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BGH Beschluss v. - XII ZB 570/19

Betreuungsverfahren: Pflicht zur Benachrichtigung des Verfahrenspflegers trotz Vertretung durch Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten

Leitsatz

Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Solange die Bestellung des Verfahrenspflegers nicht aufgehoben ist, gilt dies auch dann, wenn der Betroffene durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 57/19, FamRZ 2019, 1356).

Gesetze: § 276 Abs 1 S 1 FamFG, § 276 Abs 4 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 T 669/19vorgehend AG Oldenburg (Oldenburg) Az: 56 XVII (HA) 6871

Gründe

I.

1Die Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge.

2Die Betroffene leidet unter einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und einer Gefäßerkrankung. Im Juli 2019 erfolgte die medizinisch notwendige Amputation ihres rechten Oberschenkels.

3Nach einer vorläufigen Betreuerbestellung hat das im Hauptsacheverfahren den Beteiligten zu 1 zum Betreuer bestellt und ihm den Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit der Betreuten einschließlich der Einwilligung in Heilmaßnahmen, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post übertragen. Zudem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Einwilligung des Betreuers in die dringend erforderliche Amputation des linken Oberschenkels der Betroffenen genehmigt, da sie an einer beginnenden Sepsis zu versterben drohte. Die Heilmaßnahme wurde anschließend durchgeführt.

4Die Betroffene hat durch ihren in der Beschwerdeinstanz bestellten Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen den Beschluss vom eingelegt, die das Landgericht nach erneuter Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

61. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung lägen vor. Die Betroffene leide an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, aufgrund derer sie nicht mehr in der Lage sei, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Die entsprechende Einschätzung des Sachverständigen werde durch das Verhalten der Betroffenen im Rahmen ihrer Erkrankung bestätigt. Obwohl ihre schwere Gefäßerkrankung seit langem bekannt sei, negiere sie deren Vorliegen konsequent. Zudem halte die Betroffene an der unrealistischen Vorstellung fest, ihre Pflege könne zu Hause durch ihre Tochter erfolgen. Außerdem sei die Betroffene der festen Auffassung, dass ihre erwachsenen Kinder nach wie vor auf ihre Hilfe angewiesen seien. Die Einrichtung einer Betreuung sei auch gegen den Willen der Betroffenen möglich, weil sie ihren Willen nicht mehr frei und unbeeinflusst von ihrer Erkrankung bilden könne. Aufgrund der Fixierung auf ihre eigene Gedankenwelt sei die Betroffene zu einer Abwägung nicht mehr in der Lage. Daher komme sie zu einer völlig unrealistischen Einschätzung ihrer Situation.

72. Die Entscheidung hält der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrüge nicht stand.

8a) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde allerdings, dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen nicht die Möglichkeit eingeräumt worden sei, an der Anhörung im Beschwerdeverfahren teilzunehmen.

9Ist ein Betroffener - wie hier - durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten, muss diesem zwar grundsätzlich Gelegenheit gegeben werden, an der Anhörung teilnehmen zu können (Senatsbeschluss vom - XII ZB 331/16 - FamRZ 2017, 131 Rn. 7 mwN). Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus der Verfahrensakte, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen rechtzeitig telefonisch von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wurde. Dieser hatte aber in dem Telefongespräch erklärt, dass die Übersendung eines Vermerks über die Anhörung mit der Möglichkeit einer Stellungnahme hierzu für ihn ausreichend sei. Unter diesen Umständen konnte die Anhörung der Betroffenen auch ohne Anwesenheit ihres Verfahrensbevollmächtigten durchgeführt werden.

10b) Die Rechtsbeschwerde beanstandet allerdings zu Recht, dass auch die Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren an einem Verfahrensfehler leide, weil dem Verfahrenspfleger nicht die Möglichkeit eingeräumt worden sei, an der Anhörung der Betroffenen teilzunehmen.

11aa) Eine Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren, die stattgefunden hat, ohne dass der Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen, ist grundsätzlich verfahrensfehlerhaft. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll - wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist - nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 57/19 - FamRZ 2019, 1356 Rn. 8 mwN).

12Solange die Bestellung des Verfahrenspflegers nicht aufgehoben ist, gilt dies auch dann, wenn der Betroffene durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird. Zwar bedarf ein Betroffener, der im Betreuungsverfahren anwaltlich vertreten ist, regelmäßig nicht mehr der Hilfe und Unterstützung eines Verfahrenspflegers (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: Januar 2020] § 276 Rn. 15). § 276 Abs. 4 FamFG sieht allerdings für Fälle, in denen ein Betroffener für die Vertretung im Verfahren durch die Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten selbst Sorge getragen hat, lediglich vor, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers aufgehoben werden soll. Durch die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift wird dem Gericht die Möglichkeit gegeben, in atypischen Fällen für eine ordnungsgemäße Vertretung des Betroffenen zu sorgen, wenn diese durch den von ihm bestellten Bevollmächtigten nicht gewährleistet erscheint (Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 276 Rn. 11). Denn anders als ein Verfahrensbevollmächtigter nimmt der Verfahrenspfleger eine eigenständige Verfahrensrolle ein, die auf die Wahrnehmung der objektiven Interessen des Betroffenen beschränkt ist, und er ist nicht an Weisungen und Wünsche des Betroffenen gebunden (BeckOK FamFG/Günter [Stand: Januar 2020] § 276 Rn. 2). Solange die Bestellung des Verfahrenspflegers nicht durch das Betreuungsgericht aufgehoben ist, bleibt er deshalb auch dann, wenn der Betroffene einen Verfahrensbevollmächtigten bestellt hat, Verfahrensbeteiligter mit sämtlichen damit verbundenen Rechten.

13bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage durfte das Landgericht nicht von einer Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin absehen, weil dessen Bestellung zum Zeitpunkt der Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren noch nicht aufgehoben war. Die ohne die Möglichkeit der Beteiligung des Verfahrenspflegers erfolgte Anhörung ist auch dann verfahrensfehlerhaft und verletzt die Betroffene in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 57/19 - FamRZ 2019, 1356 Rn. 8 mwN).

143. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.

15Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16Bislang hat das Beschwerdegericht einen über die Gesundheitssorge hinausgehenden Betreuungsbedarf der Betroffenen nicht ausreichend festgestellt. Seine Ausführungen hierzu beschränken sich im Wesentlichen auf die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen und auf deren fehlenden freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB. Tragfähige Feststellungen zum Betreuungsbedarf in den weiteren Aufgabenbereichen enthält die angefochtene Entscheidung nicht.

17Gleiches gilt für die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge. Das Amtsgericht begründet die Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts allein mit der Gefahr, dass die Betroffene ihr Geld ihren Kindern überlässt, ohne eigene Mittel zur Finanzierung des Heimaufenthalts zur Verfügung zu haben. Konkrete Feststellungen, in welchem Umfang die Betroffene ohne die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zukünftig ihre Vermögensinteressen gefährden könnte, finden sich jedoch in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht. Die Beschwerdeentscheidung verhält sich zu der Erforderlichkeit des angeordneten Einwilligungsvorbehalts nicht.

184. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:180320BXIIZB570.19.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2020 S. 825 Nr. 14
HAAAH-49156