BGH Beschluss v. - 4 StR 72/20

Strafverurteilung eines Fahrzeugführers: Konkurrenzen bei Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einem Fahrzeug mit falschem amtlichen Kennzeichen und Tankbetrug; Sperrfristanordnung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung

Gesetze: § 21 Abs 1 Nr 1 StVG, § 52 StGB, § 53 StGB, § 55 Abs 2 StGB, § 69 Abs 1 StGB, § 69a Abs 1 S 3 StGB, § 263 Abs 1 StGB, § 263a StGB, § 267 Abs 1 Alt 3 StGB

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 941 Js 23043/18 - 8 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Diebstahls in 31 Fällen, Betruges in 13 Fällen, Computerbetrugs in zwölf Fällen, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 39 Fällen, davon in 35 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei anderen rechtskräftigen Erkenntnissen nach Auflösung einer nachträglich gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrecht erhalten, einen Vorwegvollzug angeordnet, eine Einziehungsentscheidung getroffen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Schuldspruch war zu ändern, weil die konkurrenzrechtliche Bewertung der Straftaten, die der Angeklagte im Zusammenhang mit der Betankung von Fahrzeugen und der Entwendung von Leergut begangen hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.

3a) Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte mehrfach mit von ihm gestohlenen Fahrzeugen Tankstellen auf, wobei er sich gegenüber dem den Tankvorgang beobachtenden Tankstellenpersonal den Anschein eines zahlungswilligen Kunden gab. Nachdem ihm die Betankung in der irrigen Annahme, er werde den angefallenen Kaufpreis bezahlen, gestattet worden war, verließ er mit dem betankten Fahrzeug wie von vorn herein geplant ohne zu bezahlen das Tankstellengelände (Fälle 6, 12, 15, 27, 37, 41, 45, 48, 53, 61, 80, 85 und 93 der Urteilsgründe). Am in der Zeit zwischen 7.22 Uhr und 7.28 Uhr fuhr er mit einem entwendeten Fahrzeug nacheinander zwei Tankstellen an und bezahlte den getankten Kraftstoff und weitere Waren jeweils mit einer entwendeten EC-Karte (Fälle 70 und 73 der Urteilsgründe). In den Fällen 12 und 15 der Urteilsgründe befand sich an dem betankten Fahrzeug bei der An- und Abfahrt das Originalkennzeichen. In den übrigen Fällen benutzte der Angeklagte Fahrzeuge, an denen ein nicht für dieses Fahrzeug ausgegebenes amtliches Kraftfahrzeugkennzeichen angebracht war. Auch verfügte der Angeklagte zu keiner Zeit über eine Fahrerlaubnis. Schließlich entwendete der Angeklagte in einem Fall von einem Reiterhof mehrere Kisten Leergut (Fall 33 der Urteilsgründe), wobei er das Gelände mit einem entwendeten Kraftfahrzeug, an dem ein für ein anderes Fahrzeug ausgegebenes Kennzeichen angebracht war, anfuhr und wieder verließ.

4Die Strafkammer hat die ohne Bezahlung erfolgten Tankvorgänge als Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB bewertet; im Fall der Bezahlung mit einer entwendeten EC-Karte hat sie einen Computerbetrug gemäß § 263a StGB angenommen. Hinsichtlich der Entwendung des Leerguts ist sie von einem Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB ausgegangen. In den An- und Abfahrten zu den Tankstellen mit Originalkennzeichen hat sie jeweils ein vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG gesehen. Die An- und Abfahrten in den übrigen Fällen hat sie als konkurrenzrechtlich selbstständige Urkundenfälschungen gemäß § 267 Abs. 1 3. Var. StGB in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 StVG gewertet.

5b) Diese konkurrenzrechtliche Würdigung ist rechtsfehlerhaft.

6aa) In den Fällen 12, 13 und 14 der Urteilsgründe sowie 15, 16 und 17 der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte jeweils nur des Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht. Bei ihrer Bewertung der mit einem Fahrzeug mit Originalkennzeichen erfolgten An- und Abfahrten als selbstständige Taten hat die Strafkammer übersehen, dass das Dauerdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG die gesamte geplante Fahrt umfasst und durch einen kurzen Tankaufenthalt und den dabei begangenen Betrug nicht unterbrochen wird (vgl. Rn. 2; Beschluss vom - 5 StR 268/09, DAR 2010, 273; Beschluss vom - 4 StR 438/03 mwN). Der Tankstellenbetrug steht hierzu in Tateinheit (vgl. Rn. 2; Beschluss vom - 5 StR 268/09, DAR 2010, 273).

