BGH Urteil v. - I ZR 176/19

Vorabentscheidungsersuchen: Verdeckung der Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen durch Darbietung der Zigaretten in Warenausgabeautomaten; Warenausgabeautomat als "sonstiger Gegenstand" zur Verdeckung i.S.d. Richtlinie; verkleinerte Abbildung der Originalverpackung auf Warenausgabeautomat; genügende Kenntnisnahme der Warnhinweise vor Abschluss des Kaufvertrags - Zigarettenausgabeautomat

Leitsatz

Zigarettenausgabeautomat

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 und Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erfasst der Begriff des Inverkehrbringens im Sinne des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU das Darbieten von Tabakerzeugnissen über Warenausgabeautomaten in der Weise, dass die darin befindlichen Zigarettenpackungen zwar die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise aufweisen, die Zigarettenpackungen aber zunächst für den Verbraucher nicht sichtbar im Automaten vorrätig gehalten werden und die darauf befindlichen Warnhinweise erst sichtbar werden, sobald der zuvor vom Kassenpersonal freigegebene Automat vom Kunden betätigt und die Zigarettenpackung dadurch noch vor dem Bezahlvorgang auf das Kassenband ausgegeben wird?

2. Erfasst das in Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU enthaltene Verbot, die Warnhinweise "durch sonstige Gegenstände zu verdecken", den Fall, dass im Rahmen der Warenpräsentation durch einen Automaten die ganze Tabakverpackung verdeckt wird?

3. Ist das Tatbestandsmerkmal "Bilder von Packungen" in Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU auch dann erfüllt, wenn es sich bei einer Abbildung zwar nicht um ein naturgetreues Abbild der Originalverpackung handelt, der Verbraucher das Bild aber aufgrund seiner Gestaltung hinsichtlich Umrissen, Proportionen, Farben und Markenlogo mit einer Tabakverpackung assoziiert?

4. Ist den Anforderungen des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU unabhängig von der verwendeten Abbildung bereits dann genügt, wenn der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags die Gelegenheit hat, die Zigarettenverpackungen mit den vorgeschriebenen Warnhinweisen wahrzunehmen?

Gesetze: Art 8 Abs 3 S 1 EURL 40/2014, Art 8 Abs 8 EURL 40/2014, Art 2 Nr 40 EUV 40/2014, § 11 Abs 1 S 1 Nr 4 TabakerzV, § 11 Abs 1 S 1 Nr 4 TabakerzV, § 11 Abs 2 TabakerzV, § 21 Abs 1 TabakerzV, § 21 Abs 2 Nr 1 TabakerzV, § 3 Abs 1 UWG, § 3a UWG, § 5a Abs 2 UWG, § 8 Abs 1 UWG

Instanzenzug: Az: 29 U 2440/18 Urteilvorgehend LG München I Az: 1 HKO 17753/17nachgehend Az: C-370/20 Urteilnachgehend Az: I ZR 176/19 EuGH-Vorlagenachgehend Az: C-356/22 Urteilnachgehend Az: I ZR 176/19 Urteil

Gründe

1A. Der Kläger ist eine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. Der Beklagte betreibt zwei Supermärkte in München. An den Kassen dieser Märkte bot er nach dem Zigaretten in dem nachfolgend abgebildeten Ausgabeautomaten zum Verkauf an:

2Die in dem Ausgabeautomaten vorrätig gehaltenen Zigarettenpackungen waren für den Kunden nicht sichtbar. Die auf dem Ausgabeautomaten angebrachten Warenauswahltasten ließen zwar verschiedene Zigarettenmarken erkennen, wiesen aber nicht die gesetzlich vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf.

3Der Verkauf erfolgte in der Weise, dass der Kunde zunächst das Kassenpersonal um die Freigabe des Ausgabeautomaten ersuchte und sodann die Auswahltaste der von ihm gewünschten Zigarettenmarke betätigte. Daraufhin wurde die Zigarettenpackung aus der Ausgabevorrichtung des Automaten auf das Kassenband befördert. Die Bezahlung der Zigarettenpackung erfolgte sodann an der Kasse, sofern der Kunde an seiner Erwerbsabsicht festhielt. Diese Organisation des Verkaufsvorgangs durch den Ausgabeautomaten diente der Verhinderung von Diebstählen und dem Jugendschutz.

4Der Kläger beanstandet das Anbieten von Zigaretten über den von der Beklagten betriebenen Ausgabeautomaten als unlauter unter anderem unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen Verstoßes gegen das Verbot der Verdeckung der auf den Zigarettenpackungen aufgebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise und der irreführenden Unterlassung durch Vorenthaltung von für den Verbraucher wesentlichen Informationen.

