BVerwG Beschluss v. - 7 BN 4/19

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 8 N 17.534 Urteil

Gründe

I

1Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen eine Rechtsverordnung des Landratsamts über die Neufestsetzung eines bereits zuvor bestehenden Wasserschutzgebiets zugunsten der beigeladenen Stadt, die auf der Gemarkung der Nachbargemeinde zwei Trinkwasserbrunnen betreibt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin mehrerer in der Schutzzone W III gelegener Grundstücke, auf denen sie u.a. ein Hotel mit Restaurant und Einzelhandel sowie einen großen Parkplatz mit ca. 250 Pkw- und ca. 9 Bus-Stellplätzen betreibt. Ein als Wiese genutztes Grundstück liegt in der Schutzzone W II. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag auf der Grundlage der von den Behörden vorgelegten Gutachten und fachlichen Stellungnahmen abgelehnt und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II

2Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

31. Das angegriffene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

4a) Der Verwaltungsgerichtshof hat mit der Ablehnung des von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags, der neben den der Ermittlung der Einzugsgebiete der Brunnen zugrunde liegenden methodischen Vorgaben auch die davon nicht zu trennende Sachfrage der Abgrenzung des Wasserschutzgebiets und der Schutzzone W II zum Gegenstand hat, weder die ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Aufklärungspflicht noch - damit verbunden - den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Die Ablehnung des Beweisantrags findet eine Stütze im Prozessrecht.

5aa) Liegen - wie hier - bereits Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Das Tatsachengericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt hat (vgl. 8 C 48.68 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 79 und vom - 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE 56, 110 <127>; Beschlüsse vom - 7 B 254.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 137, vom - 11 B 3.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 5, vom - 7 B 35.09 - juris Rn. 12 und vom - 9 B 25.17 - Buchholz 406.403 § 44 BNatSchG 2010 Nr. 4 Rn. 32; zur Verwertung eines in einem anderen gerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens siehe nunmehr auch Beschluss vom - 2 B 30.19 - juris Rn. 23 ff.). Gutachterliche Stellungnahmen, die erst während eines gerichtlichen Verfahrens von einer beteiligten Behörde eingeholt und als Parteivortrag in das Verfahren eingeführt werden, sind insoweit nicht anders zu behandeln ( 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268). Denn allein die Tatsache, dass eine Verwaltungsbehörde ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, begründet als solche nicht die Vermutung mangelnder Objektivität des von ihr eingesetzten Sachverständigen und erlaubt nicht den Schluss, seine Erkenntnisse könnten im Rahmen der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung nicht verwertet werden. Eine rechtsstaatliche Verwaltung ist ebenso wie die Gerichtsbarkeit an Recht und Gesetz gebunden und hat den Sachverhalt nach objektiven Maßstäben aufzuklären. Die von einer Verwaltungsbehörde bestellten Gutachter sind demgemäß - nicht anders als die entsprechend sachkundigen eigenen Bediensteten einer mit besonderem Sachverstand ausgestatteten technischen Fachbehörde bzw. Fachabteilung - als objektiv urteilende Gehilfen der das öffentliche Interesse verfolgenden Verwaltungsbehörde und nicht als parteiische Sachverständige anzusehen. Dies gilt unabhängig vom Verfahrensstadium, denn die Verpflichtung der Behörde zur objektiven Amtsführung kennt insoweit keine Unterschiede (vgl. 5 C 45.63 - BVerwGE 18, 216 <218>; Beschluss vom - 6 B 32.13 - juris Rn. 14).

6Ein Verfahrensmangel liegt in dieser Situation nur dann vor, wenn dem Tatsachengericht sich die Einholung eines weiteren Gutachtens hätte aufdrängen müssen, weil die vorliegenden Gutachten objektiv ungeeignet sind, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird. Die Verpflichtung zur Ergänzung des Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter dieses als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (stRspr, vgl. 7 C 8.11 - Buchholz 419.01 § 26 GenTG Nr. 1 Rn. 37; Beschluss vom - 7 B 35.09 - juris Rn. 12).

7bb) Diese rechtlichen Maßstäbe zieht die Antragstellerin zu Unrecht in Zweifel. Ohne Erfolg beruft sie sich auf eine Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ( - BayVBl 1994, 143 <144>), wonach eine Ermessensentscheidung nach (§ 98 VwGO i.V.m.) § 412 ZPO immer voraussetze, dass das Gericht bereits ein Gutachten nach Maßgabe der §§ 402 ff. ZPO eingeholt habe; bei einer Verwertung von sonstigen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises sei der Verweis auf die Möglichkeit der Ablehnung eines Sachverständigengutachtens ausgeschlossen.

8Bereits das dort vertretene Verständnis des einfachrechtlichen Beweisrechts ist nicht zweifelsfrei. Insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde vor der Einführung des § 411a ZPO - und wird weiterhin - die Auffassung vertreten, dass auch Gutachten aus Verwaltungs-, Schlichtungs- und Schiedsverfahren, die im Wege des Urkundsbeweises ins Gerichtsverfahren eingeführt worden sind, den Sachverständigenbeweis ersetzen können, soweit mit ihnen alle klärungsbedürftigen Fragen beantwortet werden können (vgl. etwa - VersR 2008, 1216 Rn. 6 m.w.N.; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO und Nebengesetze, 4. Aufl. 2014, § 411a Rn. 3 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Folgezeit - worauf der Verwaltungsgerichtshof zutreffend abhebt - nicht mehr auf den genannten Beschluss bezogen, sondern ist ausdrücklich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt unter Hinweis darauf, dass die Einholung weiterer Gutachten in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder unter Verweis auf eigene Sachkunde des Gerichts abgelehnt werden könne (so insbesondere in asylrechtlichen Streitigkeiten, BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 1238/00 - juris Rn. 5 und vom - 2 BvR 995/02 - juris Rn. 11 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 S. 8 und vom - 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 S. 7; nunmehr auch Beschluss vom - 1 B 43.19 - BayVBl 2020, 201 Rn. 44 f., 48; sowie Funke-Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand , § 78 Rn. 389 ff., 389.7 f. und Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, vor § 78 Rn. 129; zum Fachplanungsrecht siehe - juris Rn. 10). Die entsprechende Heranziehung des § 412 ZPO führt somit letztlich auf einen allgemeinen Grundsatz des Beweisrechts, der auch in § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. auch - juris Rn. 9 ff.).