7bb) In den Fällen 6, 7 und 8; 27, 28 und 29; 41, 42 und 43; 45, 46 und 47; 48, 49 und 50; 53, 54 und 55; 60, 61 und 62; 79, 80 und 81; 85, 86 und 87 sowie 92, 93 und 94 der Urteilsgründe liegt jeweils nur ein Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis vor; in den Fällen 70, 71 und 72 sowie 73, 74 und 75 der Urteilsgründe ist der Angeklagte nur der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Computerbetrug in zwei Fällen schuldig. Denn die mehrfache Nutzung eines mit einem falschen amtlichen Kennzeichen versehenen Fahrzeugs stellt nur ein einheitliches Gebrauchmachen von einer unechten zusammengesetzten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB dar, sofern diese Art der Nutzung - wovon hier auszugehen ist - dem schon bei der Fälschung - hier der Anbringung des falschen Kennzeichens - bestehenden Gesamtvorsatz des Täters entspricht (vgl. , DAR 2015, 702 Rn. 10 mwN). Dies hat zur Folge, dass sich der Angeklagte in den angeführten Fällen durch die An- und Abfahrt zu und von den Tankstellen nur eines einheitlichen Gebrauchmachens von einer unechten zusammengesetzten Urkunde schuldig gemacht hat. Diese einheitliche Urkundenfälschung steht hier nicht nur mit dem zugleich und ebenfalls nur einheitlich verwirklichten vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, sondern auch ‒ insoweit im Wege der natürlichen Handlungseinheit ‒ mit den dabei begangenen Betrugstaten und den beiden in Unterbrechung von ein und derselben Fahrt ausgeführten beiden Computerbetrugstaten (Fälle 70 und 73 der Urteilsgründe) in Tateinheit (vgl. , NStZ 2018, 205 Rn. 5; Beschluss vom - 4 StR 60/16; Beschluss vom - 4 StR 528/13, NJW 2014, 871 Rn. 5 und 6 mwN).

8cc) Soweit der Angeklagte im Fall 33 der Urteilsgründe Leergut entwendet und dabei sowohl bei der An- als auch bei der Abfahrt (Fälle 34 und 35) ein gestohlenes Fahrzeug mit einem daran angebrachten falschen Kennzeichen verwendet hat, gilt das vorstehend Ausgeführte entsprechend. Insoweit ist der Angeklagte daher lediglich des Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig.

9c) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Durch die Zusammenfassung zu Tateinheiten kommen die in den Fällen 6 und 8, 13 und 14, 16 und 17, 27 und 29, 33 und 35, 37 und 39, 41 und 43, 45 und 47, 48 und 50, 53 und 55, 61 und 62, 70 und 72 bis 75, 80 und 81 sowie 85 und 87 verhängten Einzelstrafen in Wegfall, sodass es für die in Tateinheit zueinander stehenden Delikte jeweils bei einer Einzelfreiheitsstrafe von acht bzw. sechs Monaten verbleibt.

10Dass die Strafkammer jeweils von einer gewerbsmäßig begangenen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen ist, ist nicht zu beanstanden. Dem Angeklagten ging es darum, sich die Gebrauchsvorteile zu sichern, die sich aus der wiederholten Nutzung der jeweils (auch) mit falschen amtlichen Kennzeichen versehenen gestohlenen Fahrzeuge ergaben und sich damit dauerhaft Aufwendungen zu ersparen. Dies reicht für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit aus (vgl. , NStZ-RR 2018, 50, 51 mwN).

11Der Gesamtstrafenausspruch kann bestehen bleiben, denn der Senat vermag auszuschließen, dass die Strafkammer angesichts der Vielzahl der verbleibenden Einzelstrafen und des Umstands, dass der Schuldumfang durch die abweichende Bewertung der Konkurrenzen nicht gemindert wird, auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

122. Die nach § 69 Abs. 1, § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnete isolierte Sperrfrist kann dagegen nicht bestehen bleiben. Denn das Landgericht hat nicht beachtet, dass gegen den Angeklagten im Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom bereits eine Sperrfrist bis zum angeordnet war und insoweit die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 StGB vorliegen. Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter, wenn in der früheren Entscheidung eine noch nicht erledigte Sperre gemäß § 69a StGB bestimmt war und der Angeklagte erneut wegen einer Straftat verurteilt wird, die seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen belegt, eine neue einheitliche Sperre festzusetzen, die dann die alte Sperre gegenstandslos werden lässt, aber bereits mit der Rechtskraft der früheren Entscheidung zu laufen beginnt (vgl. Rn. 5; Beschluss vom - 2 StR 9/17, StV 2018, 415; Beschluss vom ‒ 4 StR 320/00, NStZ 2001, 245 mwN; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 69a StGB Rn. 12). Danach hätte die Strafkammer eine einheitliche Sperrfrist unter Einbeziehung der Sperre aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom festsetzen müssen. Dies wird im zweiten Rechtsgang unter Beachtung des Verschlechterungsverbots nachzuholen sein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:080720B4STR72.20.0

Fundstelle(n):
XAAAH-65517