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BGH Beschluss v. - XII ZB 436/19

Vergütung des Berufsbetreuers: Vorliegen eines Heimaufenthalts des Betreuten

Leitsatz

Lebt der Betroffene in einer angemieteten Wohnung und bezieht er von einem gesonderten Anbieter ambulante Betreuungsleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG a.F. auf (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 517/17, FamRZ 2019, 477 und vom - XII ZB 226/18, FamRZ 2020, 1408).

Gesetze: § 5 Abs 2 S 2 Nr 4 VBVG vom , § 5 Abs 3 VBVG vom

Instanzenzug: Az: 2 T 602/16vorgehend Az: 536 XVII 1465/05vorgehend Az: 536 XVII 1465/05

Gründe

I.

1Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütungsansprüche eines Betreuungsvereins.

2Der Betroffene lebte aufgrund eines Mietvertrags in einer eigenen Wohnung und erhielt von einem im selben Haus ansässigen Anbieter Betreuungsleistungen. Die Beteiligte zu 1 ist seit dem Jahr 2008 als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2 (Betreuungsverein) zur Betreuerin für den Betroffenen bestellt. Der Beteiligte zu 2 hat für die Zeit vom bis und vom bis die Festsetzung seiner Vergütung in Höhe von jeweils 1.407 € beantragt. Bei der Berechnung seines Zeitaufwands ist er davon ausgegangen, dass der mittellose Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG in der bis zum geltenden Fassung - im Folgenden aF).

3Das Amtsgericht hat die Vergütung unter Berücksichtigung des geringeren Stundenansatzes für einen Betreuten, der in einem Heim lebt, nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VBVG aF auf jeweils 804 € festgesetzt. Nachdem eine den Vergütungszeitraum vom bis betreffende Beschwerdeentscheidung des Landgerichts wegen Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das - FamRZ 2019, 1643) unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht aufgehoben worden war, hat das Landgericht die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts eingelegten Beschwerden zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2 die Festsetzung der Vergütung in der beantragten Höhe.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Abänderung der Entscheidungen des Amtsgerichts.

51. Das Landgericht hat zur Einstufung der Wohnung als Heim ausgeführt, der vergütungsrechtliche Heimbegriff sei dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt würden. Auch Wohnformen des betreuten Wohnens könnten unter den Heimbegriff fallen. Maßgebend sei hierfür nicht der tatsächliche Aufwand des Betreuers oder die Anzahl der abgeschlossenen Verträge, sondern wie sich die Vertragsgestaltung darstelle, wer Betreiber der Wohnanlage und Betreuungsträger sei und welche Wahlmöglichkeiten der Betroffene bezüglich des Betreuungsträgers habe. Seien der Betreiber der Wohnanlage und der Betreuungsträger identisch, liege ein Heim vor. Zwar möge der Betroffene einen Mietvertrag mit einer Privatperson abgeschlossen haben, doch sei der Vermieter nicht Betreiber der Wohnanlage, sondern eine mit dem Betreuungsträger personenidentische häusliche Krankenpflege, die im Anwesen ihren Sitz habe. Die Wohnungen seien nicht auf dem freien Markt, sondern nur über die Betreuungsträgerin zugänglich. Bei den Wohnungseigentümern handele es sich lediglich um Kapitalanleger. Aufgrund der Ortsansässigkeit des Betreuungsträgers werde Betreuung oder Pflege tatsächlich nicht extern angeboten, und es bestehe keine Wahlmöglichkeit, da die Betreiberin der häuslichen Krankenpflege die ausschließliche Verfügungsbefugnis über wesentliche Bereiche des Anwesens innehabe. So könnten nach dem Betreuungsvertrag Hof und Außenbereiche sowie Aufenthaltsräume und das Pflegebad nur genutzt werden, wenn Grundleistungen des Betreuungsvertrages vereinbart würden. Aufgrund der 24stündigen Präsenz des Pflegepersonals sei der Abschluss eines Betreuungsvertrags nur mit dem Betreuungsträger sinnvoll.

62. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7Die dem Beteiligten zu 2 für die Vereinsbetreuung nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB iVm §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 1 VBVG zustehende Vergütung ist aufgrund des Stundenansatzes nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG aF zu bemessen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Betroffene seinen Aufenthalt nicht in einem Heim.

8a) § 5 VBVG aF unterscheidet für den pauschal zu vergütenden Zeitaufwand eines Betreuers danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht.

