Vergütungspflichtige Arbeitszeit - Fahrtzeiten
Gesetze: § 77 Abs 3 S 1 BetrVG, § 611a BGB, § 195 BGB, § 199 BGB
Instanzenzug: ArbG Essen Az: 5 Ca 2859/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 10 Sa 193/18 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Vergütung von Fahrtzeiten.
2Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom zugrunde. Dort sind eine wöchentliche Arbeitszeit von „z.Zt. 38,5 Stunden“ und die Zahlung einer Grundvergütung, einer allgemeinen Leistungszulage und einer „Leistungszulage Außendienst“ vereinbart. Zuletzt erzielte der Kläger einen Bruttomonatsverdienst von 2.551,41 Euro. Die Beklagte, die ihren Sitz in H hat, ist aufgrund Mitgliedschaft im zuständigen Arbeitgeberverband an die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel Niedersachsen gebunden.
3Das Einsatzgebiet des Klägers ist dem „Business & Service Center“ D - einem von zehn Service- und Direktvertriebsstandorten, die von der Beklagten bundesweit unterhalten werden - zugeordnet. Soweit der Kläger dort keine Aufgaben zu erledigen hat, fährt er arbeitstäglich, wie bei Außendienstmitarbeitern der Beklagten üblich, von seiner Wohnung zum ersten Kunden und kehrt vom letzten Kunden wieder dorthin zurück. Die Serviceaufträge werden ihm am Vortag zentral über die Abteilung „Dispatch“ in H zugewiesen.
4In einer bei der Beklagten geltenden „Betriebsvereinbarung über die Ein- und Durchführung von flexibler Arbeitszeit für Servicetechniker“ (im Folgenden BV) vom heißt es ua.:
5Die Beklagte führt für den Kläger auf der Grundlage der BV und einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden ein Arbeitszeitkonto, in das ausschließlich Zeitguthaben oder Zeitschuld eingestellt werden. Dabei berücksichtigte sie, soweit der Kläger im Außendienst tätig war, Fahrtzeiten von dessen Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause bis zu einer Dauer von jeweils 20 Minuten nicht als Zeit geleisteter Arbeit. Sie leistete hierfür auch keine Vergütung.
6Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am beim Arbeitsgericht eingereichten Zahlungs- und Feststellungsklage. Er hat die Auffassung vertreten, im Rahmen seiner Außendiensttätigkeit seien sämtliche Fahrten zu und von Kunden Bestandteil seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht. Die hierfür aufgewendete Zeit sei deshalb uneingeschränkt vergütungspflichtig. Er habe somit auf Basis des vereinbarten Bruttomonatsentgelts Anspruch auf Differenzvergütung, soweit in den Jahren 2013 bis 2016 die für An- und Abfahrten zu Kunden aufgewendete Zeit bis zur Grenze von je 20 Minuten im Arbeitszeitkonto nicht als Arbeitszeit berücksichtigt worden sei und soweit sich nach den Regelungen in § 7 BV ein „Überstundenüberhang“ zu seinen Gunsten ergebe. Für das Jahr 2017 bestehe hinsichtlich der bis einschließlich Oktober 2017 nicht berücksichtigten Fahrtzeiten ein Anspruch auf Gutschrift. Die Regelungen in § 8 BV schlössen die Ansprüche nicht aus.
7Der Kläger hat zuletzt beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, vor Inkrafttreten der BV seien bei allen Außendienstmitarbeitern und insoweit auch beim Kläger jeweils 40 Minuten für die An- und Abfahrt zum ersten bzw. vom letzten Kunden nicht auf die geschuldete Arbeitszeit angerechnet und auch nicht vergütet worden. Gegenüber dieser betriebseinheitlichen Regelung, die zumindest konkludent Vertragsbestandteil geworden sei, seien die Bestimmungen in der BV nicht ungünstiger, sondern bedeuteten eine Besserstellung der Außendienstmitarbeiter. Letztlich komme es hierauf nicht an. Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen seien, soweit es sich hiernach bei den umstrittenen Fahrtzeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit handele, betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Für die Zeit ab Inkrafttreten der BV seien deshalb allein die Regelungen in § 8 BV maßgeblich. Vorsorglich hat die Beklagte hinsichtlich bis zum entstandener Ansprüche die Einrede der Verjährung erhoben.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
10Die zulässige Revision ist überwiegend begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts, § 8 BV schließe einen vertraglichen Anspruch des Klägers auf Vergütung der für Fahrten zum ersten und vom letzten Kunden aufgewendeten Zeit wirksam aus, kann die Klage mit den zu 1. und 2. erhobenen Hauptanträgen nicht abgewiesen werden. Vielmehr handelt es sich bei den umstrittenen Zeiten entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts um vergütungspflichtige Arbeitszeit, die mit der vertraglich vereinbarten Vergütung abzugelten ist. Ob die Klage im Umfang der Anträge zu 1. und 2. Erfolg hat, kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Zwar hat der Kläger außer Acht gelassen, dass er im fortbestehenden Arbeitsverhältnis hinsichtlich der unberücksichtigt gebliebenen Zeiten lediglich eine Gutschrift auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto und nicht - wie mit dem Antrag zu 1. geschehen - Zahlung verlangen kann. Diesbezüglich ist aber gemäß § 139 ZPO auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken, was das Landesarbeitsgericht bisher versäumt hat. Das führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die auch den zu 2. erhobenen Hilfsantrag erfasst. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Mit dem zu 3. erhobenen Feststellungsantrag ist die Klage unzulässig.
