BVerwG Urteil v. - 8 C 3/19

Gaststättengestattungen für den "Rheingauer Weinbrunnen" in Berlin im Jahr 2014 rechtswidrig

Leitsatz

1. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann nur an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des verfahrensgegenständlichen Verwaltungsakts oder einer seiner selbständig angreifbaren Teilregelungen bestehen, nicht an der Klärung einzelner für deren Rechtmäßigkeit erheblicher materiell-rechtlicher Fragen.

2. Dem Betrieb einer Gaststätte mit Flaschenverkauf ist auch der Lärm zuzurechnen, der nach ihrer täglichen Schließung von denjenigen Gästen ausgeht, die sich zum Konsum in der Gaststätte erworbener Getränke oder zum weiteren Beisammensein auf einer der Gaststätte benachbarten Fläche - etwa einer Grünanlage - aufhalten.

3. Gesichtspunkte, die ergebnismindernd in eine Lärmprognose nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG eingeflossen sind, können in der Gesamtwürdigung nicht - nochmals - verwendet werden, um die Zumutbarkeit des prognostizierten Lärms zu begründen. Werden einschlägige Grenzwerte nahezu ausgeschöpft, sind Dauer und Kontinuität der Lärmbelastung bei der Gesamtwürdigung besonders zu berücksichtigen.

Gesetze: § 4 Abs 1 S 1 Nr 3 GastG, § 12 Abs 1 GastG, § 3 Abs 1 BImSchG, § 3 Abs 5 BImSchG, § 48 BImSchG, § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 137 Abs 1 Nr 1 VwGO, § 144 Abs 4 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 1 B 14.16 Urteilvorgehend Az: 4 K 293.14 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Gestattung des Betriebs der Freiluftgaststätte "Rheingauer Weinbrunnen" im Zeitraum vom 9. Mai bis zum auf dem Rüdesheimer Platz in Berlin.

2Der Rüdesheimer Platz ist eine Grünanlage, die von Wohnhäusern umgeben ist. An ihrem westlichen Ende befindet sich eine Empore, die zum mittleren Teil des Platzes hin durch einen Brunnen und zwei Treppen begrenzt wird. Auf dem mittleren Teil befinden sich gärtnerisch gepflegte Hochbeete und gepflasterte Wegflächen mit Parkbänken. Der östliche Teil des Platzes wird als Kinderspielplatz genutzt. Seit 1967 wird jährlich auf der westlichen Empore des Rüdesheimer Platzes der "Rheingauer Weinbrunnen" als temporär errichteter Ausschank zum Verkauf von Wein zur Mitnahme in Flaschen oder zum Verzehr vor Ort betrieben. Anfänglich dauerte der Weinbrunnen nur wenige Wochen. Seit 1994 findet er von Mai bis September statt. Der Kläger bewohnt seit 1985 eine im Erdgeschoss liegende Eigentumswohnung an der nördlichen Seite etwa in Höhe der Mitte des Platzes.

3Mit den angegriffenen, im Tenor aufgeführten Bescheiden gestattete der Beklagte jedem der Beigeladenen für zwei mehrwöchige Zeiträume, auf der westlichen Fläche des Rüdesheimer Platzes aus dem besonderen Anlass "Rheingauer Weinbrunnen" eine Schankwirtschaft mit der besonderen Betriebsart "Schankstand" zu betreiben. Insgesamt deckten die Gestattungszeiträume die Zeit vom 9. Mai bis zum lückenlos ab. Für die Zuordnung der Zeiträume zu den jeweiligen Beigeladenen wird auf die einzelnen Bescheide Bezug genommen. Die Bescheide wurden jeweils unter der Auflage erteilt, den Ausschank und den Verkauf von Getränken um 21.30 Uhr zu beenden und den Aufenthalt von Gästen auf dem Gelände der Schankfläche ab 22.00 Uhr zu unterbinden.

4Die den Bescheiden zugrunde liegende Schallberechnung des Beklagten verwies auf die Vorgaben des Rundschreibens IX Nr. 01/13 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt des Beklagten für die Ermittlung von Geräuschemissionen und -immissionen, die von Freiluftgaststätten verursacht werden. Diese gehen bei Schankgärten von der menschlichen Stimme als wesentlicher Lärmquelle aus und legen unter Hinweis auf die VDI-Richtlinie 3770 einen Schallleistungspegel von 70 dB(A) pro Gast sowie - vorbehaltlich genauerer Angaben - gleichzeitige Äußerungen von 50 % der Gäste zugrunde.

