BAG Beschluss v. - 1 ABR 40/18

Zuordnungstarifvertrag - unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat

Gesetze: § 1 BetrVG, § 3 Abs BetrVG, § 47 BetrVG, § 3 Abs 2 TVG

Instanzenzug: Az: 28 BV 6/17 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 2 TaBV 5/18 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht eines „KinoGesamtbetriebsrats“ im Zusammenhang mit einem Twitter-Account.

2Die Arbeitgeberin - ein Unternehmen mit dem im Handelsregister eingetragenen Gegenstand „Betrieb und die Bewirtschaftung von Filmtheatern sowie sonstigen Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie einschließlich aller dazugehörigen betrieblichen Einrichtungen und Vorrichtungen und die Vornahme aller geschäftlichen Handlungen sowie der Erbringung aller Dienstleistungen, die hiermit im Zusammenhang stehen, entweder selbst oder durch Tochtergesellschaften“ - ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Umwandlung im Wege des Formwechsels einer Aktiengesellschaft entstanden. Bei ihr ist auf der Grundlage eines am geschlossenen Tarifvertrags (TV) der das Verfahren einleitende „Kino-Gesamtbetriebsrat“ der Kinobetriebe ihrer Tochtergesellschaften (Kino-GBR) errichtet.

3Der TV lautet auszugsweise:

4Die Anlage 1 zum TV wurde in der Folgezeit mehrfach geändert und lautet in ihrer letzten, auf Arbeitgeberseite unter der Angabe „C AG Vorstand“ unterzeichneten Fassung vom :

5Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unterhält die Arbeitgeberin bei dem Kurznachrichtendienst Twitter das Nutzerkonto @C. Diesbezüglich hat der Kino-GBR ein Mitbestimmungsrecht geltend gemacht und zuletzt sinngemäß beantragt,

6Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

7Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde des Kino-GBR hat das Landesarbeitsgericht dem Hauptantrag stattgegeben, die Androhung eines Ordnungsgeldes auf bis zu 10.000,00 Euro beschränkt und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

8B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Beschwerde des Kino-GBR zu Unrecht ganz überwiegend entsprochen und dessen Hauptantrag stattgegeben. Das Begehren des Kino-GBR hat keinen Erfolg.

9I. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass die vom Landesarbeitsgericht titulierte Verpflichtung nicht das Unternehmen betrifft, welches das Twitter-Nutzerkonto innehat. Der Account @C weist im Impressum einen Link mit der Weiterleitung zur Homepage „www.c.de“ aus, welche als Anbieter nicht die Arbeitgeberin, sondern die „C Entertainment GmbH & Co. KG“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine offenkundige Tatsache iSv. § 291 ZPO, die im Widerspruch steht zur Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass die Arbeitgeberin den Twitter-Account @C „unterhält“ (vgl. zum Fehlen der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Tatsachenfeststellung in solch einem Fall  - zu II 1 c der Gründe, BAGE 87, 234). Insoweit hat aber der Kino-GBR im Anhörungstermin vor dem Senat klargestellt, dass es ihm um eine Verpflichtung der Arbeitgeberin geht, das ihrem Konzern zugehörige Unternehmen - die C Entertainment GmbH & Co. KG - anzuweisen, den Account zu löschen. Entsprechend wäre auch der Entscheidungsausspruch des Beschwerdegerichts zu verstehen.

10II. Hingegen ist der Hauptantrag bereits unzulässig, weil der Kino-GBR nicht antragsbefugt ist. Dieser ist als Gremium nicht wirksam errichtet und damit kein Träger betriebsverfassungsrechtlicher Rechte.

111. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist eine Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint. Einem nicht (mehr) existenten Gremium kommen keine betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen (mehr) zu; es mangelt ihm an der Antragsbefugnis (vgl.  - Rn. 10).

122. Der Kino-GBR ist rechtlich nicht existent.

13a) Nach seinem § 1 Nr. 1 gilt der TV „für alle Betriebe der C AG und ihre konzernzugehörigen Tochtergesellschaften (Anlage 1)“. § 1 Nr. 4 Satz 3 TV spricht explizit von einem „aus den Kinobetriebsräten zu bildenden Kino-Gesamtbetriebsrat der C AG“. In diesen entsenden „Kino-Betriebsräte“ mit bis zu drei Mitgliedern eines ihrer Mitglieder; jeder „Kino-Betriebsrat“ mit mehr als drei Mitgliedern entsendet zwei seiner Mitglieder (§ 2 Nr. 1 TV iVm. § 47 Abs. 2 BetrVG). Damit ist für die Errichtung des Kino-GBR ein unternehmensübergreifender Bezugspunkt festgelegt.

