Verfall von Knock-out-Optionen
Leitsatz
NV: Verfällt eine Option automatisch mit dem Überschreiten einer bestimmten Kursschwelle durch den zugrunde liegenden Basiswert, ist der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht erfüllt (Bestätigung von , BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159).
Gesetze: EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 4, EStG § 22 Nr 2, GG Art 3 Abs 1
Instanzenzug: , ,
Tatbestand
I.
1 Streitig ist, ob der Verfall von Knock-out-Produkten den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren 2006 und 2007 gültigen Fassung (EStG) erfüllt.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
3 Der Kläger erzielte in den Streitjahren u.a. Einkünfte aus Kapitalvermögen (Zinsen und Dividenden). Dazu gehörten im Streitjahr 2006 auch sog. (inländische) Kursdifferenzerträge in Höhe von 514 €. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 deklarierten die Kläger Kapitalerträge im Zusammenhang mit Wertpapieren, minderten diese aber in einer der Anlage KAP (Kläger) beigefügten Tabelle um die inländischen Kursdifferenzerträge in Höhe von 514 €. Zugleich erhöhten die Kläger in einer der Anlage SO (Kläger) beigefügten Tabelle die Gewinne des Klägers aus Derivaten um den nämlichen Betrag.
4 Bei der Festsetzung der Einkommensteuer 2006 und in den betreffenden Bescheiden über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den —verbleibender Verlustvortrag des Klägers nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften—, zuletzt vom , behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Zinsen aus Kursdifferenzgeschäften als Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen, nicht als Einkünfte aus Termingeschäften. Ausweislich eines internen Vermerks des FA könne ohne detaillierte Nachweise nicht angenommen werden, dass die Erträge aus Kursdifferenzgeschäften, die von der Bank als Kapitalerträge ausgewiesen worden waren, in den erklärten Einkünften aus Termin- bzw. Veräußerungsgeschäften enthalten seien.
5 Des Weiteren tätigte der Kläger in den Streitjahren Optionsgeschäfte mit Knock-out-Produkten. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass bei Eintritt einer Bedingung die Option auch ohne Entscheidung des Käufers verfällt. In den Jahren 2006 und 2007 erlitt der Kläger Verluste aus dem Verfall von Knock-out-Produkten in Höhe von insgesamt 2.376,50 € (2006) bzw. 609 € (2007). Hierbei handelte es sich um die Anschaffungskosten der Knock-out-Zertifikate, die die Bank in den betreffenden Erträgnisaufstellungen bei den „privaten Veräußerungsgeschäften“ unter der Spalte „Zeitpunkt der Veräußerung (Datum)“ mit dem Zusatz „Depotausg.“ gekennzeichnet hatte; Veräußerungspreise wurden nicht aufgeführt. Die Kläger machten diese Verluste in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre geltend.
6 Das FA erkannte die Verluste aus dem Verfall von Knock-out-Produkten im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den —verbleibender Verlustvortrag des Klägers nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften— vom (versehentlich) teilweise (239,97 €) an. Im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den , zuletzt vom , blieben sie hingegen unberücksichtigt.
7 Mit Einspruchsentscheidung vom wies das FA die Einsprüche der Kläger gegen die angefochtenen Bescheide für das Streitjahr 2006 als unbegründet zurück. Soweit die Kläger Einsprüche gegen bereits angefochtene Bescheide ersetzende Änderungsbescheide eingelegt hatten, verwarf es diese als unzulässig. Zudem wies das FA den gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den gerichteten Einspruch ebenfalls als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass die Jahresbescheinigung der Bank den Betrag von 514 € ausdrücklich als Einnahmen aus Kapitalvermögen (Zinsen, einzutragen in Zeile 6 der Anlage KAP) ausweise, ihn hingegen nicht auf ein privates Veräußerungsgeschäft beziehe. Die Verluste aus den ungeklärten Depotausgängen seien unbeachtlich; das Verfallenlassen einer Knock-out-Option sei steuerlich nicht relevant.
