BAG Urteil v. - 2 AZR 308/20

Kündigungsschutzklage - Wirksamkeitsfiktion - Verwirkung

Leitsatz

Hat der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage im Wege der Anschlussberufung in ein zweitinstanzliches Verfahren eingeführt, kann er, nachdem die Anschließung infolge einer Berufungsrücknahme durch den Arbeitgeber ihre Wirkung verloren hat (§ 524 Abs. 4 ZPO), mit einer die nämliche Kündigung betreffenden weiteren Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht in analoger Anwendung der in § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG bestimmten Frist - nur - durchdringen, wenn er die neue Klage innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis vom Wirkungsverlust anhängig macht.

Gesetze: § 4 S 1 KSchG, § 5 Abs 3 S 1 KSchG, § 7 Halbs 1 KSchG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 516 ZPO, § 524 Abs 4 ZPO, § 308 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 12 Ca 241/17 Teilurteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 8 Sa 57/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom zum . Das Arbeitsgericht befand diese Kündigung für unwirksam. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein. Während des Berufungsverfahrens sprach sie unter dem eine außerordentliche fristlose sowie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum aus.

3Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom , die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Zudem erklärte er, die Kündigungen vom würden in das „Verfahren eingeführt, so dass sie vom Streitgegenstand umfasst“ seien. Mit weiterem Schriftsatz vom formulierte er ausdrücklich Klageanträge gegen die beiden Folgekündigungen.

4Die Beklagte nahm ihre Berufung am zurück. Davon erhielt der Kläger am nächsten Tag Kenntnis. Am hat er die vorliegende Klage gegen die Kündigungen vom beim Arbeitsgericht anhängig gemacht.

5Der Kläger hat beantragt

6Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage - entsprechend dem Antrag der Beklagten - abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Begehren weiter.

Gründe

7Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das die Kündigungsschutzklage abweisende Teilurteil des Arbeitsgerichts nicht zurückweisen. Ob eine der beiden Kündigungen vom wirksam ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

8A. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft die Kündigungsschutzklage mit der Begründung abgewiesen, die außerordentliche und die ordentliche Kündigung vom gölten nach § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an wirksam.

9I. Ausgehend von seiner Annahme, bereits die außerordentliche Kündigung sei wirksam, durfte das Berufungsgericht nicht die gesamte Kündigungsschutzklage abweisen. Das Klagebegehren ist dahin zu verstehen, dass der Kläger zwei Anträge gem. § 4 Satz 1 KSchG gestellt hat. Mit einem Hauptantrag wendet er sich gegen die außerordentliche, mit einem unechten Hilfsantrag gegen die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom (vgl.  - Rn. 17 ff., BAGE 146, 353). Letzterer fällt nicht zur Entscheidung an, wenn ersterer erfolglos bleibt. In der Abweisung des Hilfsantrags liegt dann ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

10II. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht überdies nicht annehmen, die Kündigungen vom gölten gem. § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an wirksam. Es ist nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Kläger durch eine (erste) Klage zum Landesarbeitsgericht den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion des § 7 Halbs. 1 KSchG vermieden hat und es ihm auch nicht verwehrt ist, mit der vorliegenden (zweiten) Klage weiterhin die Rechtsunwirksamkeit der streitbefangenen Kündigungen vom gerichtlich geltend zu machen.

111. Der Kläger könnte die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG durch eine (erste) Klage zum Berufungsgericht gewahrt haben.

12a) Eine Kündigungsschutzklage kann fristwahrend iSv. § 4 Satz 1 KSchG in einem beim Landesarbeitsgericht anhängigen Berufungsverfahren erhoben werden (vgl.  - Rn. 16 ff., BAGE 161, 198), ggf. im Wege der Anschlussberufung nach § 524 ZPO (ErfK/Kiel 21. Aufl. KSchG § 4 Rn. 23b).

