Gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - Vorbereitungshandlung - Abgrenzung zur älteren BSG-Rechtsprechung zu § 550 RVO - Beschränkung des Versicherungsschutzes: ausdrücklich normierte Vorbereitungshandlung - soziales Schutzbedürfnis - Wegunterbrechung - Handlungstendenz - privatwirtschaftliche Vorbereitungshandlung - enger zeitlicher, sachlicher und örtlicher Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit - "notwendiges" Auftanken des Pkw
Leitsatz
Das Auftanken eines PKW ist als rein privatwirtschaftliche Vorbereitungshandlung für die Zurücklegung des Weges grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.
Gesetze: § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7, § 550 RVO
Instanzenzug: SG Meiningen Az: S 9 U 479/17 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 1 U 1165/17 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin am einen versicherten Wegeunfall erlitten hat als sie nach dem Auftanken ihres Pkw stürzte.
2Die Klägerin ist bei einem Speditionsunternehmen beschäftigt, ihr Weg zur Arbeitsstätte beträgt ca 75 km. Am Unfalltag fuhr sie mit ihrem Pkw auf dem üblichen Weg von ihrer Wohnung zur Arbeit. Nach Beendigung der Arbeit bestieg sie das Fahrzeug, um nach Hause zu fahren. Beim Start des Motors ertönte erstmalig ein Tank-Warngeräusch und die entsprechende Anzeige leuchtete auf. Mit der Reservemenge Kraftstoff ergab sich eine Reichweite von 70 km. Die Klägerin fuhr die nächstgelegene Tankstelle an, um den Pkw aufzutanken. Nach Beendigung des Tankvorgangs rutschte sie auf dem Weg zur Kasse auf einem Treibstofffleck aus und zog sich ua eine Sprunggelenksfraktur rechts zu.
3Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ), das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe den grundsätzlich versicherten Weg durch den Tankvorgang unterbrochen. Das eigenwirtschaftliche Tanken stehe nur dann in einem inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des versicherten Weges, wenn es unvorhersehbar notwendig werde. Das Tanken sei hier zwar notwendig, jedoch nicht objektiv und subjektiv, zB aufgrund unerwarteter Verkehrsbehinderungen, Umleitungen oder Fahrzeugdefekten, unvorhersehbar gewesen. Die der Klägerin bekannten Verkehrsstörungen auf ihrem üblichen Weg zur Arbeit seien nicht unvorhersehbar gewesen.
4Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Beim Tanken habe es sich nicht um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt. Der Tank sei soweit geleert gewesen, dass sie mit der vorhandenen Reservetankfüllung nicht nach Hause gekommen wäre.
Gründe
7Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) ist unbegründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 SGB VII erlitten als sie nach dem Tankvorgang stürzte, weil das Auftanken eines Pkw grundsätzlich nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII steht.
8Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität) (stRspr; vgl zuletzt - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 10; vom - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 12; vom - B 2 U 12/15 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 37 RdNr 14; vom - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 RdNr 9; vom - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; vom - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 11; vom - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 11; vom - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12).
9Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Tanken stand nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung der Klägerin (§ 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, dazu unten I.). Es stand aber auch in keinem inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des versicherten unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII, dazu unten II.). Das Auftanken des privaten Kfz der Klägerin war auch keine Instandhaltung von Arbeitsgerät (§ 8 Abs 2 Nr 5 SGB VII, dazu unten III.).
10I. Das Tanken war keine versicherte Verrichtung der Klägerin im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung (§ 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII). Insbesondere lag kein versicherter Betriebsweg vor, weil zum Unfallzeitpunkt die Arbeitstätigkeit der Klägerin bereits beendet war und kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Weg im betrieblichen Interesse zurückgelegt wurde (vgl - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 12). Nach den Feststellungen des LSG trat die Klägerin den Weg an, um nach dem Ende der Arbeitszeit nach Hause zu fahren. Dagegen sind Betriebswege solche Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 68 RdNr 17; vom - B 2 U 9/16 R - BSGE 124, 93 = SozR 4-2700 § 8 Nr 63, RdNr 10; vom - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 36 RdNr 16; vom - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8 RdNr 24; vom - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14).
