Online-Nachricht - Donnerstag, 20.08.2020

Insolvenzrecht | Entgeltvereinnahmung im Insolvenzeröffnungsverfahren (BFH)

Ordnet das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, werden Drittschuldner aus Leistungen an den Insolvenzschuldner gem. § 24 Abs. 1 InsO nur unter den Voraussetzungen des § 82 InsO befreit. Hat der Drittschuldner mangels Schuldbefreiung nochmals an den Verwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zu zahlen, entsteht eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.

Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter. Streitig ist, ob es sich bei den durch Zahlungseingängen auf dem Konto eines Insolvenzschuldners entstandenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten um Insolvenz- oder Masseverbindlichkeiten handelt.

Nachdem beantragt worden war, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners zu eröffnen, wurde zunächst ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Außerdem wurde durch das Insolvenzgericht angeordnet, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Gemäß § 22 Abs. 2 InsO sollte der Kläger das Unternehmen, das der Insolvenzschuldner betrieb, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Insolvenzschuldner fortführen.

Kurz darauf gingen auf dem Konto des Insolvenzschuldners Überweisungen ein, mit denen einer seiner Kunden zuvor gestellte Rechnungen begleichen wollte. Die Umsatzbesteuerung des Insolvenzschuldners erfolgte nach vereinnahmten Entgelten. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Das FA setzte gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter diejenige Umsatzsteuer fest, die durch die genannten Überweisungseingänge auf dem Konto des Insolvenzschuldners entstanden war. (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.2.2020)

Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt. Nach dem Urteil des FG lag keine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 4 InsO vor (). Hiergegen wandte sich das FA mit seiner Revision.

Der BFH hat das FG Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen:

  • Das FG hat bei seinem Urteil die Rechtsfolgen unberücksichtigt gelassen, die sich bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO aus § 24 Abs. 1 i. V. m. § 82 InsO für die Einordnung des gegen den Insolvenzschuldner gerichteten Steueranspruchs (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 UStG) als Masseverbindlichkeit ergeben.

  • Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO werden nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet, was aus den zu § 55 Abs. 1 InsO bestehenden Zusammenhängen abgeleitet werden kann. Danach kommt es maßgeblich auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, nicht aber auf die Leistungserbringung oder auf eine "tatsächliche" Zustimmung des vorläufigen Verwalters zu einer "faktischen" Unternehmensfortführung an.

  • Entspricht die Vorentscheidung zwar den Grundsätzen zur Auslegung des § 55 Abs. 4 InsO, indem sie die Entgeltvereinnahmung durch den Kläger als maßgebend beurteilt, so verletzt sie jedoch § 82 InsO und ist deshalb aufzuheben. Denn das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Drittschuldner hätten die Beträge, um die es hier geht, auf das Bankkonto des Insolvenzschuldners schuldbefreiend überwiesen.

  • Ordnet das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, werden Drittschuldner aus Leistungen an den Insolvenzschuldner nur dann gem. § 24 Abs. 1 i. V. m § 82 InsO befreit, wenn sie zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannten.

  • Grob fahrlässige Unkenntnis von der Verfügungsbeschränkung oder Kenntnis von einer Zahlungseinstellung oder eines sonstigen Eröffnungsgrundes reichen nicht aus. Es kommt nicht darauf an, ob das Geleistete in die Insolvenzmasse gelangt ist. Hat der Leistende vor der öffentlichen Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkungen geleistet, wird nach § 82 Satz 2 InsO vermutet, dass er die Verfügungsbeschränkungen nicht kannte. Bei einer Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkungen hat der vorläufige Insolvenzverwalter zu beweisen, dass dem Leistenden die Anordnung bekannt war. Ist dagegen die Leistung nach Bekanntmachung erfolgt, hat der Leistende zu beweisen, dass ihm die Anordnung der Verfügungsbeschränkungen unbekannt war.

  • Im zweiten Rechtsgang sind weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob die Zahlungsvorgänge nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 i. V. m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO nach den o. g. Grundsätzen gegenüber der späteren Insolvenzmasse mit schuldbefreiender Wirkung erfolgten und ob, falls dies zu verneinen sein sollte, der Insolvenzverwalter mangels derartiger Wirkung eine zweite Zahlung in die Masse verlangen konnte und verwirklicht hat.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
OAAAH-56393