BGH Beschluss v. - XIII ZB 21/20

Abschiebungshaftsache: Prüfung des Vorliegens eines Asylantrags durch das Haftgericht

Leitsatz

Die Haftgerichte haben - von Fällen offenkundiger Rechtsverletzung abgesehen - im Hinblick auf eine mögliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht zu prüfen, Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, die Angaben eines Betroffenen nicht als Asylantrag zu behandeln, sind vom Haftrichter erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat, und sich daraus ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann (Fortführung von BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 53/19, juris Rn. 14 und vom - XIII ZB 20/19, juris Rn. 8).

Gesetze: § 13 Abs 1 AsylVfG 1992, § 55 Abs 1 AsylVfG 1992, § 62 Abs 3 S 3 AufenthG, § 62 Abs 3 S 4 AufenthG, § 62 Abs 4 AufenthG

Instanzenzug: Az: 11 T 46/20vorgehend Az: 712 XIV 3/20 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, stellte im Juli 2019 in Spanien einen Asylantrag, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist. Bei einem ersten Versuch, aus Spanien auszureisen, wurde er von französischen Behörden zurückgewiesen. Am gelang ihm über Frankreich die Einreise in das Bundesgebiet.

2Zur Sicherung seiner Überstellung nach Spanien ordnete das Amtsgericht Offenburg auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom zunächst eine einstweilige Freiheitsentziehung bis zum an. Die im Rahmen der persönlichen Anhörung protokollierten Angaben des Betroffenen verstand die Haftrichterin als Äußerung eines Asylbegehrens und leitete diese an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) weiter, wo sie aber mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag bearbeitet wurden. Nachdem die spanischen Behörden eine Übernahme des Betroffenen abgelehnt hatten, ordnete die beteiligte Behörde mit sofort vollziehbarer Verfügung vom die Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien an.

3Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das inzwischen zuständige Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien bis zum angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht - nach zwischenzeitlicher Identifizierung des Betroffenen als tunesischer Staatsangehöriger und einer Flugbuchung für den - mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft nur bis zum aufrecht zu erhalten sei. Nach Erledigung der Haftanordnung beantragt der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung, dass ihn die Beschlüsse des Amts- und Landgerichts in seinen Rechten verletzt hätten.

4II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Mangels wirksamen Asylantrags sei ihm der Aufenthalt nicht nach § 55 Abs. 1 AsylG gestattet gewesen. Ein Asylverfahren sei nicht eingeleitet worden. Die Voraussetzungen des Haftgrundes des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lägen vor, denn der Betroffene sei auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Das Beschleunigungsgebot sei nicht verletzt. Aus welchem Grund das Dublin-Verfahren letztlich gescheitert sei, spiele jedenfalls dann keine Rolle, wenn sich dadurch die Ausreise - wie im Fall des Betroffenen - nicht verzögert habe. Aus dem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart ergebe sich kein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis. Allerdings sei die Haft - auch unter Berücksichtigung eines angemessenen zeitlichen Puffers für unvorhergesehene Verzögerungen - nur bis zum aufrecht zu erhalten, nachdem mittlerweile ein Flug für den gebucht worden sei.

62. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

7a) Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Haftanordnung und deren Aufrechterhaltung vollziehbar ausreisepflichtig war.

8aa) Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise ver-pflichtet, wenn er - wie der Betroffene - einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Vollziehbar ist die Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist. Dies war hier der Fall, weil sich der Betroffene ohne Pass oder Passersatz und ohne Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet begeben hat, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG.

9bb) Dem Betroffenen stand entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch zu keinem Zeitpunkt eine von den Haftgerichten zu berücksichtigende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG zu, welche die vollziehbare Ausreisepflicht aufgehoben und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Hafthindernis dargestellt hätte (vgl. dazu , NVwZ 2016, 1582 Rn. 16 mwN).

10(1) Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet. Ein solcher Ankunftsnachweis wurde dem Betroffenen nicht ausgestellt.

11(2) Dem Betroffenen war der Aufenthalt auch nicht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG gestattet. Er hat keinen von den Haftgerichten zu berücksichtigenden Asylantrag gestellt, der nach dieser Vorschrift die Aufenthaltsgestattung entstehen lässt.

12(a) Die Haftgerichte haben - von Fällen evidenter Rechtsverletzung abgesehen - im Hinblick auf eine mögliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts nicht zu prüfen, Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln. Eine solche Prüfung widerspräche der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungs- und den Haftgerichten. Denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden - hier des Bundesamts - unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 53/19, juris Rn. 12, und vom - XIII ZB 20/19, juris Rn. 8, jeweils mwN).

13(b) Danach war der Haftrichter hier an die Beurteilung des Bundesamts gebunden. Mit Schreiben vom teilte das Bundesamt dem Amtsgericht Karlsruhe mit, dass es die vom Betroffenen bei der persönlichen Anhörung am vor dem Amtsgericht Offenburg gemachten und an das Bundesamt weitergeleiteten Angaben nicht als Asylantrag ansehe. Der Betroffene habe dort nicht geltend gemacht, Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG zu suchen, sondern nur den Wunsch geäußert, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Dem entspreche seine Aussage gegenüber der Bundespolizei vom selben Tag, mit der er ausdrücklich erklärt habe, in seiner Heimat nicht verfolgt zu werden. Nach erfolgter Identifizierung sei deshalb beabsichtigt, den Betroffenen in das ermittelte Herkunftsland abzuschieben.

