(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Lichtbild auf der elektronischen Gesundheitskarte - Vereinbarkeit mit Art 4 GG)
Leitsatz
Versicherte können sich nicht unter Hinweis auf die Freiheit des religiösen Bekenntnisses der Obliegenheit entziehen, vertrags(zahn)ärztliche Leistungen einschließlich psychotherapeutischer Behandlungen nur unter Vorlage einer elektronischen Gesundheitskarte mit Lichtbild beanspruchen zu können.
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 15 Abs 2 SGB 5, § 291 Abs 2 S 4 SGB 5, Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 2 GG
Instanzenzug: SG Konstanz Az: S 2 KR 1276/17 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 5 KR 2362/18 Urteil
Gründe
1I. Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin begehrt von der Beklagten, ihr die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes Nachweisdokument ohne Lichtbild zu ermöglichen. Das SG hat die Klage mit dem entsprechenden Hauptantrag ebenso abgewiesen wie die hilfsweise begehrte Feststellung, eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit Bild als Versicherungsnachweis nicht verwenden zu müssen, um wirksam Leistungen beanspruchen zu können. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat - auch unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom (B 1 KR 35/13 R - BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) - einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verneint. Die Klägerin erfülle keine der gesetzlich geregelten Ausnahmen vom Lichtbilderfordernis. Religiöse Gründe könnten ebenfalls keine Ausnahme rechtfertigen. Die Klägerin verweise zudem nur pauschal auf das Grundrecht aus Art 4 GG. Die vorgebrachten religiösen Gründe seien nicht glaubhaft. Deshalb komme auch eine Ungleichbehandlung mit Versicherten, bei denen KKn aus religiösen Gründen möglicherweise kein Lichtbild forderten, schon im Ansatz nicht in Betracht. Auch sonst verstoße die Obliegenheit, für eine eGK ein Lichtbild zur Verfügung zu stellen, nicht gegen Grundrechte. Auf eine individuelle Zuverlässigkeit der Klägerin komme es nicht an. Nach alledem und mangels anderer, gleich geeigneter, weniger belastender Möglichkeiten könne auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben (Urteil vom ).
2Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
3II. Die Beschwerde, mit der die Klägerin allein die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), ist hinsichtlich der ersten fünf Rechtsfragen zulässig. Ihr Vortrag genügt insoweit noch den Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Beschwerde ist aber nicht begründet (dazu 1.). Hinsichtlich der sechsten bis achten Rechtsfrage erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgeblichen Darlegungsvoraussetzungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG (dazu 2.). Insgesamt ist die Beschwerde daher zurückzuweisen.
41. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Hieran fehlt es.
6Im Kern will die Klägerin in der Sache wissen, ob sie unter Berufung auf Art 4 GG Anspruch auf Erteilung einer eGK ohne Lichtbild hat; hilfsweise will sie für diesen Fall wissen, ob und ggf in welchem Umfang sie darlegen muss, dass ihre Glaubensüberzeugung sich mit einer eGK mit Lichtbild nicht vereinbaren lässt.
7Die aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung; sie bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch - BSGE 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4 S 5; - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 17) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 8; - juris RdNr 6 mwN). So liegt der Fall hier.
8§ 291 Abs 2 Satz 4 und 5 SGB V bestimmt: Die elektronische Gesundheitskarte ist mit einem Lichtbild des Versicherten zu versehen. Versicherte bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres sowie Versicherte, deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes nicht möglich ist, erhalten eine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild.