8 Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 514 € (2006) zu vermindern und die festgestellten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften um 2.136,53 € (2006) bzw. 609 € (2007) zu erhöhen. Mit dem in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2016, 1161 veröffentlichten Urteil vom gab das Finanzgericht (FG) der Klage überwiegend statt und änderte den Einkommensteuerbescheid für 2006 sowie die Bescheide zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den und auf den dahingehend, dass die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften um 401,57 € und 2.136,53 € (2006) bzw. 609 € (2007) gemindert werden. Im Hinblick auf die Kursgewinne in Höhe von 514 € (2006) führte das FG aus, das FA habe diese zu Unrecht nicht nur § 20 EStG zugeordnet, sondern zusätzlich einen Teilbetrag von 401,57 € als Einkünfte i.S. des § 23 EStG erfasst.
9 Des Weiteren seien die Verluste aus bedingten Termingeschäften (2006 und 2007) in vollem Umfang anzuerkennen. Der Erwerb und der Verfall der den „ungeklärten Depotausgängen“ zugrunde liegenden Wertpapiere erfülle den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Mit dem Erwerb der Knock-out-Optionen sei der Kläger ein —bedingtes— Termingeschäft eingegangen. Er habe durch das Verfallenlassen der Optionsscheine das Termingeschäft i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG beendet, auch wenn er tatsächlich keinen Differenzausgleich oder sonstigen Vorteil erlangt habe. Dies entspreche der (neueren) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— (Urteile vom - IX R 50/09, BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, und IX R 12/11, BFH/NV 2013, 28), der zufolge das bloße Verfallenlassen einen steuerpflichtigen Beendigungstatbestand darstelle.
10 Soweit sich das FA für seine Auffassung auf den (BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454) berufe, könne dies nicht überzeugen. Zwar betreffe der Beschluss § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr 2006 gültigen Fassung; zudem halte der BFH dort an der früheren Rechtsprechung fest, wonach Erwerbsaufwendungen für verfallene Termingeschäfte ohne steuerrechtliche Auswirkung seien. Der BFH habe seine Rechtsprechung jedoch mit den zuvor genannten Urteilen fortentwickelt. Dem schließe sich das FG an. Hingegen könne dem (BStBl I 2013, 403), demzufolge die Grundsätze des BFH-Beschlusses in BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454 trotz des zwischenzeitlich ergangenen BFH-Urteils in BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231 jedenfalls im Hinblick auf Aufwendungen für ein Knock-out-Zertifikat weiter anzuwenden seien, nicht gefolgt werden.
11 Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des FA hat der Senat die Revision mit Beschluss vom - IX B 31/15 zugelassen. Das Beschwerdeverfahren ist als Revisionsverfahren unter IX R 39/15 fortgesetzt worden. Nachdem das Revisionsverfahren durch Beschluss vom bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Verfahren 2 BvR 217/16 ausgesetzt worden ist, das BVerfG die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen hat (Beschluss vom ), wird das wiederaufgenommene Revisionsverfahren unter IX R 1/20 fortgeführt.
12 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG.
13 Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften für 2006 um 2.136,53 € und für 2007 um 609 € gemindert worden sind.
14 Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
15 Sie verweisen auf das FG-Urteil sowie ihr Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Ergänzend tragen sie vor, dass es sich bei dem Erwerb einer Knock-out-Option um ein bedingtes Termingeschäft handele. Der Kläger habe dieses Termingeschäft auch beendet, indem er von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, den bei null liegenden geldwerten Vorteil der Option nicht auszuüben. Hingegen negiere die Auffassung des FA seine Dispositionsfreiheit.
16 Die Argumentation des FA, der Knock-out-Charakter stehe der Anerkennung von Verlusten entgegen, weil das bedingte Termingeschäft bei Eintritt des Knock-out-Ereignisses ohne Zutun des Optionsnehmers —automatisch— verfalle, sei vom Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht gedeckt und verstoße gegen Art. 3 des Grundgesetzes. Das Gesetz unterscheide in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht zwischen bedingten und unbedingten Termingeschäften, sondern decke beide Arten ab. Zudem verlange § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG —im Unterschied zu den Nrn. 1 bis 3— keine Veräußerung, sondern eine Beendigung des Rechts. Damit sei der Steuerpflichtige frei, wie er das Recht beende. Auch das Verfallenlassen der Option beende das Termingeschäft, wenngleich der Steuerpflichtige tatsächlich keinen Differenzausgleich oder sonstigen Vorteil erlange. In Übereinstimmung mit dem FG sei daher ein steuerpflichtiger Beendigungstatbestand gegeben.