11I. Die Klage ist mit den Hauptanträgen weitgehend zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Lediglich der zu 3. erhobene Feststellungsantrag genügt den Bestimmtheitserfordernissen nicht und ist deshalb unzulässig.
121. Der Kläger begehrt mit dem Antrag zu 1. Ausgleich für in den Jahren 2013 bis 2016 geleistete, seinem Arbeitszeitkonto nicht gutgeschriebene Fahrtzeiten in Form von Zahlung. Mit dem Antrag zu 2. begehrt er Gutschrift für entsprechende, im Jahr 2017 bis einschließlich des Monats Oktober 2017 angefallene Reisezeiten. Er hat für Arbeitstage, an denen er seine Tätigkeit vom Wohnort aus aufgenommen hat und nach Arbeitsende wieder unmittelbar dorthin zurückgekehrt ist, die Fahrtzeiten monatlich quantifiziert und dargestellt, in welchem Umfang sich unter Berücksichtigung der seiner Auffassung nach anzuwendenden Regelung in § 7 BV ein Anspruch auf Auszahlung von „Überstunden“ bzw. deren Gutschrift ergäbe. Eine weitere Detaillierung war im Rahmen der Zulässigkeit der Leistungsanträge nicht erforderlich, denn es handelt sich insoweit für den streitbefangenen Zeitraum jeweils um eine abschließende Gesamtklage (vgl. - Rn. 12).
132. Soweit der Hauptantrag zu 2. auf eine Gutschrift „mit dem Stand vom “ gerichtet ist, handelt es sich um eine Klarstellung. Die Formulierung soll den Zeitraum verdeutlichen, auf den sich das Klagebegehren bezieht. In der Sache geht es dem Kläger um die Korrektur des aktuellen Saldos durch Gutschrift der im Antrag bezeichneten Arbeitsstunden ( - Rn. 11, BAGE 136, 152). Ein solcher Antrag ist hinreichend bestimmt, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden, und das Leistungsbegehren konkretisiert, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll (st. Rspr., vgl. - Rn. 11). So liegt es hier. Nach dem übereinstimmenden Parteivorbringen führt die Beklagte zur Umsetzung der Vorgaben in der BV ein Arbeitszeitkonto als „allgemeines Stundenkonto“, in das sie „Plus- und Minusstunden“ einstellt. Unter Berücksichtigung dessen verlangt der Kläger, die umstrittenen Zeiten als Zeitgutschrift in das fortlaufend geführte Zeitkonto einzustellen. Der Antrag ist zukunftsbezogen, so dass die begehrte Gutschrift noch erfolgen kann (vgl. - Rn. 14 mwN).
143. Der zu 3. erhobene Feststellungsantrag ist demgegenüber nicht ausreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und damit unzulässig. Bei einer Feststellungsklage sind keine geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungsklage. Der Streitgegenstand ist deshalb so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung (§ 322 ZPO) zwischen den Parteien entschieden werden kann. Es muss deshalb zuverlässig erkennbar sein, worüber das Gericht eine Sachentscheidung treffen soll (st. Rspr., zB - Rn. 35 mwN). Diesen Anforderungen genügt der Antrag zu 3., der sich nach der Klagebegründung auf die Zeit ab November 2017 bezieht, nicht. Welche Sachverhalte das Begehren umfasst, soweit die Anfahrtszeiten von der Wohnung des Klägers zum ersten Kunden und die Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nach Hause zurück als Arbeitszeiten auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden sollen, erschließt sich nicht. Zwar mag es dem Kläger lediglich um die Gutschrift solcher Fahrtzeiten gehen, die durch die ihm erteilten Serviceaufträge unmittelbar veranlasst sind. Doch lässt der Antrag aufgrund seiner weiten Formulierung auch ein Verständnis zu, wonach sämtliche Fahrtzeiten erfasst werden, unabhängig davon, ob sie gegebenenfalls auf dienstlich nicht erforderliche Umwege zurückzuführen sind. Zudem bleibt unklar, ob der Kläger eine Gutschrift nur erreichen will, soweit aufgrund geleisteter Fahrtzeiten ein „Stundenüberhang“ iSv. § 7 BV entsteht. Das ist deshalb beachtlich, weil die Beklagte - unstreitig - in das für den Kläger eingerichtete Arbeitszeitkonto lediglich „Plus- und Minusstunden“, dh. solche Zeiten einstellt, aufgrund derer die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers über- oder unterschritten wird.