9Diese Regelungen sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Versicherte können sich nicht unter Hinweis auf Art 4 GG der Obliegenheit entziehen, vertrags(zahn)ärztliche Leistungen einschließlich psychotherapeutischer Behandlungen (vgl § 15 Abs 2 SGB V) nur unter Vorlage einer eGK mit Lichtbild beanspruchen zu können (dazu a). Der Senat kann offenlassen, ob Versicherte aus religiösen Gründen Abweichungen von der Gestaltung des Lichtbildes beanspruchen können (vgl auch § 7 Abs 3 Satz 4 Personalausweisverordnung, wonach die Personalausweisbehörde vom Verbot der Kopfbedeckung auch aus religiösen Gründen Ausnahmen zulassen kann). Bloße Abweichungen von der Gestaltung des Lichtbildes hat die Klägerin nicht begehrt. Sie will, dass ihr eine eGK ohne jegliches Lichtbild zur Verfügung gestellt wird. Insoweit stellt sich nicht die Frage, ob und in welchem Umfang sie darlegen muss, dass ihre Glaubensüberzeugung sich mit einer eGK mit Lichtbild nicht vereinbaren lässt. Der Senat weist jedoch ergänzend darauf hin, dass die KKn in diesen Fällen prüfen und entscheiden dürfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art 4 GG zuordnen lässt, also der Versicherte tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (dazu b).
10a) Nach der Rspr des BVerfG garantiert Art 4 GG in Abs 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Abs 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl - BVerfGE 137, 273, RdNr 98 mwN). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl , 1 BvR 1181/10 - BVerfGE 138, 296, RdNr 85 mwN).
11Einschränkungen von Art 4 Abs 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil dieses Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die Einschränkung bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl - NJW 2020, 1049, RdNr 82 = juris RdNr 82 mwN). Eine verfassungsimmanente Schranke der Religionsfreiheit ist die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Deren Finanzierbarkeit ist in einem Sozialstaat ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ( - BVerfGE 114, 196, 248 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 139 = juris RdNr 239; vgl auch , 1 BvR 2959/07 - BVerfGE 126, 112, 143 = SozR 4-1100 Art 12 Nr 21 RdNr 99). Sie ist ein Gemeinwohlbelang von derart hoher Bedeutung, dass Maßnahmen, die ihr zu dienen bestimmt sind, auch dann gerechtfertigt sein können, wenn sie für die Betroffenen zu fühlbaren Einschränkungen führen (, 1 BvR 523/82, 1 BvR 728/82, 1 BvR 700/82 - BVerfGE 70, 1, 30 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 11 f = juris RdNr 88; - BVerfGE 82, 209, 230 = juris RdNr 82).
12Das von der Klägerin angegriffene Lichtbilderfordernis ist durch dieses überwiegende Allgemeininteresse an der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV gerechtfertigt. Es ist zur Verhinderung von Missbrauch und zur Kosteneinsparung geeignet, erforderlich und angemessen. Ua das Aufbringen eines Lichtbildes dient dazu, die Aktualität und Zuordnung der Krankenversichertenkarte zum jeweiligen Karteninhaber zu überprüfen und dadurch Missbrauch zu verhindern (vgl Begründung des Gesetzentwurfs eines GMG der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/1525 S 143). Diese Maßnahme ist evident geeignet, die Identifizierung einer Person, die GKV-Leistungen in Anspruch nehmen will, zu erleichtern und Nichtberechtigte vom Leistungsbezug auszuschließen. Es ist für die von der Klägerin angegriffenen Regelungen nicht ersichtlich, dass es andere gleich geeignete, weniger belastende Möglichkeiten gibt, um die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. So war die bisherige Krankenversichertenkarte ohne Lichtbild nur bedingt geeignet, einer missbräuchlichen Verwendung zu begegnen (zu Schadensschätzungen von 1 Mrd Euro pro Jahr, die auf vor mehr als zehn Jahren durchgeführten Untersuchungen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns beruhen, vgl www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/chipkarten-abzocken-per-krankenkarte-1147791.html; www.welt.de/print-wams/article120100/Milliardenbetrug-mit-Chipkarten.html; www.aerzteblatt.de/archiv/39642/Gesetzliche-Krankenversicherung-Wandernde-Chipkarten). Sie wies ein erhebliches Missbrauchspotential auf, das deutlich höher war als jenes der eGK (vgl Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, 2008, S 74; vgl zu einem Missbrauchssachverhalt auch - BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr 9; vgl zum Ganzen - BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1, RdNr 27 und 29).