17 § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG definiere den Verlust mathematisch als Gleichung, die eine stetige Funktion (Gerade) beschreibe und keine Unstetigkeitsstelle kenne. Der Funktionswert könne sich infolge der Abhängigkeit von einer Variablen theoretisch zwischen „minus unendlich“ und „plus unendlich“ bewegen; dieser mathematische Grundsatz gelte für alle negativen und positiven Werte und decke auch „null“ ab. Das FA versuche, eine nicht existente Unstetigkeitsschwelle in die stetige Funktion einzubauen. Dies stelle einen Verstoß gegen die Gesetze der Mathematik dar. Es mache keinen Sinn, das mathematische Gesetz „Minuend minus Subtrahend gleich Differenz“ auszuschließen, wenn —wie hier— die auszuzahlende Differenz bei Beendigung des Rechts gleich null ist.
18 Knock-out-Optionen als Derivate einer anderen Bezugsgröße würden einen Produktwert, eine Basisschwelle und eine Knock-out-Schwelle kennen. Die vertraglich festgelegte Knock-out-Schwelle liege in der Praxis oberhalb der Basisschwelle (Untertyp 1) oder genau auf der Basisschwelle (Untertyp 2), sie könne aber auch unterhalb der Basisschwelle liegen. Der rechnerische Wert einer Option entspreche dem variablen Produktwert abzüglich der Basisschwelle. Erreicht oder überschreitet der teils hochvariable Produktwert die feste Knock-out-Schwelle, dann werde das Recht vertragsgemäß automatisch beendet. Zum Zeitpunkt der Beendigung sei der rechnerische Wert der Option beim Untertyp 1 positiv, beim Untertyp 2 gleich null. Der Anleger habe das Recht auf Auszahlung des Differenzbetrags. Der merkantile Wert des Differenzbetrags „null“ könne —ungeachtet der Frage der Ausübung— nicht ausgezahlt werden, so dass die Knock-out-Option in Übereinstimmung mit § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG als wertlos ausgebucht werde und sich ein Verlust in Höhe des Anschaffungspreises (Anschaffungspreis minus null) ergebe. Negative Differenzausgleiche, wie sie sich rechnerisch bei einem Produktwert unterhalb der Basisschwelle ergeben, würden vertraglich bewusst vermieden. Sie, die Kläger, hätten mit beiden Untertypen von Knock-out-Optionen private Veräußerungsgeschäfte getätigt. Die Verluste im Zusammenhang mit dem Untertyp 1 seien anerkannt worden, die Verluste im Zusammenhang mit dem Untertyp 2 hingegen nur zum Teil. Das Gesetz unterstelle aber, dass bei Termingeschäften positive und negative Differenzen wie auch „Null-Differenzen“ möglich seien, wie dies in den Senatsurteilen in BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231 und in BFH/NV 2013, 28 mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz unterstrichen worden sei. Der Steuerpflichtige sei in seiner Leistungsfähigkeit gemindert, wenn er Verluste durch die Beendigung von Optionen infolge eines Knock-out-Ereignisses erlitten habe.
Gründe
II.
19 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den und auf den betrifft. Die Klage ist nur teilweise begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FA wird verpflichtet, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den dahingehend abzuändern, dass die negativen Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften um 162 € erhöht werden; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
20 1. Soweit das FG auf S. 5 seines Urteils ausgeführt hat, dass der Kläger für das Streitjahr 2006 in der Anlage SO für verschiedene Wertpapiere einen Betrag von zusammen ./. 2.136,53 € erklärt habe, den das FA nicht anerkannte habe, erweist sich der Tatbestand als unrichtig i.S. des § 107 Abs. 1 FGO und ist zu berichtigen. Tatsächlich erklärten die Kläger einen Betrag von insgesamt ./. 2.376,50 €, wovon das FA im Laufe des Veranlagungsverfahrens (versehentlich) einen Teilbetrag von ./. 239,97 € berücksichtigte. Diese (offenbare) Unrichtigkeit (Rechenfehler) ist zwischen den Beteiligten nicht streitig (vgl. Klageerwiderung des FA vom , S. 2; Revisionserwiderung der Kläger vom , S. 3).