14(c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Sachaufklärung (vgl. § 26 FamFG) des Haftgerichts und des Beschwerdegerichts in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Das Protokoll des Amtsgerichts Offenburg vom musste von den Haftgerichten nicht eingesehen werden. Denn - anders als die Rechtsbeschwerde meint - ist nicht maßgeblich, wie das Beschwerdegericht die Angaben des Betroffenen verstehen durfte, sondern wie das Bundesamt diese Angaben verstanden hat. Dies hat das Bundesamt mit Schreiben vom dem Amtsgericht Karlsruhe eindeutig mitgeteilt. Eine weitere Aufklärung war nicht veranlasst.

15Auch die Gelingensprognose des Beschwerdegerichts (§ 62 Abs. 3 Satz 3 und 4, Abs. 4 AufenthG) ist nicht zu beanstanden.

16Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, die Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln, sind - von Fällen offenkundiger Rechtsverletzung abgesehen - vom Haftrichter erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat, und sich daraus ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann. In diesem Fall muss der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklären. Steht danach zu erwarten, dass das Verwaltungsgericht einem Eilantrag des Betroffenen stattgeben wird, so dass die vorgesehene Abschiebung voraussichtlich nicht durchgeführt werden kann, darf er die Haft nicht anordnen und muss eine bereits ergangene Haftanordnung aufheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 53/19, juris Rn. 14, und vom - XIII ZB 20/19, juris Rn. 12, jeweils mwN).

17Die vom Beschwerdegericht getroffene Prognose, die Abschiebung werde am gelingen, begegnet danach keinen rechtlichen Bedenken. Aus dem beim Verwaltungsgericht Stuttgart mit Schreiben vom eingereichten Antrag des Betroffenen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ergab sich kein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis. Die Nachfrage des Beschwerdegerichts beim Verwaltungsgericht zum Stand und voraussichtlichen Fortgang des Verfahrens hatte nicht ergeben, dass das Verwaltungsgericht voraussichtlich dem Eilantrag des Betroffenen statt-geben und dessen Abschiebung aussetzen würde.

18Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt keine Verletzung des Beschleunigungsgebots vor.

19Die Rechtsbeschwerde nimmt im Ausgangspunkt zutreffend an, die Beachtung des Beschleunigungsgebots erfordere, dass die Gesuche um Auf- oder Wiederaufnahme eines Betroffenen nach Art. 21 f. oder Art. 23 ff. Dublin-III-VO korrekt und unter Einhaltung der Vorschriften der Durchführungsverordnung der Kommission (= Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 in der Fassung der Durchführungsverordnung [EU] Nr. 118/2014 der Kommission vom [Amtsblatt L 39 1; im Folgenden: DurchführungsVO]) an den anderen Mitgliedstaat gestellt werden, und dass sich die beteiligte Behörde Fehler des hier für die Übermittlung eines Wiederaufnahmegesuchs gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZVB zuständigen Bundesamts zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 111/10, NVwZ 2011, 1214 Rn. 13 f., und vom - V ZB 172/12, InfAuslR 2014, 52 Rn. 15). Weiter trifft zu, dass das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom entgegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. b DurchführungsVO nicht das von der Eurodac-Zentraleinheit übermittelte positive Ergebnis des Vergleichs der Fingerabdrücke des Betroffenen mit früheren Abdrücken enthielt und entgegen Art. 24 Abs. 5 Dublin-III-VO i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Anhang III Nr. 11 DurchführungsVO das Datum der Eurodac-Treffermeldung nicht benannte.

20Dieser Fehler hat sich auf die Dauer der Haft aber nicht ausgewirkt.

21Zwar sind hinsichtlich des Gebots, die Abschiebung des Betroffenen mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben, auch die vor der Haftanordnung liegenden Zeiten relevant (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rn. 11, und vom - V ZB 186/12, juris Rn. 9), hier also auch der Zeitraum der auf Grund der einstweiligen Anordnung vom vollzogenen Haft, während derer noch eine Überstellung nach Spanien geplant und Spanien um Übernahme des Betroffenen ersucht worden war.

22Allerdings wurden die in dem Gesuch vom fehlenden Informationen in der Antwort der spanischen Behörden vom nicht verlangt. Mit diesem Schreiben wurde nämlich nur die Mitteilung darüber erbeten, wann der Betroffene in Deutschland um Asyl nachgesucht habe und wann er festgenommen worden sei. Das von der Eurodac-Zentraleinheit übermittelte positive Ergebnis des Fingerabdruckvergleichs und das Datum dieser Treffermeldung wurden ausdrücklich nicht erfragt. Das Bundesamt übermittelte den spanischen Behörden die erbetenen Informationen am 30. Dezember, also am zweiten Büroarbeitstag nach Eingang der Nachfrage aus Spanien und damit innerhalb einer vertretbaren Bearbeitungszeit. Bis zum wäre das Verfahren um das Wiederaufnahmegesuch also auch ohne den Fehler des Bundesamts nicht anders verlaufen. Für die Zeit ab dem konnte der Fehler - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - keine Auswirkung auf die Dauer der Haft mehr haben, weil das Bundesamt an diesem Tag bereits die - von dem Haftrichter auf ihre Recht-mäßigkeit grundsätzlich und so auch hier nicht zu prüfende (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 80/17, NVwZ-RR 2019, 662 Rn. 7, und vom - XIII ZB 53/19, juris Rn. 12 mwN) - Entscheidung getroffen hatte, das Dublin-Verfahren als beendet anzusehen. Die beteiligte Behörde betrieb daraufhin nicht mehr die Überstellung des Betroffenen nach Spanien, sondern seine Abschiebung nach Tunesien. Dies tat sie mit der größtmöglichen Beschleunigung, indem sie am , also bereits am nächsten, auf den folgenden Büroarbeitstag, das Verfahren zur Identifizierung des Betroffenen in Tunesien einleitete.

23Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG und Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK analog. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:061020BXIIIZB21.20.0

Fundstelle(n):
XAAAH-66246