Einkommensteuer | Behandlungskosten für Lipödem sind agB (FG)
Die Liposuktion bei Lipödem ist im Jahr 2017 nicht als „nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode” i. S. von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV anzusehen. Das Fehlen eines vor der Operation erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung steht daher der Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht entgegen (; Revision zugelassen).
Hintergrund: Gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV hat der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V.) für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z. B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie zu erbringen.
Das Lipödem ist eine chronische und nach aktueller Lehrmeinung erfahrungsgemäß progrediente (d.h. sich verschlimmernde) Erkrankung, die fast nur Frauen betrifft. Die Erkrankung besteht in einer disproportionalen Fettverteilungsstörung zwischen Körperstamm und Extremitäten unter Aussparung der Hände und Füße. Es werden nach Schwere drei Stadien der Krankheit unterschieden. Die Ursachen der Erkrankung sind unbekannt; unklar ist auch, ob die Fettverteilungsstörung auf einer Zunahme der Zellzahl oder einer Zunahme der Zellmasse der subkutanen Fettzellen beruht (Recherche des Senats; FG Sachsen).
Sachverhalt: Streitig ist, ob Kosten einer Liposuktion (Fettabsaugung) bei Lipödem im Jahr 2017 als außergewöhnliche Belastung (agB) nach § 33 EStG berücksichtigt werden können. Das FA versagte den Abzug, da kein amtsärztliches Attest vorlag. Mit dem Einspruch legten die Kläger ein amtsärztliches Attest vor. Das FA versagte weiterhin die Berücksichtigung der Kosten als agB, da bei der durchgeführten Liposuktion es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Methode handele. Es liege kein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vor.
Das FG entschied zugunsten der Steuerpflichtigen:
Das FA hat es zu Unrecht abgelehnt, die Kosten für die Liposuktion bei der Klägerin als agB anzuerkennen. Gem. § 33 Abs. 4 EStG iVm. § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV muss der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall z.B. durch eine ärztliche Verordnung erbringen. Eine solche liegt im Streitfall vor.
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes steht das Fehlen eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung der Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht entgegen.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Behandlung wissenschaftlich anerkannt, wenn im Zeitpunkt der Behandlung Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist nach Auffassung des BFH und des BSG dann der Fall, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl. ).
Die Liposuktion bei Lipödem im Jahr 2017 stellte keine „wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode” dar. Der Senat stützt sich hierbei auf seine eigene Literaturrecherche (siehe hierzu ausführlich im Urteil v. - 3 K 1498/18). Es konnte keine wissenschaftliche Publikation gefunden werden, die der Liposuktion bei Lipödem einen medizinischen Nutzen für die erkrankten Frauen abspricht.
Ob die gesetzlichen Krankenkassen die Behandlungskosten der Liposuktion generell oder nur in Einzelfällen übernehmen oder nicht, ist für die Beurteilung der Frage der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV nicht bindend.
Der Stand der Wissenschaft befindet sich im Wandel. Daher ist von folgenden Urteilen abzugrenzen: (Streitjahr 2007); i.V. mit (Streitjahr 2010).
Die Revision ist zugelassen. Ein Aktenzeichen ist beim BFH derzeit nicht bekannt.
Das FG Thüringen hatte ebenfalls in einem Fall von Krankheitskosten einer Liposuktion bei Lipödem zu entscheiden (). Hier ist die Revision unter dem BFH-Az. VI R 36/20 anhängig.
Quelle: ; NWB Datenbank (JT)
Fundstelle(n):
LAAAH-61837