21 2. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG sind private Veräußerungsgeschäfte i.S. von § 22 Nr. 2 EStG auch Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil nicht mehr als ein Jahr beträgt. Gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 1 und 5 EStG sind bei der Ermittlung des Gewinns oder des Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften Werbungskosten abzuziehen. Das setzt voraus, dass ein Ergebnis einer nach § 23 Abs. 1 EStG steuerbaren Tätigkeit zu ermitteln ist. Die Abziehbarkeit von Werbungskosten kommt nur in Betracht, wenn es zu einer Ausübung der Option (bei der Ausübung der Option sind die Anschaffungskosten des Optionsrechts abziehbar) oder zu einer Veräußerung (in den Fällen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) oder zu einem anderen steuerrechtlich bedeutsamen Beendigungstatbestand (in den Fällen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG) kommt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, m.w.N.). Zu den Termingeschäften i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zählt auch das Optionsgeschäft als bedingtes Termingeschäft (Senatsurteil vom - IX R 20/14, BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 18 und 19).
22 Das Recht wird beendigt, wenn es zu einem Differenzausgleich führt. Den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG erfüllt nur, wer durch die Beendigung des erworbenen Rechts tatsächlich einen Differenzausgleich erlangt; die Vorschrift erfasst grundsätzlich nur Vorteile, die auf dem Basisgeschäft beruhen. Dies kann geschehen, indem das Basisgeschäft durchgeführt wird und der aus dem Termingeschäft Verpflichtete die entsprechenden Basiswerte liefert. Kommt es aber —wie bei Derivatgeschäften üblich— nicht zu einem Basisgeschäft, wird das Termingeschäft (z.B.) durch einen Barausgleich beendet. Dieser Barausgleich ist der Differenzausgleich i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Das Gesetz erfasst indes —mit dem Barausgleich— nicht nur eine positive Differenz, sondern folgerichtig auch eine negative Differenz als Verlust. Vorteil ist danach auch der Nachteil, soweit er auf dem Basisgeschäft beruht (BFH-Urteil in BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, Rz 16, m.w.N.). So verhält es sich, wenn eine Option wertlos wird, weil der Wert eines Bezugsobjekts oder einer sonstigen Referenzgröße zum Fälligkeitszeitpunkt vom festgelegten Betrag (dem Basiswert) negativ abweicht. Dieser Nachteil (negativer Differenzausgleich) beruht ebenso wie der entsprechende Vorteil (positiver Differenzausgleich) allein auf den Wertverhältnissen des Basisgeschäfts (Senatsurteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 20).
23 Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG steuerbar ist zunächst der (positive) Differenzausgleich oder der durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil als Gewinn. Steuerbar ist folgerichtig aber auch eine negative Differenz oder ein Nachteil, so wie das Gesetz mit „Einnahmen“ auch negative Einnahmen oder mit „Gewinn“ den Verlust umfasst und, wovon auch § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG ausgeht, wenn er den Verlust aus einem Termingeschäft im Kontext mit einem Differenzausgleich ausdrücklich hervorhebt (Senatsurteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 21).
24 Dabei wird das Recht auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil auch dann i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG beendet, wenn ein durch das Basisgeschäft indizierter negativer Differenzausgleich durch Nichtausüben der Forderung aus dem Termingeschäft vermieden wird (BFH-Urteile in BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, Rz 26 ff., m.w.N.; in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 20 ff.).
25 3. Nach diesen Grundsätzen hat der Senat Aufwendungen für wertlos gewordene Knock-out-Zertifikate im Urteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159 nicht als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Termingeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG berücksichtigt (§ 23 Abs. 3 Satz 5 EStG) und den betreffenden Verlust für nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG steuerbar erachtet. Dabei hat der Senat unerörtert gelassen, ob er Knock-out-Zertifikate unter § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG subsumiert (vgl. dazu Beschluss in BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454, m.w.N.). Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG ist jedenfalls nicht erfüllt. Denn die Option verfällt mit dem Überschreiten einer bestimmten Kursschwelle durch den zugrunde liegenden Basiswert, ohne dass der Steuerpflichtige einen Entscheidungsspielraum hat. Es fehlt dann an einem Beendigungstatbestand i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Zur Begründung wird auf das BFH-Urteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 24 ff. Bezug genommen.
