Online-Nachricht - Donnerstag, 06.08.2020

Umsatzsteuer | Steuerhinterziehung im Drittland bei Ausfuhrlieferung (BFH)

Das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung führt nicht dazu, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Die Revisionsklägerin lieferte im Streitjahr 2013 Kraftfahrzeuge aus dem Inland in die Türkei an dort ansässige Abnehmer. Sie nahm dabei die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG in Anspruch.

Das FA versagte die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung von 20 Kraftfahrzeugen für Umsätze i. H. von 1.132.400 €. Das FA ging davon aus, dass die Fahrzeuge über eine Spedition zwar tatsächlich in die Türkei geliefert worden seien, die Steuerfreiheit aber im Hinblick auf die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH über die MwStSystRL zu versagen sei, da sich die Klägerin aktiv an einem Betrugsmodell beteiligt habe. Sie habe die Begehung von Steuerverkürzungen im Empfangsstaat durch die Erteilung unterfakturierter Zweitrechnungen, die das Entgelt im Vergleich zu den zutreffenden Erstrechnungen nicht vollständig ausgewiesen hätten, ermöglicht. In der Türkei seien mit diesen Rechnungen die Sonderverbrauchsteuer ÖTV (Özel Tüketim Vergisi) und die Umsatzsteuer KDV (Katma Deger Vergisi) bei der Einfuhr hinterzogen worden.

Die Revision hatte Erfolg. Der BFH führte aus:

  • Ausfuhrlieferungen sind gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG unter den in § 6 UStG bezeichneten Voraussetzungen steuerfrei.

  • Es steht der Steuerfreiheit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG nicht entgegen, wenn der Lieferer bei der Ausstellung einer z. B. unterfakturierten Zweitrechnung für die Ausfuhrlieferung wusste oder hätte wissen müssen, dass der Abnehmer mit dem gelieferten Gegenstand eine Steuerhinterziehung zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats (hier Türkei) begeht. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG ist keine derartige Voraussetzung zu entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.

  • Ebenso wie die fehlende Identifizierung dieses Empfängers ist auch das Ausstellen von Rechnungen der hier vorliegenden Art nicht geeignet, die materiellen Voraussetzungen der Ausfuhrlieferung und damit die Beförderung oder Versendung des gelieferten Gegenstands in das Drittlandsgebiet in Frage zu stellen.

  • Für den Fall, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei der Ausfuhr nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL und damit die Verbringung der Gegenstände aus dem Zollgebiet nachgewiesen sind, weist der EuGH aber darauf hin, dass für eine solche Lieferung keine Mehrwertsteuer geschuldet wird und grundsätzlich keine Gefahr eines Steuerbetrugs oder finanzieller Verluste mehr besteht, der die Besteuerung des Umsatzes rechtfertigen kann ( „Unitel“, unter Bezugnahme auf das „BDV Hungary Trading“).

  • Danach führt das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung für eine Ausfuhrlieferung nicht zu einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung, wie sich aus den zwischen den Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und für Ausfuhrlieferungen bestehenden Unterschieden ergibt.

Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter im V. Senat des BFH:

Der etwas nebulöse Leitsatz „Das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung führt nicht dazu, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen“, könnte auch ganz allgemein lauten: „Für Ausfuhrlieferungen gelten andere Grundsätze als für innergemeinschaftliche Lieferungen“.

Vereinfacht gesagt, hat die Klägerin über die Verkäufe von Fahrzeugen, die tatsächlich in die Türkei geliefert wurden, zwei Rechnungen ausgestellt: Eine zutreffende, in der Buchführung der Klägerin korrekt verbuchte und eine „unterfakturierte“ Zweitrechnung, die das Entgelt im Vergleich zu der zutreffenden Erstrechnung nicht vollständig auswies. Diese geschönte „reduzierte“ Rechnung ermöglichte es dem Erwerber, in der Türkei die Sonderverbrauchsteuer und die Umsatzsteuer bei der Einfuhr um die auf den Differenzbetrag entfallende Steuer zu hinterziehen. Das dürfte auch Sinn der Zweitrechnungen gewesen sein.

Das Besprechungsurteil besagt nun im Ergebnis nichts anderes, als dass es nicht Aufgabe des nationalen Umsatzsteuerrechts ist, dieses Verhalten der Klägerin durch die Versagung der Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung zu sanktionieren. Dem ist zuzustimmen.

Bei der innergemeinschaftlichen Lieferung besteht eine Korrespondenz zum innergemeinschaftlichen Erwerb; Lieferung und Erwerb sind die beiden unterschiedlichen Seiten derselben Medaille. Das folgt aus jüngerer Zeit noch einmal deutlich aus dem „AREX“. Deshalb ist dem Lieferer einer innergemeinschaftlichen Lieferung, dem bekannt ist oder dem bekannt sein muss, dass sich der Abnehmer der Verpflichtung zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung durch Steuerhinterziehung entzieht, die Steuerfreiheit für seine innergemeinschaftliche Lieferung zu versagen. Das gilt aber nicht für Ausfuhrlieferungen, weil es insoweit an der auf dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem beruhenden besonderen Verknüpfung von innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb gerade fehlt.

Das ist zutreffend und ergibt sich im Grunde auch schon aus dem „Unitel“. Das Besprechungsurteil erweist sich aber auch aus rein praktischen Gründen als richtig. Nun ist die Türkei ein Drittland, zu dem Deutschland intensive wirtschaftliche Beziehungen pflegt und bei dem die Feststellung, dass der Abnehmer dort eine Steuerhinterziehung begangen hat, möglich ist. Das gilt aber für eine Vielzahl von Drittstaaten, über deren Steuersysteme hier kaum Kenntnisse vorliegen, nicht im gleichen Maße. Dem deutschen Rechtsanwender kann man bei der Beurteilung der Ausfuhrlieferung die Prüfung eines negativen Tatbestandsmerkmals „Fehlen einer Steuerhinterziehung im Empfängerland“ schon allein deshalb nicht auferlegen, weil er diese Frage gar nicht seriös beantworten kann.

Es bleibt deshalb dabei: Im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem der Union gibt es Besonderheiten, aber grundsätzlich ist das Umsatzsteuerrecht kein Instrumentarium, um ein rundherum wohlgefälliges Verhalten einzufordern und durchzusetzen.

Quelle: ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB ZAAAH-55254