9cc) Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Ablehnung der Beweisanträge gemessen an den vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend zugrunde gelegten Grundsätzen zu beanstanden ist.

10Die mangelnde Eignung der von den Behörden vorgelegten Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen als Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung folgt nicht daraus, dass - ungeachtet der grundsätzlichen Verpflichtung der Behörden zur objektiven Amtsführung - im Einzelfall Gesichtspunkte für die Parteilichkeit der Sachverständigen vorlägen (vgl. 5 C 45.63 - BVerwGE 18, 216 <218>; Beschluss vom - 11 B 3.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 6). Solche Gesichtspunkte sind hier nicht geltend gemacht worden und für den Senat auch nicht erkennbar.

11Die Antragstellerin zeigt auch nicht auf, dass die behördlichen Gutachten offen erkennbare Mängel aufweisen. Das folgt nicht etwa daraus, dass das Gutachten bei der Bemessung der engeren Schutzzone sich nicht strikt an der 50-Tage-Linie orientiert hat, wie sie sowohl in dem als antizipiertes Sachverständigengutachten herangezogenen DVGW-Arbeitsblatt W 101 (vgl. 7 CN 1.11 - Buchholz 445.4 § 51 WHG Nr. 1 Rn. 29) als auch im Merkblatt Nr. 1.2/7 des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz vorgegeben sei. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine Regel, von der im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände abgewichen werden kann.

12Soweit der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis gelangt ist, dass insoweit und auch in Bezug auf die Abgrenzung der weiteren Schutzzone W III jeweils eine Sondersituation vorliegt, die insbesondere die Berücksichtigung einer transversalen Dispersion erfordert, erschöpft sich das Vorbringen der Antragstellerin darin, die tatrichterliche Würdigung der vorhandenen Gutachten und sonstigen Erkenntnismittel als fehlerhaft anzugreifen. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber - sofern sie denn vorlägen - revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen. Die Grenzen der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung sind aber mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (vgl. nur 7 B 18.14 - ZfB 2015, 85 Rn. 15 m.w.N.). Ein solcher Mangel wird von der Antragstellerin, deren Vortrag demjenigen in einer Tatsacheninstanz entspricht, nicht substantiiert dargetan.

13b) Soweit die Antragstellerin darüber hinaus geltend macht, dass ihr nicht ordnungsgemäß die Gelegenheit zur Äußerung zu und zur Auseinandersetzung mit den behördlichen Gutachten gegeben worden sei, führt dies schon ausweislich der beiden Termine zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof am und am , in denen die Sach- und Rechtslage ausführlich erörtert worden ist, nicht auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

142. Die Grundsatzrüge greift ebenso wenig durch. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt. Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

15Im Zusammenhang mit der vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Rechtskontrolle der Alternativenprüfung wirft die Antragstellerin zunächst als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, "inwieweit im Fall des Weiterbetriebs eines wasserrechtlich bewilligten (...) Brunnenstandortes geringere Anforderungen an die Prüfung anderweitiger Möglichkeiten der Trinkwassergewinnung liegen sollen". Soweit diese Frage sich jedenfalls ausweislich ihres Anknüpfungspunkts in den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs auf den Vorgang der wertenden (fachplanerischen) Abwägung zwischen mehreren geeigneten Standorten beziehen sollte (UA Rn. 129), ist sie nicht entscheidungserheblich und folglich nicht klärungsfähig. Denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (UA Rn. 132) hat eine solche Abwägung - wegen des negativen Ergebnisses einer Grobanalyse des gegebenen Abwägungsmaterials - nicht stattgefunden.

16Des Weiteren setzt sich die Antragstellerin mit den Anforderungen an die Grobprüfung auseinander, als deren Ergebnis (vermeintlich) mögliche Alternativen bereits in einem frühen Verfahrensstadium ausgeschlossen werden. Soweit dem Vorbringen die Frage zu entnehmen sein sollte, ob sich die Eignung einer Alternative nur danach bestimme, dass diese in quantitativer und qualitativer Hinsicht das erforderliche Trinkwasser zu liefern imstande sei, ist jedenfalls ein Klärungsbedarf nicht dargetan. Denn es liegt auf der Hand, dass ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 WHG festgesetztes Wasserschutzgebiet insbesondere der Sicherheit der Trinkwasserversorgung dient und sich jegliche Alternative an den daraus folgenden Anforderungen messen lassen muss.

17Die ausdrücklich als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, "welche maßgeblichen Kriterien für eine Grobanalyse bei der Festsetzung eines Wasserschutzgebietes gelten", zielt, wie die erläuternden Ausführungen belegen, auf das Maß der gebotenen Ermittlungen zur Feststellung, dass die Alternativen den Trinkwasserbedarf in der gebotenen quantitativen und qualitativen Weise sichern können. Diese Frage ist jedoch einer fallübergreifenden Beantwortung nicht zugänglich, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, so dass sie die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:260620B7BN4.19.0

Fundstelle(n):
DAAAH-56926