15II. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts, ein Anspruch auf Überstundenausgleich in Gestalt von Zahlung bzw. Gutschrift der für die umstrittenen Fahrten aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto werde durch die BV verdrängt, kann die Klage, soweit zulässig, nicht abgewiesen werden. § 8 BV ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam, weil hierdurch vergütungspflichtige Arbeitszeit von der Entgeltzahlungspflicht ausgenommen wird. Ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, die vertraglichen Vereinbarungen seien hinsichtlich der Zuordnung der Fahrtzeiten zur Arbeitszeit betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet, bedarf keiner Entscheidung.
161. Die Anfahrtszeiten des Klägers von seinem Wohnsitz zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nach Hause sind vergütungspflichtige Arbeitszeiten iSv. § 611 Abs. 1 BGB bzw. seit dem iSv. § 611a Abs. 2 BGB.
17a) Zu den versprochenen Diensten iSd. § 611 BGB bzw. zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt (vgl. - Rn. 17). „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 13, BAGE 164, 57).
18b) Mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück erbringt der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber ( - Rn. 15; MHdB/ArbR/Reichold 4. Aufl. § 40 Rn. 68). Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten (ebenso AR/Kamanabrou 9. Aufl. § 611a BGB Rn. 358; ErfK/Preis 20. Aufl. BGB § 611a Rn. 516d; HWK/Thüsing 8. Aufl. § 611a Rn. 483). Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist darauf gerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen - sei es, um dort wie im Streitfall Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige Anreise. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung iSd. §§ 611, 611a BGB und als solche vergütungspflichtig. Das ist unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen ( - Rn. 14, BAGE 164, 57; - 5 AZR 424/17 - Rn. 18; - 5 AZR 292/08 - Rn. 15; ebenso Freyler BB 2019, 1397, 1401 f.; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 612 Rn. 24; Preis/Schwarz Dienstreisen als Rechtsproblem 2020, 57 f.; Salamon/Groffy NZA 2020, 159, 160 f.; Stöhr/Stolzenberg NZA 2019, 505, 509; zusammenfassend Volk JbArbR Bd. 56 [2019] 47, 60 ff.).
19c) Hiernach sind die Fahrtzeiten des Klägers von seiner Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause vergütungspflichtige Arbeitszeit. Diese Fahrtzeiten bilden mit seiner Tätigkeit als Servicetechniker im Außendienst eine Einheit.
202. Mit der Einordnung der Fahrten als Teil der iSv. § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ bzw. der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a BGB ist allerdings noch nicht geklärt, wie die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit zu vergüten ist. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann für Fahrtzeiten, die der Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht erbringt, eine andere Vergütungsregelung als für die „eigentliche“ Tätigkeit getroffen werden (zu Reisezeiten bei Auslandsentsendung vgl. - Rn. 18, BAGE 164, 57; zu Fahrten zur auswärtigen Baustelle - Rn. 23; - 5 AZR 355/12 - Rn. 18). Dabei kann eine Vergütung für Wegezeiten auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 MiLoG zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird (vgl. - aaO). Für Regelungen in einer Betriebsvereinbarung sind die Binnenschranken der Betriebsverfassung zu beachten. Das Unionsrecht steht einer gesonderten Regelung der Vergütung nicht entgegen, denn die Richtlinie 2003/88/EG regelt mit Ausnahme des bezahlten Jahresurlaubs nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer. Somit sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Entgeltansprüche entsprechend den Definitionen der Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ in Art. 2 der Richtlinie festzulegen ( - [Matzak] Rn. 49 f.).
213. Die Vergütungspflicht der vom Kläger für An- und Abfahrten zum ersten bzw. vom letzten Kunden aufgewendeten Zeit wird durch § 8 BV nicht bis zu einer Grenze von je 20 Minuten ausgeschlossen. Der in dieser Bestimmung geregelten Verkürzung der vergütungspflichtigen Fahrtzeiten der Servicetechniker steht die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Vergütung von Arbeitszeit durch einen Tarifvertrag abschließend geregelt ist, an den die Beklagte gebunden ist. Die BV ist damit in Bezug auf § 8 teilnichtig (§ 139 BGB).
22a) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (st. Rspr., zB - Rn. 13 mwN). Eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen liegt vor, wenn diese in einem nach seinem räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrag enthalten ist und der Betrieb in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt ( - Rn. 32 mwN). Auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kommt es nicht an (vgl. - Rn. 16 ff., BAGE 161, 305). Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG liegt nicht erst dann vor, wenn ein Tarifvertrag insgesamt zum Inhalt einer Betriebsvereinbarung gemacht wird. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG soll vielmehr verhindern, dass auch einzelne Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend - und sei es inhaltsgleich - in Betriebsvereinbarungen geregelt werden ( - Rn. 17, aaO). Die Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisten. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang bei der Regelung von Arbeitsbedingungen ein ( - Rn. 20). Ein Verstoß gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung in der Betriebsvereinbarung (vgl. - Rn. 29, BAGE 162, 379). Die Tarifwidrigkeit einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung führt nicht notwendig zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB ist eine Betriebsvereinbarung nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Das folgt aus dem Normcharakter der Betriebsvereinbarung, der es gebietet, im Interesse der Kontinuität eine einmal gesetzte Ordnung aufrechtzuerhalten, soweit sie ihre Funktion auch ohne den unwirksamen Teil noch entfalten kann ( - Rn. 84, BAGE 165, 168; - 1 AZR 314/10 - Rn. 20).
