A-003-St 631

Fundstelle(n):
PAAAH-73410