11II. Das Tanken stand auch nicht im inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII). Die Klägerin hat diesen grundsätzlich versicherten Weg durch den Tankvorgang mehr als nur geringfügig unterbrochen. Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (zum Folgenden - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 13). Die in § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit, wobei nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert ist, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 13; vom - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 12; vom - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62 RdNr 12; vom - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46 RdNr 47; vom - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 = juris RdNr 15; vom - 2 RU 143/57 - BSGE 11, 156 = juris RdNr 15). Versichert ist in der gesetzlichen Unfallversicherung mithin als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz besteht, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit - oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung - zu erreichen. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, dh ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte gerichtet ist ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 13; vom - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 12; vom - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62 RdNr 12; vom - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 15; vom - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 14; vom - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 RdNr 9; vom - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 12; vom - B 2 U 34/00 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 9).
12Zunächst befand sich die Klägerin auf dem unmittelbaren Weg von dem Ort der Tätigkeit zu ihrer Wohnung mit der Handlungstendenz, diesen zurückzulegen. Dieser versicherte Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII wurde jedoch durch die dem Tanken dienenden Handlungen der Klägerin unterbrochen. Es handelte sich dabei um rein privatwirtschaftliche Verrichtungen, die als solche nicht mehr unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung standen (dazu unter 1.). Die Unterbrechung des Weges war mehr als geringfügig und hatte zum Zeitpunkt des Sturzes auch bereits begonnen, wodurch der zunächst gegebene Versicherungsschutz entfallen war. Zum Unfallzeitpunkt dauerte die Unterbrechung auch noch an, sodass der Versicherungsschutz vor dem Unfallereignis nicht erneut begründet wurde (dazu unter 2.).
131. Das Tanken einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Verrichtungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als rein privatwirtschaftliche Vorbereitungshandlung für das Zurücklegen des Weges grundsätzlich nicht nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versichert. Dies gilt unabhängig davon, ob der Tankvorgang vor, während oder nach dem Zurücklegen des versicherten Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vorgenommen wird ( - SozR 3-2200 § 550 Nr 19 = juris RdNr 18; vom - 2 RU 3/83 - juris RdNr 10; vom - 2 RU 59/78 - SozR 2200 § 550 Nr 39 = juris RdNr 14; vom - 2 RU 198/67 - juris RdNr 14; vom - 2 RU 51/65 - SozR Nr 63 zu § 543 RVO aF = juris RdNr 19; vom - 2 RU 82/64 - juris RdNr 16; vom - 2 RU 206/58 - BSGE 16, 77 = SozR Nr 35 zu § 543 RVO = juris RdNr 15; vgl zuletzt - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 16 f).
14Soweit der Senat in älteren Urteilen unter Geltung der RVO vereinzelt den Tankvorgang auch dann unter Versicherungsschutz gestellt hat, wenn das Tanken zur Beendigung des gerade angetretenen Weges notwendig war ( - SozR Nr 63 zu § 543 RVO aF = juris RdNr 19; s aber auch - juris RdNr 13; vgl - SozR 3-2200 § 550 Nr 19 = juris RdNr 15; vom - 2 RU 3/83 - juris RdNr 10; vom - 2 RU 59/78 - SozR 2200 § 550 Nr 39 = juris RdNr 14; vom - 2 RU 198/67 - juris RdNr 16), wird ausdrücklich klargestellt, dass solche Tankvorgänge nach geltendem Recht im Regelfall nicht in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fallen. Nach diesen vereinzelten älteren Entscheidungen zu § 550 RVO war die Notwendigkeit, den Reservetank überhaupt in Anspruch nehmen zu müssen, das maßgebliche Indiz für die Einbeziehung des Nachtankens in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung ( - SozR 2200 § 550 Nr 39 = juris RdNr 14). Auf die Frage, ob die Notwendigkeit des Tankens für den Versicherten unvorhergesehen eintrat, wurde dabei weder zwingend noch tragend abgestellt ( - SozR 3-2200 § 550 Nr 19 = juris RdNr 18; vom - 2 RU 3/83 - juris RdNr 10; vom - 2 RU 59/78 - SozR 2200 § 550 Nr 39 = juris RdNr 14; vom - 2 RU 51/65 - SozR Nr 63 zu § 543 RVO aF = juris RdNr 19; vom - 2 RU 22/61 - juris RdNr 13; vom - 2 RU 71/78 - juris; vom - 2 RU 82/64 - juris; vom - 2 RU 198/67 - juris RdNr 16). Teilweise hat der Unfallsenat des BSG früher auch Tankvorgänge in den Schutz der Wegeunfallversicherung einbezogen, in denen das Tanken gerade nicht unvorhergesehen notwendig geworden war ( - juris RdNr 1; vom - 2 RU 51/65 - SozR Nr 63 zu § 543 RVO aF = juris RdNr 3; vgl - juris RdNr 2, 16; vom - 8 RKnU 1/94 - SozR 3-2200 § 548 Nr 23 = juris RdNr 3, 27).