5Anhand dieser Vorgaben prognostizierte der Beklagte bei 400 Gästen auf der Empore und 200 Gästen auf dem Mittelteil des Platzes eine Schallbelastung der Wohnung des Klägers durch den Betrieb der Schankwirtschaft in Höhe von 54 dB(A). Dabei ging er von einer maximalen Schallleistung der Schankfläche von 93 dB(A) und des Mittelteils des Platzes von 90 dB(A) aus. Ferner berücksichtigte er Zuschläge wegen der Impulshaltigkeit von jeweils -0,9 dB(A) und 0,5 dB(A) sowie Zuschläge wegen der Ton- und Informationshaltigkeit von jeweils 3 dB(A). Die Entfernungskorrektur wegen des Abstandes des Immissionsortes vom jeweiligen Mittelpunkt der Schankfläche und des Mittelteils des Platzes (65 m und 50 m) setzte er jeweils mit 44,3 dB(A) und 42 dB(A) an.

6Gegen die Gestattungen für den Zeitraum vom 28. Mai bis zum erhob der Kläger Widerspruch. Den Widerspruch gegen die Gestattung für den Zeitraum vom 25. August bis zum wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück.

7Das Verwaltungsgericht hat die gegen sämtliche Bescheide gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage sei grundsätzlich zulässig. Soweit sie sich auf den nachbarschützenden Versagungsgrund der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG stütze, bestehe wegen der Wiederholungsgefahr ein Feststellungsinteresse. Soweit der Kläger die Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften und von § 12 Abs. 1 GastG rüge, fehle es an einer Wiederholungsgefahr, weil der Beklagte den Beigeladenen in den folgenden Jahren eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 68 BauO Bln erteilt und sich im Übrigen nicht mehr auf die Rechtsgrundlage des § 12 Abs. 1 GastG berufen habe.

8In der Sache sei der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass durch den Betrieb der Gaststätte am Wohnsitz des Klägers keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG zu erwarten gewesen seien. Die Lärmprognose des Beklagten sei nicht zu niedrig angesetzt. Die Anwendung der in dem Rundschreiben vorgegebenen Berechnungsmethode durch den Beklagten sei ebenso wenig zu beanstanden wie die in seine Berechnung eingestellten Werte. Es bestehe kein Grund zu der Annahme, dass die angesetzte Besucherzahl zu niedrig bemessen gewesen sei. Jedenfalls überschreite das rechnerische Prognoseergebnis auch bei einer Erhöhung der Gästezahl von 600 auf 700 nicht 55 dB(A). Schließlich griffen die Einwendungen des Klägers gegen den angesetzten energieäquivalenten Dauerschalldruckpegel pro Gast von 70 dB(A) nicht durch. Dieser werde den tatsächlichen Verhältnissen der Gaststätte gerecht. Der von dem Beklagten angesetzte Zuschlag für Impulshaltigkeit von -0,9 dB(A) für die Schankfläche sei außer Ansatz zu lassen. Negative Zuschläge für Impulshaltigkeit könnten bei rechnerischen Lärmprognosen generell nicht berücksichtigt werden. Der von dem Beklagten errechnete Beurteilungspegel sei daher auf 54,61 dB(A) zu korrigieren. Das vom Kläger in das Verfahren eingeführte, erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides gefertigte Lärmgutachten vom gebiete keine weitere Korrektur. Zwar müsse es berücksichtigt werden, da es auf einer vor der letzten Verwaltungsentscheidung erfolgten Lärmmessung vom beruhe. Es stelle die Ergebnisrichtigkeit der Lärmmessung des Beklagten jedoch nicht durchgreifend in Frage. Der in dem Gutachten angenommene Beurteilungswert von tags 58 dB(A) beruhe im Wesentlichen darauf, dass sowohl ein Zuschlag für Impulshaltigkeit als auch ein Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit angesetzt worden sei. Jedenfalls letzterer sei vorliegend nicht gerechtfertigt. Eine weitere Lärmprognose für die Zeit nach 22.00 Uhr habe der Beklagte nicht erstellen müssen, weil es an dem erforderlichen zeitlichen und funktionellen Zusammenhang zwischen dem beendeten Gaststättenbetrieb und den gegebenenfalls vom Platz ausgehenden Lärmimmissionen fehle. Die der Gaststätte zurechenbaren Immissionen vor 22.00 Uhr überschritten die Zumutbarkeitsschwelle nicht. Diese sei mangels verbindlich festgesetzter Grenzwerte unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und der speziellen Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebiets zu bestimmen. Allerdings spreche der Umstand, dass die Lärmimmissionen der Gaststätte den Grenzwert der TA Lärm für die Tageszeit für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A) nicht überschritten, für deren Zumutbarkeit. Hinzu komme, dass der im Rahmen der "worst-case"-Prognose vom Beklagten ermittelte Beurteilungswert von (berichtigt) 54,61 dB(A) nur bei schönem Wetter und bei voller Auslastung des Weinbrunnens erreicht worden sein dürfte, wobei der Gaststätte an sich nicht zuzurechnende Immissionen von "normalen Parkbesuchern" und spielenden Kindern sicherheitshalber einbezogen worden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Gaststätte eine seit 50 Jahren überregional bekannte, einzigartige und - wie eingereichte Listen mit mehreren tausend Unterschriften zeigten - ganz überwiegend als sozialadäquat akzeptierte Veranstaltung sei, die schon 1994 von Mai bis September gedauert habe. Die Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Terrasse durch die Gaststätte habe dem Kläger bei Erwerb seiner Wohnung bekannt sein müssen.