23b) Die Betriebsparteien haben in § 8 BV bestimmt, dass die Zeit, die ein Servicetechniker für Anfahrten zum ersten sowie für Abfahrten vom letzten Kunden aufwendet, arbeitstäglich bis zur Dauer von je 20 Minuten nicht zu vergüten ist. Das ergibt die Auslegung der BV.
24aa) Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung richtet sich wegen ihrer normativen Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) nach den Grundsätzen der Tarifvertrags- und Gesetzesauslegung. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang, die Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung an. Der tatsächliche Regelungswille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in der Betriebsvereinbarung seinen Niederschlag gefunden hat (st. Rspr., zB - Rn. 25).
25bb) Hiernach ergibt die Auslegung des § 8 BV, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zu vergüten sein sollen, wenn sie 20 Minuten nicht überschreiten.
26(1) Im Wortlaut der Regelung ist zwar die Vergütungspflicht nicht ausdrücklich angesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb angenommen, § 8 BV bestimme ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen eine Fahrtätigkeit des Außendienstmitarbeiters als Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht gelte und deshalb die dafür aufgewendete Zeit als zu vergütende Arbeitszeit anzusehen sei. Sie regele hingegen nicht, wie die Arbeitgeberin die Arbeitsleistungen des Außendienstmitarbeiters zu vergüten habe.
27(2) Das überzeugt nicht. Indem die Betriebsparteien geregelt haben, dass jeweils 20 Minuten der An- und Abreise zum ersten und vom letzten Kunden nicht als Erfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflicht gelten, haben sie diese Zeiten dem Synallagma von Leistung und Gegenleistung und damit einem Vergütungsanspruch nach § 611 Abs. 1 bzw. § 611a Abs. 2 BGB entzogen (ebenso im Ergebnis Stöhr/Stolzenberg NZA 2019, 505, 512). Dass dies Regelungsziel der Betriebsparteien war, verdeutlicht § 8 Satz 3 BV, wonach dem Kundendiensttechniker jeweils 20 Minuten Fahrzeit für An- und Abreise zumutbar sind, und Satz 2 der Regelung, wonach die 20 Minuten übersteigende Reisezeit als Arbeitszeit zählt, sobald die An- oder Abreise länger als 20 Minuten dauert. Die Bestimmung, welche die mit der „Herausnahme“ der betreffenden Fahrtzeiten aus der Arbeitszeit verbundenen Belastungen als „zumutbar“ bezeichnet, wäre inhaltsleer, wenn die Betriebsparteien an dieser Stelle nicht Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne hätten regeln wollen. Dieses im Wortlaut der BV angelegte Verständnis der Regelung entspricht schließlich der jahrelang geübten Praxis. Die Arbeitgeberin hat über Jahre hinweg den Außendienstmitarbeitern die genannten Zeiten nicht auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Dass dies gegen den Willen des Betriebsrats erfolgte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
28(3) Dieser Beurteilung steht § 9 Abs. 1 Satz 1 BV nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift erhält der Arbeitnehmer zwar eine verstetigte monatliche Vergütung unabhängig von der Anzahl der geleisteten Stunden in Höhe des geschuldeten Bruttomonatsgehalts. Damit wird er aber, wie § 14 Abs. 2 BV belegt, nicht seiner Pflicht enthoben, die geschuldete Sollarbeitszeit zu leisten. Sollte er diese durch eigenes Verschulden nicht erreichen, ist ein im Zeitpunkt seines Ausscheidens bestehender negativer Saldo auszugleichen. Darüber hinaus nehmen Fahrtzeiten, soweit sie nach § 8 BV nicht zur Arbeitszeit zählen, nicht an dem „Überstundenausgleich“ gemäß § 7 BV teil und verkürzen auch insoweit - je nach den Umständen - die dem Servicetechniker nach § 9 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 7 BV zustehende „Vergütung“.
29(4) Die Annahme, in § 8 BV sei nur eine Regelung über Beginn und Ende der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG getroffen worden, ist ausgeschlossen. Hiergegen spricht, dass Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Zeit ist, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem konkreten zeitlichen Umfang geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen hat. Dieser richtet sich nach der vertraglichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung. Der Umfang des zu verteilenden Arbeitszeitvolumens unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Ebenso wenig ist die rechtliche Bewertung von Zeitspannen oder bestimmten Tätigkeiten als Arbeitszeit möglicher Gegenstand betrieblicher Regelungen ( - Rn. 22 f. mwN; - 1 ABR 28/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 107, 78). In § 8 BV wird jedoch gerade ein bestimmter Umfang der Arbeitszeit - jeweils bis zu 20 Minuten der Anfahrts- und Abfahrtszeiten zum ersten bzw. vom letzten Kunden - nicht als Arbeitszeit bewertet. § 8 BV enthält damit keine Regelung über Beginn und Ende der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (ebenso Boemke jurisPR-ArbR 9/2019 Anm. 7).
