BVerwG Beschluss v. - 1 WB 79/19

Verweisung an das Arbeitsgericht

Leitsatz

Für Streitigkeiten um die Kosten, die durch die Tätigkeit der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei einer militärischen Dienststelle entstehen, ist der Rechtsweg nicht zu den Wehrdienstgerichten, sondern zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.

Gesetze: § 17 Abs 1 WBO, § 18 Abs 3 WBO, § 2a Abs 1 Nr 3a ArbGG, § 2a Abs 2 ArbGG, § 82 Abs 1 S 1 ArbGG, § 179 Abs 8 SGB 9 2018, § 17 SBG 2016, § 33 Abs 7 SBG 2016, § 42 Abs 6 SBG 2016, § 63 Abs 3 SBG 2016, § 22 SGleiG

Tatbestand

1Der Antragsteller war Berufssoldat, zuletzt im Dienstgrad Hauptfeldwebel. Er wurde zum 31. Oktober ... gemäß § 44 Abs. 3 SG wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzt. Bis zur Zurruhesetzung war er Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ...

2Mit Schreiben vom beantragte der Antragsteller in seiner Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen die Übernahme von Anwaltskosten für die rechtliche Prüfung mehrerer beteiligungspflichtiger Maßnahmen sowie die Gestellung einer halbtags beschäftigten Bürokraft für fünf Tage pro Woche zur Unterstützung seiner Tätigkeit als Vertrauensperson.

3Mit Bescheid vom lehnte der ... diese Anträge ab. Hiergegen erhob der Antragsteller unter dem Beschwerde. Mit Bescheid vom wies der Generalinspekteur der Bundeswehr diese als unzulässig zurück, weil dem Antragsteller nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst und der dadurch bedingten Beendigung seiner Funktion als Vertrauensperson das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde vom wies das Bundesministerium der Verteidigung mit Bescheid vom zurück.

4Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

5Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt der Antragsteller seine Anliegen weiter und beantragt,

1. festzustellen, dass die Wertung seines Schreibens vom als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ... an den ... als Wehrbeschwerde rechtswidrig gewesen ist und ihn in seinen Rechten aus dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, insbesondere § 179 SGB IX, folgenden spezialgesetzlich geregelten Rechten als Vertrauensperson von Menschen mit Behinderungen verletzt hat,

2. (nicht belegt),

3. festzustellen, dass die Regelungen des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes auf die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in dieser Funktion keine Anwendung finden, auch wenn sie im Status Soldatin oder Soldat ist,

4. festzustellen, dass der Vertreter des Dienstherrn in seiner Funktion als Arbeitgeber nicht darüber entscheiden durfte, ob er, der Antragsteller, im Rahmen der Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung einen Rechtsanwalt zur Beratung und gegebenenfalls zur Prozessführung hinzuziehen darf, sondern die Antragsgegnerin gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX die Übernahme der Kosten erklären musste, sowie

5. festzustellen, dass das Bundesverwaltungsgericht das unzuständige Gericht ist, da es sich bei dem Konflikt um eine organschaftliche Streitigkeit der Schwerbehindertenvertretung handelt, und das Verfahren an das zuständige Gericht zu verweisen.

6Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

7Der Antrag sei unzulässig, soweit er die Verletzung von Rechten des Antragstellers als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen betreffe. Der Antragsteller sei seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nicht mehr antragsbefugt. Seine Nachfolger in der Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen hätten den Rechtsstreit nicht fortgeführt. Wegen der Unzulässigkeit des Antrags bedürfe es auch keiner Verweisung des Rechtsstreits an ein Arbeitsgericht. Soweit es dem Antragsteller um die Feststellung von Rechtsverletzungen in seiner Eigenschaft als ehemaliger Soldat mit Behinderungsgrad gehe, sei seine Beschwerde unbegründet. Insoweit fehle es an einem berechtigten Feststellungsinteresse.

8Das Gericht hat den Beteiligten mit Verfügung vom Gelegenheit gegeben, zur Frage der Verweisung des Rechtsstreits an ein Arbeitsgericht Stellung zu nehmen. Der Antragsteller stimmt einer Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht ... zu. Das Bundesministerium der Verteidigung vertritt in erster Linie die Auffassung, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen sei; für den Fall einer Verweisung sei das Arbeitsgericht ... örtlich zuständig.

9Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Gründe

10Für das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist der Rechtsweg nicht zu den Wehrdienstgerichten, sondern zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. Die Sache ist deshalb an das zuständige Arbeitsgericht ... zu verweisen. Über die Verweisung entscheidet der Senat in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter (vgl. 1 WB 77.08 - Buchholz 449 § 82 SG Nr. 4 Rn. 26 m.w.N.).

111. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) entscheiden die Wehrdienstgerichte, wenn die Beschwerde des Soldaten eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Insoweit tritt das Verfahren vor den Wehrdienstgerichten an die Stelle des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 82 des Soldatengesetzes (§ 17 Abs. 2 WBO).