13b) Die streitbefangenen Kündigungen sind dem Kläger am zugegangen. Er hat mit Schriftsatz vom an das Landesarbeitsgericht erklärt, diese in das damalige Berufungsverfahren einzuführen, „so dass sie vom Streitgegenstand umfasst“ seien. Damit hat er unmissverständlich deutlich gemacht, sich im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung vom auch gegen die Folgekündigungen verteidigen zu wollen. Hierin lag in der gebotenen Auslegung entsprechend § 133 BGB (vgl.  - Rn. 15) eine - fristgerechte - Anschlussberufung nach § 524 ZPO (vgl.  - Rn. 11), mit der der Kläger zwei Klageanträge mit dem von § 4 Satz 1 KSchG vorgegebenen, iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten Inhalt verfolgt hat (vgl.  - Rn. 15 ff.). Anders hätte der Kläger sein Rechtsschutzziel nicht erreichen können. Bei den im Schriftsatz vom ausformulierten Anträgen handelte es sich lediglich um entsprechende Bestätigungen.

14c) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Schriftsatz vom dort außerhalb der bis zum laufenden Frist des § 4 Satz 1 KSchG eingegangen ist.

152. Hat der Arbeitnehmer - was für das vorliegende Revisionsverfahren zu unterstellen ist - einmal fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben, kann die materielle Wirksamkeitsfiktion des § 7 Halbs. 1 KSchG grundsätzlich nicht mehr eintreten. Sie wird nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift vermieden, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung rechtzeitig geltend gemacht wird. Das ist nach § 4 Satz 1 KSchG der Fall, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Hat der Arbeitnehmer mit diesem Begehren fristgerecht ein Gericht „angerufen“ (vgl. die amtliche Überschrift zu § 4 KSchG), ist dem Zweck von § 4 Satz 1 KSchG genügt, dem Arbeitgeber alsbald Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Arbeitnehmer die Kündigung hinnimmt oder nicht (vgl.  - zu B II 2 b cc der Gründe, BAGE 73, 30). Das „Recht“ des Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen, kann dann grundsätzlich nicht mehr nach der spezialgesetzlichen Konkretisierung des Verwirkungstatbestands in § 4 Satz 1, § 7 Halbs. 1 KSchG (vgl.  - Rn. 33), sondern nur noch aus anderen Gründen „verloren“ gehen.

163. Die erste Klage gegen die Kündigungen vom ist nicht rückwirkend „weggefallen“. Zwar hat die Anschließung des Klägers infolge der Berufungsrücknahme durch die Beklagte (§ 516 ZPO) ihre Wirkung verloren (§ 524 Abs. 4 ZPO). Doch hatte dies schon prozessrechtlich nicht zur Folge, dass die weiteren Kündigungsschutzanträge als nie anhängig geworden anzusehen wären. Solches ist ausschließlich in § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 ZPO (ggf. iVm. § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG) bestimmt. Deshalb bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob eine derartige prozessuale Anordnung auch zum Entfallen einer fristwahrenden Klage iSv. § 4 Satz 1 KSchG und damit ex tunc zum Eintritt der materiellen Wirksamkeitsfiktion des § 7 Halbs. 1 KSchG führt (so ohne die gebotene Auslegung von § 4 Satz 1, § 7 Halbs. 1 KSchG:  - Rn. 41, 65; - 7 AZR 91/10 - Rn. 43, 65; - 2 AZR 245/05 - Rn. 20; sh. auch  - zu II der Gründe, BAGE 65, 264; aA  - Rn. 39; - 5 AZR 54/70 - zu 2 der Gründe, BAGE 22, 441; zu § 204 Abs. 2 BGB als einer abweichenden Regelung der - fortbestehenden - materiell-rechtlichen Wirkung der prozessual rückwirkend entfallenden Klageerhebung vgl. BT-Drs. 14/6857 S. 44;  - Rn. 12; MüKoBGB/Grothe 8. Aufl. § 204 Rn. 73).