26 4. An dieser Rechtsprechung hält der Senat —trotz daran geübter Kritik (vgl. nur Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 467.3; Moritz, Der Betrieb 2016, 923; Patzner/ Wiese, Betriebs-Berater 2016, 409, 411; Cornelius, Der Ertrag-Steuer-Berater 2016, 134)— fest. Insbesondere der Gesichtspunkt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit rechtfertigt keine andere Beurteilung, da sich die Senatsrechtsprechung —wie dargelegt— als folgerichtige Ausprägung der Systematik des § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 EStG darstellt. Das BVerfG hat die gegen das Senatsurteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom - 2 BvR 217/16). Die Rechtsprechung hat zudem den Aspekt der Rechtskontinuität für sich, indem sie die strenge Linie des Senatsurteils vom - IX R 11/06 (BFHE 219, 574, BStBl II 2008, 519) —s.a. Urteil vom - IX R 69/07 (BFH/NV 2009, 152), Beschlüsse vom - IX B 110/09 (BFH/NV 2010, 869) und in BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454— beibehält (Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 11/2016 Anm. 2; dieselbe, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2016, 144).
27 Soweit sich die Kläger ergänzend auf einen Verstoß gegen Gesetzmäßigkeiten der Mathematik berufen, vermag auch dies ihrem Klagebegehren nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Kläger verkennen, dass es bei verfallenen Knock-out-Produkten der hier einschlägigen Art an einem Beendigungstatbestand i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG fehlt. Dementsprechend handelt es sich um einen nicht steuerbaren Vorgang. Dass der Wert der Optionen null beträgt (und vom Anschaffungspreis abgezogen werden kann, so dass sich rechnerisch ein Verlust ergibt), ist damit ohne rechtliche Bedeutung.
28 5. Die Rechtsprechung des BFH zur Besteuerung von Knock-out-Produkten nach Einführung der Abgeltungsteuer steht dem nicht entgegen. Nach dem (BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507) können die Anschaffungskosten von Knock-out-Zertifikaten —ohne dass es auf die Einordnung als Termingeschäft ankommt— bei Eintritt des Knock-out-Ereignisses im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen als Verlust berücksichtigt werden. Dies betrifft allerdings allein die seit dem geltende Rechtslage, der grundlegend veränderte Voraussetzungen zugrunde liegen (s. auch BFH-Urteil in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159, Rz 32; Blümich/ Ratschow, § 20 EStG Rz 370a und § 23 EStG Rz 78; Wüllenkemper, Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 566).
29 6. Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung andere Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben.
30 7. Die Sache ist spruchreif. Der Senat entscheidet auf der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
31 a) Die Klage ist begründet, soweit das FA einen Betrag von 401,57 € bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags für die Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften auf den nicht von den erklärten Einkünften nach § 23 EStG abgezogen hat (Doppelerfassung). Da das FA indes einen Teilbetrag der streitigen Anschaffungskosten der Knock-out-Produkte in Höhe von 239,97 € versehentlich als Einkünfte nach § 23 EStG berücksichtigt hat, muss eine Saldierung erfolgen. Daher können die negativen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nur um 162 € erhöht werden. Das FA wird verpflichtet, den Bescheid entsprechend zu ändern.
32 b) Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die negativen Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften sind nicht um weitere 2.136,53 € (2006) bzw. 609 € (2007) zu erhöhen. Auch im Streitfall verfielen die Optionen mit dem Überschreiten einer bestimmten Kursschwelle durch den zugrunde liegenden Basiswert, ohne dass der Kläger einen Entscheidungsspielraum hatte; der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG ist nicht erfüllt.
33 8. Die Ermittlung der festzustellenden Einkünfte wird in entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO (s. dazu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 100 Rz 42, m.w.N.) dem FA übertragen.
34 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Das Unterliegen des FA (im Klageverfahren) stellt sich als geringfügig dar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:U.260520.IXR1.20.0- 7 -
Fundstelle(n):
PAAAH-62984