BGH Beschluss v. - I ZB 54/19

Gehörsverstoß bei Nichtzahlung von Schiedsgebühren

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 321a Abs 1 Nr 2 ZPO, § 707 Abs 1 S 1 ZPO, § 1065 Abs 2 S 1 ZPO, § 1065 Abs 2 S 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 26 Sch 1/19 Beschluss

Gründe

1I. Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs, durch den die Antragsgegnerin zum Ausgleich von offenen Forderungen aus Warenlieferungen sowie zur Zahlung einer Vertragsstrafe an die Antragstellerin verpflichtet wurde. Die Antragsgegnerin hat im Schiedsverfahren vor dem Internationalen Handelsschiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation im Wege der Widerklage und der Aufrechnung Gegenforderungen wegen Mängeln der gelieferten Produkte und einer Verletzung des Alleinvertriebsrechts geltend gemacht. Das Schiedsgericht hat die Bearbeitung der Widerklage eingestellt, nachdem eine nach der Schiedsordnung zu leistende Schiedsgerichtsgebühr nicht eingezahlt worden war.

2Die vom Schiedsgericht angewendeten Regeln des Schiedsverfahrens der internationalen Handelsstreitigkeiten (Rules of Arbitration of International Commercial Disputes, Appendix No. 2 to Order No. 6 of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation; vgl. Seite 23 des Schiedsspruchs) sehen in § 7 Abs. 4 vor, dass sowohl für die Widerklage ("counter-claim") als auch für die Aufrechnung ("set-off") die Vorschriften eingehalten werden müssen, die für den Hauptanspruch ("principal claim") gelten. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 der Regeln des Schiedsverfahrens wird ein Verfahren nicht bearbeitet, bis der Kostenvorschuss in Bezug auf die Schiedsgebühren gezahlt worden ist. In § 7 der Schiedsgebührenordnung (Schedule of Arbitration Costs, Appendix No. 6 to Order No. 6 of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation) ist ferner festgelegt, dass Widerklage und Aufrechnung denselben Gebührenregelungen unterliegen wie die Klage.

3Das Oberlandesgericht hat dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung stattgegeben und diesen Beschluss für vorläufig vollstreckbar erklärt. Dagegen hat die Antragsgegnerin Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie hat ferner beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.

4II. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

51. Wird gegen die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs die Rechtsbeschwerde erhoben, so kann das Rechtsbeschwerdegericht nach § 1065 Abs. 2 Satz 2 ZPO in entsprechender Anwendung von § 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt wird oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfindet.

62. Bei der Entscheidung über den Einstellungsantrag sind die widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs summarisch zu prüfen. Nur wenn der Angriff gegen den Titel Aussicht auf Erfolg hat, kann dem Gläubiger zugemutet werden, mit der Vollstreckung zuzuwarten. Diese Prüfung setzt voraus, dass der Antragsteller die Gründe vorgebracht hat, die seiner Ansicht nach die Abänderung oder Aufhebung des Titels rechtfertigen. Bei der Interessenabwägung räumt das gesetzliche Leitbild grundsätzlich dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers den Vorrang ein; soll demgegenüber das Schutzinteresse des Schuldners überwiegen, bedarf es hierfür besonderer Gründe (vgl. , juris Rn. 5 mwN).

73. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist danach abzulehnen. Aus der Begründung der Rechtsbeschwerde ergibt sich keine Erfolgsaussicht für die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin. Diese ist zwar von Gesetzes wegen statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Gegen die in § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts über einen Antrag betreffend die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs (§ 1061 ZPO) findet gemäß § 1025 Abs. 4 in Verbindung mit § 1065 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Rechtsbeschwerde statt. Die Antragsgegnerin hat aber nicht dargelegt, dass die Rechtsbeschwerde zulässig ist, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Senatsentscheidung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Antragsgegnerin macht vergeblich geltend, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, weil das Oberlandesgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt habe.

8a) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen von Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht in Erwägung gezogen worden ist. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern dieser nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. , SchiedsVZ 2018, 192 Rn. 5 mwN).

