Betreuungsverfahren: Beschwerderecht der Angehörigen gegen von Amts wegen ergangener Entscheidung; konkludente Hinzuziehung des Angehörigen durch Nennung im Rubrum
Leitsatz
1. Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht den Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 489/18, FamRZ 2019, 618).
2. Allein aus der Nennung eines Angehörigen im Rubrum einer betreuungsgerichtlichen Entscheidung lässt sich nicht auf dessen (konkludente) Hinzuziehung zum erstinstanzlichen Verfahren schließen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 417/18, FamRZ 2019, 1091).
Gesetze: § 303 Abs 2 Nr 1 FamFG
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 23 T 520/19vorgehend AG Bielefeld Az: 2 XVII 453/18 B
Gründe
I.
1Auf Anregung der Beteiligten zu 1, der getrenntlebenden Ehefrau des Betroffenen, leitete das Amtsgericht zunächst ein Verfahren zur Prüfung ein, ob für den Betroffenen ein Betreuer zu bestellen ist. Nachdem der Betroffene in diesem Verfahren eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht vom zugunsten seiner Lebensgefährtin vorlegt hatte, stellte das Amtsgericht das Betreuungsverfahren ein.
2Mit weiterem Beschluss vom hat das Amtsgericht auch die Bestellung eines Kontrollbetreuers abgelehnt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2, des Sohnes des Betroffenen, hat das Landgericht mangels der erforderlichen Beschwerdebefugnis verworfen.
3Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2 mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
51. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2 folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 489/18 - FamRZ 2019, 618 Rn. 4 mwN).
62. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Landgericht die Erstbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts zu Recht mit der Begründung verworfen hat, dass dem Beteiligten zu 2 die Beschwerdebefugnis fehlt.
7a) Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:
8Dem Beteiligten zu 2 stehe als Sohn des Betroffenen kein Beschwerderecht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu, weil er im ersten Rechtszug vom Amtsgericht nicht am Verfahren beteiligt worden sei. Ihm seien weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde, die zur Akte gereichte General- und Vorsorgevollmacht noch das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. oder die ärztliche Stellungnahme des Dr. R. zur Kenntnis- oder Stellungnahme übersandt worden. Der Beteiligte zu 2 sei auch nicht vom Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen benachrichtigt oder zu diesem geladen worden. Der Beteiligte zu 2 habe sich vielmehr erst mit Schreiben vom beim Amtsgericht gemeldet, mitgeteilt, dass er sich dem Antrag der Beteiligten zu 1 anschließen möchte, und um Akteneinsicht gebeten. Diese habe er jedoch erst nach Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung erhalten. Auch die erfolgte Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung bewirke keine Beteiligung am Verfahren. Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung eines Angehörigen nach Abschluss des ersten Rechtszugs komme ebenfalls nicht in Betracht.
9Ein Beschwerderecht des Beteiligten zu 2 ergebe sich auch nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG, weil er durch die angegriffene betreuungsrechtliche Entscheidung nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt werde.
10b) Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat zu Recht eine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2 verneint.
11aa) Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind im Interesse des Betroffenen unter anderem dessen Abkömmlinge zur Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung befugt, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.
12Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, steht einem Angehörigen, der erstinstanzlich nicht beteiligt worden ist, kein Beschwerderecht zu, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Beteiligung unterblieben ist (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 523/18 - FamRZ 2019, 915 Rn. 6 mwN und vom - XII ZB 489/18 - FamRZ 2019, 618 Rn. 7 mwN). Für die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist somit entscheidend, ob der Beschwerdeführer tatsächlich im ersten Rechtszug beteiligt worden ist. Allerdings kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, beispielsweise durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 213/16 - FamRZ 2018, 197 Rn. 8 mwN). Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung von Angehörigen nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts - sei es in einem Zwischenverfahren, sei es im Rahmen des Abhilfeverfahrens - scheidet jedoch aus. Das auf eine Beschwerde folgende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern schließt sich an diesen an (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 282/17 - FamRZ 2018, 1251 Rn. 16 und vom - XII ZB 213/16 - FamRZ 2018, 197 Rn. 12 mwN).