5Der Kläger hat beantragt, dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr

Tabakprodukte, nämlich Zigaretten so zum Verkauf anzubieten, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Packungen und den Außenverpackungen im Zeitpunkt des Anbietens verdeckt sind, wenn dies geschieht, wie in Anlage A [entspricht der oben eingeblendeten Abbildung] wiedergegeben;

hilfsweise:

Tabakprodukte, nämlich Zigaretten, so zum Verkauf anzubieten, dass statt der Produktverpackung Abbildungen der Verpackung ohne gesundheitsbezogene Warnhinweise präsentiert werden, wenn dies geschieht wie in Anlage A [entspricht der oben eingeblendeten Abbildung] wiedergegeben.

6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG München I, LMuR 2018, 215). Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (OLG München, WRP 2019, 1380). Der Kläger verfolgt mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, seine Klageanträge weiter.

7B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 und Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen ab. Vor einer Entscheidung über die Revision des Klägers ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

8I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klageanträge seien unbegründet, weil beim Inverkehrbringen von Zigaretten unter Einsatz des streitgegenständlichen Ausgabeautomaten weder die für die Packungsgestaltung vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweise verdeckt noch Abbildungen/Bilder von Zigarettenpackungen ohne solche Warnhinweise gezeigt würden. Hierzu hat es ausgeführt:

9Der auf das Verbot des Verdeckens der auf den Zigarettenpackungen aufgebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise gerichtete Unterlassungshauptantrag sei nicht begründet. Eine unlautere geschäftliche Handlung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs liege nicht vor. Das gesetzliche Verbot des Verdeckens von Warnhinweisen erfasse keine Verkaufsmodalitäten wie das Vorrätighalten der Zigarettenpackungen "unter Verschluss" in dem streitgegenständlichen Ausgabeautomaten. Ein Verdecken der Warnhinweise könne jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Verbraucher - wie im Streitfall - vor Abschluss des Kaufvertrags die konkret zu erwerbende Zigarettenpackung mit dem nicht verdeckten gesundheitsbezogenen Warnhinweis wahrnehmen und seine Kaufentscheidung im Bewusstsein der auf der Verpackung angebrachten, nicht verdeckten Warnhinweise treffen oder von ihr Abstand nehmen könne.

10Eine Irreführung durch Unterlassen liege ebenfalls nicht vor. Die Beklagte habe durch die Verwendung des beanstandeten Ausgabeautomaten dem Verbraucher keine für seine geschäftliche Entscheidung wesentliche Information vorenthalten. Dieser habe die Warnhinweise jeweils vor dem Kaufvertragsabschluss auf der zum Kauf ausgewählten und vom Automaten auf das Kassenband ausgegebenen Zigarettenpackung zur Kenntnis nehmen können.

11Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet. Das gesetzliche Gebot, nach dem Bilder von Packungen die gesundheitsbezogenen Warnhinweise ebenfalls enthalten müssten, diene der Verhinderung der Umgehung der Kennzeichnungsvorschriften. Es gelte nur, wenn das Bild der Packung gegenüber dem Verbraucher anstelle der Präsentation der Packung selbst verwendet werde. Daran fehle es im Streitfall, weil der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags die Packung selbst mit den dort aufgebrachten Warnhinweisen zur Kenntnis nehmen könne.

12II. Der Erfolg der Revision hängt im Hinblick auf den Hauptantrag des Klägers davon ab, ob die Präsentation von Zigaretten mittels des streitgegenständlichen Ausgabeautomaten dem Verbot der Verdeckung der auf der Packung eines Tabakerzeugnisses anzubringenden gesundheitsbezogenen Warnhinweise gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU widerspricht (dazu unter B III). Für den Erfolg des Hilfsantrags kommt es darauf an, ob auf dem Ausgabeautomaten Bilder von Zigarettenpackungen präsentiert werden, die abweichend vom Gebot des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU keine gesundheitsbezogenen Warnhinweise zeigen (dazu unter B IV).

13III. Die Begründetheit des Hauptantrags kann sich aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG in Verbindung mit dem Rechtsbruchtatbestand des Lauterkeitsrechts gemäß § 3a UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV ergeben. Bei Anwendung dieser Bestimmung stellen sich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung des Unionsrechts (dazu unter B III 3 bis 4). Diese Fragen sind entscheidungserheblich, weil der Unterlassungshauptantrag nicht wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Irreführung durch Unterlassen gemäß § 5a UWG begründet ist (dazu unter B III 5).

141. Die für die Begründetheit des Hauptantrags unabhängig von den Auslegungsfragen erforderlichen allgemeinen Voraussetzungen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs (§ 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG) liegen vor.