9aa) Der danach maßgebende Begriff „Heim“ wird - in Anlehnung an § 1 Abs. 2 HeimG - in § 5 Abs. 3 VBVG aF definiert. Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind danach Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind. Die Regelung beruht auf dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom (2. BtÄndG BGBl. I 1073). Ziel dieses Gesetzes, das auf Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ zurückgeht, ist es unter anderem, mit der Einführung von pauschalierenden Stundenansätzen die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Praktisch sinnvoll ist danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs. Im Einzelfall dennoch bestehenden Schwierigkeiten ist durch eine teleologische Auslegung zu begegnen. Denn dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim lebt (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 9 und vom - XII ZB 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 8).

10Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs sind daher nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt werden. Eine Wohnung wird nicht schon dadurch zum Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbietet, ihm bei Erforderlichkeit Verpflegung und tatsächliche Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen, § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG aF iVm § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 HeimG (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 11 und vom - XII ZB 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 9).

11bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Heimeigenschaft trotz einer personellen Verbindung von Vermieter und Pflegedienst verneint, wenn der Mietvertrag es zuließ, dass die Bewohner einen anderen Pflegedienstanbieter auswählen. Auch durch eine organisatorische Verbindung würden dem Betreuer die diesbezügliche Organisation und Überwachung nicht abgenommen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 13 f.). Der Senat hat zudem nach Erlass der angefochtenen Entscheidung die Heimeigenschaft in einem Fall verneint, in dem Wohnraum durch eine von den Bewohnern gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts angemietet wird und die Bewohner mit einem Pflegedienst individuelle Verträge über Verpflegung und Betreuungsleistungen schließen. Aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit der Verträge fehle es an der für den vergütungsrechtlichen Heimbegriff erforderlichen Bereitstellung von Wohnraum, Verpflegung und tatsächlicher Betreuung „aus einer Hand“ (Senatsbeschluss vom - XII ZB 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 10 ff.).

12b) Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht rechtsfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, dass der Betroffene in einem Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG aF lebt.

13aa) Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung werden vorliegend nicht „aus einer Hand“ erbracht. Der Betroffene lebt in einer von einem Kapitalanleger, der keine Verbindungen zu einem Heim aufweist, angemieteten und voll ausgestatteten Wohnung. Damit hat er einen von dem Vertrag über Versorgungsleistungen zu unterscheidenden Vertrag geschlossen und erhält keine „aus einer Hand angebotenen“ Leistungen. Hieran ändert auch der vom Landgericht hervorgehobene Umstand nichts, dass die Wohnungen faktisch nicht auf dem freien Markt, sondern nur über den Betreuungsträger verfügbar seien, weil keine rechtliche Verpflichtung zur Abnahme von dessen Betreuungsleistungen besteht. Der vom Landgericht herangezogene Vergleich mit einem Hotel überzeugt ebenfalls nicht, da der Betreuungsdienst vorliegend gerade keine Wohnungsüberlassung schuldet. Schließlich kommt es nicht auf die vom Landgericht hervorgehobene Frage an, ob die Wahl eines anderen Pflegedienstanbieters sinnvoll ist. Unabhängig davon, dass über nur geringfügige „Grundleistungen“ hinausgehende vom Betroffenen entgegengenommene Pflegeleistungen nicht festgestellt sind, steht die hier gegebene rechtliche Möglichkeit, einen anderen Dienst zu wählen, der Einordnung als Heim entgegen.

14bb) Auch der Zweck der Vorschrift, einer Entlastung des Betreuers durch den geringeren Stundenansatz Rechnung zu tragen, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Wohnungsgewährung und die geringen Betreuungsleistungen werden durch rechtlich verschiedene Anbieter erbracht. Dadurch werden dem Betreuer die ihm diesbezüglich obliegenden Aufgaben der Organisation und Überwachung nicht abgenommen. Auch die Auswahl des jeweiligen Dienstleisters bleibt Aufgabe des Betreuers.

15cc) Der Betreuer wird danach durch die vorliegend gewählte Wohn- und Betreuungsform nicht in einer mit einer stationären Heimunterbringung vergleichbaren Weise entlastet. Die Frage, ob mit der gewählten Form der Unterbringung gleichwohl einzelne Entlastungen verbunden sein mögen, stellt sich wegen der hier gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht.

163. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:041120BXIIZB436.19.0

Fundstelle(n):
ZAAAH-68169