Gefährlichkeitsprognose für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Straftaten in einer Unterbringungseinrichtung
Gesetze: § 63 S 1 StGB
Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 17 Js 194/19 - 8 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Beschuldigte hatte am auf Grund eines paranoid-psychotischen Schubs seiner rezidivierenden depressiven Störung die spontane Idee, er könne einen Schlussstrich unter seine vielseitigen Probleme dadurch ziehen, dass er die Kanzleiräume seines damaligen Rechtsanwalts aufsuche und dort ein „Zeichen“ setze, indem er ein „Feuer Gottes“ entzünde. Dazu warf er die Verglasung der Eingangstüre ein und verschaffte sich Zugang zur Kanzlei. Im Büro seines Rechtsanwalts suchte er Toilettenpapier und Weihnachtsdekoration aus den umliegenden Räumen und Fluren zusammen, legte diese in einen Tontopf, zog sich eine Robe an und entflammte den gefüllten Topf mit seinem Feuerzeug. In das sich entzündende etwa 30 cm hoch lodernde Feuer gab der Beschuldigte Papierseiten und Materialen hinzu, lachte vor Freude und bewegte sich in tanzenden Bewegungen um den brennenden Topf, bis Polizeibeamte eintrafen und ihn widerstandslos festnahmen und in die Psychiatrie brachten. Dort blieb der Beschuldigte zunächst auf freiwilliger Basis.
4Als der Beschuldigte am nach einem Ausgang verlangte, wurde ihm dies auf Grund seines Zustands verwehrt. Darauf reagierte er mit den Worten: „OK. Das ist nicht gut. Dann wird´s jetzt passieren.“ Da der Beschuldigte davon überzeugt war, dass die Klinik von Geistern heimgesucht wird, wollte er um jeden Preis entkommen und seine Flucht mit einem „Feuer Gottes“ begleiten. Dazu nahm er in der Mittagszeit von einem schon getrockneten Tannenbaum im Bereich der Kantine die Dekoration ab, zog diesen auf den Balkon und lehnte ihn an hölzerne Verstrebungen und eine hölzerne Fensterbank an. Sodann rollte er einen Servierwagen mit Teekannen auf den Balkon und rückte hinter den Servierwagen einen Kickertisch. Mit Hilfe von Klebeband verschnürte er den Türgriff zum Balkon, um auf diese Weise eine Barrikade zu errichten und zu verhindern, dass das Klinikpersonal ihn erreichen konnte. Weiter legte der Beschuldigte Zeitungen und Textilien auf die Fensterbank des so präparierten Balkons und zündete alles an, um sich die Flucht vor den gefürchteten Geistern zu ermöglichen. Die Flammen schlugen hoch zur Spitze des Tannenbaums und hatten das Potential, die Holzverkleidungen und weitere Teile des Gebäudes zu erfassen. Durch Personal der Klinik, das durch die Rauchentwicklung auf das Feuer aufmerksam geworden war, konnten letztlich die Tür von der Kantine zum Balkonbereich aufgedrückt und der Beschuldigte in die Kantine hereingezogen werden, so dass dieser keine Möglichkeit sah, seinen Plan weiter zur verwirklichen. Das Feuer konnte gelöscht werden, wobei an der Fensterbank und den Holzverstrebungen im Balkonbereich nur geringer Schaden durch starke Verrußungen in Höhe von mindestens 500 EUR entstand.
52. Das Landgericht hat - in seinen sehr knapp gehaltenen Urteilsgründen - die Tat am als versuchte schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gewertet. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend hat es angenommen, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einer rezidivierenden depressiven Störung mit paranoid-psychotischen Episoden litt, so dass zwar seine Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt, die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung nicht ausschließbar aufgehoben, zumindest aber sicher erheblich vermindert gewesen sei. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bejaht und ist von einer Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit ausgegangen, da dessen Krankheitsbild typisch für ungünstige Prognosen und mit weiteren gleichartigen Taten zu rechnen sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Tat nur einen Versuch darstellte, denn „der Beschuldigte hat sie in dem besonders schützenden Umfeld einer Klinik begangen, in dem er beobachtet und mit einer an sich gegebenen Perspektive zur Genesung behandelt wurde“ (UA S. 17).
II.
6Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Feststellungen des Landgerichts eine Wertung der Anlasstat als versuchte schwere Brandstiftung rechtfertigen; jedenfalls weist die Prognose einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.