14b) Das entspricht nicht den Vorgaben der gesetzlichen Betriebsverfassung gemäß §§ 1, 47 BetrVG. Danach kann für Betriebe verschiedener Rechtsträger kein gemeinsamer Gesamtbetriebsrat gebildet werden (ausf.  - Rn. 17 ff., BAGE 121, 168).

15c) Die Errichtung des Kino-GBR vermag auch nicht auf § 3 Abs. 1 BetrVG iVm. den Bestimmungen des TV gestützt zu werden.

16aa) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der die Mitbestimmung beanspruchende Kino-GBR „auf der Grundlage eines Tarifvertrags gemäß § 3 BetrVG allein für die Kinobetriebe der Tochterunternehmen der Arbeitgeberin gebildet“ ist. Allerdings hat es zu Unrecht in diesem Zusammenhang eine nähere Prüfung unterlassen. Zum einen muss ein unternehmensübergreifender Tarifvertrag zur Bildung einer vom Gesetz abweichenden Betriebsratsstruktur nach § 3 Abs. 1 BetrVG wegen § 3 Abs. 2 TVG von allen betroffenen Unternehmen geschlossen werden (vgl.  - Rn. 14). Als ein Tarifvertrag über betriebsverfassungsrechtliche Fragen vermögen seine Rechtsnormen (nur) für (alle) Betriebe zu gelten, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Zum anderen ist den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung lediglich in dem durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG bestimmten Umfang eröffnet (vgl. ausf.  - Rn. 22, BAGE 131, 277). Zwar können einem auf der Grundlage eines unwirksamen Tarifvertrags gewählten Betriebsrat ohne Weiteres betriebsverfassungsrechtliche Rechtspositionen zukommen, da dessen Wahl in einer organisatorischen Einheit bei einem nicht den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BetrVG entsprechenden Tarifvertrag wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs nicht nichtig, sondern bloß anfechtbar ist (ausf.  - Rn. 17, BAGE 144, 290). Das gilt aber nicht für einen - nicht zu wählenden, sondern zu errichtenden - Gesamtbetriebsrat auf der Grundlage eines Zuordnungstarifvertrags.

17bb) Die danach gebotene Prüfung ergibt, dass der TV mangels Gebundenheit eines von seinem Geltungsbereich erfassten Unternehmens an ihn keine Grundlage für die Bildung des Kino-GBR vermittelt. Es kann daher offenbleiben, ob er den Vorgaben des § 3 Abs. 1 BetrVG entspricht.

18(1) Tarifgebunden ist - neben den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien - der Arbeitgeber, der selbst Tarifvertragspartei ist (§ 3 Abs. 1 TVG). Ein Konzern scheidet als Tarifvertragspartei mangels Rechtssubjektivität aus. Die Voraussetzung einer eigenständigen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kann auch nicht durch die - ohnehin zusätzlich erforderliche - Erfassung durch die Geltungsbereichsbestimmung ersetzt werden. Der Abschluss eines sog. Konzerntarifvertrags durch das herrschende Unternehmen begründet eine Tarifgebundenheit ausschließlich für diese Gesellschaft selbst, nicht aber - unbeschadet der Erstreckung in einer Geltungsbereichsbestimmung - für ein nicht selbst tarifschließendes beherrschtes Unternehmen. Zwar ist der Tarifvertragsabschluss für beherrschte Unternehmen möglich, wenn diese dabei durch das herrschende Unternehmen vertreten werden. Für eine entsprechende Vollmachtserteilung bedarf es aber hinreichender Anhaltspunkte; aus der Konzernzugehörigkeit ergibt sich eine solche Vollmacht nicht (vgl. zu all dem ausf.  - Rn. 22; - 4 AZR 24/10 - Rn. 28; - 4 AZR 120/09 - Rn. 20 ff.; - 4 AZR 1005/06 - Rn. 26 ff., BAGE 124, 240).

19(2) Die normative Gebundenheit an tarifvertragliche Rechtsnormen kann im Übrigen nur durch einen Tarifvertrag selbst bewirkt werden. Dabei kann sich der Wille des herrschenden Unternehmens, auch im Namen konzernzugehöriger Unternehmen zu handeln, nach § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB auch aus den Umständen ergeben, wenn sie einen einer ausdrücklichen Nennung als Tarifvertragspartei gleichwertigen Grad an Klarheit und Eindeutigkeit erreichen und in einer § 1 Abs. 2 TVG genügenden Form niedergelegt sind (vgl.  - Rn. 16; - 4 AZR 1005/06 - Rn. 26 ff., BAGE 124, 240).