15Der Kläger ist eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und daher befugt, einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG geltend zu machen. Bei der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. Das dort geregelte Verbot des Verdeckens von gesundheitsbezogenen Warnhinweisen auf Packungen von Tabakerzeugnissen dient dem Gesundheitsschutz der Verbraucher. Ein Verstoß gegen solche Bestimmungen ist im Sinne von § 3a UWG geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. , GRUR 2019, 97 Rn. 11 = WRP 2019, 58 - Apothekenmuster, mwN.). Der Verfolgung eines Verstoßes gegen § 11 TabakerzV als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern grundsätzlich vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt (vgl. BGH, GRUR 2019, 97 Rn. 11 - Apothekenmuster). Bei § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV handelt es sich um eine solche Rechtsvorschrift.

162. Die für die Begründetheit des Hauptantrags maßgebliche Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV ist unionsrechtskonform auszulegen.

17a) Nach § 6 Abs. 1 TabakerzG dürfen Tabakerzeugnisse nur in den Verkehr gebracht werden, wenn die Packungen und Außenverpackungen mit den gesundheitsbezogenen Warnhinweisen versehen sind, die die Tabakerzeugnisverordnung für das jeweilige Erzeugnis vorschreibt. Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG ermächtigt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union Inhalt, Art und Weise, Umfang und das Verfahren der Kennzeichnung mit gesundheitsbezogenen Warnhinweisen zu regeln. Auf dieser Grundlage ist in § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV bestimmt, dass gesundheitsbezogene Warnhinweise im Sinne der §§ 12 bis 17 TabakerzV auf Packungen und Außenverpackungen zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, einschließlich des Anbietens zum Verkauf, nicht teilweise oder vollständig verdeckt oder getrennt werden dürfen. Diese Vorschrift setzt Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU um (Horst in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, [Stand: Juli 2019], § 11 TabakerzV Rn. 21). Gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf einer Packung und der Außenverpackung unablösbar aufgedruckt, unverwischbar und vollständig sichtbar sind und dass sie, wenn die Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, nicht teilweise oder vollständig durch Steuerzeichen, Preisaufkleber, Sicherheitsmerkmale, Hüllen, Taschen, Schachteln oder sonstige Gegenstände verdeckt oder getrennt werden.

18b) Im Rahmen der vorzunehmenden unionsrechtskonformen Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzV stellen sich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU. Diese betreffen zum einen das Merkmal des Inverkehrbringens (dazu unter B III 3, Vorlagefrage 1). Zum anderen ist fraglich, ob bei Umständen, wie sie hier in Rede stehen, das Merkmal des Verdeckens durch sonstige Gegenstände im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU vorliegt (dazu unter B III 4, Vorlagefrage 2).

193. Es stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei der mit dem Hauptantrag angegriffene Präsentation von Zigarettenpackungen durch den Ausgabeautomaten um ein "Inverkehrbringen" im Sinne des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU handelt.

20a) Kennzeichnend für das beanstandete Angebot über den im Streitfall in Rede stehenden Ausgabeautomaten ist, dass die darin befindlichen Zigarettenpackungen zwar die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise aufweisen, die Zigarettenpackungen aber zunächst für den Verbraucher nicht sichtbar im Automaten vorrätig gehalten werden. Die Zigarettenpackungen und die darauf befindlichen Warnhinweise werden erst sichtbar, sobald der zuvor vom Kassenpersonal freigegebene Automat vom Kunden betätigt und die Zigarettenpackung dadurch noch vor dem Bezahlvorgang auf das Kassenband ausgegeben wird. Ob bei diesem zeitlich gestreckten Erwerbsvorgang, der vom Vorrätighalten im Automaten über die Auswahlentscheidung des Verbrauchers bis zum Bezahlvorgang reicht und bei dem die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen nur zeitweise sichtbar sind, das Merkmal des Inverkehrbringens im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU erfüllt ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden.

21b) Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU spricht gegen eine enge Auslegung dahingehend, dass vom Begriff des Inverkehrbringens lediglich der Wechsel der tatsächlichen Sachherrschaft vom Verkäufer zum Kunden nach dem Bezahlvorgang und damit der Teil des Erwerbsvorgangs umfasst ist, in dem der Kunde im Streitfall die zuvor durch den Ausgabeautomaten ausgeworfene Zigarettenpackung und die darauf aufgebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise wahrnehmen kann.

22Gemäß Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40/EU bezeichnet der Ausdruck "in Verkehr bringen" die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten. Der Begriff der "Bereitstellung" dürfte auch das hier in Rede stehende Anbieten von Zigaretten in Ausgabeautomaten umfassen, bei denen der Ausgabevorgang vom Kunden selbst ausgelöst werden kann.

23c) Der Regelungszusammenhang lässt keine eindeutige Auslegung des Begriffs des Inverkehrbringens zu.

24aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Vorrätighalten der Zigarettenpackungen im streitgegenständlichen Warenausgabeautomat sei lediglich eine Verkaufsmodalität. Aus Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2014/40/EU ergebe sich, dass sich das Harmonisierungsziel dieser Richtlinie nicht auf die Verkaufsmodalitäten und die Werbung richte. Deshalb sei das im Streitfall in Rede stehende Anbieten von Zigaretten in Ausgabeautomaten nicht Gegenstand der in der Richtlinie getroffenen Bestimmungen.

