BGH Beschluss v. - VII ZB 5/20

Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung

Leitsatz

Die Erklärung, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge), muss nicht notwendig mittels als solcher bezeichneter Anträge abgegeben werden. Es reicht aus, wenn die Berufungsbegründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulässt. Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Berufungskläger durch sie beschwert ist (Anschluss an , NJW-RR 2019, 1022 und , NJW-RR 2019, 1293).

Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 29 U 5064/19 Kartvorgehend LG München I Az: 37 O 812/18

Gründe

I.

1Die Kläger machen gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem inzwischen beendeten, franchisevertragliche Elemente aufweisenden Vertragsverhältnis geltend.

2Das Landgericht hat am ein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen. Gegen dieses Urteil haben die Kläger Einspruch eingelegt. Außerdem haben sie die Klage erweitert.

3In erster Instanz haben die Kläger zuletzt beantragt:

1. Das Versäumnisurteil vom wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 5.298,29 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1 47.282,79 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen, hilfsweise an sie 20.393,29 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen und sie von den Zahlungsforderungen aus näher bezeichnetem Darlehen freizustellen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2 25.987,08 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen, hilfsweise an ihn 6.898,93 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen und ihn von den Zahlungsforderungen in Höhe von 19.088,15 € aus näher bezeichnetem Darlehen freizustellen.

4Das das Versäumnisurteil vom teilweise aufgehoben und die Beklagte auf den in erster Instanz zuletzt gestellten klägerischen Antrag Nr. 3 verurteilt, an die Klägerin zu 1 5.000 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten.

5Die Kläger haben gegen dieses Urteil mit Schriftsatz vom fristgerecht Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift ist unter anderem ausgeführt:

6"Berufungsantrag und Berufungsbegründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten."

7Mit Schriftsatz vom haben die Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Dieser Schriftsatz enthält außerdem Ausführungen zur Begründung der Berufung, nicht hingegen ausdrückliche Berufungsanträge. Innerhalb der verlängerten Frist für die Berufung haben die Kläger mit Schriftsatz vom zur Begründung der Berufung weiter vorgetragen, im Wesentlichen aber auf die Ausführungen im Schriftsatz vom verwiesen.

8Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger nach vorangegangenem Hinweisbeschluss mit Beschluss vom als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts erstreben und ihre beim Landgericht zuletzt gestellten Anträge, soweit diese erfolglos geblieben sind, weiterverfolgen.

II.

9Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

101. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Berufungsbegründung entspreche nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO. Weder dem Schriftsatz vom noch dem Schriftsatz vom sei zu entnehmen, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten und welche Abänderung erstrebt werde. Die Schriftsätze enthielten nicht nur keine ausdrücklichen Berufungsanträge, sondern auch konkludent, was ausreichend wäre, lasse sich ihnen das Sachbegehren der Kläger nicht entnehmen.

11Das Landgericht habe in den Urteilsgründen ausgeführt, dass nur die Erstattung des Vertrauensschadens in Betracht komme und der Schadenersatzanspruch unter anderem in den Betriebsverlusten, die durch die Gründung und das Betreiben des Franchise-Outlets dem Franchisenehmer entstanden seien, bestehe. Die Teilklageabweisung habe es bezüglich verschiedener Positionen unterschiedlich begründet.

12Die Kläger hätten im Schriftsatz vom zur Teilabweisung der Klageforderung ausgeführt:

13"Das Landgericht hat die Klageforderung jedoch in ihrem weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen, weil angeblich der Schaden nicht konkret berechnet bzw. nicht substantiiert dargelegt worden war.

14Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft, da zum einen entgegen der Ansicht des Landgerichts der Schaden in korrekter Weise dargelegt wurde, und überdies das Landgericht nicht in eindeutiger Weise hat im Vorfeld erkennen lassen, wie es den Schadensersatz berechnet wissen möchte."

