Online-Nachricht - Donnerstag, 07.01.2021

Verfahrensrecht | Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung (BFH)

Um ein Auskunftsersuchen an andere Personen als die Beteiligten richten zu dürfen, muss entweder die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führen (Alternative 1) oder diese keinen Erfolg versprechen (Alternative 2). Um eine Prognose zu den fehlenden Erfolgsaussichten einer Auskunft durch die Beteiligten machen zu können, bedarf es eines klar umrissenen und für die Besteuerung des Steuerpflichtigen erheblichen Sachverhalts; Ermittlungszweck und potentielles Ermittlungsergebnis müssen erkennbar sein (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Der Kläger und Revisionskläger betrieb in den Jahren 2009 bis 2011 einen Handel mit Kraftfahrzeugen, insbesondere mit Gebrauchtwagen. Eine Außenprüferin konnte anhand der vom Kläger übergebenen Unterlagen die Lieferketten zwischen dem letzten Halter und dem Verkäufer nicht nachvollziehen. Fahrzeugbriefe waren nach dem Weiterverkauf der Fahrzeuge im Betrieb des Klägers nicht mehr vorhanden. Da die Prüferin bestimmte Umsätze des Klägers mit Gebrauchtfahrzeugen als auffällig ansah, hielt sie es für nötig, die letzten Halter um weitere Auskünfte zu bitten. Sie ging dabei davon aus, dass diese Halter dem Kläger unbekannt seien und meinte infolgedessen, eine vorherige Anfrage beim Kläger könne unterbleiben.

Der Kläger macht im Rahmen seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel geltend. Das FG verkenne die inhaltlichen Schranken für ein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO und erwecke den Eindruck, dem FA sei jedes aus seiner Sicht für sachdienlich gehaltene Auskunftsersuchen erlaubt.

Die Revision des Klägers hatte Erfolg:

  • Das finanzgerichtliche Urteil verletzt Bundesrecht, weil notwendige Feststellungen des FG im Rahmen seiner Prüfung der Rechtmäßigkeit der streitigen Auskunftsersuchen dazu fehlen, ob das FA vor deren Erlass bei seiner Prognose hinreichend erwogen hat, inwieweit die beabsichtigte Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger (offenkundig) keinen Erfolg versprechen würde. Dazu hätte das FG ermitteln müssen, welches Ziel das FA im Hinblick auf den aus seiner Sicht für die Besteuerung des Klägers erheblichen Sachverhalt verfolgt hat und inwieweit dieses hierfür erforderlich gewesen ist.

  • Ausgehend davon, dass jedes Auskunftsersuchen ein anfechtbarer Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz 1 AO ist (), wird das FG im zweiten Rechtsgang feststellen müssen, ob und wenn ja welchen konkreten Ermittlungszweck das FA in jedem Einzelfall verfolgte, so dass es im Rahmen seiner Prognose vor dem Erlass jedes Auskunftsersuchens von einer Erfolglosigkeit der Sachaufklärung durch den Kläger ausgehen durfte.

  • Kann dies nicht angenommen werden, wird das FG darüber hinaus überprüfen müssen, ob in diesem Einzelfall bereits ein atypischer Fall vorliegt, der es erlaubt, den ersten Halter als andere Person um Auskunft zu ersuchen. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu beachten (weiterführend ).

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Bereits im (BStBl II 2016, 135) hat der BFH klar gemacht, dass die Befugnisse des Finanzamts (FA) bei Auskunftsersuchen an Dritte aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 93 Abs. 1 Satz 3 AO nicht mit denen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 3 AO zu verwechseln sind. Nur in Ausnahmefällen ist ein Dritter um Auskunft zu ersuchen. Vorliegend systematisiert der BFH ausgehend von den Tatbestandsmerkmalen des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO diese Voraussetzungen weiter. Demnach darf eine solche Auskunft, wenn der Steuerpflichtige nicht mitwirkt, eingeholt werden, wenn die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung anzunehmen ist. Diese Erfolglosigkeit ist sachgerecht zu prognostizieren, was voraussetzt, dass ein klar umrissener und für die Besteuerung des Steuerpflichtigen erheblicher Sachverhalt gegeben ist, der es ermöglicht, das Ziel der Sachaufklärung des FA zu erkennen. Denn nur in einem solchen Fall kann eine Erfolgsaussicht seines Mitwirkens eingeschätzt werden. Vorliegend blieb mangels Feststellungen schon unklar, was eigentlich das Ziel der Auskünfte bei den letzten Haltern der verkauften Pkw in Bezug auf die Besteuerung des Steuerpflichtigen sein sollte. Insbesondere wurden die aufgezeigten Auffälligkeiten nicht in Bezug zu den einzelnen Auskunftsersuchen gestellt.

Das FG hat deshalb im Rahmen seiner erneuten Prüfung festzustellen, ob und wenn ja welchen konkreten Ermittlungszweck das FA in jedem Einzelfall verfolgte. Erst wenn dies feststeht, kann die Erfolglosigkeit der Sachaufklärung durch den Steuerpflichtigen prognostiziert werden.

Darüber hinaus bleibt die Möglichkeit, dass ein atypischer Fall gegeben ist.

Quelle: ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
OAAAH-68096