Verletzung des rechtlichen Gehörs: Nichtberücksichtigung eines Angriffsmittels wegen offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift; Präklusion bei nicht wiederholtem Beweisantrag
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 279 Abs 3 ZPO, § 285 ZPO
Instanzenzug: Az: 13 U 2335/16 Bauvorgehend LG Traunstein Az: 8 O 4609/14 (2)
Gründe
I.
1Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche für eine behauptete mangelhafte Beschichtung in einer Waschstraße durch die Beklagte geltend.
2Die Klägerin beauftragte die Beklagte als Nachunternehmerin mit Werkvertrag vom und Änderungsvereinbarung vom 13./ mit der Herstellung einer Bodenbeschichtung in einer Waschstraße. Die Geltung der VOB/B war vereinbart.
3Nachdem es zwischen der Klägerin und ihrer eigenen Auftraggeberin zu einem selbständigen Beweisverfahren sowie einem Rechtsstreit und einem Vergleich wegen behaupteter Mängel an der Waschstraße gekommen war, forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom zur Mängelbeseitigung unter Fristsetzung zum auf. Sie ist der Ansicht, das von der Beklagten angebotene Beschichtungssystem sei für den Betrieb einer Waschstraße nicht geeignet. Darüber hinaus lägen auch Ausführungsfehler bei den Arbeiten der Beklagten vor.
4Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom eine Mängelbeseitigung innerhalb der Frist unter anderem mit der Begründung ab, dass Beschichtungsmaßnahmen aufgrund der Witterung nicht innerhalb der Frist erfolgen könnten. Die Klägerin entzog der Beklagten mit Schreiben vom den Auftrag.
5Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von 64.900 €. Die Beklagte hat unter anderem geltend gemacht, dass innerhalb der gesetzten Frist bis zum das Aufbringen einer neuen Beschichtung temperaturbedingt nicht möglich gewesen sei.
6Das Landgericht hat durch Grundurteil den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Klägerin habe einen Anspruch aus "§ 8 Abs. 3 Ziffer 1.2 VOB/B". Die nach "§ 4 Abs. VII. VOB/B" erforderliche Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung liege vor. Soweit die Beklagte sich auf nicht hinreichende Temperaturbedingungen berufen habe, hätte dem aus Sicht des Gerichts ohne weiteres dadurch Rechnung getragen werden können, dass für eine entsprechende Heizung gesorgt werde. Letztlich gehe das Gericht aber davon aus, dass die Beklagte nicht nachbesserungsbereit sei und eine ernstliche Nachbesserungsbereitschaft ihrerseits von vornherein nicht bestanden habe, so dass die Beklagte sich unabhängig davon nicht darauf berufen könne, dass eine Nachbesserung an zu niedrigen Temperaturen gescheitert wäre.
7Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach vorherigem Hinweisbeschluss mit einstimmigem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde, mit der sie weiterhin Klageabweisung erreichen möchte.
II.
8Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
9Das Berufungsgericht folgt dem Urteil des Landgerichts ausdrücklich jedenfalls im Ergebnis. Hinsichtlich der Nachbesserungsmöglichkeit sei die Beklagte nunmehr mit ihrem Vortrag präkludiert. Damit hat das Berufungsgericht, wie die Beschwerde zu Recht rügt, den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
101. Ausweislich des maßgeblichen Tatbestands des Urteils des Landgerichts, das insoweit auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen hat, hat die Beklagte in erster Instanz vorgetragen, dass innerhalb der gesetzten Frist bis zum das Aufbringen einer neuen Beschichtung nicht möglich war. Dieses Vorbringen hat die Beklagte nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit Verweis auf die Berufungsbegründung in der Berufungsinstanz wiederholt. Unter Antritt eines Sachverständigenbeweises hat die Beklagte dort vorgetragen, dass die Anlage weder beheizt werde noch auf die durchgehend erforderlichen 15° C für einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen hätte beheizt werden können; außerdem hätte eine derartige Heizung zu einem extremen Kondensatanfall mit der Folge einer Maximalsättigung der Luft mit 4 % Volumen geführt, so dass die Arbeiten an der Beschichtung ausgeschlossen gewesen wären.
11Mit diesem Vorbringen beschäftigt sich das Berufungsgericht nicht. Damit verletzt es den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht führt in seinem Hinweisbeschluss - soweit hier von Interesse - lediglich aus: Soweit die Beklagte mit ihrer Berufung erneut rüge, es habe keine Nachbesserungsmöglichkeit bestanden, sei sie dem klägerischen Vortrag erster Instanz, man hätte Heizgeräte einsetzen können, nicht mehr entgegengetreten und habe auch kein Beweisangebot unterbreitet. Sie sei nunmehr mit ihrem Vortrag präkludiert. Nach der Stellungnahme der Beklagten mit konkretem Verweis auf ihren erstinstanzlichen schriftsätzlichen Vortrag hat das Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss hinsichtlich der Heizmöglichkeit nur auf seinen Hinweisbeschluss Bezug genommen.
12Soweit das Berufungsgericht mit der Formulierung, die Beklagte sei dem klägerischen Vortrag erster Instanz, man hätte Heizgeräte einsetzen können, nicht mehr entgegengetreten, meinen sollte, dieser sei unstreitig gewesen, übergeht es den gegenteiligen zentralen Vortrag der Beklagten zu diesem Punkt. Soweit es auf eine Präkludierung abstellt, findet diese im Gesetz - vom Berufungsgericht auch nicht auf eine gesetzliche Vorschrift gestützt oder sonst begründet - keine Stütze. Bleibt ein Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (st. Rspr., vgl. Rn. 15 m.w.N., BauR 2019, 1207 = NZBau 2019, 365). Das gilt erst Recht, wenn er dies ohne Anwendung einer Rechtsvorschrift tut.
132. Diese Missachtung des rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2006) - anders als das Landgericht - ausschließlich darauf abgestellt, dass in der gesetzten Frist die Arbeiten hätten durchgeführt werden können. Zu einer etwaigen Entbehrlichkeit dieser Möglichkeit hat es keine Feststellungen getroffen und insoweit auch die Ausführungen des Landgerichts nicht gebilligt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
III.
14Sofern es darauf noch ankommen sollte, gibt die Zurückverweisung dem Berufungsgericht die Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung auseinanderzusetzen. Vorsorglich weist der Senat außerdem aufgrund der Ausführungen des Berufungsgerichts in seinem Beschluss zur Ablehnung eines Tatbestandsberichtigungsantrags darauf hin, dass es eine objektiv willkürliche, weil in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehene Handhabung wäre, eine "Präklusion gemäß § 279 Abs. 3, § 285 ZPO" anzunehmen, wenn eine Partei ihren Vortrag einschließlich Beweisantritten im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu einem anderen Teil des Streitstoffs nicht ausdrücklich wiederholt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150120BVIIZR123.17.0
Fundstelle(n):
PAAAH-46223