13Der erkennende Senat hat in anderem Zusammenhang entschieden, dass die durch das GG gewährleistete Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art 4 Abs 1 GG) nicht dazu führt, dass die religiös motivierte Ablehnung von Bluttransfusionen einer medizinisch notwendigen Verlegung des Versicherten von einem Krankenhaus in ein anderes gleichzustellen ist. Sie begründen keine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche. Eine leistungsrechtliche Privilegierung krankenversicherter Angehöriger einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, die im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG der Rechtfertigung bedürfte, kann aus Art 4 Abs 1 GG als einem klassischen Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat nicht hergeleitet werden (vgl - SozR 4-2500 § 60 Nr 3 RdNr 18). Nichts anderes gilt, soweit es um der Leistungsgewährung vorgelagerte Obliegenheiten geht, die das Gesetz den Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung auferlegt.
14b) Nur ergänzend weist der Senat für die aufgrund der gerechtfertigten Einschränkung des Art 4 GG hier nicht relevante Frage, ob und in welchem Umfang Glaubensüberzeugungen gegenüber staatlichen Organen zu belegen sind, auf Folgendes hin: Zwar darf bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (vgl , 1 BvR 1181/10 - BVerfGE 138, 296, RdNr 86; s ferner - BVerfGE 83, 341, 353 = juris RdNr 65; - BVerfGE 108, 282, 298 f = juris RdNr 40; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 354/11 - juris RdNr 59; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1333/17 - NJW 2017, 2333, RdNr 39 = juris RdNr 39). Dem Staat ist es jedoch verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden (, 1 BvR 1181/10 - BVerfGE 138, 296, RdNr 86 mwN).
152. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin hinsichtlich der sechsten bis achten Rechtsfrage nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Hieran fehlt es.
16a) Die Klägerin formuliert als sechste Rechtsfrage: "f) Stellt es eine Ungleichbehandlung und ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG iVm Art 4 Abs. 1 GG wegen Benachteiligung des Glaubens dar, wenn Mitgliedern von gesetzlichen Krankenversicherten von bestimmten Glaubensgemeinschaften, wie beispielsweise islamischen Glaubens ohne Beleg der religiösen Gründe Gesundheitskarten ohne Lichtbild ausgestellt werden, hingegen anderen Mitgliedern, die ebenfalls religiöse Gründe geltend machen, keine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild von den gesetzlichen Krankenkassen ausgestellt bekommen, weil diese keine Belege für die religiösen Gründe vorgelegt haben."
17Die Klägerin legt die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht dar. Die Klägerin zeigt nicht auf, weshalb der erkennende Senat in einem angestrebten Revisionsverfahren an die Feststellung gebunden wäre, dass Krankenversicherten bestimmter Glaubensgemeinschaften ohne Beleg der religiösen Gründe eGKn ohne Lichtbild ausgestellt werden. Das LSG verweist insoweit nur darauf, dass "möglicherweise" für Mitglieder bestimmter Glaubensrichtungen eGKn ohne Lichtbild ausgestellt werden. Die Klägerin zeigt auch ansonsten nicht auf, dass die von ihr behauptete Verwaltungspraxis besteht. Im Übrigen würde die Klägerin unter Berücksichtigung dessen, dass Art 4 GG kein Recht einräumt, eine eGK ohne Lichtbild zu beanspruchen, damit nur eine durch die Rechtsordnung ausgeschlossene "Gleichbehandlung im Unrecht" einfordern (vgl zu diesem Topos auch - SozR 4-2400 § 7 Nr 43 RdNr 28 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