25bb) Ob dieser Auslegung zugestimmt werden kann, ist zweifelhaft.

26(1) Allerdings bestimmt Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2014/40/EU, dass mit dieser Richtlinie weder die Vorschriften über rauchfreie Zonen oder heimische Verkaufsmodalitäten oder heimische Werbung oder "brand-stretching" (Verwendung von Tabak-Markennamen bei anderen tabakfremden Produkten oder Dienstleistungen) harmonisiert werden noch wird mit ihr eine Altersgrenze für elektronische Zigaretten oder Nachfüllbehälter eingeführt. Daraus hat das Berufungsgericht gefolgert, dass die Richtlinie 2014/40/EU nur die - im Streitfall nicht angegriffene - Gestaltung des Produkts selbst, nicht aber die Modalitäten des Verkaufs für Tabakerzeugnisse wie etwa die auch im Streitfall in Rede stehende Präsentation in Ausgabeautomaten regelt (ebenso LG Berlin, LRE 77, 91 [juris Rn. 34, 38 und 42]; Horst in Zipfel/Rathke aaO § 11 TabakerzV Rn. 29; Boden, IPRB 2018, 222, 223; Zechmeister, ZLR 2019, 817, 818 f.; ders. ZLR 2017, 451, 468 f.).

27(2) Die Revision vertritt demgegenüber die Ansicht, dass der Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2014/40/EU allenfalls eine Aussage zu ihrem Regelungsgehalt bezogen auf "elektronische Zigaretten" oder deren "Nachfüllbehälter" treffe. Dies folge auch aus der systematischen Stellung des Erwägungsgrunds 48. So befassten sich bereits die vorausgehenden Erwägungsgründe 36 bis 47 der Richtlinie 2014/40/EU ausdrücklich mit Vorgaben für elektronische Zigaretten und gerade nicht mit Tabakerzeugnissen. Die Richtlinie 2014/40/EU unterscheide aber in Art. 1 Buchst. a, b und f deutlich zwischen "Tabakerzeugnissen" auf der einen und "elektronischen Zigaretten" oder deren "Nachfüllbehältern" auf der anderen Seite.

28(3) Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, dass die im ersten Satz des Erwägungsgrunds 48 genannten Regelungsgegenstände (rauchfreie Zonen, "brand-stretching") nicht nur auf elektronische Zigaretten, sondern ebenso auf Tabakerzeugnisse bezogen sein können. Zudem befindet sich Erwägungsgrund 48 zwischen den sich mit elektronischen Zigaretten befassenden Erwägungsgründen 36 bis 47 und dem Erwägungsgrund 49 über pflanzliche Raucherzeugnisse, also Erzeugnissen auf der Grundlage von Pflanzen, Kräutern oder Früchten, die keinen Tabak enthalten und mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert werden können (Art. 2 Nr. 15 der Richtlinie 2014/40/EU). Es ist deshalb nicht zwingend, den Erwägungsgrund 48 allein dem Regelungsbereich für elektronische Zigaretten zuzuordnen. Zu berücksichtigen ist auch, dass Erwägungsgrund 48 neben den "Verkaufsmodalitäten" auch die "Werbung" vom Harmonisierungsziel der Richtlinie ausnimmt, die Richtlinie 2014/40/EU in Bezug auf Werbung für elektronische Zigaretten aber ausdrückliche Bestimmungen in Art. 20 Abs. 5 der Richtlinie und in Erwägungsgrund 43 trifft.

29Ferner ergibt sich aus Erwägungsgrund 60, dass zu den Zielen der Richtlinie die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten unter anderem für die "Aufmachung" von Tabakerzeugnissen gehört. Aus dem in der englischen Sprachfassung verwendeten Begriff "presentation" könnte sich ergeben, dass nicht nur die Aufmachung der Packung des Tabakerzeugnisses selbst, sondern auch die Umstände ihrer Präsentation im Rahmen der Verkaufssituation zum Regelungsgegenstand der Richtlinie 2014/40/EU gehören.

30d) Das Regelungsziel des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU lässt ebenfalls nicht eindeutig erkennen, ob der Begriff des Inverkehrbringens die streitgegenständliche Präsentation von Zigarettenpackungen in Ausgabeautomaten erfasst.

