BVerwG Urteil v. - 3 C 7/19

Erforderliche Sachkenntnis der für den Arzneimittelgroßhandel verantwortlichen Person

Leitsatz

Erforderlich für die Tätigkeit einer verantwortlichen Person im Sinne des § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG sind Sachkenntnisse im Umgang mit den Arzneimitteln, die Gegenstand der Großhandelserlaubnis sind. Die Kenntnisse können durch praktische Erfahrungen gewonnen werden, insbesondere durch Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht einer verantwortlichen Person in deren Aufgabenbereich. Pharmaziekenntnisse vergleichbar denen, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden, sind nicht erforderlich.

Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, Art 79 Buchst b EWGV 2001/83, Art 84 S 1 EWGV 2001/83, § 43 Abs 2 S 1 VwGO, § 15 Abs 1 S 1 AMG, § 52a Abs 2 Nr 3 AMG, § 52a Abs 8 S 1 AMG, § 1a AMGrHdlBetrV, § 2 Abs 1 AMGrHdlBetrV, § 7b Abs 3 AMGrHdlBetrV, § 7b Abs 4 AMGrHdlBetrV

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 13 A 873/17 Urteilvorgehend Az: 16 K 8470/15 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der von ihr benannte Mitarbeiter die erforderliche Sachkenntnis zur Ausübung der Tätigkeit der für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortlichen Person besitzt.

2Die Klägerin betreibt Handel mit Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten; für ihre Betriebsstätte in D. erteilte ihr die Bezirksregierung im Oktober 2011 die Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln. Mit Schreiben vom teilte die Klägerin mit, dass ab dem ihr Mitarbeiter Thomas P. (P) Betriebsleiter der Niederlassung in D. werde und benannte ihn als neue verantwortliche Person. Herr P habe die erforderliche Sachkenntnis durch berufliche Erfahrung erworben. Er sei seit Beginn seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann im Jahr 1985 bei ihr beschäftigt und nehme seit 2005 die Aufgabe eines Betriebsleiters wahr, zunächst in der Betriebsstätte S. und derzeit in H. In dieser Funktion habe er - nach ordnungsgemäßer Benennung bei der zuständigen Aufsichtsbehörde - jeweils auch die Aufgabe der verantwortlichen Person übernommen.

3Die Bezirksregierung D. teilte mit, aus den vorgelegten Unterlagen gehe nicht hervor, dass Herr P über die naturwissenschaftlichen Grundkenntnisse verfüge, um eine Beurteilung im pharmazeutischen Sinne bei Abweichungen der Arzneimittelqualität vornehmen zu können. Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis sei daher nicht erbracht. Die Großhandelserlaubnis für die Betriebsstätte werde zum Ruhen gebracht, wenn nicht eine andere geeignete Person als verantwortlich benannt werde. Die Klägerin widersprach der Auffassung, dass die verantwortliche Person selbst über eine naturwissenschaftlich-pharmazeutische Ausbildung verfügen müsse, teilte zur Vermeidung einer Ruhensanordnung aber mit, dass die bisherige verantwortliche Person vorläufig in ihrer Funktion belassen werde.

4Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Sinn und Zweck der vorgeschriebenen Benennung einer verantwortlichen Person sei die Sicherstellung der Einhaltung der für den Betrieb des Arzneimittelgroßhandels unerlässlichen Qualitätsstandards durch persönliche Inpflichtnahme. Die benannte Person müsse deshalb in der Lage sein, die fachliche Verantwortung für den ordnungsgemäßen Betrieb des von der Klägerin betriebenen Arzneimittelgroßhandels zu übernehmen. Hierfür seien pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse unerlässlich. Die praktische Erfahrung von Herrn P könne eine entsprechende Ausbildung nicht ersetzen.

5Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Sachkenntnis müsse anhand der Funktion sowie des Aufgaben- und Verantwortungsbereichs der verantwortlichen Person konkretisiert werden. Danach müsse die verantwortliche Person nicht nur detaillierte Kenntnisse der jeweils einzuhaltenden Regeln und Verfahrensabläufe besitzen, sondern auch über Kenntnisse im Umgang mit Arzneimitteln verfügen. Nur so werde sie in die Lage versetzt, persönlich für das Qualitätssicherungssystem und damit die Arzneimittelsicherheit einzustehen. Diese Sachkenntnis erfordere zwar nicht zwingend eine bestimmte Ausbildung. Die benannte Person müsse aber pharmazeutische Kenntnisse nachweisen, die mit denjenigen vergleichbar seien, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt würden. Die hierfür erforderlichen Belege habe die Klägerin nicht vorgelegt.

6Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt im Wesentlichen vor, der Gesetzgeber habe sich bewusst gegen das Erfordernis einer bestimmten Ausbildung entschieden und auch die praktische Erfahrung als zulässige Qualifikationsmöglichkeit angesehen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts seien pharmazeutische Kenntnisse der verantwortlichen Person für den hier in Rede stehenden Großhandel mit Fertigarzneimitteln auch nicht erforderlich. Ihre Aufgabe bestehe nur in der Übernahme der Verantwortung für definierte Großhandelstätigkeiten. Pharmazeutisches Wissen benötige die verantwortliche Person nicht; die entsprechenden Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten seien im Qualitätssicherungssystem des Unternehmens geregelt und einer "Apothekerkommission" zugewiesen.

7Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Nach den gesetzlichen Vorgaben müsse gerade die verantwortliche Person über die erforderliche Sachkenntnis verfügen. Die im Unternehmen anderweitig vorhandene Sachkenntnis könne die Anforderung an die benannte Person daher nicht ersetzen.

Gründe

8Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das angegriffene Berufungsurteil beruht auf einem Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage zutreffend als zulässig erachtet (1.). Die Annahme, die für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortliche Person müsse pharmazeutische Grundkenntnisse nachweisen, die im Wesentlichen mit den Pharmaziekenntnissen vergleichbar sind, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (2.). Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil das Berufungsurteil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht enthält (3.). Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

91. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist zulässig.

10Durch die Beanstandung der Benennung von Herrn P als neue verantwortliche Person der Niederlassung in D. ist zwischen der Klägerin und dem Beklagten ein konkretes und feststellungsfähiges Rechtsverhältnis entstanden (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO). Es findet seine Grundlage in § 52a Abs. 2 Nr. 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) in der für das Feststellungsbegehren der Klägerin maßgeblichen aktuellen Fassung vom (BGBl. I S. 960). Die Beteiligten streiten aus konkretem Anlass über Umfang und Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis einer für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortlichen Person.

11Der Klägerin kommt auch das erforderliche Feststellungsinteresse zu. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Betroffener ein schutzwürdiges Interesse daran hat, eine verwaltungsgerichtliche Feststellung zu erhalten, wenn ihm wegen verwaltungsrechtlicher Fragen ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren droht ( [ECLI:DE:BVerfG:2003:rk20030407.1bvr212902] - NVwZ 2003, 856 <857>; 2 C 18.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:230616U2C18.15.0] - Buchholz 421.20 Hochschulpersonalrecht Nr. 58 Rn. 19 f.). Entsprechendes kann gelten, wenn die Behörde - wie hier - den Erlass verwaltungsrechtlicher Sanktionen androht (vgl. 8 C 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:161216U8C6.15.0] - BVerwGE 157, 126 Rn. 15 für betriebsbezogene Einschränkungen). Der Klägerin kann nicht zugemutet werden, den Widerruf oder das Ruhen ihrer Großhandelserlaubnis hinzunehmen, um eine gerichtliche Klärung der streitigen Frage zu erreichen, ob Herr P die erforderliche Sachkenntnis für die Tätigkeit als verantwortliche Person besitzt.

12Schließlich steht der Feststellungsklage auch nicht die Subsidiarität gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Ein Verpflichtungsanspruch, mit dem die Klägerin eine bestätigende Entscheidung des Beklagten erhalten könnte, steht nicht zur Verfügung. Nach § 52a Abs. 8 Satz 1 AMG muss jede Änderung der in Absatz 2 genannten Angaben - und damit auch ein Wechsel der verantwortlichen Person - zwar vorher bei der zuständigen Behörde angezeigt werden. Eine Bestätigung dieser Anzeige durch die Behörde sieht die Vorschrift aber nicht vor (vgl. Brixius, Pharm. Ind. 78 <2016>, 396 <400>). Eine sachnähere oder wirksamere Klageart als die Feststellungsklage ist damit nicht ersichtlich (vgl. hierzu 3 C 18.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:101215U3C18.14.0] - Buchholz 418.32 AMG Nr. 71 Rn. 18).