19Der erkennende Senat lässt offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Wer sich - wie die Klägerin hier - auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur eGK beruft, darf sich nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier den Schutz des Eigentums (Art 14 Abs 1 GG) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Er muss sich deshalb mit der bisherigen einschlägigen Rspr des BVerfG und des BSG auseinandersetzen, weil bereits bestehende höchstrichterliche Rspr einer erneuten Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage unter Umständen entgegenstehen kann (stRspr des BVerfG, vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 6 mwN). Die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesnorm ist trotz einer vorliegenden Entscheidung des BSG nicht schon deswegen von vornherein immer völlig unproblematisch. Hat eine Entscheidung eines obersten Fachgerichts bereits alle wesentlichen Aspekte einer Rechtsfrage gewürdigt, muss es einem Beschwerdeführer - schon im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - unbenommen bleiben, in seinem Verfahren eine Überprüfung dieser Würdigung zu begehren, wenn er dafür vernünftige und gewichtige Gründe anführen kann. Das gilt besonders, wenn es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die auch das BVerfG noch nicht abschließend entschieden hat (vgl - BVerfGE 91, 93, 106 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31 = juris RdNr 57). Hierzu muss der Beschwerdeführer den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des GG darlegen, um derartige vernünftige und gewichtige Gründe aufzuzeigen (vgl allgemein zB - juris RdNr 6 mwN; vgl auch BVerfG <Dreier-Ausschuss> Beschluss vom - 2 BvR 1037/81 - SozR 1500 § 160a Nr 45, wonach das BSG nähere Ausführungen zur Grundrechtsverletzung verlangen dürfe, dort zur Gleichbehandlung bei der Rüge eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz). Daran fehlt es hier. Die Klägerin geht bereits weder auf den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG ein noch setzt sie sich damit auseinander, dass Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden, zu denen auch die Vorschriften über die eGK gehören.
21Der erkennende Senat lässt auch hier offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich im Wesentlichen darin, unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Kritik an der Rspr des erkennenden Senats zu üben und sie in Frage zu stellen. Die Klägerin legt nach Maßgabe des oben (2. b) aufgezeigten Prüfungsmaßstabs nicht hinreichend dar, wieso mit Blick auf die Rspr des erkennenden Senats zur eGK ( - BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) noch Klärungsbedarf bestehen soll. Sie kritisiert diese Rspr lediglich mit Hinweis auf andere - nach ihrer Auffassung weniger grundrechtsintensive, insbesondere die rassische und ethnische Herkunft nicht erkennen lassende und zudem effektivere - Möglichkeiten der Identitätsfeststellung.
22d) Sofern die Klägerin auch eine Unvereinbarkeit der §§ 15 Abs 2, 291 Abs 1, 2, 291a SGB V bzw der Rspr des erkennenden Senats mit Gemeinschaftsrecht als Rechtsfrage implizit formulieren will, fehlt es jedenfalls an näherem Vorbringen. Hierzu genügt es nicht, dass die Klägerin auf die zum mit unmittelbarer Wirkung in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (<DSGVO> Verordnung <EU> 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, ABl L 119 vom , S 1; berichtigt durch ABl L 314 vom , S 72; berichtigt durch ABl L 127 vom , S 2) verweist und ausführt, nach Art 9 Abs 1 DSGVO sei der Umgang mit sensiblen Daten grundsätzlich untersagt. Die Klägerin hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob die Ausführungen des Senats zu den bereichsspezifischen Datenschutzregelungen des SGB V ( - BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1, RdNr 14 ff) durch das Inkrafttreten der DSGVO ihre Gültigkeit verloren haben. Insofern hätte es insbesondere der Auseinandersetzung bedurft mit Art 9 Abs 2 Buchst h DSGVO (Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten), der die grundsätzlich untersagte Verarbeitung von Gesundheitsdaten (zum Begriff vgl Art 4 Nr 15 DSGVO) gestattet, sofern diese "für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs (…) erforderlich" ist. Dabei müssen die in Art 9 Abs 3 DSGVO genannten Bedingungen und Garantien beachtet werden (vgl dazu auch - juris RdNr 8).
233. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:190320BB1KR8918B0
Fundstelle(n):
PAAAH-49697