31aa) Das Verdeckungsverbot gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU dient ausweislich des Erwägungsgrunds 28 der Richtlinie der Gewährleistung von Integrität und Sichtbarkeit der gesundheitsbezogenen Warnhinweise und der Maximierung ihrer Wirkung (vgl. , ZLR 2016, 643 [juris Rn. 197] - Philip Morris Brands). Das Verdeckungsverbot zielt mithin ebenso wie das Gebot der gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Gesundheitsschutz durch Warnungen in Bezug auf die schädlichen Auswirkungen eines Produkts auf die menschliche Gesundheit oder auf andere unerwünschte Auswirkungen des Konsums dieses Produkts (vgl. Art. 1 und Art. 2 Nr. 32 der Richtlinie 2014/40/EU). Daraus ergibt sich, dass mit dem Verdeckungsgebot gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU sichergestellt werden soll, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise vom Verbraucher wahrgenommen und von ihm im Rahmen seiner Kaufentscheidung berücksichtigt werden können.

32bb) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen wird der Kaufvertrag nicht bereits durch Betätigung des Auswahlknopfs des Automaten, sondern erst - kurz danach - mit der nachfolgenden Bezahlung der Zigaretten geschlossen. Der Verbraucher kann dadurch, dass die Zigarettenschachtel durch Betätigung des Auswahlknopfes am Automaten auf das Kassenband ausgeworfen wird, die Zigarettenpackung vor Vertragsschluss vollständig und von allen Seiten uneingeschränkt einsehen und damit seine Kaufentscheidung im Bewusstsein der auf der Verpackung angebrachten, nicht verdeckten Warnhinweise treffen oder von ihr Abstand nehmen. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass entgegen der Ansicht des Klägers eine Stresssituation, aufgrund derer der Verbraucher die Warnhinweise nicht wahrnehmen könne, nicht erkennbar sei. Bei der Bezahlung der auf dem Kassenband befindlichen Waren handele es sich um einen alltäglichen Vorgang und die Warnhinweise seien derart auffällig gestaltet, dass nicht ersichtlich sei, warum er diese in der hier maßgeblichen Situation nicht wahrnehmen können sollte. Diese im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen und ist der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen.

33cc) Vor diesem Hintergrund könnte davon auszugehen sein, dass das Regelungsziel des Verdeckungsverbots bei einem Verkauf von Zigaretten mittels des streitgegenständlichen Ausgabeautomaten nicht in ausreichender Weise betroffen ist, weil während des Verkaufsvorgangs noch rechtzeitig vor der endgültigen Kaufentscheidung die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Packungen uneingeschränkt wahrnehmbar werden.

34Angesichts der Bedeutung der gesundheitsbezogenen Warnhinweise für den Schutz des gewichtigen Rechtsguts der Gesundheit und des in Art. 1 der Richtlinie 2014/40/EU außerdem festgeschriebenen Ziels der Eindämmung des Tabakgebrauchs liegt es andererseits nicht fern, eine hinreichend effektive Wirkung der gesundheitsbezogenen Warnhinweise nur dann anzunehmen, wenn diese dem Verbraucher bereits bei der Präsentation der Zigaretten im Ausgabeautomaten und damit zu einem Zeitpunkt erreichen können, in dem bereits ein erster wesentlicher Schritt bei der Entscheidung für oder gegen den Erwerb von Zigaretten getan wird. Dies könnte dafür sprechen, bereits diese am Anfang des Erwerbsvorgangs stehende Präsentation durch den Ausgabeautomaten in den Begriff des Inverkehrbringens und damit in den Bereich des Verbots einer Verdeckung der gesundheitsbezogenen Warnhinweise einzubeziehen.

354. Es stellt sich ferner die Frage, ob unter Umständen, wie sie hier in Rede stehen, das Merkmal des Verdeckens durch sonstige Gegenstände im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU vorliegt. Der Klärung dieses Auslegungsproblems dient die Vorlagefrage 2.

36a) Es ist umstritten, ob die durch ein Bereithalten von Zigarettenpackungen in einem Ausgabeautomaten bewirkte Verhinderung der Sichtbarkeit der auf den Packungen aufgebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise ein Verdecken im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU darstellt.

37Nach einer Auffassung umfasst das Verdeckungsverbot auch ein Verdecken der gesamten Packung durch einen Automaten, weil Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU die Sichtbarkeit der Warnhinweise bereits bei der Präsentation der Waren sicherstellen wolle (vgl. Rohnfelder in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 227. EL November 2019, TabakerzV § 11 Rn. 2).

38Nach der Gegenauffassung bezieht sich Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU ausweislich ihres Erwägungsgrundes 48 nur auf die Ware selbst oder die Verpackungsgestaltung und nicht ihre Präsentation oder sonstige Verkaufsmodalitäten und somit nicht auf Faktoren, die außerhalb der Packung liegen. Das Vorrätighalten der Tabakerzeugnisse in Warenautomaten oder Regalen sei eine reine Verkaufsmodalität und betreffe nicht die von der Richtlinie geregelte Verpackungsgestaltung. Somit könne darin auch kein Verdecken im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie liegen (Horst in Zipfel/Rathke aaO § 11 TabakerzV Rn. 28 f.; vgl. auch Boch, TabakerzG, 1. Online-Auflage, § 6 Rn. 5).