81. Für eine negative Gefährlichkeitsprognose muss nach § 63 Satz 1 StGB eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 36/18 Rn. 25; vom - 3 StR 349/13 Rn. 5; vom - 3 StR 171/14 Rn. 5; vom - 3 StR 372/14 Rn. 4; vom - 1 StR 594/16 Rn. 10 und vom - 3 StR 535/16 Rn. 7).
92. Diesen Anforderungen genügt die Gefahrenprognose des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht nicht.
10a) Für eine vollständige Gefährlichkeitsprognose hätte es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und seines Verhaltens im Rahmen der seit der Tatbegehung andauernden vorläufigen Unterbringung im Maßregelvollzug bedurft, zumal der Beschuldigte - trotz der als langjährig eingestuften Erkrankung - bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 253/19 Rn. 5; vom - 4 StR 135/19 Rn. 6 und vom - 5 StR 109/19 Rn. 14; Urteile vom - 5 StR 99/19 Rn. 9 und vom - 2 StR 453/99 Rn. 5, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).
11So wird nach den bisherigen Ausführungen des Landgerichts bereits ein wesentlicher Teil des Vorlebens des Beschuldigten nicht erfasst. Es bleibt unklar, welche Diagnosen im Rahmen des ersten Aufenthalts in der Psychiatrie im Jahr 2014 gestellt und welche Behandlungen durchgeführt wurden. Auch zur konkreten Lebenssituation des Beschuldigten vor der Tat finden sich außer dem Hinweis, dass er ein Haus allein bewohnte und zuletzt Sozialleistungen bezog (UA S. 3 f.), keine weiteren Feststellungen. Das Verhalten des Beschuldigten und die bisherigen Behandlungen in der seit der Tat vom bis zur Hauptverhandlung in dieser Sache im Juli 2019 andauernden vorläufigen Unterbringung werden ebenfalls nur unzureichend im Rahmen der Gesamtwürdigung berücksichtigt. Den Ausführungen des Landgerichts ist nur zu entnehmen, dass der Beschuldigte offensichtlich mit der Verabreichung von Depotspritzen nicht einverstanden war (UA S. 19); unklar bleibt aber, welche konkreten weiteren oder alternativen Behandlungen während der bisherigen vorläufigen Unterbringung durchgeführt wurden.
12b) Daneben hat das Landgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bei der Prüfung der Erheblichkeit der (begangenen und künftig zu erwartenden) Taten besondere Anforderungen stellt, wenn - wie hier - ein Beschuldigter oder Angeklagter diese im Rahmen von Unterbringungen in Betreuungseinrichtungen verübt. Hier ist der Umstand besonders in den Blick zu nehmen, dass innerhalb einer Einrichtung begangene Taten nicht mit solchen außerhalb gleichgesetzt werden dürfen, wenn die Taten nicht ausschließbar ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden besonderen Situation haben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 297/14 Rn. 7; vom - 4 StR 269/99 Rn. 3; vom - 1 StR 194/02 Rn. 10; vom - 3 StR 27/09 Rn. 9; vom - 4 StR 635/10 Rn. 13 und vom - 4 StR 81/12 Rn. 5).
13Insoweit teilt der Senat die vom 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom (5 StR 410/19) geltend gemachten Bedenken an der bisherigen ständigen Rechtsprechung nicht. Verhaltensweisen eines möglicherweise schwierigen Insassen in einer Unterbringungseinrichtung, durch die das Pflegepersonal oder Mitpatienten betroffen werden, sind bei wertender Betrachtung nicht mit Handlungen des Täters außerhalb der Betreuungseinrichtung gleichzusetzen und verlangen regelmäßig schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel, zumal wenn er sich durch die Tat dem Vollzug der Unterbringung durch Flucht entziehen will. Deshalb sind diese Umstände im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung generell und nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn nach den konkreten Umständen der Tat(en) besonderer Anlass zur ausdrücklichen Würdigung der Unterbringungssituation besteht. Die Gefährlichkeitsprognose ist auf die Grundbedingungen der Freiheit ausgerichtet. Taten unter den Umständen einer gesicherten und freiheitsbeschränkenden Verwahrung sind deshalb zwar nicht weniger gewichtig, aber - anders als der 5. Strafsenat meint - von geringerer prognostischer Aussagekraft, erst recht dann, wenn sie von den Besonderheiten der Freiheitsbeschränkung erkennbar mitgeprägt sind.
143. Die bisherigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können aufrecht erhalten bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird aber ergänzende Feststellungen zu treffen haben, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150120B1STR604.19.0
Fundstelle(n):
LAAAH-49292