15Ein solch weitgehender Versicherungsschutz ist im Rahmen der Wegeunfallversicherung unter Geltung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht mehr zu rechtfertigen (vgl zur Eingrenzung des Versicherungsschutzes bei reinen Vorbereitungshandlungen für den versicherten Weg: - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 19). Denn während der weite Wortlaut des § 550 Abs 1 RVO und auch dessen Vorgängervorschrift des § 543 RVO "Wege" nach und von dem Ort der Tätigkeit schützte und damit Auslegungsspielräume eröffnete, erfasst der enger formulierte § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur noch das Zurücklegen des "unmittelbaren Weges" nach und von dem Ort der Tätigkeit. Das verbrauchsbedingte Auftanken eines Pkw als jeden Fahrer treffende Maßnahme zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit seines Pkw steht daher nicht unter Versicherungsschutz gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII, auch dann, wenn der konkrete Weg ohne ein Auftanken nicht zu Ende geführt werden könnte.
16Denn das Tanken ist letztlich nur eine Vorbereitungshandlung einer weiteren, nur ausnahmsweise kraft gesetzlicher Anordnung unter Versicherungsschutz stehenden Vorbereitungshandlung - nämlich des Zurücklegens des Weges zur bzw von der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII (zuletzt - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 19 in Bezug auf das Tanken unter Verweis auf - BSGE 16, 77 = SozR Nr 35 zu § 543 RVO; vom - B 2 U 29/97 R - SozR 3-2200 § 550 Nr 19). Vorbereitungshandlungen oder vorbereitende Tätigkeiten sind Maßnahmen, die einer versicherten Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 17; vom - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 19; vom - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 22; vom - B 2 U 26/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 5 RdNr 16). Der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung für vorbereitende Tätigkeiten ist grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt, die das Gesetz selbst ausdrücklich nennt ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 17; vom - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 20; vom - B 2 U 26/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 5). Sonstige typische Vorbereitungshandlungen sind grundsätzlich nicht versicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, die dem privaten Risikobereich des Versicherten zugeordnet sind. Ausnahmen hiervon gelten nur dann, wenn ein besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit gegeben ist, der die Vorbereitungshandlung nach den Gesamtumständen selbst bereits als Bestandteil der versicherten Tätigkeit erscheinen lässt ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 19; vom - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 20; vom - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32; - SozR 4-2700 § 8 Nr 5 RdNr 22).
17Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die im Gesetz ausdrücklich normierten Vorbereitungshandlungen trägt den gesetzlichen Vorgaben und der Systematik des § 8 SGB VII Rechnung ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 18). Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 8 Abs 2 SGB VII bestimmte typische Vorbereitungshandlungen dem Versicherungsschutz unterstellt, weil er insoweit ein über den Schutzbedarf der eigentlichen beruflichen Tätigkeit hinausgehendes soziales Schutzbedürfnis angenommen hat ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 18). Der Gesetzgeber ist dabei ersichtlich davon ausgegangen, dass es für die Einbeziehung klassischer Vorbereitungshandlungen - etwa wie hier des Zurücklegens des Weges vom Ort der Arbeitsstätte - in den Unfallversicherungsschutz einer besonderen Regelung bedurfte ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 18 unter Verweis auf - SozR 4-2700 § 8 Nr 5), wohl auch deshalb, weil damit das Haftungsrisiko der die alleinige Beitragslast tragenden Unternehmer auf einen Bereich ausgedehnt wird, in dem sie nur eingeschränkt zu präventiven Maßnahmen des Arbeitsschutzes in der Lage sind.
