Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen and die Gefährlichkeitsprognose
Gesetze: § 63 StGB
Instanzenzug: LG Mühlhausen Az: 122 Js 53529/18 - 1 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Beschuldigten wegen einer im Zustand fehlender Einsichtsfähigkeit begangenen Tat der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision ist mit der Sachrüge überwiegend begründet.
I.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der im Irak geborene Beschuldigte 2013 nach Europa und lebte für einen längeren Zeitraum in den Niederlanden, wo er erstmals wegen einer schizophrenen Erkrankung klinisch behandelt wurde. Nachdem er im März 2017 nach Deutschland eingereist war, ordnete die Ausländerbehörde im Juli 2018 an, er solle bei seiner Mutter Wohnung nehmen. Das Zusammenleben mit ihr gestaltete sich schwierig, da sich der Beschuldigte psychisch auffällig verhielt. Er trank Shampoo und Duschgel, sprach mit nicht anwesenden Personen und verhielt sich gegenüber seiner Mutter aggressiv. Am sprang er aus dem Fenster der im zweiten Obergeschoss liegenden Wohnung, blieb aber unverletzt. Am näherte er sich seiner Mutter, bedrohte sie mit einem Küchenmesser, griff ihr an die Brust und sprach sie mit dem Namen seiner Ex-Freundin an. Er zerriss ihre Kleidung, hielt sie umschlungen und führte aus der Hüfte heraus stoßartige Bewegungen aus. Dann zog er seine Hose herunter, umfasste seinen erigierten Penis und forderte seine Mutter unter Vorhalt des Messers auf, ihn oral zu befriedigen. Der Mutter gelang es, sich nach einer kurzen Rangelei loszureißen, sich im Badezimmer einzuschließen und Hilfe herbeizurufen. Als kurz darauf die Polizei eintraf, öffnete der Beschuldigte die Haustür und ließ die Beamten eintreten. Hierbei und bei der anschließenden Verbringung auf die Polizeistation war er ruhig und orientiert.
3Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie bei der Tatbegehung aufgehoben gewesen sei.
II.
4Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Während die Annahme fehlender Einsichtsfähigkeit infolge psychotischen Wahnerlebens noch keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, gilt dies für die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht.
51. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576; vom - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; und vom - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395).
62. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Beschuldigten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Soweit es zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose allein darauf abstellt, dass „ohne Medikamenteneinnahme aggressive Handlungsimpulse des Beschuldigten nicht zu kontrollieren“ seien, ist dies lückenhaft.
7a) Die Strafkammer hat dabei nicht erkennbar bedacht, dass es einer Gesamtwürdigung des Täters und der Symptomtat bedarf und dabei etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung sind. So ist es als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa , NStZ-RR 2016, 306, 307; SSW-StGB/Kaspar, 4. Aufl., § 63 Rn. 21; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 62).
8Nach den getroffenen Feststellungen ist der Beschuldigte zwischen April 2016 und Dezember 2018 wegen Erschleichens von Leistungen, Beleidigung, Diebstahls, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Vortäuschens einer Straftat und unerlaubter Einreise strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die überwiegende Zahl der Verfahren wurde gemäß § 45 Abs. 1 JGG eingestellt, zwei Verfahren endeten mit Geldstrafen. Dass die Straftaten in einem inneren Zusammenhang mit der festgestellten Erkrankung gestanden haben, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
9b) Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefahrenprognose nicht begründet werden (, juris Rn. 15; vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 545/15, juris Rn. 14, StV 2016, 720, 722). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (Senat, Beschluss vom - 2 StR 545/15, juris Rn. 14, StV 2016, 720, 722) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (, juris Rn. 15; zu situativen Risikofaktoren auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 545/15, juris Rn. 14, StV 2016, 720, 722).
10Insofern fehlen bereits tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte sich bereits vor der Anlasstat mehrfach psychisch auffällig verhalten hat, kam es lediglich zu Selbstverletzungen und zu keinen körperlichen Übergriffen gegen die Mutter oder Dritte. Nach den Angaben der behandelnden Ärztin verweigerte der Beschuldigte die Einnahme von Medikamenten und verhielt sich im Rahmen der vorläufigen Unterbringung zunächst nur selbstgefährdend, weshalb eine Zwangsmedikation angeordnet wurde. Danach habe sich sein Zustand bis zur erneuten Verweigerung der Medikamenteneinnahme stabilisiert. In deren Folge sei es dann zu einem „Aggressionsanstieg“ gekommen und der Beschuldigte sei mehrfach im Begriff gewesen, Mitpatienten und Mitarbeiter körperlich anzugreifen. Zu Anlass und Ausmaß dieses einzigen in der Unterbringung aufgetretenen fremdaggressiven Verhaltens hat die Strafkammer jedoch nichts festgestellt.
113. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Anlasstat können bestehen bleiben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:050220B2STR436.19.0
Fundstelle(n):
BAAAH-52845