174. Mit seiner ersten Klage gegen die Kündigungen vom hat der Kläger - ungeachtet der Frage, ob das möglich wäre - nicht bloß eine „bedingte Verteidigungsbereitschaft“ angezeigt. Der fortgesetzte Angriff gegen diese Kündigungen mit der vorliegenden Klage stellt sich auch nicht als treuwidrig selbstwidersprüchlich iSv. § 242 BGB dar. Indem der Kläger die erste Klage im Wege der Anschlussberufung in das seinerzeit anhängige Berufungsverfahren eingeführt hat, hat er nicht zu verstehen gegeben, er wolle die Rechtsunwirksamkeit der Kündigungen vom nur solange geltend machen, wie die Beklagte an ihrer Berufung und damit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung vom festhält. Die Entscheidung für eine Klageerweiterung im zweitinstanzlichen Verfahren besagte für sich genommen lediglich, dass der Kläger den gesamten Streit der Parteien „in eine Hand“ legen und möglichst zeitnah einer Entscheidung durch das Landesarbeitsgericht zuführen wollte. Dies gilt umso mehr, als er sich gegen die Wirksamkeit von zwei Folgekündigungen gewendet hat. Hätte der Kläger die Kündigungen vom unmittelbar mit einer gesonderten Klage zum Arbeitsgericht angegriffen, hätte dieses eine Aussetzung des Folgerechtsstreits nach § 148 ZPO bis zum Abschluss des vorgreiflichen Berufungsverfahrens betreffend die Kündigung vom zumindest in Betracht ziehen müssen (vgl.  - zu II der Gründe). Mit der Einführung weiterer Kündigungsschutzanträge in das schwebende Berufungsverfahren bestand demgegenüber die Möglichkeit, dass über die (Nicht-)Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien sogleich abschließend befunden würde. Der Kläger hat sich auch nicht „aus freien Stücken“ für eine (unselbständige) Anschlussberufung entschieden. Eine solche war für ihn, nachdem er erstinstanzlich obsiegt hatte, vielmehr die einzige Möglichkeit, neue Klageanträge in das zweitinstanzliche Verfahren einzubringen (vgl.  - Rn. 18; - 2 AZR 124/11 - Rn. 11; ErfK/Kiel 21. Aufl. KSchG § 4 Rn. 23b). Zumindest unter diesen Umständen konnte die Beklagte nicht schutzwürdig darauf vertrauen, der Kläger werde im Fall des § 524 Abs. 4 ZPO vollends davon absehen, die Unwirksamkeit der beiden Folgekündigungen geltend zu machen (zu § 204 Abs. 2 BGB vgl.  - Rn. 12), und sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche Kündigung vom abfinden (vgl.  - Rn. 26).

185. Die §§ 4 ff. KSchG bestimmen nicht, dass die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung allein in dem durch die fristwahrende Klage eingeleiteten Verfahren verfolgt werden könnte. Solches lässt sich insb. nicht aus § 6 Satz 1 KSchG ableiten. Bei der Verwendung des Demonstrativartikels „diesem“ in der Wendung „in diesem Verfahren“ hatte der Gesetzgeber den Regelfall vor Augen, dass die Parteien nur einen, beim Arbeitsgericht beginnenden Rechtsstreit über die Wirksamkeit der betreffenden Kündigung führen; für andere Konstellationen wollte er weder ein „Nachschieben“ von Unwirksamkeitsgründen noch gar die Möglichkeit für den Arbeitnehmer ausschließen, ggf. mit einer zweiten Kündigungsschutzklage durchzudringen. Vielmehr ist § 6 Satz 1 KSchG im Einklang mit der den Weg einer weiteren Klage eröffnenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. - 2 AZR 333/76 - zu I der Gründe; - 2 AZR 82/70 - zu I 2 c der Gründe, BAGE 23, 139; - 5 AZR 54/70 - zu 2 der Gründe, BAGE 22, 441) so zu lesen, dass er in sämtlichen Rechtsstreiten Anwendung findet, die die Kündigung zum Streitgegenstand haben, deren Rechtsunwirksamkeit der Arbeitnehmer rechtzeitig - und sei es in einem formal anderen Verfahren - durch eine Klage zum Arbeitsgericht, eine Klageerweiterung in einem Berufungsverfahren (§§ 524, 533 ZPO) oder die Anrufung eines Schiedsgerichts (§ 101 Abs. 2 ArbGG) bzw. Schlichtungsausschusses (§ 111 Abs. 2 ArbGG) geltend gemacht hat. Dass es ggf. an einer § 17b Abs. 1 GVG iVm. § 48 Abs. 1 ArbGG entsprechenden „Verklammerung“ zu einem einheitlichen Rechtsstreit fehlt, ist unbeachtlich.