132. Die Klage kann nicht mit der im Berufungsurteil gegebenen Begründung abgewiesen werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortliche Person müsse pharmazeutische Kenntnisse nachweisen, die im Wesentlichen mit den in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelten Kenntnissen vergleichbar sind, findet im geltenden Recht keine Grundlage.

14a) Die normativen Vorgaben für die Qualifikation der verantwortlichen Person verlangen weder eine pharmazeutische Ausbildung noch vergleichbare pharmazeutische Kenntnisse.

15Nach § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG muss der Inhaber einer Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln eine verantwortliche Person benennen, die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt. Nähere Angaben zu Art, Umfang oder Nachweis der vorausgesetzten Kenntnisse enthält das Arzneimittelgesetz nicht.

16Auch die unionsrechtlichen Bestimmungen enthalten keine inhaltlichen Vorgaben zu der erforderlichen Sachkunde. Art. 79 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 198 S. 241), verweist hinsichtlich der Qualifikation vielmehr auf die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats.

17Anderes folgt auch nicht aus den auf Grundlage des Art. 84 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG von der Europäischen Kommission veröffentlichten Leitlinien vom für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. C 343 S. 1 - GDP-Leitlinien -), die vom Inhaber der Großhandelserlaubnis einzuhalten sind (vgl. § 1a Satz 1 AM-HandelsV, Art. 80 Buchst. g der Richtlinie 2001/83/EG). Nach Nr. 2.2 der GDP-Leitlinien ist ein Hochschulabschluss in Pharmazie für die vom Großhändler benannte verantwortliche Person zwar wünschenswert, vorgeschrieben ist diese Qualifikationsanforderung aber nicht.

18Der Gesetzgeber des Arzneimittelgesetzes hat diese Wunschvorstellung nicht aufgegriffen. Anders als in den Vorschriften über die erforderliche Sachkenntnis der für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis zu benennenden sachkundigen Person (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AMG) ist in § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG hinsichtlich der für den Großhandel verantwortlichen Person kein bestimmter Ausbildungsgang vorausgesetzt; insbesondere sieht die Vorschrift nicht das Erfordernis eines abgeschlossenen Hochschulstudiums vor.

19Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass die Vorgaben aus § 15 Abs. 1 Satz 1 AMG auch nicht in entsprechender Anwendung für die Sachkenntnis der für den Großhandel verantwortlichen Person herangezogen werden können. Zwar liegt insoweit eine Parallele vor, als die Herstellungserlaubnis auch die Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln umfasst (§ 52a Abs. 6 AMG). Art und Umfang der mit einer Herstellungserlaubnis in Bezug genommenen Tätigkeiten sind aber mit der Großhandelserlaubnis nicht vergleichbar. Die mit einer Herstellungserlaubnis verbundenen Befugnisse gehen weit über den Großhandel mit Arzneimitteln hinaus und umfassen mit der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln (vgl. § 19 Satz 1 AMG) genuin pharmazeutische Bereiche. Der Umstand, dass für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis die Approbation als Apotheker oder ein bestimmtes Hochschulstudium der sachkundigen Person vorausgesetzt wird, kann daher nicht auf die für den Großhandel verantwortliche Person übertragen werden.

20Anders als § 75 Abs. 2 AMG für den Pharmaberater stellen die Vorschriften über die für den Großhandel verantwortliche Person auch nicht auf eine nichtakademische pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Ausbildung ab. Auch in Bezug auf den Pharmaberater liegt eine vergleichbare Situation nicht vor, weil der Pharmaberater und die für den Großhandel verantwortliche Person völlig unterschiedliche Aufgaben haben. Eine entsprechende Anwendung der Vorgaben zur erforderlichen Sachkenntnis scheidet daher ebenfalls aus.

21In Anbetracht der sonst im Arzneimittel- (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1, § 75 Abs. 2 AMG) oder Apothekengesetz (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 21 Abs. 2 Nr. 4 ApoG, § 1a Abs. 2 ApBetrO) anzutreffenden ausdrücklichen und regelmäßig detaillierten Regelung der geforderten Ausbildung sowie der expliziten Wunschvorstellung in Nr. 2.2 der GDP-Leitlinien kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der unterlassenen Benennung eines bestimmten Ausbildungsniveaus in § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG um eine unbewusste Regelungslücke handelt. Vielmehr spricht der Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 15/2109 S. 34), die erforderliche Qualifikation könne durch berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung gewonnen werden, für ein bewusstes Absehen von der Vorgabe einer pharmazeutischen Ausbildung oder entsprechender pharmazeutischer Kenntnisse.

22Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung kann diese Anforderung daher auch nicht im Wege der Auslegung in das Gesetz "hineingelesen" werden. Dabei bliebe zudem offen, welche pharmazeutische Ausbildung als Referenzgröße herangezogen werden sollte und welche pharmazeutischen Kenntnisse eine durch praktische Erfahrung qualifizierte Person nachzuweisen hätte.

23b) Welche Sachkenntnis zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich ist, muss daher anhand des Aufgaben- und Verantwortungsbereichs bestimmt werden, den der Gesetzgeber der für den Großhandel verantwortlichen Person zugewiesen hat.

24Bezugspunkt hierfür ist die Tätigkeit der verantwortlichen Person in der von der Großhandelserlaubnis erfassten Betriebsstätte. Denn nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über den Großhandel und die Arzneimittelvermittlung in der aktuellen Fassung vom (BGBl. I S. 1202 - AM-HandelsV -) ist für jede Betriebsstätte eine verantwortliche Person zu bestellen. Die erforderliche Sachkenntnis muss daher an den in der Betriebsstätte vertriebenen Arzneimitteln sowie Art und Umfang des dortigen Großhandels ausgerichtet sein (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: April 2019, § 52a Rn. 13; Sander, Arzneimittelrecht, Stand: Oktober 2017, § 52a Rn. 6; Stumpf, in: Kügel/Müller/Hofmann <Hrsg.>, AMG, 2. Aufl. 2016, § 52a Rn. 23). Dies liegt gerade im Hinblick auf die notwendigen pharmazeutischen Kenntnisse auf der Hand. Wenn in der Betriebsstätte z.B. mit kühlpflichtigen Arzneimitteln, Blutprodukten oder anderen sensiblen Arzneimitteln gehandelt wird, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit besondere Vorkehrungen und Überwachungsschritte erfordern, können hierfür auch bestimmte pharmazeutische Kenntnisse erforderlich sein.

25Die danach erforderliche Sachkenntnis muss die verantwortliche Person selbst haben. Denn nach Nr. 2.2. Abs. 2 Satz 2 der GDP-Leitlinien kann die verantwortliche Person zwar bestimmte Aufgaben delegieren, nicht aber ihre Verantwortung. Dementsprechend sieht auch § 2 Abs. 1 der AM-HandelsV vor, dass die verantwortliche Person für den ordnungsgemäßen Betrieb und insbesondere die Einhaltung der in der Verordnung festgelegten Vorschriften verantwortlich ist. Die verantwortliche Person muss daher über diejenigen Kenntnisse verfügen, die sie in die Lage versetzen, die ihr zugewiesene Verantwortung zu tragen (vgl. - juris Rn. 17; [ECLI:DE:VGK:2020:0303.7K6854.18.00] - juris Rn. 52).

26Zum Verantwortungsbereich der verantwortlichen Person gehören nicht nur Organisation und Kontrolle der Verfahrensabläufe des Großhandelsbetriebs - also organisatorische und logistische Angelegenheiten. Die benannte Person hat vielmehr auch die Durchführung von Arzneimittel-Rückrufaktionen, die Entscheidung über den endgültigen Verbleib zurückgegebener, zurückgewiesener, zurückgerufener oder gefälschter Arzneimittel oder die Genehmigung der Wiederaufnahmen in den verkaufsfähigen Bestand zu verantworten (vgl. Nr. 2.2 Abs. 5 Ziffern iv, x, xi der GDP-Leitlinien). Zurückgenommene Arzneimittel sind vor der Entscheidung über ihre weitere Verwendung einer Prüfung zu unterziehen (vgl. § 7b Abs. 3 Satz 1 AM-HandelsV). Die verantwortliche Person hat daher auch Entscheidungen zu verantworten, die spezifische pharmazeutische Kenntnisse voraussetzen können.