9Mit der Revision rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe die Klage entgegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO teilweise als unzulässig angesehen und deshalb zu Unrecht Verstöße der angegriffenen Gestattungen gegen § 12 Abs. 1 GastG und gegen Bauplanungsrecht nicht geprüft. Das Berufungsurteil verletze zudem § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG. Die Lärmprognose des Beklagten für die Tagzeit sei fehlerhaft. Die vom Berufungsgericht gebilligte Prognosemethode verstoße gegen Ziffer 6.4 und 6.5 TA Lärm. Die gerichtliche Korrektur der behördlichen Prognose überschreite die Grenzen richterlicher Kontrolle. Zu beanstanden seien schließlich auch die von der Behörde bei ihrer Berechnung angesetzten und vom Berufungsgericht gebilligten Ausgangswerte. Die diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen seien verfahrensfehlerhaft. Bei der Prüfung des vom Beklagten angesetzten Impulszuschlages hätte das Berufungsgericht das klägerische Gutachten und die TA Lärm (Anhang A 2.5.3 bzw. A.2.5.2 Satz 1) berücksichtigen müssen. Das Berufungsgericht habe der Gaststätte auch den nach 22.00 Uhr von ihren Gästen auf dem Rüdesheimer Platz ausgehenden Lärm zurechnen müssen. Die Gesamtabwägung des Berufungsgerichts sei ebenfalls fehlerhaft. Außerdem verletzten die angegriffenen Gestattungen § 12 Abs. 1 GastG und nachbarschützendes Bauplanungsrecht. Letzterem komme auch im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren drittschützende Wirkung zu.

10Der Kläger beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom zu ändern und festzustellen, dass die beiden Bescheide des Beklagten vom , die Bescheide vom und vom sowie die beiden Bescheide vom - der den Zeitraum vom 25. August bis zum betreffende in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom - rechtswidrig gewesen sind.

11Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

12Sie verteidigen das angegriffene Berufungsurteil.

Gründe

13Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 4 VwGO).

141. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht, indem es die Zulässigkeit der Klage teilweise verneint (a) und im Übrigen annimmt, von dem Betrieb der Gaststätte seien für den Wohnort des Klägers im Jahr 2014 keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu erwarten gewesen (b).