39b) Die Streitfrage kann nicht eindeutig beantwortet werden.

40aa) Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU steht der Annahme nicht entgegen, dass auch die durch ein Bereithalten der Zigarettenpackungen im Ausgabeautomaten bewirkte Verhinderung der Sichtbarkeit der gesundheitsbezogenen Warnhinweise ein nach dieser Bestimmung zu verhinderndes Verdecken durch einen sonstigen Gegenstand sein kann. Wird nicht nur ein gesundheitsbezogener Warnhinweis, sondern die gesamte Verpackung durch einen Gegenstand verdeckt, geht dies sachnotwendig mit einer Verdeckung des auf der Packung angebrachten Warnhinweises einher (vgl. Zechmeister, ZLR 2019, 817, 819).

41bb) Der Regelungszusammenhang lässt keine eindeutige Auslegung des Begriffs des Verdeckens zu.

42(1) Wie dargelegt wurde, ist nicht klar zu beantworten, ob dem Erwägungsgrund 48 der Richtlinie zu entnehmen ist, dass Verkaufsmodalitäten wie das Anbieten von Zigaretten in einem auch im Streitfall in Rede stehenden Ausgabeautomaten aus systematischen Gründen vom Anwendungsgebiet des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie ausgenommen sind. Dieser Gesichtspunkt könnte nicht nur für den Begriff des Inverkehrbringens, sondern auch für das Merkmal "verdeckt" maßgeblich sein.

43(2) Dagegen lassen die in der Bestimmung des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU genannten Beispiele von Gegenständen keine Absicht des Richtliniengebers erkennen, ein Verdecken durch das Vorrätighalten der Zigarettenpackungen in einem Ausgabeautomaten aus dem Anwendungsbereich des Verdeckungsverbots auszuschließen, weil es an einem erforderlichen Bezug zur Gestaltung der Packung selbst fehlt.

44Zwar handelt es sich bei den in Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU aufgeführten Steuerzeichen, Preisaufklebern und Sicherheitsmerkmalen um Gegenstände, die regelmäßig auf der Zigarettenpackung aufgebracht sind und damit die Gestaltung der Packung betreffen. Dagegen sind die ebenfalls in Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU erwähnten Hüllen, Taschen und Schachteln Gegenstände, die die Packung auch vollständig umhüllen können und auf diese Weise - wie auch der streitgegenständliche Ausgabeautomat - die aufgebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise unabhängig von der sonstigen Gestaltung der Packung der Wahrnehmung durch den Verbraucher entziehen können.

45cc) Das Regelungsziel des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU lässt ebenfalls nicht eindeutig erkennen, ob der Begriff des Verdeckens durch sonstige Gegenstände die streitgegenständliche Präsentation von Zigarettenpackungen in Ausgabeautomaten erfasst. Insoweit sind dieselben Gesichtspunkte wie bei der Auslegung des Merkmals "in Verkehr gebracht" zu berücksichtigen. Auf die dazu gemachten Ausführungen wird Bezug genommen (vgl. oben B III 3 d).

465. Die Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU sind entscheidungserheblich, weil der Unterlassungshauptantrag nicht unabhängig von dieser Auslegung wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Irreführung durch Unterlassen durch Vorenthalten von für den Verbraucher wesentlichen Informationen gemäß § 5a Abs. 2 UWG begründet ist.

47Die Bestimmung des § 5a Abs. 2 UWG dient der Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG. Bei der Bestimmung des Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/40/EU handelt es sich um eine Vorschrift der Europäischen Union, die die Verdeckung gesundheitsbezogener Warnhinweise beim Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen verbietet und damit besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regelt. Kollidieren die Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG mit anderen Rechtsvorschriften der Union, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend. Daraus ergibt sich, dass ein Verhalten, das in den Anwendungsbereich einer vorrangig anzuwendenden Regelung fällt, aber nach dieser Regelung zulässig ist, auch nicht nach § 5a Abs. 2 UWG untersagt werden kann (vgl. , GRUR 2016, 945 Rn. 44 f. = WRP 2016, 1096 - Citroën/ZLW; , GRUR 2017, 286 Rn. 15 = WRP 2017, 296 - Hörgeräteausstellung; Büscher, UWG, § 5a Rn. 15; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 38. Aufl., UWG § 5a Rn. 5.2; vgl. auch MünchKomm.UWG/Alexander, 3. Aufl., § 5a Rn. 86, der - allerdings ausgehend von einer vorrangigen Anwendung des § 5a Abs. 2 und 5 UWG - ebenfalls einen Gleichlauf der Wertungen des § 5a Abs. 2 und 5 UWG und des § 3a UWG für erforderlich hält).

