Normenkontrolle; Stadtratsbeschluss; Verfahrensermessen
Gesetze: Art 6 Abs 1 S 1 MRK, Art 103 Abs 1 GG, § 8 Abs 3 PBefG, § 47 Abs 5 S 1 VwGO, § 86 Abs 3 VwGO, § 108 VwGO
Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 11 N 18.2182 Beschluss
Gründe
1Der Antragsteller ist als Rechtsanwalt und Taxifahrer tätig. Er wendet sich gegen einen Beschluss des Stadtrates der Antragsgegnerin - der Landeshauptstadt M., mit dem deren Planungsreferat mit der Fortschreibung des Nahverkehrsplans im Benehmen mit der M.er Verkehrsgesellschaft (...) beauftragt wurde. Er macht geltend, der Beschluss schließe Taxis von der Entwicklung und Planung des Öffentlichen Nahverkehrs im Bereich der Antragsgegnerin aus.
2Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Antrag, den Stadtratsbeschluss für unwirksam zu erklären, mit Beschluss vom mangels Antragsbefugnis als unzulässig abgelehnt. Der Beschluss stelle keine mit der Normenkontrolle angreifbare Rechtsvorschrift im materiellen Sinne dar, sondern einen internen Akt der Willensbildung, der erst durch den Bürgermeister der Antragsgegnerin vollzogen werden müsse. Einstweilen komme ihm keine Außenwirkung zu, sodass er keine subjektiven Rechte des Antragstellers beeinträchtigen könne. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen.
3Die hiergegen gerichtete, auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
41. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts klärungsbedürftigen und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Die vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen,
ob § 8 Abs. 3 Satz 1 und 6 PBefG i.V.m. Art. 28 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1, Art. 33 Abs. 4 GG so auszulegen ist, dass er Aufgabenträgern die Möglichkeit gibt, die Planung und Erfüllung der Sicherstellung ausreichender ÖPNV-Versorgung teilweise oder vollständig auf Private zu übertragen oder diese faktisch zu beleihen,
sowie
ob § 8 Abs. 3 Satz 9 PBefG i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 33 Abs. 4 GG so auszulegen ist, dass er Bundesländer zum Erlass materiellen Rechts ermächtigt, welches die Befugnis zur teilweisen Übertragung der Planung und Erfüllung der Sicherstellung ausreichender ÖPNV-Versorgung auf Private oder deren Beleihung hiermit vorsieht,
sind nicht entscheidungserheblich und daher im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ablehnung des Antrages allein auf die fehlende Antragsbefugnis des Antragstellers mangels eines außenverbindlichen Regelungsgehaltes des angegriffenen Stadtratsbeschlusses und nicht auf Erwägungen zu dessen Rechtmäßigkeit gestützt.
52. Die Divergenzrügen des Antragstellers (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs weicht nach den Darlegungen in der Beschwerdebegründung nicht von den darin genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ab.
6Eine Divergenz ist nur dann gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem das Berufungsgericht einem ebensolchen, eine der angeblichen Divergenzentscheidungen tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 61.95 - juris und vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3). Das ist hier nicht der Fall.
7a) In der vom Antragsteller bezeichneten Passage auf Seite 10 des angegriffenen Beschlusses folgt der Verwaltungsgerichtshof dem abstrakt-generellen Maßstab für die Annahme einer unmittelbaren Außenwirkung einer Regelung aus dem vom Antragsteller bezeichneten 6 BN 1.17 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 212 Rn. 7). Nach beiden Entscheidungen kommt einer Regelung erst dann Außenwirkung zu, wenn sie nicht nur binnenrechtlich wirkt, sondern Bindungswirkung auch gegenüber den Bürgern oder anderen (Außen-)Rechtssubjekten entfaltet. Entgegen den Darlegungen des Antragstellers hat der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der Außenwirkung einer Regelung nicht zusätzlich von der Absicht ihres Urhebers abhängig gemacht, eine solche Bindungswirkung zu erzielen. Eine solche Aussage lässt sich weder der in der Beschwerdebegründung zitierten Passage seines Beschlusses noch deren Kontext entnehmen.
8b) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs weicht entscheidungstragend weder von der in der Beschwerdebegründung genannten Entscheidung des ) zu mittelbar-faktischen Eingriffen in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG noch von dessen Entscheidung vom (1 BvR 218/99) zu dem planungsrechtlichen Gebot gerechter Abwägung ab. Ob und inwieweit ein Nahverkehrsplan subjektive Rechte des Antragstellers berühren kann, war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht erheblich, weil sie den angefochtenen Stadtratsbeschluss als Planungsauftrag ohne Außenwirkung einordnet und ihm keine planungsrechtliche Qualität beimisst.
