Umsatzsteuer | Widerruf des Verzichts auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung (BFH)
Der Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung wirkt auch für nachfolgende Besteuerungszeiträume, bis er vom Steuerpflichtigen widerrufen wird. Das Überschreiten der Umsatzgrenze ist weder ein Widerruf des Verzichts noch erledigt es die Verzichtserklärung in sonstiger Weise (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG kann der Unternehmer dem Finanzamt bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG) erklären, dass er auf die Anwendung der Besteuerungsregelung des § 19 Abs. 1 UStG (sog. Kleinunternehmerregelung) verzichtet. Dieser Verzicht bindet nach Eintritt der "Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung" den Unternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre (§ 19 Abs. 2 Satz 2 UStG). Er kann sie mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen (§ 19 Abs. 2 Satz 3 UStG).
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Jahr 2017 (Streitjahr) die umsatzsteuerrechtliche Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen kann.
Im Gründungsjahr 2006 verzichtete der Kläger gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung. In den Folgejahren bis einschließlich des Jahres 2016 gab er Umsatzsteuerjahreserklärungen ab, in denen er die Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften berechnete.
Mit seiner beim FA eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr wendete der Kläger erstmalig die Kleinunternehmerbesteuerung an. In den Rechnungen des Streitjahres wies er unter Hinweis auf § 19 UStG keine Umsatzsteuer aus. Das FA teilte dem Kläger mit, dass der Wechsel von der Regel- zur Kleinunternehmerbesteuerung für das Streitjahr nicht möglich sei, da der Kläger innerhalb der letzten fünf Jahre "von der Option nach § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG" Gebrauch gemacht habe und deshalb insoweit gebunden sei.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wurde stattgegeben ().
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:
Über die Form der Verzichtserklärung nach § 19 Abs. 2 UStG sowie ihres Widerrufs enthält das UStG keine Bestimmungen. Mit der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung, in der der Steuerpflichtige die Steuer nach den allgemeinen Grundsätzen berechnet, verzichtet er konkludent auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG (vgl. z. B. , Rz 53).
In gleicher Weise kann der Steuerpflichtige auch durch Abgabe der Umsatzsteuererklärung konkludent den Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung widerrufen. Es gelten beim Widerruf die gleichen Regeln wie für die Erklärung des Verzichts (vgl. , unter 1.b).
Insbesondere ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "mindestens" in § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG sowie aus § 19 Abs. 2 Satz 3 UStG, dass der Verzicht i. S. des § 19 Abs. 2 UStG nicht nach Ablauf von fünf Jahren unwirksam wird, sondern bis zu einem Widerruf fortwirkt.
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger im Streitjahr wirksam seinen Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung widerrufen.
Der Kläger hat im Gründungsjahr 2006 durch Verzicht auf die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG die fünfjährige Bindungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG in Gang gesetzt, die mit Ablauf des Jahres 2010 endete. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Der Verzicht wirkte jedoch gleichwohl fort, so dass im Jahr 2011 kein erneuter Verzicht notwendig war.
Auch im darauffolgenden Jahr 2014 war dieser Verzicht weiterhin wirksam, so dass die entsprechend abgegebene Umsatzsteuererklärung 2014 - entgegen der Auffassung des FA - keine erneute Erklärung eines Verzichts auf die Kleinunternehmerregelung darstellte. Dessen bedurfte es nicht, weil der Verzicht aus dem Jahr 2006 weiterhin wirksam war. Gleiches gilt auch für die Jahre 2015 bis 2016. Mit der Einreichung der Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2017 hat der Kläger allerdings wirksam entsprechend § 19 Abs. 2 Satz 3 und 4 UStG diesen Verzicht aus dem Gründungsjahr widerrufen.
Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:
Wie lange gilt der Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 2 UStG? Diese Frage ist zentraler Gegenstand der Entscheidung und obwohl die Regelung des § 19 UStG schon seit 1980 im UStG enthalten ist, hat bisher die Rechtsprechung dazu nicht Stellung genommen. Im Ergebnis kann man nach den Gründen der Anmerkungsentscheidung festhalten, dass der Verzicht solange wirkt, solange er nicht widerrufen wird. Es kann daher im Extremfall Jahrzehnte später noch der ursprüngliche Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung wirksam sein. Es kommt – darauf weist der BFH hin – auch nicht darauf an, ob zwischendurch die Umsatzgrenze von aktuell 22.000 € überschritten wurde. Dadurch, dass ein Fall der Regelbesteuerung kraft Gesetzes vorliegt, kommt es nicht zu einer irgendwie gearteten Beendigung der Wahl zur Regelbesteuerung. Sie wirkt unterschwellig weiter, auch wenn sie in diesen Veranlagungszeiträumen keine Bedeutung hat. Werden in der Folge die Umsätze niedriger und unterschreiten die maßgebliche Grenze von 22.000 €, kommt die ursprüngliche Option wieder zur Anwendung und bleibt solange gültig bis sie widerrufen wird. Der Steuerpflichtige, der in dieser Situation eine Umsatzsteuererklärung/-anmeldung abgibt, übt nicht erneut die Option zur Regelbesteuerung aus (mit der Folge der mindestens fünfjährigen Bindung), sondern handelt entsprechend seiner ursprünglichen Optionsausübung. Ohne Widerruf wird daher die Optionsentscheidung nicht beseitigt. Wie bei der Optionsausübung kann auch der Widerruf ohne bestimmte Formerfordernisse ausgeübt werden (auch durch eine entsprechende Umsatzsteuererklärung/-anmeldung).
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
JAAAH-66900