Online-Nachricht - Freitag, 08.05.2020

Verfahrensrecht | Auswahlermessen der Finanzbehörde bei Bekanntgabe von Steuerbescheiden (FG)

Das FA ist in seinem Ermessen bei der Bekanntgabe von Steuerbescheiden nicht dahin beschränkt, dass Steuerbescheide nur der vom Steuerpflichtigen mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Rechtsanwaltskanzlei bekannt gegeben werden dürfen. Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht wird nicht dadurch ersetzt, dass die Finanzbehörde zuvor in der Sache mit der Kanzlei schriftlich korrespondiert hat (; nicht rechtskräftig: Nichtzulassungsbeschwerde anhängig, BFH-Az. II B 91/19).

Sachverhalt: Der Kläger war neben seiner Ehefrau Miterbe der 2013 verstorbenen Y, gegen die von der Steuerfahndung ermittelt wurde. Y hatte in der Schweiz Kapitalerträge von ca. 2,8 Mio. € erzielt, aber den deutschen Finanzbehörden nicht erklärt. Der Kläger beauftragte im Dezember 2013 die Kanzlei G mit der Bearbeitung seiner Steuerangelegenheiten. Die Kanzlei G reichte im November 2014 geänderte Einkommensteuererklärungen der Jahre 2000 bis 2013 für Y ein, die zu geänderten Einkommensteuerbescheiden mit Steuernachzahlungen in einer Gesamthöhe von ca. 1,2 Mio. € führten. In der von der Kanzlei G erstellten Erbschaftsteuererklärung des Klägers waren die Steuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten enthalten. Die Erbschaftsteuererklärung enthielt keine Eintragungen in den Feldern Bekanntgabe.

Mit Bescheid vom setzte das FA die Erbschaftsteuer auf 401.100 € fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig „bezüglich noch anzusetzender Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung“ und wurde dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Das FA änderte am den Erbschaftsteuerbescheid vom wegen zuvor mit der Kanzlei besprochener Umstände. Das FA erklärte den Bescheid nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt „Erläuterungen“ genannten Punkte für endgültig. Die Erläuterungen des Bescheides lauten: „Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom . Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. Auf die Anlage zu diesem Bescheid wird hingewiesen…“. Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid wurde wieder dem Kläger persönlich bekanntgegeben.

Hiergegen ließ der Kläger am mit dem Ziel Einspruch einlegen, die Einkommensteuernachforderungen als Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer abzuziehen. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das FG Baden-Württemberg hat die Klage abgewiesen:

  • Soweit die Vorläufigkeit des Erbschaftsteuerbescheides vom im Änderungsbescheid vom aufgehoben wurde, ist die Entscheidung bestandskräftig. Der Einspruch vom ist verspätet. Die Einkommensteuerschulden der Erblasserin aus der Nachversteuerung bislang nicht erklärter Einkünfte können nicht mehr als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden .

  • Die Erbschaftsteuerbescheide sind dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden. Die Voraussetzungen für eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten nach § 122 Abs. 1 Satz 4 AO liegen nicht vor. In den Akten des FA befindet sich keine schriftliche oder nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht zugunsten der Kanzlei G.

  • Das FA ist in seinem Auswahlermessen in Bezug auf den Bekanntgabeadressaten aus § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch nicht dahin beschränkt, dass die Erbschaftsteuerbescheide nur der vom Kläger mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Kanzlei G bekannt gegeben werden durften. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht wird nicht dadurch ersetzt, dass das FA zuvor in der Sache mit der Kanzlei G schriftlich korrespondiert hat. Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht.

  • Der gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom am eingelegte Einspruch ist außerhalb der regulären Einspruchsfrist eingelegt worden. Die am endende, reguläre Einspruchsfrist ist nicht nach § 356 Abs. 2 AO verlängert. Dem Erbschaftsteuerbescheid fehlt es weder an einer Rechtsbehelfsbelehrung noch ist die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt.

  • Die Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheides ist grundsätzlich von dessen Begründung zu trennen. Dieser Unterschied ist bereits gesetzestechnisch in der AO angelegt und aus den Normen der §§ 121, 126 AO auf der einen Seite und § 356 AO auf der anderen Seite ersichtlich.

  • Die beanstandeten Erläuterungen des Erbschaftsteuerbescheides vom sind keine Rechtsbehelfsbelehrung, sondern eine materielle Begründung der Steuerfestsetzung. Die pauschale Umetikettierung von eindeutigen, materiellen Bescheiderläuterungen in eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht möglich.

  • Die reguläre Einspruchsfrist ist auch nicht nach § 126 Abs. 3 AO verlängert worden. Dem Erbschaftsteuerbescheid vom mangelt es nicht an der erforderlichen Begründung.

  • Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO in Bezug auf die versäumte Einspruchsfrist scheidet aus, da den Kläger wegen der Säumnis ein Verschulden trifft. Die vom Kläger und seiner Frau unterschriebene Erbschaftsteuererklärung hat keine Eintragungen über einen Empfangsbevollmächtigten bezeichnet.

  • Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid vom ist zwar fehlerhaft, weil er tatsächliche Einkommensteuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt. Eine materielle Rechtswidrigkeit durch Nichterfassung einzelner Besteuerungsgrundlagen macht den Bescheid aber nicht nichtig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2020 v. (RD)

Fundstelle(n):
IAAAH-48217