48IV. Falls die Beantwortung der Fragen 1 oder 2 zu dem Ergebnis führt, dass der Hauptantrag unbegründet ist, kommt es auf die Begründetheit des Hilfsantrags an. Diese kann sich aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 TabakerzV ergeben. Bei Anwendung dieser Bestimmung stellen sich ebenfalls klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung des Unionsrechts.

491. Die allgemeinen Voraussetzungen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs (§ 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG) liegen auch im Hinblick auf den Unterlassungshilfsantrag vor. Die Bestimmung des § 11 Abs. 2 TabakerzV dient ebenso wie § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TabakerzG dem Gesundheitsschutz und ist ebenfalls eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Die Revision macht außerdem mit Recht geltend, dass der Erlass von § 11 Abs. 2 TabakerzV den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügt.

502. Die für die Begründetheit des Hilfsantrags maßgebliche Bestimmung des § 11 Abs. 2 TabakerzV ist unionsrechtskonform auszulegen.

51a) Gemäß § 11 Abs. 2 TabakerzV müssen Abbildungen von Packungen und Außenverpackungen, die für an Verbraucher gerichtete Werbemaßnahmen in der Europäischen Union bestimmt sind, den Anforderungen des Unterabschnitts 3 der Tabakerzeugnisverordnung genügen, in den Bestimmungen zur Verpackung und zu Warnhinweisen getroffen sind. Diese Vorschrift setzt Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU um (Rohnfelder in Erbs/Kohlhaas aaO § 11 TabakerzV Rn. 3). Gemäß Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU müssen Bilder von Packungen und Außenverpackungen, die für Verbraucher in der Union bestimmt sind, den Bestimmungen des die Kennzeichnung und Verpackung regelnden Kapitels II des Titels II (Tabakerzeugnisse) der Richtlinie entsprechen.

52b) Im Rahmen der vorzunehmenden unionsrechtskonformen Auslegung des § 11 Abs. 2 TabakerzV stellen sich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU. Diese betreffen zum einen das Merkmal "Bilder von Packungen" (dazu unter B IV 3, Vorlagefrage 3). Zum anderen ist fraglich, ob unter Umständen, wie sie hier in Rede stehen, den Anforderungen des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU bereits deshalb genüge getan ist, weil der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags Gelegenheit hat, die Zigarettenpackungen mit den vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweisen wahrzunehmen (dazu unter B IV 4, Vorlagefrage 4).

533. Es stellt sich zunächst die Frage, ob ein Bild einer Packung im Sinne von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU vorliegt, wenn es sich bei dem Bild zwar nicht um ein naturgetreues Abbild der Originalverpackung handelt, der Verbraucher das Bild aber aufgrund seiner Gestaltung hinsichtlich Umrissen, Proportionen, Farben und Markenlogo mit einer Tabakverpackung assoziiert. Der Klärung dieses Auslegungsproblems dient die Vorlagefrage 3.

54a) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die vom Verbraucher auf dem Ausgabeautomaten zu betätigenden Auswahltasten naturgetreue Bilder von Zigarettenpackungen darstellten. Nach dem Vortrag des Klägers seien allerdings die Auswahltasten hinsichtlich Markenlogo, Proportion, Farbgebung und Dimensionierung wie Zigarettenpackungen ohne Warnhinweise gestaltet und könnten beim Kunden die Erinnerung an eine Zigarettenpackung hervorrufen. Da das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig - keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, ist dieser Sachvortrag des Klägers der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen (Ball in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 546 Rn. 2).

55b) Die Frage, ob das Bild einer Packung im Sinne von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU vorliegt, wenn es sich bei dem Bild zwar nicht um ein naturgetreues Abbild der Originalverpackung handelt, der Verbraucher die Abbildung aber aufgrund seiner Gestaltung hinsichtlich Umrisse, Proportionen, Farben und Markenlogo mit einer Tabakverpackung assoziiert, kann nicht eindeutig beantwortet werden.

56aa) Der Begriff "Bild einer Packung" im Sinne von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU könnte nahelegen, dass nur eine - abgesehen von den gesundheitsbezogenen Warnhinweisen - naturgetreue Abbildung einer Zigarettenpackung vom Tatbestand des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU umfasst ist. Allerdings dürfte der Wortsinn des Begriffs ebenso die Auslegung im Sinne einer Abbildung im Sinne einer stilisierten Wiedergabe der wesentlichen Erscheinungsmerkmale einer Packung umfassen, mit denen diese für den Durchschnittsverbraucher als solche erkennbar wird.

57bb) Aus dem Regelungszusammenhang mit Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2014/40/EU und den dortigen Vorschriften zur Sicherstellung der Sichtbarkeit von gesundheitsbezogenen Warnhinweisen auf den Packungen von Tabakerzeugnissen ergibt sich lediglich, dass es in Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie um Bildnisse dieser Packungen geht. Dies können wiederum naturgetreue oder aber stilisierte Abbildungen sein.