15Da das Landgericht die Abweisung der Klage nur teilweise auf eine nicht ausreichende Substantiierung gestützt habe und auch nicht erkennbar sei, welche Änderungen bei der Schadensberechnung die Kläger vorgenommen hätten, wenn das Landgericht weitere Hinweise zur Schadensberechnung erteilt hätte, erschließe sich das Sachbegehren der Kläger in keiner Weise. Entgegen der Auffassung der Kläger im Schriftsatz vom könne den Ausführungen gerade nicht entnommen werden, dass sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt hätten, etwa auch im Hinblick auf die zurückgezahlte Kaution und die nicht kausalen Reisekosten. Da die Ausführungen der Kläger sich nicht mit den Ausführungen im landgerichtlichen Urteil zur Teilklageabweisung im Einzelnen auseinandersetzten und somit nicht nachvollziehbar sei, warum die Teilklageabweisung hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen unrichtig sein solle, erschließe sich weder, in welchem Umfang die Kläger ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgen wollten, noch, dass sie diese zumindest in einem bestimmten Umfang, also hinsichtlich einiger bestimmbarer Schadenspositionen weiterverfolgen wollten.

162. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Kläger ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit seiner Annahme, die Berufungsbegründung genüge den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht, den Klägern den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. zu letzterem Gesichtspunkt Rn. 4). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO an die Berufungsanträge stellt, zu Unrecht für nicht erfüllt erachtet.

17a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Für diese Erklärung bedarf es nicht der Stellung eines als solchen bezeichneten Antrags. Es reicht aus, wenn die Berufungsbegründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulässt (vgl. Rn. 9 m.w.N., NJW-RR 2019, 1022; Beschluss vom - VIII ZB 29/19 Rn. 14, NJW-RR 2019, 1293). Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Berufungskläger durch sie beschwert ist (vgl. Rn. 9 m.w.N., NJW-RR 2019, 1022).

18b) Die Auslegung der Ausführungen der Kläger im Schriftsatz vom , die der Senat selbst vornehmen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Versäumnisurteil vom - III ZR 83/18 Rn. 8 m.w.N.; Urteil vom - VII ZR 268/11 Rn. 30, NJW 2014, 155), ergibt unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze, dass das Urteil des Landgerichts von den Klägern insgesamt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werden soll, soweit das Landgericht zum Nachteil der Kläger entschieden hat. Die Ausführungen auf Seite 2 Absatz 5 des Schriftsatzes vom "Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft" in Verbindung mit den Ausführungen in dem davorstehenden Absatz 4 "Das Landgericht hat die Klageforderung jedoch in ihrem weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen, weil angeblich der Schaden nicht korrekt berechnet, bzw. nicht substantiiert dargelegt worden sei" sind unter Berücksichtigung der genannten Maßstäbe so zu verstehen, dass die Kläger als Berufungskläger das Urteil des Landgerichts insoweit angreifen, als sie durch dieses Urteil beschwert sind. Dass die Schriftsätze vom und vom die Begründung des Landgerichts für die Klageabweisung nur unvollständig wiedergeben, steht dem nicht entgegen. Insoweit dürfen die Anforderungen bezüglich der Berufungsanträge (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO) nicht mit den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO verknüpft werden (vgl. Rn. 11, NJW-RR 2019, 1022; Versäumnisurteil vom - VIII ZR 212/04 Rn. 10, NJW 2006, 2705). Ob die Berufungsbegründung der Kläger diesen inhaltlichen Anforderungen in jeder Hinsicht entspricht, steht hier nicht zur Entscheidung.

III.

19Nach alledem kann der Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da es nach gebotener Anhörung der Parteien noch einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit und gegebenenfalls der Begründetheit der Berufung bedarf. Daher ist der Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120820BVIIZB5.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 3730 Nr. 51
NJW 2020 S. 9 Nr. 39
NJW-RR 2020 S. 1188 Nr. 19
WM 2021 S. 2066 Nr. 42
PAAAH-57758