BVerwG Urteil v. - 1 A 2/19

Unzulässige Klage mangels Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers und Nichtvorlage einer Prozessvollmacht

Gesetze: Art 19 Abs 4 GG, § 82 Abs 1 S 1 VwGO, § 82 Abs 2 VwGO

Tatbestand

1Der Kläger wendet sich gegen eine auf § 58a AufenthG gestützte Abschiebungsanordnung.

2Der Kläger ist ein 1996 in Deutschland geborener und aufgewachsener bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Mit Verfügung vom , die dem Kläger am ausgehändigt wurde, ordnete das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen seine Abschiebung in die Republik Bosnien und Herzegowina an. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Die vorliegenden Erkenntnisse führten zu der Prognose, dass von dem Kläger eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dieser gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Die Gesamtschau der festgestellten Tatsachen ergebe, dass sich der Kläger spätestens seit 2012/2013 zunehmend islamistisch radikalisiert habe und mit der terroristischen Vereinigung "IS" und dem von dieser propagierten bewaffneten Kampf, dem Jihad, sympathisiere.

3Am hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Klage erhoben, die nicht begründet worden ist.

4Am ist der Kläger gemeinsam mit seinen beiden Brüdern, gegen die gesondert Verfügungen nach § 58a AufenthG ergangen waren, nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben worden.

5Mit gerichtlicher Verfügung vom ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgefordert worden, eine Prozessvollmacht vorzulegen und die ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen, unter welcher dieser nach der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung nunmehr erreichbar ist.

6Mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom , dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt, ist dem Kläger u.a. nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgegeben worden, bis zum die Klage durch Mitteilung der aktuellen ladungsfähigen Anschrift des Klägers zu ergänzen. Zusätzlich ist darauf hingewiesen worden, dass die gesetzte Frist ausschließende Wirkung hat und eine verspätete Klageergänzung nicht mehr zu berücksichtigen ist, es sei denn, es liegen Wiedereinsetzungsgründe nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO vor. Ferner ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgegeben worden, bis zum eine Prozessvollmacht vorzulegen.

7Diesen gerichtlichen Verfügungen ist der Kläger nicht nachgekommen.

8Der Kläger hat in der Klageschrift beantragt,

1. die Verfügung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben,

2. den Beklagten unter Aufhebung der Nr. 3 der angefochtenen Verfügung zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern,

3. den Beklagten zu verpflichten, gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung aufzuheben, hilfsweise deutlich zu verkürzen, äußerst hilfsweise unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

9Der Beklagte beantragt,

die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. abzuweisen.

10Der Senat hat mit Beschluss vom den Rechtsstreit hinsichtlich der Feststellung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Verfügung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom und des Begehrens des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 A 6.19 abgetrennt, sich insoweit für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.

11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

12Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.

131. Der Zulässigkeit der Klage steht entgegen, dass der Kläger seine ladungsfähige Anschrift nach seiner Abschiebung in die Republik Bosnien und Herzegowina trotz Hinweises auf ihre Erforderlichkeit bis zur mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt hat.

14a) Zur Bezeichnung des Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist ( 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird ( 1 B 79.05 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom - 1 BvR 1203/99 - juris Rn. 1; 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und Beschluss vom - 9 B 79.11 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11).

15b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Klage nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom gesetzten Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO war er durch das Gericht mit Verfügung vom hingewiesen worden. Der Kläger hat dem Gericht keine Erklärung dafür gegeben, weshalb er dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist. Er hat auch nicht dargetan, dass ihm die Angabe seiner aktuellen Anschrift ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Die Nennung der ladungsfähigen Anschrift kann nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist nicht mehr wirksam vorgenommen werden, es sei denn, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO liegen vor. Das ist hier indes nicht der Fall. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO zu gewähren. Weder hat der Kläger die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist beantragt noch kann diese von Amts wegen erfolgen, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen zu sein.

162. Unabhängig hiervon kann hier nicht vom Bestehen einer wirksamen Vollmacht ausgegangen werden. Der für den Kläger auftretende Rechtsanwalt hat die nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderliche schriftliche Prozessvollmacht trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderungen vom und nicht zu den Akten gereicht. § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO hindert den Senat nicht, das Fehlen der Vollmacht zu berücksichtigen. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht zur Berücksichtigung des Mangels der Vollmacht von Amts wegen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. In diesem Fall entfällt die Pflicht, nicht jedoch auch die Befugnis, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen. Vielmehr kann die Art und Weise der Prozessführung dem Gericht dazu berechtigten Anlass geben. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie hier - der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist weder die Vollmacht nachreicht, noch den angeblich vertretenen Kläger ordnungsgemäß bezeichnet (vgl. 8 A 1.10 - juris Rn. 16).

173. Die Kosten des Verfahrens sind in entsprechender Anwendung vom § 173 VwGO, § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 179 BGB dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufzuerlegen, weil er als vollmachtloser Vertreter das erfolglose Klageverfahren veranlasst hat (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom - 1 C 63.79 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 55; vom - 8 KSt 1.06 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 108 und vom - 8 C 14.06 - juris).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:150819U1A2.19.0

Fundstelle(n):
BAAAH-57793