Strafverfahren: Revisionsrüge der Nichtbeachtung eines Beweisverwertungsverbots wegen Tilgungsreife einer Bundeszentralregistereintragung
Gesetze: § 51 Abs 1 BZRG, § 344 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: LG Lübeck Az: 749 Js 4338/19 jug (2) 7a KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge ausgeführte Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
21. Im Rahmen der Beweiswürdigung und der Strafzumessung hat das Landgericht bei seinem am gesprochenen Urteil eine einschlägige Vorstrafe verwertet. Am verhängte das Amtsgericht Ahrensburg gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Tatzeit ) eine Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten. Bereits am war er wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt worden. Unter Einbeziehung dieser Strafe erkannte das Amtsgericht Ahrensburg in seinem Urteil vom auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.
32. Der Senat kann offenlassen, ob das Vorgehen des Landgerichts gegen § 51 Abs. 1 BZRG verstößt (vgl. zu Fristberechnung und Fristbeginn bezüglich der Tilgungsreife § 46 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 3, § 47 Abs. 1 i.V.m. § 35 Abs. 1 und § 36 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 BZRG; zur Fristberechnung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung , NStZ-RR 2001, 203; zur Fristberechnung bei nachträglicher Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 737/83; vom - 3 StR 68/19 und vom - 4 StR 472/19; zur Berechnung der Frist allgemein , NStZ-RR 2014, 356; zur Verlängerung um die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe , NStZ-RR 2011, 286 mwN; vgl. insgesamt auch Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 23 Rn. 10, § 35 Rn. 10 [bezüglich des alleinigen Abstellens auf die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe nicht unzweifelhaft, da § 46 Abs. 1 Nr. 3 BZRG eine Verurteilung wegen einer dort bezeichneten Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verlangt und damit ein erhebliches Gewicht gerade der Katalogtat voraussetzt; vgl. zur ähnlichen Problematik bei § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB , NStZ-RR 1998, 135 mwN], § 36 Rn. 8, § 46 Rn. 28, § 47 Rn. 6 f.). Denn auf einem etwaigen Rechtsverstoß würde das Urteil nicht beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO, vgl. zum Maßstab Niemöller, NStZ 2015, 489 mwN). Der Senat schließt angesichts der tragfähigen Überzeugungsbildung des Landgerichts im Übrigen und der verbleibenden Strafzumessungserwägungen aus, dass die Strafkammer ohne Berücksichtigung der Vorverurteilung zu einem anderen Beweisergebnis oder einer anderen Rechtsfolge gelangt wäre.
43. Allerdings neigt der Senat zu der Auffassung, dass ein Verwertungsverbot aus § 51 Abs. 1 BZRG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , BGHSt 24, 378, 382 [„Regelung des sachlichen Rechts“]; vom - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 101; Beschlüsse vom - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302; vom - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468 mwN) ohnehin nicht auf die - insoweit hier nicht näher ausgeführte - Sachrüge, sondern lediglich auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten ist (vgl. Schäfer, in Festschrift für Riess, 2002, 477, 484; Mosbacher, JuS 2020, 745, 749).
5Beweisverwertungsverbote wie das in Rede stehende sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur auf eine Verfahrensrüge hin zu beachten, denn sie betreffen den Weg, auf dem das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung kommt und gehören deshalb dem Verfahrensrecht an (, NStZ 2019, 171 m. Anm. Ventzke; vgl. zur Abgrenzung allgemein auch MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 337 Rn. 43 ff.; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 337 Rn. 41 ff.; SSW-StPO/Momsen, 4. Aufl., § 337 Rn. 13 ff.; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 337 Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 337 Rn. 8; Schäfer, aaO; Jähnke in Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, 559; Schneider, NStZ 2019, 324; El-Ghazi, Die Zuordnung von Gesetzesverletzungen zu Sach- und Verfahrensrüge in der strafprozessualen Revision, 2014; ders., GA 2020, 439; Walter, ZStW 2016, 824). Ob ein Beweisverwertungsverbot aus § 51 Abs. 1 BZRG wegen Tilgungsreife einer Eintragung anzunehmen ist, hängt von einer Vielzahl verfahrensrechtlicher Umstände ab. Insbesondere ist es stets möglich, dass nach Einholung eines Bundeszentralregisterauszugs im Laufe des Verfahrens eine weitere rechtskräftige Verurteilung eingetragen wird, wodurch sich die Tilgungsfrist erheblich verlängern kann (§ 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG; vgl. zum etwaigen nachträglichen Entfallen der Tilgungsreife wegen einer weiteren Eintragung während der einjährigen „Überliegefrist“ des § 45 Abs. 2 Satz 1 BZRG ausführlich , DÖV 2020, 491 [LS]). Die Eintragung hängt nicht vom Zeitpunkt der späteren Verurteilung, sondern von demjenigen der Rechtskraft ab und kann deshalb auch erst Jahre nach dem einzutragenden Urteil erfolgen (vgl. § 34 BZRG). Anders als bei allen anderen Beweisverwertungsverboten müssten sämtliche diese für die Tilgungsreife relevanten Umstände (oder deren Fehlen) zwingend im Urteil dargelegt werden.
6Zu noch gravierenderen Verwerfungen führt die Prüfung der fiktiven Tilgungsreife bei ausländischen Verurteilungen nach § 58 BZRG i.V.m. § 51 Abs. 1 BZRG auf die Sachrüge hin (vgl. dazu ausführlich BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 301/19, NStZ-RR 2020, 217; vom - 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305). Denn auch dabei dürfte aufgrund der hypothetischen Gleichsetzung mit einer inländischen Verurteilung bei der Fristberechnung nicht außer Acht bleiben, ob Gründe für eine Ablaufhemmung nach § 46 Abs. 2 oder 3 BZRG nach dem inländischen oder dem ausländischen Register vorliegen. Zu verlangen, dass alle diese Tatsachen zur Klärung der Frage eines Beweisverwertungsverbots in den Urteilsgründen darzulegen und vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin gleichsam „von Amts wegen“ zu prüfen sind (vgl. BGH, aaO), widerspricht dem Charakter von Beweisverwertungsverboten und den sonst gestellten Anforderungen an die Darstellung von Verfahrensvorgängen im Urteil (vgl. , aaO).
7Die materiell-rechtliche Prüfung eines Beweisverwertungsverbots allein auf der Grundlage der Urteilsausführungen schafft die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse (BGH, aaO) und ist auch nicht mit dem Grundsatz zu vereinbaren, dass nur bewiesene tatsächliche Verfahrensfehler zur Urteilsaufhebung führen sollen (vgl. , BGHSt 51, 298, 308 ff.). Dem revisionsführenden Angeklagten wird bei einer derartigen Verfahrensrüge nichts Unzumutbares abverlangt, da er alle Umstände, die für die Tilgungsreife einer inländischen oder ausländischen Verurteilung relevant sind, aus eigener Betroffenheit kennt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:160920B5STR314.20.0
Fundstelle(n):
KAAAH-65248