27c) Wie die Klägerin zutreffend ausführt, ist aber nicht erforderlich, dass die verantwortliche Person selbst pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Risikoanalysen durchführen könnte. Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, dass hierfür die vom Berufungsgericht geforderte Ausbildung z.B. als pharmazeutisch-technischer Assistent oder ein vergleichbarer pharmazeutischer Kenntnisstand ausreichend wäre. Vielmehr sind die im Arzneimittel-Großhandel auftretenden pharmazeutischen Fragen regelmäßig - und jedenfalls in dem hier vorliegenden Fall des Großhandels mit Fertigarzneimitteln - durch standardisierte Verfahrensabläufe des Qualitätssicherungssystems vorgezeichnet (vgl. Nr. 2.2 Abs. 5 Ziffer i der GDP-Leitlinien sowie § 1a der AM-HandelsV). Dementsprechend obliegt der verantwortlichen Person primär die Sicherstellung der Implementierung und Aufrechterhaltung eines Qualitätssicherungssystems sowie die Koordination und Dokumentation der wesentlichen Ablaufschritte.

28Weder die Ausarbeitung und Erstellung genereller Verhaltensregeln oder Ablaufpläne noch die abschließende Entscheidung pharmazeutischer Zweifelsfragen kann realistischerweise von der für den Großhandel verantwortlichen Person erwartet werden (vgl. Brixius, Pharm. Ind. 78 <2016>, 396 <400>); derartiges wird in den Rechtsvorschriften von ihr auch nicht verlangt. Hierzu müsste sie über ein dem zuständigen Fachpersonal überlegenes Fachwissen auf pharmazeutischem Gebiet verfügen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr, dass die verantwortliche Person den standardisierten Verfahrensregeln folgend Entscheidungen oder Stellungnahmen des zuständigen pharmazeutischen Fachpersonals - wie etwa der von der Klägerin eingerichteten "Apothekerkommission" - oder des pharmazeutischen Unternehmens einholt und die praktische Umsetzbarkeit der Entscheidungen eigenständig beurteilen kann.

29Dies gilt auch im Hinblick auf die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gerückte Anforderung in § 7b Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 der AM-HandelsV, nach der Arzneimittel nur in die zum Verkauf bestimmten Bestände wieder aufgenommen werden dürfen, wenn auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine fehlende Verkehrsfähigkeit bestehen. Wie bereits im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt, muss die für den Großhandel verantwortliche Person diese Entscheidung nicht selbst treffen; die Prüfung und Entscheidung muss durch dafür besonders eingewiesenes Personal erfolgen (§ 7b Abs. 4 Satz 1 AM-HandelsV). Dieses Personal muss auch etwaige pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Fragen beantworten. Ein solches arbeitsteiliges Zusammenwirken steht der Verantwortlichkeit der benannten Person nicht entgegen. Nach Nr. 2.2 der GDP-Leitlinien kann sie bestimmte Aufgaben delegieren, nicht aber ihre Verantwortung. Wenn sie bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme eines zurückgenommenen Arzneimittels in die verkaufsfähigen Bestände für die Einhaltung der standardisierten Verfahrensregeln zu sorgen hat, ist dies eine ausreichende Grundlage, um ihr im Verhältnis zu Dritten die Verantwortung auch für die getroffene Entscheidung zuzuweisen.

30Welche spezifisch pharmazeutischen Kenntnisse insoweit für die verantwortliche Person erforderlich sein sollten, ist nicht ersichtlich. Nach der unwidersprochenen Darstellung der Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung geht es bei der Retourenprüfung - jedenfalls im Fall des hier vorliegenden Großhandels mit Fertigarzneimitteln - nicht um pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Kontrollvorgänge. Maßgebliche Prüfpunkte sind danach in der Praxis vielmehr die Kontrolle auf Beschädigungen sowie der Nachvollzug der vom Rücksender vorgelegten Dokumentation zu Lagerung und Transport. Die Beantwortung produktbezogener pharmazeutischer Fragen obliegt dem Arzneimittelhersteller. Auch der Beklagte war weder im Rahmen des Berufungsverfahrens noch im Termin zur Verhandlung vor dem Revisionsgericht in der Lage, konkrete Fallkonstellationen zu benennen, in denen eigenständiges pharmazeutisches Fachwissen der für den Großhandel verantwortlichen Person zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung notwendig wäre.

31Liegen ausreichend belastbare Sachgründe nicht vor, die abstrakte pharmazeutische Kenntnisse für die Tätigkeit der für den Großhandel verantwortlichen Person generell erforderlich machen, können derartige Anforderungen jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Festlegung des Gesetzgebers im Wege der Auslegung durch Gerichte statuiert werden. Nur soweit Gründe der Arzneimittelsicherheit oder andere sachlich gerechtfertigte Umstände dies erfordern, kann die freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG eingeschränkt werden.