93. Auch die Verfahrensrügen des Antragstellers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bleiben ohne Erfolg.
10a) Zur prozessordnungsmäßigen Darlegung eines Aufklärungsmangels (§ 86 Abs. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt nicht der Vortrag, der Verwaltungsgerichtshof hätte eine Außenwirkung des Stadtratsbeschlusses bejaht, wenn er den schriftsätzlichen Beweisanregungen des Antragstellers zur Hinzuziehung von Akten des Amtsgerichts über Bußgeldverfahren sowie mehrerer Verwaltungsvorgänge betreffend seine Anträge auf Genehmigung von Taxiständen gefolgt wäre.
11Die Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren. Die Beschwerde zeigt jedoch nicht auf, dass sich aus den bezeichneten Akten Anhaltspunkte für eine Außenwirkung des Stadtratsbeschlusses ergeben hätten, auf deren Fehlen der angegriffene Beschluss sich stützt.
12b) Aus demselben Grund greift auch die Rüge des Antragstellers, der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletze den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), nicht durch. Der Antragsteller meint, der Verwaltungsgerichtshof habe den aus den Akten hervorgehenden Sachverhalt bei seiner Entscheidung selektiv gewürdigt und seinen Vortrag außer Acht gelassen, durch den angegriffenen Stadtratsbeschluss würden Taxis benachteiligt und von der ÖPNV-Planung ausgeschlossen, während die ... dauerhaft bevorzugt werde.
13Die allein entscheidungstragende Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, der angegriffene Stadtratsbeschluss sei ein rein interner Willensakt, der des weiteren Vollzugs bedürfe und mangels Außenwirkung nicht Gegenstand einer zulässigen Normenkontrolle sein könne, lässt keine selektive Sachverhaltswürdigung erkennen. Die vom Antragsteller geltend gemachten Gesichtspunkte, aus denen er eine Nichtberücksichtigung von Taxis bei der Planung des ÖPNV folgert, waren aus der materiell-rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht entscheidungserheblich.
14c) Der Antragsteller hat schließlich nicht dargetan, dass der Verwaltungsgerichtshof seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dadurch verletzt hat, dass er über seine Normenkontrollklage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat.
15Nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss. Die Norm macht die Entscheidung durch Beschluss nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig. Insoweit steht dem Normenkontrollgericht im Grundsatz ein an keine gesetzlich normierten Voraussetzungen geknüpftes Ermessen zu; insbesondere ist die Entscheidung durch Beschluss nicht davon abhängig, dass es sich um einen einfach gelagerten Fall handelt. Für die Ermessensausübung kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Entscheidung ein unstreitiger oder umfassend aufgeklärter Sachverhalt zugrunde liegt und ob die entscheidungserheblichen Rechtsfragen in den Schriftsätzen der Beteiligten eingehend und ausreichend erörtert worden sind. Das Normenkontrollgericht ist allerdings bei Ausübung seines Verfahrensermessens nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO verpflichtet, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat, vorrangig zu beachten (vgl. 6 BN 1.17 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 212 Rn. 15 bis 16). Außerdem hat es bei der Ermessensausübung die Bedeutung der mündlichen Verhandlung für den Rechtsschutz zu berücksichtigen, die mit dem Grad der Schwierigkeit der Rechtssache wächst. Die Grenzen der Ermessensausübung sind erreicht, wenn ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich große Schwierigkeiten aufweist (vgl. zur Entscheidung nach § 130a VwGO 1 B 58.19 - juris Rn. 5).
16Danach war das Ermessen des Verwaltungsgerichtshofs nicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingeschränkt. Der Antragsteller meint, der Gegenstand des Verfahrens weise einen Zusammenhang mit gegen ihn geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen unerlaubter Bereitstellung von Taxis auf, weshalb Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wie in Verfahren über eine strafrechtliche Anklage gebiete. Dem ist nicht zu folgen. Der Normenkontrollantrag des Antragstellers richtet sich nicht gegen eine Norm, die das Bereitstellen von Taxis regelt, sondern nach der für die Beurteilung von Verfahrensmängeln zugrunde zu legenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts gegen einen bloßen verwaltungsinternen Planungsauftrag, der keine Außenwirkung bezüglich der Zulässigkeit des Bereithaltens von Taxis entfalten kann.
17Auch die Rüge des Antragstellers, eine mündliche Verhandlung hätte durchgeführt werden müssen, weil der Sachverhalt nicht aufgeklärt gewesen sei, ist unbegründet. Die nach der maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs entscheidungserheblichen Umstände waren nur die Tatsachen, die für die Beurteilung der Rechtssatzqualität des Stadtratsbeschlusses erheblich waren. Dass die vom Antragsteller geltend gemachten Einflussmöglichkeiten der ... auf die künftige Planung dafür relevant wären, zeigt er nicht auf.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG für beide Instanzen in Höhe des gesetzlichen Auffangwertes festzusetzen, weil keine genügenden Anhaltspunkte für die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für den Antragsteller bestehen und die in Ziffer 9.8 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit genannten Fallkonstellationen der Normenkontrolle keine hinreichende Orientierung für das vorliegende Verfahren bieten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:230620B8BN1.20.0
Fundstelle(n):
YAAAH-54735