15a) Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der auf § 12 Abs. 1 GastG und auf Bauplanungsrecht gestützten Einwände des Klägers mangels Vorliegens eines Feststellungsinteresses verneint. Das verstößt gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Gegenstand einer Fortsetzungsfeststellungsklage können - ebenso wie bei einer Anfechtungsklage - lediglich ein Verwaltungsakt oder ein selbständig anfechtbarer Teil hiervon sein, nicht aber einzelne Begründungselemente der damit getroffenen Regelung (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 14). Das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche besondere Feststellungsinteresse muss bezogen auf den jeweiligen Klagegegenstand vorliegen. Das folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, der verlangt, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an "dieser" Feststellung hat; mithin an der Feststellung, dass der Verwaltungsakt oder ein selbständig anfechtbarer Teil hiervon rechtswidrig ist. Ein Interesse an der Klärung einzelner rechtlicher Vorfragen genügt dagegen nicht. Eine das Fortsetzungsfeststellungsinteresse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO begründende Wiederholungsgefahr ist daher nur dann anzunehmen, wenn die hinreichende Gefahr besteht, dass die verfahrensgegenständliche, durch Verwaltungsakt getroffene Regelung gegenüber dem Kläger unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut verfügt werden wird (stRspr, vgl. 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8). Dies gilt entsprechend für Fortsetzungsfeststellungsklagen, deren Gegenstand sich vorprozessual erledigt hat (stRspr, vgl. 1 C 54.57 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 9, vom - 8 C 30.87 - Buchholz 310 § 73 VwGO Nr. 30 und vom - 6 C 7.98 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 12 S. 5 f.).

16Diesen Vorgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Maßgeblich ist, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, dass der Beklagte bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut einen den angegriffenen Gestattungen gleichartigen Bescheid erlassen würde, und nicht, ob der Kläger an der Beantwortung einzelner rechtlicher Vorfragen ein Interesse hat. Der gegenteilige Ansatz der Vorinstanz führt nicht nur zur fehlerhaften Annahme teilweiser Unzulässigkeit der Klage. Er reduziert außerdem die gerichtliche Prüfung auf einen unselbständigen Teil des Streitgegenstandes. Damit verkürzt er die materiell-rechtliche Kontrolle der angegriffenen Regelung und blendet die Prüfung der Ermächtigungsgrundlage (§ 12 Abs. 1 GastG) völlig aus.

17b) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, von dem Betrieb der Gaststätte seien für den Wohnort des Klägers im Jahr 2014 keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu erwarten gewesen, verletzt § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG. Danach darf der Betrieb einer Gaststätte nicht gestattet werden, wenn er schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes befürchten lässt. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Oberverwaltungsgericht, dass die Vorschrift zunächst eine Prognose hinsichtlich der Art und der Menge der von dem Betrieb der Gaststätte auf die Nachbarschaft einwirkenden Immissionen erfordert und anschließend die Beurteilung der Zumutbarkeit der prognostizierten Immissionen für die von ihnen betroffene Nachbarschaft. Weder die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Kontrolle der Immissionsprognose (aa) noch die Ausführungen zur Zumutbarkeit der zu erwartenden Immissionen sind bundesrechtlich fehlerfrei (bb).

18aa) Zu Recht geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass es keine eigene Prognose zu erstellen, sondern nur zu kontrollieren hat, ob die behördliche Prognose mit den seinerzeit verfügbaren Erkenntnismitteln unter Beachtung der für sie erheblichen Umstände fachgerecht erstellt worden ist. Die Überprüfungsbefugnis des Gerichts erstreckt sich auf die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode, die zutreffende Ermittlung des der Prognose zugrunde liegenden Sachverhalts und darauf, ob das Ergebnis einleuchtend begründet worden ist (stRspr, vgl. 4 C 13.85 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 6 S. 24, vom - 11 A 1.97 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 15 S. 23 f., vom - 9 A 14.07 - Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 6 Rn. 156 und vom - 9 VR 1.09 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 81 Rn. 14).

19(1) Das Oberverwaltungsgericht hat die behördliche Lärmprognose für die Zeit bis 22.00 Uhr (Tagzeit) an den genannten rechtlichen Maßstäben gemessen. Die von der Behörde angewendete Prognosemethode hat es ebenso wie den von der Behörde zugrunde gelegten Sachverhalt ohne revisiblen Rechtsverstoß gebilligt. Fehlerhaft sind einzelne Erwägungen zur Anwendung der Prognosemethode auf den zugrunde liegenden Sachverhalt.

20Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Lärmprognose nach der im Rundschreiben IX Nr. 1/13 beschriebenen Methode vorgenommen werden durfte. Die TA Lärm stand dem nicht entgegen, weil sie nach Nr. 1 Buchst. b TA Lärm ausdrücklich nicht auf Freiluftgaststätten anzuwenden ist.

21Den vom Kläger zitierten Entscheidungen des 7 B 73.94 - (Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 10) und vom - 4 C 2.07 - (Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 9) ist keine Ausweitung des Anwendungsbereichs der TA Lärm zu entnehmen. Soweit diese oder eine andere auf der Grundlage von § 48 BImSchG ergangene Verwaltungsvorschrift das behördliche Verfahren bei der Ausübung ihrer Prognosespielräume nicht determinieren, sind landesrechtliche Vorschriften zulässig. Solche Vorschriften dürfen sich ganz oder teilweise an den Regelungen der TA Lärm orientieren und den behördlichen Prognosespielraum nicht sachwidrig oder willkürlich einschränken. Letzteres ist vorliegend nicht ersichtlich.

22Das Oberverwaltungsgericht hat die fachspezifische Eignung der von der Behörde angewendeten Methode zur Prognose der von der Gaststätte ausgehenden Schallimmissionen revisionsrechtlich fehlerfrei bejaht. Die dagegen gerichteten Gehörsrügen des Klägers greifen nicht durch. Die Vorinstanz durfte seine auf den Beweis der Hörbarkeit bestimmter von ihm näher beschriebener Geräusche am Immissionsort gerichteten Beweisanträge mit der Begründung ablehnen, die zum Beweis gestellten Tatsachen seien für die Entscheidung unerheblich. Auf die Kritik an der Berechnung des Impulszuschlages ist sie mit dem Argument eingegangen, ein individuell bemessener Impulszuschlag könne im Rahmen einer rechnerischen Immissionsprognose nicht vergeben werden. Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes hat der Kläger insoweit nicht dargetan.

23Ob die vorgesehene Vergabe eines Zuschlags für Ton- und Informationshaltigkeit geeignet ist, das vom Kläger behauptete, besonders lärmintensive Einwerfen von leeren Flaschen in einen Altglascontainer abzubilden, kann offen bleiben. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass solche Einwürfe stattfinden und der Gaststätte zurechenbar sind. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger insoweit nicht erhoben.

24Bundesrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, die Behörde habe ihrer Prognose einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Insbesondere greifen die Rügen des Klägers gegen die Billigung der Annahme eines energieäquivalenten Dauerschalldruckpegels von 70 dB(A) pro Gast nicht durch. Der geltend gemachte Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt, ist ihnen im Ergebnis aber nicht gefolgt. Der Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist ebenfalls nicht verletzt. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, bei den typischen Gästen des Weinbrunnens handele es sich um Menschen überwiegend gesetzteren Alters, die auch unter Alkoholeinfluss nicht zu übermäßig lautem Sprechen oder gar Schreien neigten, ist weder aktenwidrig noch willkürlich oder sonst mit den Denkgesetzen unvereinbar. Die gegenteilige Auffassung des Klägers beruht auf der unzutreffenden Annahme, das Berufungsgericht habe einen generellen Erfahrungssatz zu Eigenschaften von "Menschen gesetzten Alters" formuliert. Wie sich aus dem Zusammenhang des Berufungsurteils ergibt, hat es stattdessen lediglich seine Beobachtungen bei seinem Ortstermin zusammengefasst und die nach seiner Beweiswürdigung für den Weinbrunnen typischen Gäste charakterisiert.

25Revisionsrechtlichen Bedenken begegnet das Berufungsurteil dagegen, soweit es auf die Ergebnisrichtigkeit der behördlichen Prognose abstellt und annimmt, diese sei durch das klägerische Schallgutachten zu widerlegen. Nicht die Ergebnisrichtigkeit der Prognose, sondern die oben dargelegten Voraussetzungen ihrer Rechtmäßigkeit sind gerichtlich zu überprüfen. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist unerheblich, ob eine andere rechtmäßige Prognose zum selben Ergebnis hätte führen können. Daher erschüttern Beteiligtengutachten eine behördliche Prognose nicht schon und nicht nur bei Abweichungen im Ergebnis, wohl aber, wenn sie Zweifel an der Eignung und der fachspezifischen Angemessenheit der gewählten Prognosemethode, an der Richtigkeit der Tatsachengrundlage oder an der Nachvollziehbarkeit der Begründung des Prognoseergebnisses wecken.