32d) Erforderlich für die Tätigkeit einer verantwortlichen Person im Sinne des § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG sind Sachkenntnisse im Umgang mit den Arzneimitteln, die Gegenstand der Großhandelserlaubnis sind. Die Kenntnisse können durch praktische Erfahrungen gewonnen werden, insbesondere durch Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht einer verantwortlichen Person in deren Aufgabenbereich. Pharmaziekenntnisse vergleichbar denen, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden, sind nicht erforderlich. Pharmazeutische Kenntnisse können aber verlangt werden, soweit sie für konkret benannte Tätigkeiten im Umgang mit bestimmten Arzneimitteln erforderlich sind.

33Aus den Entstehungsmaterialien des § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG geht hervor, dass der Gesetzgeber bei der erforderlichen Sachkenntnis auch an eine durch praktische Erfahrung gewonnene Qualifikation gedacht hat (vgl. BT-Drs. 15/2109 S. 34). Eine solche Qualifikation erscheint auch sachdienlich, weil der Aufgaben- und Verantwortungsbereich der für den Großhandel verantwortlichen Person in besonderer Weise durch die praktischen Anforderungen geprägt wird (vgl. Nr. 2.2 Abs. 5 der GDP-Leitlinien sowie §§ 1a ff. AM-HandelsV). Die Tätigkeitsfelder der verantwortlichen Person machen sowohl Kenntnisse im organisatorischen Bereich des Arzneimittelgroßhandels als auch Erfahrungen im Umgang mit den jeweils vertriebenen Arzneimitteln erforderlich. Nur so kann einerseits dem regulatorischen Anforderungsprofil der verantwortlichen Person Rechnung getragen werden, andererseits aber auch dem Umstand, dass sich der Vertrieb auf Arzneimittel bezieht, also sensible Produkte mit besonderem Gefahrenpotential.

34Allerdings kann nicht von jeder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang mit Arzneimitteln auf die für die Tätigkeit der verantwortlichen Person erforderliche Sachkenntnis geschlossen werden. Diese Annahme setzt vielmehr voraus, dass die ausgeübte Tätigkeit aussagekräftig im Hinblick auf den Aufgabenbereich der verantwortlichen Person ist. Nur dann ist der Schluss von der praktischen Berufserfahrung auf eine durch sie erworbene Sachkenntnis im Hinblick auf die Tätigkeit der für den Großhandel verantwortlichen Person berechtigt. Das wird in der Regel der Fall sein, wenn die vom Erlaubnisinhaber benannte Person über einen längeren Zeitraum unter Anleitung und Aufsicht einer verantwortlichen Person tätig war und sich in diesem Aufgabenbereich "bewährt" hat.

35Die erforderliche Sachkenntnis ist der zuständigen Behörde nachzuweisen. Die Benennung einer verantwortlichen Person, die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt, ist Voraussetzung für Erteilung und Bestand der Großhandelserlaubnis. Im Fall der Benennung einer neuen verantwortlichen Person hat der Inhaber der Erlaubnis daher geeignete Nachweise vorzulegen (vgl. § 52a Abs. 8 Satz 1 AMG). Dies umfasst im Fall der durch Berufserfahrung erworbenen Sachkenntnis auch eine detaillierte Aufstellung über Art und Umfang der bislang ausgeübten Tätigkeiten.

36Ob die Unterlagen zum Nachweis der für die betreffende Betriebsstätte erforderlichen Sachkenntnis geeignet sind, muss durch eine einzelfallbezogene Prüfung ermittelt werden.

373. Die tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil reichen für eine abschließende Sachentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht aus.

38Nach den Feststellungen im Berufungsurteil war Herr P seit Februar 2005 bis jedenfalls Ende 2013 als für den Großhandel verantwortliche Person in den Betriebsstätten S. und H. tätig. Es spricht daher viel dafür, dass er durch diese berufliche Erfahrung auch die erforderliche Sachkenntnis für die Tätigkeit als verantwortliche Person in der Betriebsstätte D. erworben hat.

39Weder dem Berufungsurteil noch den vorliegenden Gerichts- und Behördenakten können indes genauere Aussagen über Art und Umfang des in den jeweiligen Betriebsstätten genehmigten und durchgeführten Arzneimittelhandels entnommen werden. Ebensowenig liegt bislang eine Aufstellung und Beschreibung der von Herrn P tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben und Tätigkeiten vor.

40Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:051120U3C7.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 11
SAAAH-72330