58cc) Das Regelungsziel des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU dürfte eher dafür sprechen, auch solche Abbildungen dem Tatbestand dieser Bestimmung zu unterwerfen, die beim Verbraucher aufgrund ihrer Gestaltung die Assoziation einer Zigarettenpackung auslösen.

59(1) Das in Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU geregelte Gebot, dass auch Bilder von Packungen den für die Packung selbst geltenden Anforderungen an die Sichtbarmachung von gesundheitsbezogenen Warnhinweisen entsprechen müssen, dient ersichtlich ebenso wie das Ziel der gesundheitsbezogenen Warnhinweise selbst dem Gesundheitsschutz durch Warnungen in Bezug auf die schädlichen Auswirkungen eines Produkts auf die menschliche Gesundheit oder auf andere unerwünschte Auswirkungen des Konsums dieses Produkts. Daraus ergibt sich, dass auch mit der Bestimmung des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU sichergestellt werden soll, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise vom Verbraucher wahrgenommen und von ihm im Rahmen seiner Kaufentscheidung berücksichtigt werden können. Wird aber beim Verbraucher durch eine zwar nicht naturgetreue, aufgrund der stilisierten Wiedergabe der wesentlichen Erscheinungsmerkmale einer Packung aber auf diese hinweisende Gestaltung ein Wiedererkennungseffekt ausgelöst, dürfte es im Interesse eines effektiven Gesundheitsschutzes und dem Ziel der Eindämmung des Tabakgebrauchs naheliegen, eine solche stilisierte Abbildung für den Begriff des Bilds im Sinne von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU ausreichen zu lassen. Bereits durch eine solche Abbildung kann ebenso wie durch ein naturgetreues Abbild ein durch gesundheitsbezogene Warnhinweise gemäß Art. 8 der Richtlinie 2014/40/EU zu bekämpfender Kaufimpuls ausgelöst werden.

60(2) Dem steht nicht entgegen, dass es für die Funktionsfähigkeit eines Ausgabeautomaten sachnotwendig ist, dem Verbraucher durch die Gestaltung der Auswahltasten die für die Auswahl der von ihm gewünschten Zigarettenpackung notwendigen Informationen mitzuteilen. Es ist weder vom Berufungsgericht festgestellt worden noch sonst ersichtlich, dass dies nur dadurch möglich ist, dass die Auswahltasten in einer Weise gestaltet werden, dass sie hinsichtlich Markenlogo, Proportion, Farbgebung und Dimensionierung wie Zigarettenpackungen ohne Warnhinweise aussehen und deshalb beim Kunden die Erinnerung an eine Zigarettenpackung hervorrufen.

614. Die Begründetheit des Hilfsantrags hängt schließlich davon ab, ob bei Umständen, wie sie im Streitfall in Rede stehen, den Anforderungen des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU bereits deshalb Genüge getan ist, weil der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags Gelegenheit hat, die Zigarettenpackungen mit den vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweisen wahrzunehmen (Vorlagefrage 4).

62a) Das Berufungsgericht hat angenommen, Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU sei dahingehend auszulegen, dass das Verwenden von Bildern von Zigarettenpackungen gegenüber dem Verbraucher nur dann untersagt sei, wenn diese anstelle der Präsentation der Packung vor Abschluss des Kaufvertrags geschehe.

63b) Es ist zweifelhaft, ob dem Berufungsgericht zugestimmt werden kann.

64aa) Dem uneingeschränkt auf Bilder von Packungen abstellenden Wortlaut von Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU lässt sich die vom Berufungsgericht erkannte Einschränkung des Anwendungsbereichs der Bestimmung nicht entnehmen.

65bb) Eine Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht wiederum auf die Annahme gestützt, aus dem Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2014/40/EU ergebe sich, dass reine Werbemaßnahmen und Verkaufsmodalitäten nicht Gegenstand der Richtlinie seien. Diese Annahme ist nicht zweifelsfrei (vgl. unter B III 3 c).

66cc) Das Regelungsziel des Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40/EU lässt ebenfalls nicht eindeutig erkennen, ob diese Bestimmung auch die Verwendung von Bildern von Zigarettenpackungen ohne gesundheitsbezogene Warnhinweise verbieten will, wenn der Verbraucher - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat - vor Abschluss des Kaufvertrags Gelegenheit hat, die Zigarettenpackungen selbst mit den vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweisen wahrzunehmen. Insoweit sind wiederum dieselben Gesichtspunkte wie bei der Auslegung des Merkmals "in Verkehr gebracht" zu berücksichtigen. Auf die dazu gemachten Ausführungen wird Bezug genommen (vgl. oben B III 3 d).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:250620BIZR176.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 1537 Nr. 28
BAAAH-55035