13bb) Der Beteiligte zu 2 ist im ersten Rechtszug des Verfahrens über die Bestellung eines Kontrollbetreuers nicht beteiligt worden, so dass er auch nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt war.
14(1) Zwar wurde dem Beteiligten zu 2 die erstinstanzliche Entscheidung bekannt gegeben. Dies stellt jedoch keine Beteiligung i.S.v. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG dar. Das ergibt sich bereits aus dem Begriff der Beteiligung. Eine Beteiligung setzt die Möglichkeit voraus, dass die "beteiligte" Person - in welcher Art und Weise auch immer - auf das Verfahren Einfluss nehmen kann. Wird lediglich der die Instanz abschließende Beschluss bekannt gegeben, ist eine solche Beteiligung in derselben Instanz nicht mehr möglich (Senatsbeschluss vom - XII ZB 213/16 - FamRZ 2018, 197 Rn. 11 mwN).
15(2) Weitere Verfahrenshandlungen, aus denen auf einen Willen des Amtsgerichts zur Beteiligung des Beteiligten zu 2 am erstinstanzlichen Verfahren geschlossen werden kann (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom - XII ZR 417/18 - FamRZ 2019, 1091 Rn. 7), liegen nicht vor. So wurde ihm weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde noch die zur Akte gereichte General- und Vorsorgevollmacht bekannt gegeben. Das Amtsgericht hat dem Beteiligten zu 2 auch das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. oder die ärztliche Stellungnahme des Dr. R. nicht zur Kenntnis- oder Stellungnahme übersandt. Zudem ist der Beteiligte zu 2 nicht vom Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen benachrichtigt oder zu diesem geladen worden. Schließlich ist er auch nicht angehört oder sonst in irgendeiner Form hinzugezogen worden, bis der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts ergangen ist. In der antragsgemäß bewilligten Akteneinsicht liegt ebenfalls keine Hinzuziehung des Beteiligten zu 2, wenn diese - wie hier - nach Erlass der angegriffenen Entscheidung erkennbar allein dazu dient, dessen Informationsinteresse zu befriedigen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 523/18 - FamRZ 2019, 915 Rn. 10).
16(3) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde lässt sich auch aus der Nennung des Beteiligten zu 2 im Rubrum der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht auf dessen (konkludente) Hinzuziehung zum erstinstanzlichen Verfahren schließen. Denn eine Beteiligung setzt notwendigerweise die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person - in welcher Art und Weise auch immer - auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Weil zudem erforderlich ist, dass das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt, bedarf es immer eines vom Gericht gewollten Hinzuziehungsaktes, unabhängig davon, ob es sich um einen Muss-Beteiligten i.S.v. § 274 Abs. 1 FamFG oder - wie hier - um einen Kann-Beteiligten nach § 274 Abs. 4 FamFG handelt. Dabei muss das Gericht dem Dritten zu erkennen geben, dass es ihn am Verfahren beteiligen will (Senatsbeschluss vom - XII ZB 417/18 - FamRZ 2019, 1091 Rn. 7 mwN). Die bloße Benennung im Rubrum einer Entscheidung genügt hierfür nicht.
17(4) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt sich ein Beschwerderecht des Beteiligten zu 2 nicht mit dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) begründen.