30c) Die als Arbeitsleistung zu behandelnden Fahrtzeiten des Klägers zu den Kunden sind nach den Regelungen des einschlägigen Tarifvertrags ausnahmslos vergütungspflichtig. Der Tarifvertrag lässt ergänzende Regelungen durch Betriebsvereinbarungen nicht zu.
31aa) Im Betrieb der Beklagten gilt der zwischen dem Groß- und Außenhandelsverband Niedersachsen e.V. sowie der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft - beide zwischenzeitlich verschmolzen auf die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) - abgeschlossene Manteltarifvertrag vom (iF MTV), der weiterhin Gültigkeit hat. Die Beklagte ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ein Groß- und Außenhandelsunternehmen mit Sitz in Niedersachsen, das aufgrund Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des betreffenden Wirtschaftszweigs gebunden ist. Der räumliche und fachliche Geltungsbereich nach § 1 MTV ist eröffnet. Er bezieht sich auf das Land Niedersachsen und dortige Groß- und Außenhandelsunternehmen einschließlich der Hilfs- und Nebenbetriebe und gilt auch für Groß- und Außenhandelsunternehmen, die im Rahmen ihres Handelsgeschäfts Nebenleistungen erbringen, wie zB Montage, Instandhaltung und Instandsetzung. Nach seinem persönlichen Geltungsbereich gilt der Tarifvertrag für alle Arbeitnehmer.
32In dem MTV heißt es ua.:
33bb) Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tarifvertraglichen Regelungen bringen hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Tarifvertrag die Vergütung von Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer abschließend regelt. Die Zeiten, die ein Außendienstmitarbeiter in Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht für Fahrten zu und von Kunden aufwendet, sind uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung zu vergüten.
34(1) Ausgehend von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden gemäß § 4 Nr. 1 MTV beträgt nach den „Allgemeinen Entgeltbestimmungen“ in § 9 Nr. 1 MTV das Entgelt für eine Arbeitsstunde 1/167 des tariflichen Monatsentgelts, dessen konkrete Höhe im Entgelttarifvertrag geregelt ist. Eine Einschränkung für bestimmte Arten der Arbeitsleistung enthält diese Bestimmung nicht.
35(2) Sonderformen der Arbeit haben die Tarifvertragsparteien spezifischen Vergütungsregelungen unterworfen. Das betrifft etwa die in § 8 MTV vorgesehene Vergütung für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit iSv. § 7 MTV. § 8 Nr. 4 MTV sieht eine spezifische Regelung für Außendienstmitarbeiter, bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt, und für Reisende vor. Für diesen Personenkreis gilt die in der Tarifnorm enthaltene Zuschlagsregelung nicht.
36(3) § 4 MTV enthält eine Reihe von Öffnungsklauseln zugunsten der Betriebsparteien. So kann nach § 4 Nr. 1 Abs. 3 MTV durch freiwillige Betriebsvereinbarung die regelmäßige Monatsarbeitszeit befristet für drei Monate um bis zu 5 % herabgesetzt werden. Nach § 4 Nr. 4 MTV kann bei Arbeitnehmern, in deren Arbeitszeit regelmäßig oder in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt, die regelmäßige Arbeitszeit unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen auf bis zu 44 oder 50 Stunden je Arbeitswoche ohne Mehrarbeitszuschlag ausgedehnt werden.
37(4) Die Gesamtschau dieser Bestimmungen belegt, dass die Tarifvertragsparteien die Arbeitszeit und das für geleistete Arbeit zu zahlende Arbeitsentgelt im MTV umfassend und abschließend geregelt haben. Der MTV enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien Sonderregelungen für die Vergütung von Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter durch Betriebsvereinbarungen zugelassen haben. Aus dem Fehlen einer tarifvertraglichen Bestimmung über die Behandlung von Fahrt-/Wegezeiten als Arbeitszeit und deren Vergütungspflicht kann deshalb nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten insoweit keine Regelung treffen wollen.
38d) Der in § 8 BV geregelte Ausschluss der Vergütung für jeweils 20 Minuten der Fahrtzeit zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause betrifft die tariflich abschließend geregelte Vergütung für geleistete Arbeit. Die BV verstößt damit gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und ist deshalb insoweit (teil-)unwirksam (im Ergebnis ebenso Preis/Schwarz Dienstreisen als Rechtsproblem 2020, 107; in diese Richtung auch Boemke jurisPR-ArbR 9/2019 Anm. 7). Nach Streichung des § 8 BV verbleibt eine in sich geschlossene sinnvolle Regelung.
