BGH Beschluss v. - 1 StR 481/19

Sexuelle Nötigung: Erforderliche Feststellungen zur Widerstandslosigkeit des Opfers nach altem Recht

Gesetze: § 177 Abs 1 Nr 3 StGB vom

Instanzenzug: LG Bamberg Az: 1105 Js 14183/18 - 33 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich der Angeklagte und der Geschädigte, der 14 Jahre alte Praktikant S.   , am allein in einer Lagerhalle auf. Um sexuelle Handlungen gegen den Willen des Nebenklägers, dessen Alter der Angeklagte auf 16 Jahre schätzte, auszuüben, griff dieser nach Ausschalten des Lichts jenen schmerzhaft am Arm und zog ihn in einen kleineren Raum. Der Angeklagte manipulierte dort am Penis des Nebenklägers. S.    rief vergeblich mehrfach um Hilfe; er versuchte, zu entkommen, was ihm jedoch aufgrund der körperlichen Überlegenheit des Angeklagten nicht gelang. Schließlich setzte sich der Angeklagte, mit Arztkittel und Stethoskop bekleidet sowie den Nebenkläger auf einem Tisch fixierend, auf dessen Beine und stieß S.    mehrfach zurück, sodass dieser mit dem Kopf auf der Tischplatte aufschlug. Der Angeklagte drückte seinen Penis in den Mund des Jugendlichen und vollzog zudem den Analverkehr bis zum Samenerguss.

3Am zog der Angeklagte in gleicher Weise wie am Vortag den Nebenkläger in den Nebenraum und fixierte erneut dessen Oberkörper mit erheblichem Druck auf dem Tisch. Er nahm den Penis des Jugendlichen in den Mund und drang schließlich mit seinem Penis in den After des Geschädigten ein.

42. Das Landgericht hat neben § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF auch die Tatbestandsvariante des Ausnutzens einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) als erfüllt angesehen. In der konkreten Strafzumessung hat es innerhalb des Regelstrafrahmens nach § 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB die Verwirklichung beider Tatbestandsvarianten als erschwerend gewürdigt.

II.

5Die Revision ist teilweise begründet.

61. Der Schuldspruch hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung in zweierlei Hinsicht nicht stand.

7a) Die Feststellungen tragen nicht die Tatbestandsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF. Diese Strafvorschrift setzt voraus, dass das Opfer aus Furcht vor Gewalteinwirkungen des Täters von – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand absieht, weil es dies aufgrund seiner schutzlosen Lage für aussichtslos hält (st. Rspr.; , BGHSt 50, 359, 366 und vom – 2 StR 405/15, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3 Schutzlose Lage 4 Rn. 16; Beschlüsse vom – 3 StR 431/17; vom – 3 StR 107/17; vom – 4 StR 410/15 Rn. 6 und vom – 5 StR 12/15 Rn. 3).

8Eine solche Aufgabe dem Nebenkläger an sich möglicher Gegenwehr hat das Landgericht nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (insbesondere UA S. 6, 12, 18, 20) für die zweite Tat, bei welcher der Geschädigte unter dem Eindruck der ersten stand; vielmehr erzwang der Angeklagte das Durchführen des Oral- und Analverkehrs und der anderen sexuellen Handlungen bereits durch die verschiedenen Gewaltakte.

9b) Die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF) hat jedenfalls deswegen zu entfallen, weil dieses Delikt verjährt ist, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat.

10aa) Die Verjährungsfrist war am bzw. verstrichen (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 31/19 Rn. 6 und vom – 1 StR 218/17 Rn. 15; je mN). Bis zu diesen Zeitpunkten wurde der Ablauf der Verjährung nicht unterbrochen; die Ermittlungsbehörden erfuhren von den beiden Missbrauchstaten erst durch die Anzeige des Nebenklägers vom .

11bb) Die Ruhensvorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst die Norm des § 182 StGB erst mit Wirkung zum (49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europarechtlicher Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom , BGBl. I 2015 S. 10, 11, 15). An diesem Tag war die Frist indes, wie ausgeführt, bereits abgelaufen.

122. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich. Das Landgericht hat die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe unter Berücksichtigung der Tatbestandsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF und der Strafvorschrift des § 182 Abs. 1 StGB aF bemessen.

133. Die aufgezeigten Rechtsfehler wirken sich auf die Feststellungen nicht aus (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue durch das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zur Strafzumessung getroffene Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120220B1STR481.19.0

Fundstelle(n):
HAAAH-49036