Umsatzsteuer | Ermäßigter Steuersatz für Zweckbetriebe von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen (BFH)
Zur Vermögensverwaltung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. mit § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO gehören nur solche Beteiligungsveräußerungen, die mangels einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht steuerbar sind. Die Veräußerung der Beteiligung an einer Gesellschaft, an die der Gesellschafter zuvor entgeltliche Leistungen im Rahmen seines Unternehmens erbracht hat, erfolgt daher nicht im Rahmen der Vermögensverwaltung (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG ermäßigt den Steuersatz für die Leistungen der nach §§ 51 ff. AO steuerbegünstigten Körperschaften. Dies gilt gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG i. V. mit § 64 Abs. 1 AO für die Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur, wenn es sich bei diesem um einen Zweckbetrieb handelt.
Sachverhalt: Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, ist Rechtsnachfolgerin der auf sie verschmolzenen gemeinnützigen G-GmbH. Die G-GmbH war im Bereich der Auftragsforschung tätig. In den Jahren 2002 bis 2005 war die G-GmbH Alleingesellschafterin der H-GmbH, die ihrerseits Alleingesellschafterin der X-GmbH und der Y-GmbH war. Die G-GmbH vereinnahmte von der H-GmbH Beteiligungserträge und Mieteinnahmen.
Im Anschluss an eine Außenprüfung ging das FA davon aus, dass die Leistungen der G-GmbH im Bereich der Auftragsforschung nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, sondern dem Regelsteuersatz unterlägen.
Streitig ist, ob die von einer Trägereinrichtung vereinnahmten Veräußerungserlöse aus dem Verkauf einer (hier: 100 %-igen) Beteiligung an einem Tochterunternehmen als im Rahmen eines Leistungsaustauschverhältnisses bezogen gelten, mit dem der Bereich der Vermögensverwaltung i. S. des § 68 Nr. 9 AO verlassen wird und ob hierbei eine umsatzsteuerbare Handlung vorliegt.
Das FG verneinte die überwiegende Finanzierung aus Zuwendungen und Vermögensverwaltung ().
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:
Unabhängig von den Bedingungen der allgemeinen Definition in § 65 AO sind auch "Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen" Zweckbetriebe unter den Voraussetzungen von § 68 Nr. 9 AO. Dies gilt für "Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert."
Eine unionsrechtliche Grundlage für eine allgemeine Steuersatzermäßigung der Leistungen der Träger von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. mit § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO besteht nicht. Wie der BFH hierzu bereits entschieden hat (, Rz. 23), führt dies zu einer einschränkenden Auslegung der Begriffe, die eine Steuersatzermäßigung über den unionsrechtlich zulässigen Rahmen hinaus ermöglichen.
Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Mittelzufluss aus der Beteiligungsveräußerung weder um eine Zuwendung noch um Vermögensverwaltung gehandelt hat.
Zuwendung i. S. von § 68 Nr. 9 AO "ist ein Mitteltransfer, der der Körperschaft ohne eigene Gegenleistung zufließt" (, unter II.3.a aa). Dies trifft auf die Situation einer Beteiligungsveräußerung nicht zu.
Ebenso scheidet auch eine Veräußerung im Rahmen der Vermögensverwaltung aus. Die Vermögensverwaltung erfasst für Zwecke der Umsatzsteuer "nur i. S. des Umsatzsteuerrechts nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeiten wie z. B. das Halten von Gesellschaftsanteilen (...), nicht aber auch entgeltliche Leistungen" (, V R 7/15, Rz. 21).
Nach der EuGH-Rechtsprechung sind der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen keine wirtschaftlichen Tätigkeiten. Anders ist es, wenn die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Tochtergesellschaft einhergeht. Dabei versteht der EuGH den Begriff "Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft" dahingehend, dass er alle Umsätze umfasst, die eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen und von der Holding für ihre Tochtergesellschaft erbracht werden ( „Marle Participations“, Rz. 28 ff.).
Liegen danach Eingriffe einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft i. S. einer wirtschaftlichen Tätigkeit vor, ist auch die Veräußerung der Beteiligung an der Tochtergesellschaft steuerbar.
Für den Streitfall folgt daraus, dass die entgeltliche Veräußerung der Beteiligung an der H-GmbH durch die G-GmbH i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steuerbar war. Denn die G-GmbH beschränkte sich vor der Veräußerung nicht auf das bloße Halten der Beteiligung. Stattdessen ist in der Begrifflichkeit des EuGH aufgrund der zusätzlichen Grundstücksvermietung von einem "Eingreifen in die Verwaltung" der H-GmbH auszugehen ( „Marle Participations“, Rz. 35).
Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter im V. Senat des BFH:
Das Urteil betrifft die Umsatzsteuerermäßigung für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen und ist ein anschauliches Beispiel für das Zusammenspiel von Umsatzsteuerrecht und allgemeinem Abgabenrecht und den Einfluss des Unionsrechts auf das nationale Umsatzsteuerrecht.
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG ermäßigt den Steuersatz für die Leistungen der nach §§ 51 ff. AO steuerbegünstigten - u.a. also der gemeinnützigen - Körperschaften. Das gilt gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG i. V. mit § 64 Abs. 1 AO für die Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs aber nur, wenn es sich bei diesem um einen Zweckbetrieb handelt. Sieht man von der allgemeinen Zweckbetriebsdefinition in § 65 AO einmal ab, sind Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen gem. § 68 Nr. 9 AO nur dann Zweckbetriebe, wenn deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert. Das Urteil ist im zweiten Rechtszug ergangen und betrifft im Wesentlichen die Frage, ob Einnahmen der Klägerin aus Beteiligungsveräußerungen der für die Beurteilung der Zweckbetriebseigenschaft unschädlichen Vermögensverwaltung zuzurechnen sind.
Der BFH hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach Vermögensverwaltung im umsatzsteuerrechtlichen Sinn nur nichtunternehmerische Tätigkeiten umfasst. Die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen ist aber nur dann nichtunternehmerisch, wenn auch das vorherige Halten der Anteile nichtunternehmerisch erfolgte. Das ist aber nicht der Fall, wenn eine Holding - wie hier - durch Eingriffe in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. In diesem Fall ist auch die Veräußerung der Beteiligung wirtschaftlich und damit umsatzsteuerbar.
Bei der Entscheidung hat der BFH auch berücksichtigt, dass vorliegend eine einschränkende Auslegung der Begriffe, die eine Steuersatzermäßigung ermöglichen, geboten ist, weil keine unionsrechtliche Grundlage für eine allgemeine Steuersatzermäßigung der Leistungen der Träger von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. mit § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO besteht. Zudem ist bei gemeinnützigen Körperschaften allgemein zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf alle gemeinnützigen Leistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden dürfen, sondern nur auf diejenigen, die von Einrichtungen erbracht werden, die sowohl gemeinnützig als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
CAAAH-72396