18Deshalb gehört das verbrauchsbedingte Auftanken eines Pkw bei wertender Betrachtung als typische Vorbereitungshandlung zu der rein eigenwirtschaftlichen Risikosphäre des Versicherten (vgl Bayerisches - juris RdNr 31; - juris RdNr 23 f und vom - L 3 U 268/11 - juris RdNr 17 f; - juris RdNr 27; - juris RdNr 31; - juris RdNr 21 f; - juris RdNr 24 f; vom - L 17 U 74/05 - juris RdNr 24 f und vom - L 15 U 303/00 - juris RdNr 28 f; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, 06/18, § 8 RdNr 119; Ricke in KassKomm, 08/19, § 8 SGB VII RdNr 218; Ziegler in H. Becker ua, LPK-SGB VII, 5. Aufl 2018, § 8 SGB RdNr 257). Ein besonders enger zeitlicher, sachlicher und örtlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit - hier zum Zurücklegen des unmittelbaren Weges von bzw nach dem Ort der Tätigkeit gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII - liegt beim normalen, verbrauchsbedingten Auftanken des Pkw nicht vor. Nach Überzeugung des Senats gibt der Wortlaut des § 8 Abs 2 SGB VII - der als solcher schon eine Ausnahmevorschrift darstellt - keinen Anhalt, den Bereich der vom Versicherungsschutz der Wegeunfallversicherung umfassten Vorbereitungshandlungen noch weiter auszudehnen.
19Ausgangspunkt der Überlegungen des Senats war schon immer, dass der Tankvorgang örtlich und zeitlich nicht festgelegt ist und jeweils der privaten Entscheidung der Versicherten unterliegt und daher grundsätzlich unversichert ist ( - BSGE 16, 77 = SozR Nr 35 zu § 543 RVO = juris RdNr 15). Würde man ausschließlich auf die Notwendigkeit, auftanken zu müssen, um den konkret angetretenen Weg vollenden zu können, abstellen, so wäre weiter zu beachten, dass die Notwendigkeit, gerade zu einer bestimmten Zeit tanken zu müssen, auch davon abhängt, ob überhaupt mit einem Kfz gefahren wird, wo und wie der Wohnort liegt und welches Fahrzeug (Verbrauchsverhalten, Tankgröße, Antriebsart: Elektromotor/Benziner) gewählt wird, ob Inspektionsintervalle eingehalten werden, wie sich die Fahrweise darstellt und wie vorausschauend getankt wird. Alle diese Umstände sind der Einflussnahme durch den Unternehmer weitgehend entzogen. Weiterhin ist der technische Fortschritt in der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Tankanzeigen zu berücksichtigen. Es kann danach regelmäßig ohne Weiteres am Vortag geprüft werden, ob der Kraftstoffvorrat für den nächsten Tag ausreicht (so auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, 06/18, § 8 RdNr 119; Ricke in KassKomm, 08/19, § 8 SGB VII RdNr 218; Ziegler in H. Becker ua, LPK-SGB VII, 5. Aufl 2018, § 8 SGB RdNr 257). Außerdem lässt sich nicht in jedem Einzelfall objektivieren, ob die Treibstoffreserve zwingend in Anspruch genommen werden musste und es wäre ggf in jedem Einzelfall abzugrenzen, ob mit dem vorhandenen Reservekraftstoff das Ziel noch hätte erreicht werden können oder ob der Kraftstoff für die nächste Fahrt beschafft werden sollte (vgl - SozR 3-2200 § 550 Nr 19; darauf verweisend Ricke aaO; vgl Ziegler aaO RdNr 257). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich auch dadurch ein Wertungswiderspruch ergibt, dass der vorausschauend tankende Fahrer regelmäßig nicht unter Versicherungsschutz stünde, wohingegen der nicht vorsorgende Fahrer bei selbst herbeigeführtem Benzinmangel in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen würde. Schließlich müsste bei einer Einbeziehung des Tankvorgangs in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung dann auch erörtert werden, welche weiteren Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen eines Kfz-Halters (wie etwa der Ölwechsel, Messung des Reifendrucks etc) versichert sein könnten.
20Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass zu erörtern, welche der in der Rechtsprechung der LSG und der Literatur in Erwägung gezogenen Fallgruppen bzw außergewöhnliche Umstände ausnahmsweise dennoch die Einbeziehung des Auftankens in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen könnten. Genannt werden hier: Verkehrsumleitungen und Staus ( - juris RdNr 23; vom - L 3 U 268/11 - juris RdNr 17 und vom - L 3 U 7/09 - juris RdNr 31), Fahrzeugschäden ( - juris RdNr 18; - juris RdNr 25) oder Benzindiebstahl (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, 06/18, § 8 RdNr 119; Ricke in KassKomm, 08/19, § 8 SGB VII RdNr 218; Ziegler in H. Becker ua, LPK-SGB VII, 5. Aufl 2018, § 8 SGB RdNr 257). Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen jedenfalls keine solchen besonderen Umstände vor, und die auf der täglichen Fahrtstrecke üblichen Verzögerungen waren der Klägerin bekannt.
