BGH Beschluss v. - XIII ZB 84/19

Abschiebungshaftsache: Anhörung des Betroffenen und Haftanordnung ohne die verlangte anwaltliche Vertretung

Gesetze: § 427 FamFG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 8 T 152/19vorgehend AG Braunschweig Az: 33a XIV 7/19 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2001 unter einem Aliasnamen ohne Erlaubnis in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet zurück. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Die Ausreisepflicht des Betroffenen ist seit dem vollziehbar.

2Nachdem der Betroffene, der seit seiner Einreise mehrfach wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurde, die Vaterschaft eines 2003 geborenen Kindes anerkannt hatte, erteilte ihm die zuständige Behörde eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der elterlichen Sorge. Den Kontakt zu seinem Kind brach er in der Folge ab, woraufhin die Behörde seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnte und seine mittlerweile in Bestandskraft erwachsene Ausweisung verfügte. Nach Androhung der Abschiebung tauchte der Betroffene unter.

3Im Jahr 2013 ordnete das Amtsgericht Braunschweig gegen den Betroffenen Abschiebungshaft an, welche auch vollzogen wurde. Nachdem die Abschiebung jedoch an fehlenden Ausweisdokumenten scheiterte, wurde er aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig im Jahr 2018 zur Sicherung der Abschiebung erneut in Haft genommen und von dort aus der nigerianischen Botschaft vorgeführt. Die nachfolgend geplante Abschiebung scheiterte wegen massiver Widerstandshandlungen des Betroffenen.

4Um einen erneuten, für den geplanten Abschiebungsversuch zu sichern, hat die beteiligte Behörde mit Schriftsatz vom beim Amtsgericht Braunschweig Abschiebungshaft bis zum sowie eine einstweilige Anordnung zum Zwecke der Inhaftnahme beantragt. Sie hat dabei darauf hingewiesen, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Das Amtsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Entziehung der Freiheit des Betroffenen vom 24. bis zum angeordnet. Nach Festnahme des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht am unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Der Betroffene hat dabei um die Anwesenheit seines Rechtsanwalts gebeten. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen daraufhin Gelegenheit gegeben, telefonisch zu seinem Bevollmächtigten Kontakt aufzunehmen. Nachdem der Betroffene dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sein Bevollmächtigter erst nach 18.00 Uhr zu sprechen sei, hat das Amtsgericht die Anhörung fortgesetzt und durch Beschluss vom selben Tag die Abschiebungshaft antragsgemäß bis zum angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom zurückgewiesen, ohne den Betroffenen erneut anzuhören.

5Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen, nachdem er zwischenzeitlich abgeschoben worden ist.

6II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

71. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht für rechtmäßig gehalten, obwohl das Amtsgericht dem Betroffenen verfahrensfehlerhaft nicht die Gelegenheit gegeben habe, seinem Verfahrensbevollmächtigten die Anwesenheit bei dessen Anhörung zu ermöglichen. Eine Rechtswidrigkeit der Haftanordnung sei nur dann anzunehmen, wenn der Verfahrensfehler von derartigem Gewicht sei, dass sich deswegen das ganze Verfahren als rechtswidrig darstelle. Dies sei hier nicht der Fall. Das Amtsgericht habe erst im Anhörungstermin davon Kenntnis erlangt, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Ein Gericht, das von der Vertretung im Termin überrascht werde, habe nicht die Pflicht, den Termin zu verlegen.

82. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

9a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; vom - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20; vom - V ZB 96/18, juris Rn. 7 ff.; vom - V ZB 19/19, juris Rn. 4, und vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt das Gericht während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (, juris Rn. 4). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom - V ZB 19/19, juris Rn. 5, und vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

10b) Das Amtsgericht hat die Haft auf der Grundlage einer Anhörung angeordnet, an der der anwaltliche Beistand des Betroffenen nicht teilnehmen konnte, obwohl der Betroffene seinen Wunsch nach dessen Hinzuziehung im Verlauf der Anhörung eindeutig geäußert hatte. Dem hat das Amtsgericht, welchem die anwaltliche Vertretung schon ausweislich des Hinweises der beteiligten Behörde in der Antragsschrift nicht verborgen geblieben sein konnte, nicht wie geboten Rechnung getragen. Vielmehr hätte es den Bevollmächtigten nach Inhaftnahme des Betroffenen selbst über die anberaumte Anhörung informieren und ihm Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung im Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls durch Anberaumung eines neuen Termins unter Anordnung einer weiteren kurzzeitigen Haft im Wege einer erneuten einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG (, juris Rn. 9) - teilzunehmen.

11Die Annahme des Beschwerdegerichts, das Amtsgericht sei im Anhörungstermin von der anwaltlichen Vertretung des Betroffenen überrascht worden, trifft angesichts der Angaben der beteiligten Behörde in der Antragsschrift schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Aber auch die auf der unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhende Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts, die Rechte des Betroffenen seien in einer derartigen Verfahrenssituation eingeschränkt, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom - V ZB 19/19, juris Rn. 5). Selbst wenn das Amtsgericht bis zur dessen diesbezüglicher Erklärung im Anhörungstermin von einer anwaltlichen Vertretung des Betroffenen keine Kenntnis gehabt hätte, wäre es nicht von der Pflicht entbunden gewesen, einen neuen Termin anzuberaumen, um die Anwesenheit eines Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen.

12Der Betroffene hat entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch nicht nur allgemein im Sinne eines Antrags auf Verfahrenskostenhilfe nach einem Rechtsanwalt gefragt. Seine Bitte um Teilnahme eines konkret benannten Rechtsanwalts ließ erkennen, dass es ihm darum ging, einen Beistand - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe - zu dem Termin hinzuzuziehen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 5, und vom - V ZB 19/19, juris Rn. 5).

13c) Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. , InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten.

Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 167/16, juris Rn. 9, und vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 9). Eine solche Anhörung ist indes nicht erfolgt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:070420BXIIIZB84.19.0

Fundstelle(n):
JAAAH-59918