Online-Nachricht - Donnerstag, 23.07.2020

Verfahrensrecht | Prüfungsanordnung bei Anfangsverdacht einer Steuerstraftat (BFH)

Für die (erstmalige) Anordnung einer Außenprüfung ist es unerheblich, ob hinsichtlich der betroffenen Steuerarten und Besteuerungszeiträume der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht (Anschluss an ). Verstöße gegen § 10 BpO, insbesondere gegen die Belehrungspflichten und damit gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, führen nicht zur Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung (; veröffentlicht am ).

Hintergrund ist § 10 Abs. 1 Satz 3 - 5 BpO: „Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen, dürfen hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, die Ermittlungen (§ 194 AO) bei ihm erst fortgesetzt werden, wenn ihm die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist. Der Steuerpflichtige ist dabei, soweit die Feststellungen auch für Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden können, darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO). Die Belehrung ist unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen und auf Verlangen schriftlich zu bestätigen (§ 397 Abs. 2 AO)."

Sachverhalt: Der Kläger ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Im Prüfungszeitraum war er Gesellschafter der Prozessbevollmächtigten einer Steuerberatungsgesellschaft und zugleich bei dieser angestellt. Anfang 2002 übernahm er einen landwirtschaftlichen Pferdezuchtbetrieb, aus dem er seither Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erklärte. Eine dritte - dem Kläger nicht bekannte Person - wies das FA darauf hin, dass der Kläger Kosten der privaten Lebensführung und Betriebsausgaben des Zuchtbetriebs in der Gewinnermittlung der Steuerberatungsgesellschaft erfasst habe. Der Prüfungszeitraum einer Außenprüfung wurde verlängert und die Steuerfahndung eingeschaltet.

Der Kläger vertrat die Auffassung, die Prüfungsanordnung und Prüfungserweiterung seien insbesondere wegen eines Verstoßes gegen § 393 Abs. 1 AO, § 10 BpO rechtswidrig. Das FA habe ihn schon bei Erlass der Prüfungsanordnung aufgrund der falschen Anschuldigung eines Dritten der Begehung einer Steuerstraftat verdächtigt und ihn bei Beginn der Prüfung hierüber weder in Kenntnis gesetzt noch steuer(strafrecht)lich belehrt. Damit sei der verfassungsmäßig garantierte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Klägers unterlaufen worden.

Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück:

  • Für die Anordnung einer Außenprüfung ist unerheblich, ob hinsichtlich der betroffenen Steuerarten und Besteuerungszeiträume der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht. Dies gilt auch, soweit die erstmalige Anordnung einer Außenprüfung in Rede steht. Insoweit ist nicht zwischen erstmaligen Prüfungen und Anschlussprüfungen zu unterscheiden ().

  • Denn die Anordnung einer Außenprüfung ist auch zulässig, soweit ausschließlich festgestellt werden soll, ob und inwieweit Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind. Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht. Es ist möglich und zulässig, dass Ermittlungsmaßnahmen des Außenprüfers eine Doppelfunktion haben: die Ermittlung des steuerlichen und die des strafrechtlichen Sachverhalts (vgl. , ; , ).

  • Verstöße gegen § 10 BpO insbesondere gegen die Belehrungspflichten und damit gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit führen jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung. Denn die vorgenannten Regelungen betreffen nicht die Voraussetzungen, unter denen eine Außenprüfung angeordnet werden kann, und damit das "ob", sondern bestimmen, nach welchen rechtstaatlichen Grundsätzen und damit "wie" eine zuvor angeordnete Prüfung durchzuführen ist.

  • Zudem richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander ( XI R 10).

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:

Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Auch ergibt sich ein solches nicht aufgrund einer Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung. Zwar sollen nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Durch die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift kommt insoweit zum Ausdruck, dass die Finanzverwaltung in der Regel nach ihr verfahren muss. Deshalb dürfen die Finanzbehörden auch nur in atypischen Fällen hiervon abweichen, wobei am Zweck der Vorschrift zu messen ist, ob ein solcher atypischer Fall vorliegt. Hierdurch wird dem doppelten Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO entsprochen, wonach zum einen vermieden werden soll, dass Nichtbeteiligte Einblick in die steuerlich relevanten Verhältnisse der Beteiligten erhalten, zum anderen dem Dritten die mit der Auskunft verbundenen Mühen erspart werden sollen (). Im Steuerrecht besteht vielmehr nur ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot, auf das sich nur derjenige berufen kann, der die Prüfungsanordnung - oder einzelne Prüfungsmaßnahmen mit Verwaltungscharakter - erfolgreich angefochten hat bzw. der nach Abschluss der Prüfung oder Erledigung des betreffenden Prüfungs-Verwaltungsakts dessen Rechtswidrigkeit nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO hat feststellen lassen. Das macht die Besprechungsentscheidung nochmals deutlich. Verfahrensrechtliche Verwertungsverbote schränkt die Rechtsprechung darüber hinaus bei Erstbescheiden und Vorbehaltsbescheiden weitgehend ein (z.B. BFH, Beschluss v. 20.12.200 – XI B 23/06). Verletzt die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen, kann ausnahmsweise ein sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot vorliegen. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar; der Verstoß kann nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden (; ).

Quelle: , NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
RAAAH-54049