12Dem Antragsteller geht es vorliegend nicht um seine persönlichen Rechte als Soldat, deren Verletzung er ggf. auch nach Beendigung seines Wehrdienstverhältnisses geltend machen (§ 1 Abs. 3 WBO) oder in einem entsprechenden Verfahren weiterverfolgen könnte (§ 15 WBO), wenn der Beschwerdeanlass in die Wehrdienstzeit fällt. Vielmehr beruft sich der Antragsteller erklärtermaßen auf Rechte aus seiner früheren Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ... Diese Rechte sind nicht im Soldatengesetz, sondern im Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) in den §§ 177 ff. (bis zum : §§ 94 ff. SGB IX) geregelt. Sie unterfallen deshalb nicht der Rechtswegzuweisung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO.

13Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten wird auch nicht durch eine normative Verweisung auf das Beschwerderecht nach der Wehrbeschwerdeordnung eröffnet. Anders als für die Vertrauensperson im Sinne des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes (§ 17 SBG), für die weiteren soldatenbeteiligungsrechtlichen Vertretungsorgane (§ 33 Abs. 7 Satz 2, § 42 Abs. 6, § 63 Abs. 3 SBG) und für die Gleichstellungsbeauftragte (§ 22 SGleiG) fehlt es für die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei einer militärischen Dienststelle an einer Vorschrift, die auf diese Weise eine Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte begründet.

14Eine Zuständigkeit des Senats besteht auch nicht beschränkt auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs. Auch insoweit obliegt die Beurteilung dem zuständigen Gericht. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs könnte nur dann dahingestellt bleiben und auf eine Verweisung verzichtet werden, wenn nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist (vgl. 1 WDS-VR 3.10 - Rn. 8); so liegt der Fall hier jedoch nicht.

152. Nach der Rechtsprechung des - BAGE 134, 51 Rn. 4 ff.; vgl. auch Christians, in: GK-SGB IX, Stand Dezember 2018, § 179 Rn. 154 m.w.N.), der sich der Senat anschließt, sind Rechtsstreitigkeiten über die nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs bestehende Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten der Schwerbehindertenvertretung zu tragen (bis : § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX; ab : § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX), in entsprechender Anwendung von § 2a Abs. 1 Nr. 3a und Abs. 2 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O. Rn. 15) gilt dies auch dann, wenn die Schwerbehindertenvertretung in einer Dienststelle des öffentlichen Dienstes errichtet ist. Es besteht kein Anlass, Schwerbehindertenvertretungen bei militärischen Dienststellen hiervon auszunehmen.

16Danach umfasst die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zunächst das für den Antragsteller im Vordergrund stehende Rechtsschutzbegehren, das die Kostenübernahme gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX (jetzt § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX) für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Beratung und gegebenenfalls Prozessführung im Rahmen der Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung betrifft (Antrag zu 4). Die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit erstreckt sich aber auch auf die beiden anderen Sachanträge, weil diese lediglich das vorgerichtliche Verfahren zu dem Antrag auf Kostenübernahme gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX bzw. § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX betreffen. Denn mit dem Antrag zu 1 wendet sich der Antragsteller dagegen, dass sein Schreiben vom , mit dem er sich wegen der Kostenübernahme an den ... gewandt hatte, als Auslöser für ein Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung genommen wurde; mit dem Antrag zu 3 beanstandet er, dass der Generalinspekteur der Bundeswehr in dem Beschwerdebescheid die für Vertrauenspersonen im Sinne des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes, nicht aber für Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen geltende Vorschrift des § 16 SBG (jetzt § 17 SBG) herangezogen hat. Auch diese im vorgerichtlichen Verfahren angefallenen Fragen unterliegen der Beurteilung durch das zuständige Arbeitsgericht. Denn auch damit hat der Antragsteller nur eine Verletzung seiner Rechte aus § 179 SGB IX im Zusammenhang mit den kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung geltend gemacht; er hat nicht vorgetragen, dass sich die behauptete Benachteiligung auf seine individuellen soldatischen Rechte ausgewirkt hätte (vgl. - BAGE 134, 51 Rn. 15). Das Arbeitsgericht hat daher über diese Anträge einschließlich der Frage zu entscheiden, ob der Antragsteller diese Teilaspekte zulässigerweise zum Gegenstand selbständiger Feststellungsanträge machen kann.

17Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 1 WBO an das zuständige Gericht für Arbeitssachen zu verweisen. Dies ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und § 15 Nr. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen vom (GV. NRW. S. 30) das Arbeitsgericht ..., weil der Dienstsitz des - als "Betrieb" im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG anzusehenden - ... in ... liegt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:131020B1WB79.19.0

Fundstelle(n):
EAAAH-62833