39e) Die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Regelungsgegenstand des § 8 BV einer Angelegenheit der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegt (dazu - zu C I 4 der Gründe, BAGE 69, 134; - 1 AZR 473/09 - Rn. 30, BAGE 138, 68). Ein solches Mitbestimmungsrecht setzt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG voraus, dass keine zwingende tarifliche Regelung besteht, an die der Arbeitgeber gebunden ist. Einer normativen Bindung der betriebszugehörigen Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) bedarf es hierfür nicht. Das gilt auch dann, wenn es sich bei der das Mitbestimmungsrecht verdrängenden tariflichen Regelung um eine Inhaltsnorm handelt ( - Rn. 21 mwN, BAGE 139, 332). § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG führt daher auch im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG zur Unwirksamkeit einer betrieblichen Regelung, soweit dieser eine zwingende tarifliche Regelung entgegensteht ( - Rn. 21). Das ist hier - wie oben ausgeführt - der Fall. Die Tarifvertragsparteien haben die Vergütung geleisteter Arbeit umfassend und abschließend geregelt und keine Öffnungsklausel für betriebliche Regelungen zur Vergütung der Fahrtzeiten von Außendienstmitarbeitern vereinbart. Es bedarf deshalb keiner weiteren Erörterung, ob und inwieweit die getroffene Regelung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegt.
40f) Die Auslegung des § 8 BV und die Annahme, diese betriebliche Regelung sei wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam, steht nicht in Widerspruch zu dem Urteil des Ersten Senats des - 1 ABR 59/05 -). Zwar hat der Erste Senat dort Bestimmungen in einer Gesamtbetriebsvereinbarung über die Festlegung eines Wegezeit-Eigenanteils für An- und Abreise zum ersten bzw. vom letzten Kunden/Einsatzstelle, der „zulasten“ eines Außendienstmitarbeiters gehen soll, für wirksam erachtet und dabei angenommen, die Bestimmungen enthielten keine Regelung der Arbeitsvergütung und beträfen insoweit auch keinen tariflich geregelten Gegenstand. Der Entscheidung lagen jedoch eine andere Betriebsvereinbarung und ein anderer Tarifvertrag zugrunde.
41g) Da die Verkürzung von vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters durch § 8 BV unwirksam ist, kann offenbleiben, ob - wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat - die vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich der Zuordnung von Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zur Arbeitszeit und zu deren Vergütung betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sind (zur Betriebsvereinbarungsoffenheit vertraglicher Einheitsregelungen vgl. nur - Rn. 60 mwN, BAGE 165, 168).
42III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts erweist sich im Umfang der - zulässigen - Hauptanträge zu 1. und 2. nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
431. Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt, dass sie mit dem Kläger individualvertraglich einen Ausschluss der streitgegenständlichen Ansprüche vereinbart hat. Ihre Behauptung, vor Geltung der BV seien den Servicetechnikern - so auch dem Kläger - jeweils 40 Minuten für die Anfahrt zum ersten und Abfahrt vom letzten Kunden „abgezogen worden“, schließt die Vergütungspflicht der umstrittenen Fahrtzeiten nicht aus. Die Beklagte hat damit lediglich ihre Abrechnungspraxis geschildert, nicht jedoch schlüssig das Zustandekommen einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Kläger dargelegt. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger im Hinblick auf die Regelungen in der BV es für längere Zeit hingenommen hat, dass seine in die „Stundennachweise für Servicetechniker“ eingetragenen Wegezeiten im Umfang der für das Fahren zum ersten und vom letzten Kunden aufgewendeten Zeit bis zu jeweils 20 Minuten nicht in das Arbeitszeitkonto eingestellt wurden. Das bloße Unterlassen eines sofortigen Widerspruchs stellt nicht die konkludente Erklärung einer Zustimmung dar (vgl. - Rn. 22).
442. Der Kläger kann für die Fahrtzeiten, die er in dem vom Antrag zu 1. erfassten Streitzeitraum über die geschuldete regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet hat, zwar keine Zahlung verlangen, soweit das Arbeitsverhältnis - wovon nach den bisherigen Feststellungen auszugehen ist - fortbesteht. Er hat auch unter Berücksichtigung von § 7 BV lediglich Anspruch auf Gutschrift solcher Zeiten im Arbeitszeitkonto hinsichtlich des sich daraus ergebenden aktuellen Saldos. Mit dieser Begründung kann die Revision in Bezug auf den Zahlungsantrag aber nicht ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und ein faires Verfahren zurückgewiesen werden, weil die Vorinstanzen auf diesen Mangel der Antragstellung nicht hingewiesen haben.
45a) Hat der Arbeitgeber „Guthabenstunden“ einem Zeitkonto zu Unrecht nicht zugeführt und wird das Konto weiterhin geführt, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich nur Anspruch auf Korrektur des aktuellen Saldos.