18Insbesondere wäre dem Anliegen des Beteiligten zu 2 mit einer „verfassungskonformen“ Auslegung seiner Beschwerde nicht gedient. Zwar wird teilweise vertreten, die Beschwerde eines am erstinstanzlichen Verfahren unverschuldet nicht beteiligten Angehörigen sei dahin auszulegen, dass sie zugleich einen Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren beinhalte, über den vom Amtsgericht im Rahmen eines Zwischenverfahrens gemäß § 7 Abs. 5 FamFG zu entscheiden sei (vgl. dazu LG Verden BtPrax 2010, 242; LG Saarbrücken FamRZ 2010, 1371, 1372; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 3. Aufl. § 303 Rn. 11; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 6. Aufl. § 303 Rn. 9). Selbst wenn im Zwischenverfahren festgestellt werden sollte, dass der Beschwerdeführer hätte beteiligt werden müssen, bliebe es jedoch sowohl bei der amtsgerichtlichen Hauptsacheentscheidung als auch bei der Nichtbeteiligung des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren. Deshalb bliebe auch die eingelegte Beschwerde gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG unzulässig (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 86/14 - FamRZ 2015, 572 Rn. 11 mwN; vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 355/19 - zur Veröffentlichung bestimmt).
19(5) Schließlich ist es auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, einem nicht beteiligten Angehörigen in Fällen der vorliegenden Art ein - gesetzlich nicht vorgesehenes - Beschwerderecht einzuräumen.
20Angehörige des Betroffenen, die nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG am Betreuungsverfahren beteiligt werden können, sind - sofern sie dem Gericht bekannt sind und nicht von Amts wegen hinzugezogen werden - gemäß § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen und über ihr Antragsrecht nach § 7 Abs. 3 FamFG zu belehren. Dadurch soll ihnen aus Gründen des rechtlichen Gehörs ermöglicht werden, auf eine - die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG vermittelnde - Beteiligung am Verfahren hinzuwirken (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 179 f.; Senatsbeschluss vom - XII ZB 471/17 - FamRZ 2018, 1607 Rn. 23 f.).
21Eine solche Benachrichtigung bzw. Belehrung des Beteiligten zu 2 ist vorliegend zwar unterblieben. Dieser Verfahrensfehler führt gleichwohl nicht zu einem Beschwerderecht des Beteiligten zu 2. Zwar wird der den Angehörigen eines Betroffenen durch die §§ 303 Abs. 2 Nr. 1, 274 Abs. 4 Nr. 1, 7 FamFG eröffnete fachgerichtliche Rechtsmittelzug abgeschnitten, wenn unter Verstoß gegen § 7 Abs. 4 FamFG keine Benachrichtigung von der Verfahrenseinleitung und Belehrung über das Antragsrecht erfolgt und daher eine Beteiligung der Angehörigen unterbleibt. Mit der in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG normierten Voraussetzung einer erstinstanzlichen Beteiligung von Angehörigen hat der Gesetzgeber den Kreis der beschwerdebefugten Personen jedoch bewusst enger gefasst als in der Vorgängerregelung des § 69 g Abs. 1 FGG. Auch wenn damit vornehmlich altruistische Beschwerden solcher Angehörigen vermieden werden sollten, die am erstinstanzlichen Verfahren kein Interesse gezeigt haben (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 271 f.), ist eine dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung entgegenstehende Auslegung dahingehend, dass Angehörigen in Einzelfällen auch bei einer unterbliebenen Beteiligung eine Beschwerdebefugnis einzuräumen wäre, unabhängig vom Grund für die fehlende Beteiligung nicht geboten. Angehörige des Betroffenen sind durch eine betreuungsgerichtliche Entscheidung nicht in eigenen subjektiven Rechten verletzt. Ihre etwaige Verfahrensbeteiligung erfolgt ausschließlich im Interesse des Betroffenen und ist damit rein fremdnützig ausgestaltet. Auch ihr Tätigwerden dient nicht einem eigenen, sondern ausschließlich dem Interesse des Betroffenen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 471/17 - FamRZ 2018, 1607 Rn. 25 f.).
22Im Übrigen müssen Rechtsbehelfe mit ihren Voraussetzungen in der Verfahrensordnung geregelt sein. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit verbietet der Rechtsprechung, Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts zu schaffen, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 995, 998 f.; Senatsbeschluss vom - XII ZB 471/17 - FamRZ 2018, 1607 Rn. 27 mwN).
233. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:170620BXIIZB574.19.0
Fundstelle(n):
HAAAH-54087