BAG Beschluss v. - 2 AZN 724/20

Außerordentliche Kündigung - Nachschieben von Kündigungsgründen - Kündigungserklärungsfrist

Gesetze: § 626 Abs 2 BGB, § 72a ArbGG

Instanzenzug: ArbG Verden Az: 2 Ca 278/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 9 Sa 358/19 Urteil

Gründe

1Die auf die Zulassungsgründe aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht in der von § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 ArbGG verlangten Form begründet worden.

2I. Zu 3.1 der Beschwerdebegründung fehlt es schon an einer Ableitung (Deduktion) des dem Berufungsgericht auf Seite 4 der Beschwerdebegründung zugeschriebenen Rechtssatzes. Die schlichte Gegenüberstellung der fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts und des vom Beschwerdeführer daraus abgelesenen abstrakten Rechtssatzes reicht regelmäßig nicht aus ( - Rn. 9). Aus den vom Kläger herangezogenen Ausführungen zu B II 9 der Gründe der anzufechtenden Entscheidung folgt nicht, das Landesarbeitsgericht müsse dieser zwingend den von der Beschwerde selbst formulierten Rechtssatz zugrunde gelegt haben. Mindestens ebenso gut ist möglich, dass es sich mit der nunmehr vom Kläger aufgeworfenen - vermeintlichen - Problematik in Bezug auf das Nachschieben von Gründen für eine außerordentliche Kündigung bei verfristeten „Ursprungsgründen“ überhaupt nicht befasst hat. Dann handelte es sich aber allenfalls um eine fehlerhafte Rechtsanwendung, die für sich genommen - selbst wenn sie vorläge - die begehrte Zulassung der Revision nicht zu begründen vermöchte. Überdies ist der vom Kläger dem erkennenden Senat auf Seite 5 der Beschwerdebegründung zugeschriebene Rechtssatz angesichts des Zusatzes „jedenfalls“ (nicht: „ausschließlich“) nicht in der von der Beschwerde gewünschten Weise divergenzfähig.

3II. Hinsichtlich der zu 3.2.1 der Beschwerdebegründung formulierten Fragestellung ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls die Entscheidungserheblichkeit nicht aufgezeigt. Es ist wiederum weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass das Berufungsgericht sich mit der nun vom Kläger aufgeworfenen Frage tatsächlich befasst und sie beantwortet hat (vgl.  - Rn. 23 aE). Im Übrigen ist auch ihre Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Hierzu hätte es einer eingehenden Begründung bedurft, dass sich der Senat in seinem Urteil vom (- 2 AZR 102/12 - Rn. 33) von seiner vorherigen, dort einschränkungslos in Bezug genommenen Rechtsprechung abgesetzt habe, § 626 Abs. 2 BGB bilde - vorbehaltlich eines völligen „Auswechselns“ der Kündigungsgründe - weder in direkter noch in analoger Anwendung eine Schranke für das Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bereits objektiv vorlagen, dem Kündigungsberechtigten aber noch nicht bekannt waren (vgl.  - zu II 3 b der Gründe, BAGE 86, 88). Die „Kündigung als solche“ ist in diesem Sinn „rechtzeitig“ erklärt, wenn bei ihrem Zugang der nachgeschobene Kündigungsgrund objektiv schon vorlag, aber dem Kündigungsberechtigten seinerzeit noch nicht bekannt war.

4III. Für die zu 3.2.4 der Beschwerdebegründung formulierte Fragestellung ist abermals die Entscheidungserheblichkeit nicht dargetan. Es ist weder vom Kläger aufgezeigt noch sonst ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht von einem Extremfall ausgegangen wäre, in dem „die Kündigung“ durch ein „Auswechseln“ von Gründen einen völlig anderen „Charakter“ erhalten hat. Mindestens ebenso gut ist möglich, dass es einen solchen Fall verneint hat. Diesbezüglich beanstandet der Kläger erneut „nur“ eine fehlerhafte Rechtsanwendung, die für sich genommen - selbst wenn sie vorläge - die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen vermöchte. Dessen ungeachtet hat der Senat in einem jüngeren als dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil erkannt, dass es ohne Bedeutung ist, ob zwischen den bei Kündigungsausspruch schon bekannten und den erst nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl.  - Rn. 46; tendenziell gegen eine Ausnahme in „Extremfällen“ auch  - Rn. 21). Ohnehin dürfte die Vorstellung verfehlt sein, eine Kündigung könne durch das „Auswechseln“ von Gründen einen anderen „Charakter“ erhalten. Die „Kündigung“ hat als für sich genommen neutrales Gestaltungsrecht (vgl.  - Rn. 11) keinen anderen „Charakter“, als dass sie das Arbeitsverhältnis - hier: außerordentlich fristlos - auflösen soll. Hingegen belegt der vom Kläger herangezogene § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB, dass die Gründe, auf die sie gestützt wird, nicht ihr „integraler Bestandteil“ sind. Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf Bader (NZA-RR 2020, 140, 142) meint, es könne nicht angehen, dass eine Kündigung zunächst ohne jeden auch nur ansatzweise tragfähigen Grund gleichsam blanko erklärt werden dürfe, übersieht sie, dass die Rechtsordnung ein solches Vorgehen grundsätzlich nicht missbilligt. Das belegen die §§ 4, 7 KSchG, wonach sich der Arbeitnehmer auch gegen eine offenkundig unwirksame Kündigung rechtzeitig gerichtlich zur Wehr setzen muss, wenn diese nicht als wirksam gelten soll. Der Arbeitgeber darf auf den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion oder einen gerichtlichen Abfindungsvergleich, aber auch darauf hoffen, es werde sich noch rechtzeitig im Verlauf des Rechtsstreits ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung „offenbaren“, der im Zeitpunkt ihres Zugangs - von ihm noch unerkannt - bereits vorlag. Grenzen zieht die Rechtsordnung nur dort, wo das Motiv für die Kündigung als solches missbilligt wird, etwa weil sich die Kündigung als sittenwidrig (§ 138 BGB), maßregelnd (§ 612a BGB) oder diskriminierend (§ 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG) darstellt. Nach alldem kann es auch keine Rolle spielen, ob ein ursprünglich herangezogener Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung bereits verfristet war.

5IV. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:120121.B.2AZN724.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 12
NJW 2021 S. 1483 Nr. 20
FAAAH-73072