46b) Aus den Regelungen in der BV ergibt sich nichts Gegenteiliges. Zwar sieht § 7 Abs. 2 Satz 5 BV vor, dass von einem zum 31. Dezember eines jeweiligen Kalenderjahres bestehenden, nicht durch Freizeit ausgeglichenen „Stundenüberhang“ lediglich bis zu zehn Stunden in das Folgejahr übertragen werden können und bis zu maximal zehn Stunden - in Ausnahmefällen auch darüber hinaus geleistete „Überstunden“ - zur Auszahlung gelangen können. Doch bezieht sich die Regelung bei zutreffendem Verständnis nicht auf solche Zeiten, die der Arbeitgeber zu Unrecht nicht in ein Arbeitszeitkonto eingestellt hat.
47aa) Nach § 7 Satz 1 BV sind „Überstunden“ grundsätzlich durch Freizeit innerhalb desselben Monats auszugleichen. Soweit dem dienstliche Belange entgegenstehen, kann nach § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BV der Freizeitausgleich auf den nächsten Kalendermonat übertragen werden und sollen die „Überstunden“ in einem Zeitraum von 12 Monaten ausgeglichen sein. Dabei ist der Begriff der „Überstunden“ erkennbar nicht so zu verstehen, dass es den Betriebsparteien auf die Anspruchsvoraussetzungen „echter“ Überstundenvergütung ankäme. „Überstunden“ im Sinne der Bestimmung sind vielmehr, wie das Zusammenspiel mit § 9 Abs. 1 BV zeigt, sämtliche Zeiten vergütungspflichtiger Arbeit, die der Arbeitnehmer über die geschuldete regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet hat.
48bb) Die Regelungen in § 7 BV machen deutlich, dass der Ausgleich von „Überstunden“ vorrangig unterjährig durch bezahlte Freistellung von der Arbeit erfolgen soll. Nur ausnahmsweise soll nach § 7 Abs. 2 Satz 5 BV unter bestimmten Voraussetzungen ein zum 31. Dezember bestehender „Stundenüberhang“ zur Auszahlung gelangen. Diesem Regime ist angemessen Rechnung zu tragen, wenn der Arbeitgeber Arbeitszeit, die der Arbeitnehmer über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet hat, zu Unrecht nicht in das Arbeitszeitkonto eingestellt hat. In einem solchen Fall ist die Gutschrift in das aktuell geführte Arbeitszeitkonto einzustellen. Ein Auszahlungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 5 BV ist nach dem Regelungswillen der Betriebsparteien ersichtlich auf einen solchen „Überstundenüberhang“ beschränkt, der sich zum 31. Dezember eines jeweiligen Jahres unmittelbar aus dem Arbeitszeitkonto ergibt. Es muss sich also - nach dem Sprachgebrauch der Parteien - um „Plusstunden“ handeln, die vom Arbeitgeber bis zum Stichtag in das Konto eingestellt wurden.
49c) Dem Kläger, der dem in § 7 BV geregelten „Überstundenausgleich“ ersichtlich eine unzutreffende Bedeutung beigemessen hat, muss nach § 139 ZPO Gelegenheit gegeben werden, zu dieser verbindlichen Auslegung des § 7 BV Stellung zu nehmen, und er muss die Möglichkeit haben, sein Begehren entsprechend anzupassen. Das erfordern der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Grundsatz der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (dazu - Rn. 30; - 10 AZR 859/16 - Rn. 20, BAGE 160, 57).
50IV. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist deshalb im Umfang der Klageanträge zu 1. und 2. aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die vom Antrag zu 1. erfassten Fahrtzeiten sind vergütungspflichtig, und der Kläger hat jedenfalls dem Grunde nach Anspruch auf nachträgliche Gutschrift der vom Antrag zu 2. erfassten Fahrtzeiten als Arbeitszeit auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto. Ob die Klage mit diesen Hauptanträgen begründet ist, hängt hinsichtlich des Antrags zu 1. von einer sachdienlichen Antragstellung, und im Übrigen von weiteren Feststellungen ab. Der Senat kann hierüber wegen fehlender tatsächlicher Feststellung des Berufungsgerichts nicht selbst in der Sache entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), weshalb die Sache insoweit - einschließlich des zu 2. erhobenen Hilfsantrags - zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Im Umfang des unzulässigen Feststellungsantrags zu 3. hat das Landesarbeitsgericht demgegenüber die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weshalb die Revision insoweit zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).
511. Ein Anspruch auf Gutschrift der für die umstrittenen Fahrten aufgewendeten Zeit besteht nur, wenn der Kläger die betreffende Fahrtzeit über die von ihm geschuldete regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet hat. Das folgt aus § 9 Abs. 1 iVm. § 7 BV. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 BV erhält der Arbeitnehmer unabhängig von der Anzahl der geleisteten Stunden eine verstetigte Vergütung jeweils in Höhe eines Bruttomonatsgehalts. Darüber hinaus erhält er nach Satz 2 der Bestimmung die „Vergütung“ gemäß § 7 BV, wobei diese Regelung den gegebenenfalls vorzunehmenden „Überstundenausgleich“ betrifft. Auf dieser Grundlage bildet das Arbeitszeitkonto des Klägers lediglich ab, in welchem Umfang der Kläger Arbeitsleistungen über die geschuldete Sollarbeitszeit hinaus geleistet hat bzw. seine Arbeitsleistung dahinter zurückgeblieben ist.
