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BGH Beschluss v. - StB 34/20

Strafverfahren: Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Pflichtverteidigerwechsel nach Anklageerhebung

Leitsatz

Zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel ist nach Anklageerhebung ausschließlich der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zuständig; nicht erledigte Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters sind ihm deshalb zur weiteren Entscheidung vorzulegen.

Gesetze: § 142 Abs 3 Nr 3 StPO

Gründe

I.

1Der Angeschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des . Bei diesem hatte er beantragt, die Bestellung seines Pflichtverteidigers wegen eines endgültig zerrütteten Vertrauensverhältnisses aufzuheben und ihm stattdessen seinen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen. Mit Beschluss vom hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof den Pflichtverteidigerwechsel abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeschuldigte mit der sofortigen Beschwerde. Zwischenzeitlich hat der Generalbundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben.

II.

2Der Senat ist zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten nicht mehr berufen. Sie ist in einen (erneuten) Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel umzudeuten und dem Vorsitzenden des nunmehr mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vorzulegen.

3Voraussetzung für die Beschwerdezuständigkeit des Bundesgerichtshofs gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs über Pflichtverteidigerbestellungen ist dessen fortbestehende Zuständigkeit. Mit Erhebung der Anklage ist die ausschließliche Befugnis für Bestellungen von Pflichtverteidigern jedoch gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO auf den Vorsitzenden des mit dem Erkenntnisverfahren befassten Gerichts übergegangen. Die Vorschrift knüpft an § 141 Abs. 4 StPO aF an und umfasst - wie bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom (BGBl. I S. 2128 ff.) anerkannt war - Entscheidungen über einen Pflichtverteidigerwechsel (BGH, Beschlüsse vom - StB 4/20, juris Rn. 3 mwN; vom - StB 6/20, NJW 2020, 1534 Rn. 7). Für Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters hat dies zur Folge, dass sie nur bis zur Anklageerhebung in die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts fallen. Danach entfällt dessen Entscheidungskompetenz, und die Sache ist dem erkennenden Gericht vorzulegen (vgl. zur alten Rechtslage OLG Celle, Beschluss vom - 1 Ws 419/10, NStZ-RR 2010, 381; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 141 Rn. 6a; zur neuen Rechtslage Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 142 Rn. 18; vgl. auch , NStZ-RR 2008, 21, zum Zuständigkeitswechsel nach Vorlage an die Berufungskammer).

4§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO steht im Einklang mit dem unter anderem in § 162 Abs. 3 Satz 1 StPO und § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO festgelegten Grundsatz, dass die Erhebung der öffentlichen Klage einen Verfahrenseinschnitt bildet, mit dem die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters endet und auf das erkennende Gericht übergeht (vgl. generell , BGHSt 53, 1 Rn. 11; Hanseatisches , juris Rn. 10). Eine noch nicht erledigte Beschwerde gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters wird deshalb nach Anklageerhebung regelmäßig umgedeutet in einen (neuen) Antrag auf Erlass der begehrten oder Aufhebung der beanstandeten Maßnahme und ist als solche dem Gericht der Hauptsache vorzulegen. Eine Haftbeschwerde etwa verwandelt sich zu einem Antrag auf Haftprüfung vor dem Tatgericht (statt aller: III-2 Ws 93/13, juris Rn. 7 mwN). Beschwerden über Haftbeschränkungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO und gegen nicht in Vollzug gesetzte Haftbefehle sind in Anträge auf Aufhebung der Entscheidungen umzudeuten (OLG Frankfurt, Beschluss vom - 3 Ws 122/14, NStZ-RR 2014, 217, 218 mwN). Die Anordnung, das Unterbleiben oder im Fall der Erledigung die nachträgliche Kontrolle (§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO) von gerichtlichen Ermittlungsmaßnahmen obliegen mit Anklageerhebung ebenfalls uneingeschränkt dem erkennenden Spruchkörper. Sind insoweit nicht erledigte Rechtsmittel anhängig, entscheidet über diese das Tat- und nicht das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom - StB 196/77 u.a., BGHSt 27, 253; vom - StB 12/08, BGHSt 53, 1 Rn. 9 f.; vom - StB 9/15, juris Rn. 4).

5Es ist auch sachdienlich, dass nach Anklageerhebung allein der Vorsitzende des erkennenden Gerichts über die Pflichtverteidigerbestellung bestimmt. Ihm obliegt nach § 213 Abs. 1 StPO die Terminierung der Hauptverhandlung. Dementsprechend kann nur er gewährleisten, dass ein Verteidiger ausgewählt wird, der an den geplanten Verhandlungstagen zur Verfügung steht (§ 142 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO). Ebenso vermag es der Vorsitzende des Tatgerichts am besten zu beurteilen, ob zur zügigen Durchführung des Verfahrens ein zusätzlicher Verteidiger erforderlich ist (§ 144 StPO). Bei laufender Hauptverhandlung kann er sich einen persönlichen Eindruck über das Fortbestehen des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Angeklagtem verschaffen (§ 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO).

6Hinzu kommt, dass eine parallele Entscheidungsbefugnis von Beschwerde- und Tatgericht über die Bestellung sowie Auswechselung von Pflichtverteidigern die Gefahr einander widersprechender Beschlüsse in sich bergen würde.

7Die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom sollte an den insoweit bestehenden Grundsätzen nichts ändern. Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung betont, es gehe bei der Überführung des Regelungsinhalts von § 141 Abs. 4 StPO aF in § 142 Abs. 3 und 4 StPO nF im Wesentlichen um eine "Verbesserung der Übersichtlichkeit" (BT-Drucks. 19/13829 S. 40).

Schäfer                      Berg                      Erbguth

Diese Entscheidung steht in Bezug zu


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:121120BSTB34.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 9 Nr. 52
NJW 2021 S. 1478 Nr. 20
YAAAH-65226