9b) Die Antragsgegnerin macht geltend, das Schiedsgericht habe die im Schiedsverfahren neben der Widerklage schriftsätzlich erklärte Aufrechnung mit Gegenforderungen übergangen. Das Oberlandesgericht habe eine Gehörsverletzung durch das Schiedsgericht verneint und diese damit perpetuiert. Soweit es die Auffassung vertreten habe, die Antragsgegnerin habe es versäumt, dem Schiedsgericht gegenüber deutlich zu machen, dass sie die im Rahmen der Widerklage geltend gemachten Ansprüche trotz Nichtzahlung der angeforderten Schiedsgerichtsgebühren außerhalb des Rechtsinstituts der Widerklage innerhalb eines nach russischem Recht eröffneten Aufrechnungsrechts geltend machen wolle, übersehe es, dass die Antragsgegnerin ohne entsprechende Nachfrage des Schiedsgerichts nicht gehalten gewesen sei, die aus ihrer Sicht eindeutigen schriftsätzlichen Aufrechnungserklärungen näher zu erläutern.

10c) Damit hat die Antragsgegnerin keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat die Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs mit Recht zurückgewiesen. Eine Gehörsverletzung durch das Schiedsgericht liegt nicht vor.

11aa) Das Schiedsgericht hat den Vortrag der Antragsgegnerin zu den von ihr geltend gemachten Gegenforderungen einschließlich der Aufrechnung im Schiedsspruch wiedergegeben und sich mit dem Vorbringen der Antragsgegnerin zu den Gegenforderungen befasst (Seiten 8, 9, 15 und 31 des Schiedsspruchs). Aus verfahrensrechtlichen Gründen hat es das Vorbringen jedoch unberücksichtigt gelassen, weil die Antragsgegnerin die Schiedsgerichtsgebühr für die Widerklage nicht bezahlt hatte (Seite 36 des Schiedsspruchs). Dass das Schiedsgericht in diesem Zusammenhang die Aufrechnung nicht gesondert erwähnt hat, begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

12bb) Das verfahrensrechtliche Hindernis betraf auch die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen, für die ebenfalls eine Schiedsgerichtsgebühr hätte gezahlt werden müssen. Nach § 7 Abs. 4 der anwendbaren Regeln des Schiedsverfahrens der internationalen Handelsstreitigkeiten müssen sowohl für die Widerklage als auch für die Aufrechnung die für den Hauptanspruch geltenden Vorschriften eingehalten werden. Damit ist auch die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 der Regeln des Schiedsverfahrens anwendbar, nach der ein Verfahren nicht bearbeitet wird, bis der Kostenvorschuss für die Schiedsgebühren gezahlt worden ist. Die Widerklage und die Aufrechnung unterliegen gemäß § 7 der Schiedsgebührenordnung denselben Gebührenregelungen wie die Klage.

13cc) Danach musste die Antragsgegnerin unabhängig davon eine Schiedsgerichtsgebühr einzahlen, ob sie die Gegenforderungen zum Gegenstand einer Widerklage machen wollte oder mit diesen Forderungen im Schiedsverfahren aufrechnen wollte. Da sie die vom Schiedsgericht angeforderte Schiedsgerichtsgebühr nicht gezahlt hat, war dem Schiedsgericht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 der Regeln des Schiedsverfahrens eine weitere Behandlung der Gegenforderungen aus verfahrensrechtlichen Gründen verwehrt.

14dd) Eines (weiteren) Hinweises durch das Schiedsgericht bedurfte es insoweit nicht. Die Antragsgegnerin hat vor dem Oberlandesgericht vorgetragen, sie sei vom Schiedsgericht aufgefordert worden, für eine Gegenklage über 300.000 € rund 25.000 € und für eine Gegenklage über 1.000.000 € rund 75.000 € einzuzahlen (Seite 4 des Schriftsatzes vom ). Soweit sie danach eine "Gegenklage" über 1.000.000 € erwogen hatte, waren darin auch zur Aufrechnung gestellte Gegenforderungen enthalten. Daraus war für die Antragsgegnerin ersichtlich, dass eine Aufrechnung ebenfalls eine Schiedsgerichtsgebühr auslöst.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:141119BIZB54.19.0

Fundstelle(n):
ZAAAH-46169