52a) Bei der Führung des Arbeitszeitkontos hat die Beklagte eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden zugrunde gelegt und als „Plusstunden“ solche Zeiten eingestellt, aufgrund derer - nach ihrer Bewertung - eine arbeitstägliche „Sollarbeitszeit“ von 7 Stunden und 42 Minuten überschritten wurde. Im Rahmen seiner Klagebegründung hat sich der Kläger diese Berechnungstatsachen zu eigen gemacht und dementsprechend dem Grunde nach Vergütung bzw. Gutschrift von Zeiten, die er für Anfahrten zum ersten bzw. Abfahrten vom letzten Kunden bis zur Grenze von je 20 Minuten aufgewendet hat, lediglich insoweit verlangt als durch sie eine Arbeitszeit von mehr als 38,5 Stunden wöchentlich überschritten wurde. Dass für den Kläger auf der Grundlage der Regelungen im schriftlichen Arbeitsvertrag eine solche Regelarbeitszeit gilt, war zwischen den Parteien zuletzt auch unstreitig. Entsprechend baut das Rechenwerk des Klägers auf einer wöchentlichen „Sollarbeitszeit“ von 38,5 Stunden auf.
53b) Im Streitfall kommt es deshalb nicht darauf an, ob - wie der Senat in einer Parallelsache ( - Rn. 49) angenommen hat - die Regelung in § 3 BV, die für Servicetechniker eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden bestimmt, ebenfalls wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist, und welche Rechtsfolgen sich daraus für den Umfang der von einem Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit ergeben, dessen Arbeitsvertrag - anders als der Arbeitsvertrag des Klägers - auf die Bestimmungen des MTV verweist.
542. In welchem Umfang hiervon ausgehend ein Anspruch auf Gutschrift besteht, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen.
55a) Dem Kläger ist im fortgesetzten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben, zur Vorrangigkeit des Anspruchs auf Gutschrift im fortbestehenden Arbeitsverhältnis Stellung zu nehmen, und das Landesarbeitsgericht wird vor diesem Hintergrund auf die Stellung sachdienlicher Klageanträge hinzuwirken haben.
56b) Das Landesarbeitsgericht hat bisher keine Feststellungen zum Umfang der vom Kläger behaupteten, nicht in das Arbeitszeitkonto eingestellten Fahrtzeiten getroffen. Das wird es - je nach Antragstellung auch mit Blick auf die dem Antrag zu 1. zugrunde liegenden Zeiten - nachzuholen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit der betreffend Ansprüche aus dem Jahr 2013 seitens der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede zu befassen haben. Diesbezüglich wird das Landesarbeitsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:
57aa) Die Ansprüche auf Gutschrift unterliegen gemäß § 195 BGB einer Verjährung von drei Jahren. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. Entstanden iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist ein Anspruch, wenn er vom Gläubiger im Wege der Klage geltend gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs, die dem Gläubiger im Falle einer (Leistungs-)Klage die Möglichkeit zur Klageerhebung verschafft (vgl. - Rn. 16 mwN).
58bb) Hiervon ausgehend spricht im Streitfall viel dafür, dass die Verjährung in dem Zeitpunkt begann, zu dem der Kläger anhand monatlich geführter Stundennachweise erkennen konnte, in welchem Umfang sich aus den von ihm geleisteten Fahrtzeiten „Plusstunden“ ergaben, die von der Beklagten nicht dem Arbeitszeitkonto zugeführt wurden. Welcher Zeitpunkt insoweit maßgeblich ist, ist dem Parteivorbringen bisher nicht zu entnehmen. Insbesondere wird nicht deutlich, zu welchem Zeitpunkt dem Kläger die fraglichen Stundennachweise vorlagen. Der Beklagten ist daher erforderlichenfalls Gelegenheit zu geben, ihr Vorbringen zum Zeitpunkt des Beginns der Verjährung zu verdeutlichen.
593. Der Zurückverweisung unterliegt auch der zu 2. hilfsweise erhobene Feststellungsantrag. Über diesen ist nur zu entscheiden, wenn sich die Klage mit dem Hauptantrag zu 2. als unbegründet erweist. Sollte diese Bedingung eintreten, wäre der Feststellungsantrag allerdings als unzulässig abzuweisen. Gegenstand einer Feststellungsklage iSd. § 256 ZPO - auch einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO - kann nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein ( - Rn. 14 mwN). Darauf bezieht sich der Feststellungsantrag - ausgehend davon, dass die mit dem Hauptantrag begehrte Gutschrift auf die Korrektur des aktuell im Arbeitszeitkonto ausgewiesenen Saldos gerichtet ist - nicht. Er umfasst lediglich Elemente, die für die Berechnung eines solchen Saldos von Bedeutung sind.
60V. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:180320.U.5AZR25.19.0
Fundstelle(n):
RAAAH-50125