Abstrakte Bestimmung der in ein anderes Dezernat übergehenden Verfahren im Geschäftsverteilungsplan des Spruchkörpers
Leitsatz
1. Soll für einen einem Spruchkörper zugewiesenen Richter ein neues Dezernat geschaffen werden, können auch bereits anhängige Verfahren übertragen werden, wenn die abstrakten Kriterien für die Auswahl der übergehenden Verfahren vorab bestimmt und schriftlich fixiert worden sind.
2. Die subjektive Einschätzung des bisherigen Berichterstatters hinsichtlich des Stands der Bearbeitung eines bereits anhängigen Verfahrens ist kein abstraktes Kriterium, nach dem die Entscheidung über den Verbleib des Verfahrens beim bisherigen Berichterstatter oder den Übergang in ein anderes Dezernat getroffen werden kann.
Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 21g GVG, § 138 Nr 1 VwGO, § 144 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 4 B 20.16 Urteilvorgehend Az: 5 K 158.13 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger steht als Hauptbrandmeister im Dienst des beklagten Landes und beansprucht für die von ihm in der Zeit vom bis Ende Dezember 2004 erbrachte unionsrechtswidrige Zuvielarbeit Ausgleich in Geld nach den Grundsätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung.
2Der vom Kläger Ende September 2001 gestellte Antrag auf Ausgleich der Zuvielarbeit in Geld blieb zunächst ohne Erfolg. Mit Bescheid vom gewährte der Polizeipräsident in Berlin dem Kläger für die ab dem geleistete Zuvielarbeit einen finanziellen Ausgleich und berief sich für den Zeitraum vor dem auf Verjährung.
3Die bereits am erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
4Zur Begründung der bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger u.a. geltend, der Geschäftsverteilungsplan des Senats des Oberverwaltungsgerichts genüge nicht den Anforderungen des Gebots des gesetzlichen Richters.
5Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom bis zum für 633,50 Stunden Zuvielarbeit eine Geldleistung nach den Grundsätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung zu gewähren und den Betrag seit Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen,
2. für den Fall des teilweisen oder vollständigen Erfolgs des Antrags zu 1 festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den erzielten Betrag vollständig ohne Abzüge zugunsten des Finanzamts an den Kläger auszuzahlen,
und die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom und des Verwaltungsgerichts Berlin vom sowie den Bescheid des Beklagten vom aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
6Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
7Die Revision des Klägers ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Die vom Kläger ordnungsgemäß erhobene Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts ist begründet. Nach § 138 Nr. 1 VwGO ist das Berufungsurteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen.
8Das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass nicht für bestimmte Einzelfälle bestimmte Richter ausgesucht werden, sondern dass die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt. Da gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch der im Einzelfall zur Mitwirkung berufene Richter ist, muss sich die abstrakt-generelle Vorausbestimmung bis auf die letzte Regelungsstufe erstrecken, auf der es um die Bestimmung der Person des im konkreten Fall mitwirkenden Richters geht. Bei einem Kollegialgericht muss deshalb im Mitwirkungsplan vorab abstrakt geregelt sein, welcher der dem Richterkollegium angehörenden Richter für die anhängig werdende Sache jeweils Berichterstatter ist. Ist ein Kollegialgericht überbesetzt, muss die Zusammensetzung der für die einzelne Sache zuständigen Sitz- oder Spruchgruppe an die Person des abstrakt bestimmten Berichterstatters anknüpfen (BVerfG, Beschluss des Plenums vom - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322 <328 ff.>).
9§ 21g Abs. 2 GVG bestimmt, dass der vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer gefasste Beschluss über die Grundsätze der Mitwirkung der Mitglieder des Spruchkörpers an den gerichtlichen Verfahren nur geändert werden kann, wenn es wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird. Dazu gehört auch die Zuweisung eines weiteren Richters, die zur Überbesetzung des Spruchkörpers führt. Soll, wie hier, für den zusätzlich zugewiesenen Richter ein Dezernat geschaffen werden, verbietet das Gebot des gesetzlichen Richters nicht, bereits anhängige Verfahren umzuverteilen. Allerdings setzt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG voraus, dass die umzuverteilenden Verfahren nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen bestimmt werden; unzulässig ist es, lediglich einzelne ausgesuchte Verfahren zuzuweisen ( 3 B 45.16 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 23 Rn. 16 und - BFH/NV 2012, 431 Rn. 6). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Senats des Oberverwaltungsgerichts vom zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans für das Geschäftsjahr 2018 nicht.
10Der Beschluss vom sieht zwar auch abstrakte und objektive Merkmale vor, nach denen die in das Referat des zugewiesenen Richters wechselnden Verfahren zu bestimmen sind. Denn er regelt, dass die spätestens am eingegangenen, noch anhängigen Sachen (außer B-Sachen) mit den Endziffern 4, 6 und 7 in das Dezernat übergehen. Daneben ist aber auch festgelegt, dass der dem Berufungssenat neu zugewiesene Richter bei 15 im Einzelnen mit Aktenzeichen benannten Berufungsverfahren (B-Sachen), darunter das hiesige Verfahren, Berichterstatter wird. Ein abstraktes Kriterium, nach dem diese 15 Berufungsverfahren bestimmt sind, ist dem Beschluss vom nicht zu entnehmen.
11Auch die im Revisionsverfahren eingeholte dienstliche Erklärung des Vorsitzenden des Berufungssenats belegt nicht, dass bei dem dortigen Beschluss vom zur Änderung des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans den Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Genüge getan worden ist. Das Kriterium für die Auswahl der mit Aktenzeichen benannten 15 Berufungsverfahren ist nicht schriftlich fixiert worden. Das Maß, bis zu dem dem hinzutretenden Richter Verfahren zugewiesen werden sollten, war mit dem in der dienstlichen Erklärung genannten Kriterium "Erreichen eines Belastungsausgleichs" vom Berufungssenat nicht vorab festgelegt. Es eröffnete im Übrigen einen Wertungsspielraum, bei wieviel Verfahren dieser Belastungsausgleich erreicht wäre. Auch war für das Verbleiben eines Verfahrens beim bisherigen Berichterstatter oder den Übergang in das neue Dezernat die notwendigerweise subjektive Einschätzung des bisherigen Berichterstatters über den Stand der Bearbeitung des Verfahrens maßgeblich. In der dienstlichen Erklärung wird als Maßstab für den Übergang des Verfahrens die anhand objektiver Kriterien nicht nachprüfbare Überlegung genannt, dass die Berufungssachen in den Dezernaten der bisherigen Berichterstatter verbleiben sollten, wenn diese in der Aufbereitung der - ältesten - Fälle vorangeschritten waren, während die im "Wesentlichen unaufbereiteten Fälle bis zum Erreichen eines Belastungsausgleichs" dem neuen Dezernat zugeteilt werden sollten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:160620U2C2.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 37
NJW 2020 S. 3333 Nr. 45
ZAAAH-56761