20(3) Gemessen daran ist die Errichtung des Kino-GBR unwirksam. In seiner letzten Fassung vom erfasst der Geltungsbereich des TV nach seinem § 1 Nr. 1 iVm. der Anlage 1 die Unternehmen („soweit sie Kinobetriebe unterhalten“): C AG, C GmbH & Co. KG, C Entertainment GmbH & Co. KG, C Cinetainment GmbH, C Movietainment GmbH, C Filmtheater GmbH, S Betriebs GmbH und C Maxxtainment GmbH. Diese Gesellschaften sind nicht sämtlich an den TV gebunden.

21(a) Das gilt allerdings nicht für die Arbeitgeberin, bei der der Kino-GBR errichtet ist. Diese ist an den TV gebunden. Bei einer formwechselnden Umwandlung tritt keine Rechtsnachfolge ein. Die Änderung der Rechtsform berührt auch nicht die Tarifgebundenheit des Rechtsträgers; dessen Identität sichert die tarifliche Kontinuität (vgl. zB Wiedemann/Oetker TVG 8. Aufl. § 3 Rn. 203 mwN).

22(b) Partei des TV sind daneben die in seiner Anlage 1 im Zeitpunkt seines Abschlusses am angeführten beherrschten Unternehmen. Dies sind die C GmbH & Co. KG, die H Filmtheater GmbH & Co. KG, die H Kinobetriebsgesellschaft mbH, die B Filmtheater K GmbH & Co. KG, die C M GmbH, die C W GmbH, die C A GmbH, die C Filmtheater Betriebs GmbH, die C Filmtheater GmbH, die Ca Tickets & Service GmbH und die B Filmtheater Betriebsges. mbH. Die C AG - nunmehr: C Holdings GmbH - hat den TV „namens und im Auftrag“ dieser Unternehmen geschlossen. Darin wird hinreichend deutlich, dass sie die in der damaligen Anlage 1 ausdrücklich angeführten Unternehmen beim Abschluss des TV rechtgeschäftlich vertreten hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation eines [Mantel-]Tarifvertragsabschlusses  - Rn. 24 ff., BAGE 124, 240).

23(c) Die im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses in Bezug genommene Anlage 1 benennt - bis auf die ersten beiden Unternehmen (C AG und C GmbH & Co. KG) - andere Gesellschaften als die Anlage 1 zum TV idF vom . Das ist ausweislich der jeweiligen Handelsregisterauszüge unschädlich, soweit es die C Entertainment GmbH & Co. KG, die C Cinetainment GmbH, die C Movietainment GmbH, die C Filmtheater GmbH und die S Betriebs GmbH betrifft. Letztere beiden Gesellschaften wurden als jeweils übertragende Rechtsträger mit der C Entertainment GmbH & Co. KG verschmolzen, die ihrerseits als übernehmender Rechtsträger mit der „H Kino-Betriebs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ verschmolzen wurde. Das begründet die Gebundenheit der C Entertainment GmbH & Co. KG an den ua. in Vertretung für die H Kinobetriebsgesellschaft mbH geschlossenen TV, denn bei einer Verschmelzung durch Aufnahme nach § 2 Nr. 1 UmwG geht ein Firmentarifvertrag wegen der vom Gesetz in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge uneingeschränkt auf den übernehmenden Rechtsträger über (ausf. dazu  - Rn. 33 mwN, BAGE 155, 280). Der übernehmende Rechtsträger tritt in bestehende Verträge ein und wird damit Partei des für den übertragenden Rechtsträger geltenden Firmentarifvertrags. Entsprechendes gilt für die C Cinetainment GmbH, mit der die den TV schließende C M GmbH verschmolzen ist, und für die C Movietainment GmbH, die als übernehmender Rechtsträger mit der den TV schließenden C A GmbH verschmolzen ist. Die in der Anlage 1 des TV idF vom angeführte C Maxxtainment GmbH ist hingegen nicht an den TV gebunden. Diese (oder ein Rechtsvorgänger) ist nicht Partei des TV. Selbst wenn die Anlage 1 des TV idF vom eine zulässige, bloß regelungstechnische Modalität des Tarifvertrags(neu)abschlusses wäre, fehlte es in dieser an hinreichend deutlichen Anhaltspunkten dafür, dass die die (geänderte) Anlage auf Arbeitgeberseite allein und ohne weiteren Zusatz unterzeichnende C AG (auch) die C Maxxtainment GmbH rechtsgeschäftlich vertreten hat.

24III. Die Hilfsanträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Sie stehen unter der Bedingung, dass der antragstellende Kino-GBR mit dem hauptsächlich angebrachten Begehren aus einem anderen Grund als dem des Fehlens seiner Antragsbefugnis nicht durchdringt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:250220.B.1ABR40.18.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 1459 Nr. 26
ZIP 2020 S. 1530 Nr. 31
HAAAH-50189