Online-Nachricht - Donnerstag, 12.11.2020

Einkommensteuer / InsO | Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit (BFH)

Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Betriebsgrundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und hierdurch infolge Aufdeckung stiller Reserven ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ausgelöst, ist die auf den Gewinn entfallende Einkommensteuer eine "in anderer Weise" durch die Verwaltung bzw. Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit. Die Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes sowie dessen fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter stellen die entscheidenden Wertungsmomente für die Annahme von Masseverbindlichkeiten dar (; veröffentlicht ).

Sachverhalt: Mit Wirkung vom wurde über das Vermögen der Frau S (Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und der Revisionskläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Ein Betriebsgrundstück wurde im Rahmen einer Zwangsversteigerung veräußert. Das FA ermittelte einen Veräußerungsgewinn und die darauf entfallende Einkommensteuer sah das FA in vollem Umfang als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 InsO an und setzte es mit dem an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Vorauszahlungsbescheid für das Streitjahr 2017 Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer fest.

Der BFH führt aus:

  • Das FA hat zu Recht die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuerschuld der Kategorie der Masseverbindlichkeit zugeordnet und dementsprechend gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter durch Vorauszahlungsbescheid festgesetzt.

  • Entscheidend für die Qualifikation der Einkommensteuerschulden als Masseverbindlichkeiten ist im Streitfall § 55 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 InsO sind offensichtlich nicht einschlägig , ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegeben sind. Danach sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend sind die Tatbestandsmerkmale des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO erfüllt.

  • Das Grundstück stellte einen vorhandenen erheblichen Vermögenswert dar, wie der erzielte Veräußerungspreis zeigt. Dem Grundstück kann daher nicht generell seine Haftungsfunktion abgesprochen werden, auch wenn im konkreten Fall der Wert des Grundvermögens nicht zur vollständigen Begleichung der valutierenden Grundschulden ausgereicht hat.

  • Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es darauf an, ob der einzelne Besteuerungstatbestand insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist. Auf die steuerrechtliche Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (z.B. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. ).

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 InsO) führen u.a. zu Einkommensteuern, die der Insolvenzverwalter zu entrichten hat. Problematisch ist aus seiner Sicht zum einen, dass diese Verbindlichkeiten, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisiert werden, nicht nur durch seine Handlungen (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO), sondern auch „in anderer Weise durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden“ (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO). Daneben bedarf es nur eines potentiellen Massezuflusses. Die Ursache dieser weitreichenden Verpflichtung für den Insolvenzverwalter sieht der BFH in der Zugehörigkeit des Wirtschaftsguts zur Insolvenzmasse begründet. Die damit einhergehende Steuerbelastung kann nur so zu sachgerechten Ergebnissen führen (so zuletzt ).

Will der Insolvenzverwalter die Steuerbelastung verhindern, muss er die Freigabe des Gegenstandes aus der Masse erklären und den bis dahin bestehenden Schwebezustand beenden. Dies ist seit dem klar. Während der BFH im dortigen Fall über den freihändigen Verkauf durch einen absonderungsberechtigten Gläubiger entschieden hat, betrifft das vorliegende Urteil die Versteigerung eines (nicht wertlosen) Betriebsgrundstücks nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers. Zeit genug für die Prüfung der Freigabe hatte der Insolvenzverwalter aus Sicht des BFH, da hier zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Zuschlag mehr als zwölf Monate vergangen waren.

Quelle: ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB UAAAH-63561