196. Allerdings darf der Arbeitnehmer sich mit einer neuen Klage nicht unbegrenzt Zeit lassen (insoweit schon  - zu I 2 c der Gründe, BAGE 23, 139; - 5 AZR 54/70 - zu 2 der Gründe, BAGE 22, 441). Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung durch analoge Anwendung der in § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG bestimmten Frist führt vielmehr dazu, dass er sein „Recht“, sich auf die Unwirksamkeit der betreffenden Kündigung(en) zu berufen, verwirkt, wenn er die weitere Klage nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung vom Wirkungsverlust gem. § 524 Abs. 4 ZPO anhängig macht.

20a) Das Gesetz weist die für einen Analogieschluss vorausgesetzte planwidrige Lücke auf. Der Arbeitgeber hat auch nach einer rechtzeitigen Klageerhebung ein berechtigtes, im laufenden Rechtsstreit ua. durch §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG geschütztes Interesse an einer zügigen Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung (vgl.  - Rn. 27). Dieses bliebe unbeachtet, wenn das Recht des Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit der betreffenden Kündigung mit einer weiteren Klage zu verfolgen, zeitlich unbegrenzt bestünde. Die erforderliche Begrenzung ergibt sich indes nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von § 5 KSchG, weil die Klagefrist nicht versäumt, sondern im Gegenteil gewahrt wurde (ohne Begründung aA LKB/Linck KSchG 16. Aufl. § 4 Rn. 34; LSSW/Spinner 11. Aufl. § 4 Rn. 20; SPV/Vossen 11. Aufl. Rn. 1907). Auch die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung nach § 242 BGB bieten - anders als zur Ergänzung des Prozessrechts in einem anhängigen Rechtsstreit (vgl.  - Rn. 19 ff.) - keinen angemessenen Schutz für den Arbeitgeber, weil danach in jedem Einzelfall ein Umstandsmoment festgestellt werden müsste. Das widerspräche dem auf Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausgerichteten gesetzlichen Regelungskonzept für den Kündigungsschutzprozess, das für das Anbringen einer Klage (§ 4 Satz 1 KSchG) bzw. eines Antrags (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG) allein auf die Einhaltung bestimmter, kurzer Fristen abstellt.

21b) Denkt man diesen Regelungsplan weiter, ist die Gesetzeslücke durch eine analoge Anwendung der in § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG bestimmten Frist zu schließen. Das Abstellen auf die Zweiwochenfrist - und nicht auf die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG - ist in Abwägung mit den schutzwürdigen Belangen des Arbeitgebers sachgerecht, weil der Arbeitnehmer die Entscheidung, sich gerichtlich gegen die fragliche(n) Kündigung(en) zur Wehr zu setzen, bereits getroffen und sie auch schon einmal umgesetzt hatte. Er bedarf keiner längeren Überlegungs- und Vorbereitungszeit mehr, sondern muss nur die Klageerhebung „wiederholen“, nachdem der Weg zu einer Sachentscheidung über die erste Klage nachträglich versperrt wurde. Macht er die zweite Klage verspätet anhängig, ist sie - vorbehaltlich ihrer nachträglichen Zulassung bei unverschuldeter Versäumnis der Zweiwochenfrist - kraft einer spezialgesetzlichen Konkretisierung des Verwirkungstatbestands (§ 242 BGB, vgl. Rn. 15 zu § 4 Satz 1 KSchG) unbegründet. Die Interessenlage ist insoweit vergleichbar mit dem Erfordernis gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG, einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zu stellen.

227. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger sein „Recht“, sich infolge einer - für das Revisionsverfahren zu unterstellenden - fristwahrenden Klageerhebung im früheren Verfahren auch im vorliegenden Rechtsstreit auf die Unwirksamkeit der Kündigungen vom zu berufen, nicht verwirkt. Er hat schon am und damit innerhalb von zwei Tagen, nachdem er von der Berufungsrücknahme Kenntnis erlangt hat, die vorliegende Klage beim Arbeitsgericht anhängig gemacht. Die Klageschrift ist der Beklagten „demnächst“ iSv. § 167 ZPO zugestellt worden.

23B. Der Senat kann aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht selbst über die Wirksamkeit der beiden Kündigungen vom entscheiden, weshalb die Sache insgesamt an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen ist.

24C. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren erscheinen folgende weitere Hinweise angezeigt:

25I. Falls der Schriftsatz des Klägers vom aus dem vorangegangen Verfahren erst nach dem beim Landesarbeitsgericht eingegangen sein sollte, wäre die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt worden und gölte die außerordentliche Kündigung vom nach § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der diesbezügliche Hauptantrag wäre dann abzuweisen und der Hilfsantrag gegen die ordentliche Kündigung fiele nicht zur Entscheidung an (Rn. 9), weil der Kläger - soweit ersichtlich - keine auf eine verspätete erste Klage bezogene nachträgliche Zulassung gem. § 5 KSchG begehrt hat.

26II. Sollte der Schriftsatz vom rechtzeitig beim Landesarbeitsgericht eingegangen, aber außerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG an die Beklagte zugestellt worden sein, erfolgte die Zustellung gleichwohl „demnächst“ iSv. § 167 ZPO. Insofern gilt keine absolute zeitliche Obergrenze; Verzögerungen im gerichtlichen Geschäftsbetrieb dürfen nicht zulasten des Klägers gehen (vgl.  - Rn. 35, BAGE 147, 227). Vorliegend hatte dieser alle nötigen Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Zustellung erbracht (vgl.  - Rn. 10). Zwar hat er im Schriftsatz vom keinen Klageantrag ausformuliert und sein prozessuales Vorgehen nicht explizit als Anschlussberufung gekennzeichnet. Doch war für das Landesarbeitsgericht auch so eindeutig erkennbar, dass es sich um eine zuzustellende Klageerweiterung handelte (Rn. 13).

27III. Die Voraussetzungen von § 167 ZPO wären aus den gleichen Gründen auch erfüllt, wenn der Schriftsatz vom zwar rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen, jedoch der Beklagten bis dato nicht zugestellt worden sein sollte. Es müsste dann keine Zustellung dieses Schriftsatzes mehr veranlasst werden, nachdem der Beklagten ein die streitgegenständlichen Klageanträge enthaltendes Dokument schon in Gestalt des Schriftsatzes vom und jedenfalls der das vorliegende Verfahren einleitenden Klageschrift zugestellt worden ist. Auch käme es nicht darauf an, ob ein etwaiger Zustellungsmangel nach § 295 ZPO mit der Folge einer „demnächstigen“ Zustellung geheilt worden ist.

28IV. Sollte das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangen, die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG (ggf. iVm. § 167 ZPO) sei gewahrt, wird es ua. zu prüfen haben, ob die Kündigungen vom iSv. § 626 BGB bzw. § 1 Abs. 2 KSchG berechtigt waren.

29V. Falls der Kläger mit seinen Kündigungsschutzanträgen durchdringen sollte, wäre über den allgemeinen Feststellungsantrag sowie den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu befinden, bei denen es sich - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - jeweils um unechte Hilfsanträge handelt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:101220.U.2AZR308.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 371 Nr. 6
DB 2021 S. 6 Nr. 6
NJW 2021 S. 10 Nr. 8
NJW 2021 S. 652 Nr. 9
ZIP 2021 S. 1884 Nr. 36
UAAAH-70034