21Schließlich folgt auch nicht aus straßenverkehrsrechtlichen Pflichten die Einbeziehung des auf dem Weg notwendig gewordenen Tankens in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung. Der Senat hat in der Vergangenheit teilweise die auf dem Weg erfolgende Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die allein Privatinteressen schützen (§ 142 StGB), nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 18; anders insoweit noch - SozR Nr 16 zu § 550 RVO = juris RdNr 18). Es kann dahinstehen, ob das Bestehen öffentlich-rechtlicher Pflichten, die die Allgemeinheit schützen, grundsätzlich ein geeignetes Kriterium dafür darstellt, um in der gesetzlichen Unfallversicherung den versicherten vom unversicherten Bereich abzugrenzen. Denn es besteht jedenfalls keine die Allgemeinheit schützende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tanken, nicht einmal bei einer beabsichtigten Autobahnfahrt, weil die Fahrtunterbrechung aufgrund von Benzinmangel kein nach § 18 Abs 8 StVO verbotenes Halten, sondern ein Liegenbleiben gemäß § 15 StVO ist ( - VRS 49, 264, 266; 2 Ss OWi 3321/78 - VRS 57, 215, 216). Ein "Halten" des Pkw setzt nämlich den entsprechenden Willen des Fahrers voraus (OLG Celle Urteil vom - 14 U 80/07 - juris RdNr 16; 2 Ss OWi 3321/78 - VRS 57, 215). Das Liegenbleiben aufgrund von Benzinmangel kann zu einer deliktischen Haftung führen ( - VRS 50, 110; - VRS 49, 264; - VRS 16, 35; vgl - VRS 20, 11). Die Normen der §§ 223 ff StGB schützen jedoch Individualinteressen (Fischer, StGB, 66. Aufl 2019, § 223 RdNr 2). Das gilt erst recht für die korrespondierende zivilrechtliche Haftung (§§ 823 ff BGB). Auch etwaige Fehlvorstellungen der Klägerin über ihre Pflichten könnten einen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht begründen ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 64 RdNr 22).
222. Die Unterbrechung der grundsätzlich versicherten Heimfahrt der Klägerin durch den Tankvorgang war nicht nur geringfügig. Das Tanken stellt gegenüber dem Autofahren eine eigenständige, von Dritten beobachtbare Handlungssequenz dar, die eine Zäsur in dem Zurücklegen des versicherten Weges bedeutet ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 62 RdNr 16; vgl auch - SozR 4-2700 § 8 Nr 69 RdNr 19 ff).
23Der Sturz ereignete sich auch nach Beginn der Unterbrechung. Bereits mit dem Einleiten des Abbiegevorgangs auf das Tankstellengelände wird der Weg unterbrochen ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 16). Hier hatte die Klägerin bereits den versicherten unmittelbaren Weg verlassen und war aus dem Pkw ausgestiegen, um zu tanken.
24Die Klägerin hätte erst dann wieder unter Versicherungsschutz gestanden, wenn sie den unmittelbaren Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII wieder erreicht hätte ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 62 RdNr 20, 22; vgl - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3). Hierfür genügt nicht die bloße Absicht, den unmittelbaren Weg wieder fortzusetzen. Vielmehr muss der unmittelbare Weg auch tatsächlich räumlich wieder erreicht werden ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 60: bloße Handlungsintention nicht ausreichend, wenn Versicherter sich auf Abweg befindet), was hier nicht der Fall war.
25III. Das Tanken stand schließlich nicht im Zusammenhang mit dem Instandhalten des Arbeitsgeräts, weil das private Kfz der Klägerin kein Arbeitsgerät gemäß § 8 Abs 2 Nr 5 SGB VII ist ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 17 und vom - 2 RU 133/70 - juris RdNr 15).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:300120UB2U918R0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 3344 Nr. 45
NWB-Eilnachricht Nr. 34/2020 S. 2529
GAAAH-48436