26Das Oberverwaltungsgericht hat keine eigene Lärmprognose an die Stelle der von ihm zu kontrollierenden Lärmprognose der Behörde gesetzt. Weder die Berichtigung des behördlichen von der Behörde bei ihrer Berechnung angesetzten negativen Impulszuschlages für den von der Schankfläche ausgehenden Lärm noch die Aberkennung des Zuschlags für Ton- und Informationshaltigkeit im Rahmen der Erörterung des klägerseits beigebrachten Schallgutachtens stellen eine eigene gerichtliche Prognose der zu erwartenden Schallimmissionen der Gaststätte dar. Eine solche wäre erst dann anzunehmen, wenn das Berufungsgericht aufgrund eines selbst ermittelten Sachverhaltes oder einer von der behördlichen Prognosemethode abweichenden Verfahrensweise auf ein eigenes Prognoseergebnis schließen würde. Die Korrektur des negativen Impulszuschlages betrifft dagegen weder die behördliche Prognosemethode noch den der Prognose zugrunde gelegten Sachverhalt, sondern lediglich die richtige Anwendung des von der Behörde gewollten Rechenmechanismus. Soweit das Oberverwaltungsgericht in Zusammenhang mit dem vom Kläger beigebrachten Schallgutachten ausgeführt hat, ein Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit sei nicht veranlasst, hat es ebenfalls keinen neuen Prognosesachverhalt oder eine neue Prognosemethode angewendet, sondern lediglich einen vermeintlichen Fehler der Behörde bei Anwendung ihrer Prognosemethode korrigiert.

27Rechtlich fehlerhaft ist diese Korrektur jedoch, weil das Berufungsurteil zur Begründung auf Ziffern A 2.5.2. und A 3.3.5 des Anhangs der TA Lärm zurückgreift, die nach seiner zutreffenden Ansicht gar nicht anwendbar sind. Richtigerweise hätte das Berufungsurteil den Zuschlag nicht beanstanden dürfen, weil die im Rundschreiben beschriebene Prognosemethode ihn bei "großen Tischen" vorsah und keine gerichtlichen Feststellungen getroffen wurden, die die entsprechende behördliche Annahme zur Größe der Sitzgruppen widerlegten.

28(2) Auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte habe für die Zeit ab 22.00 Uhr keine der Gaststätte zurechenbare Überschreitung des in Anlehnung an die TA Lärm von der Behörde zugrunde gelegten Richtwerts von 40 dB(A) annehmen müssen, weil die von dem Mittelteil des Rüdesheimer Platzes ausgehenden Lärmimmissionen der Gaststätte dann nicht mehr zurechenbar seien, verletzt Bundesrecht. Im Ansatz zutreffend führt das Oberverwaltungsgericht hierzu aus, dass einer Gaststätte nicht nur diejenigen Lärmimmissionen zuzurechnen sind, die von ihr selbst verursacht werden, sondern auch solche, die in einem betriebstechnischen oder funktionellen Zusammenhang mit ihr stehen (vgl. 1 C 10.95 - Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 10 S. 15 f.). Danach muss der Gastwirt sich auch denjenigen Lärm zurechnen lassen, den seine Gäste nach dem Verlassen der Gaststätte verursachen, solange sie noch als Gaststättenbesucher in Erscheinung treten bzw. als solche erkennbar sind (vgl. 6 B 12.03 - GewArch 2003, 300 f.). Bei einer Gaststätte mit Flaschenverkauf trifft das auch auf den Lärm zu, der nach ihrer täglichen Schließung von denjenigen Gästen ausgeht, die sich zum Konsum in der Gaststätte erworbener Getränke oder zum weiteren Beisammensein auf einer der Gaststätte benachbarten Fläche - etwa einer angrenzenden Grünanlage - aufhalten. Dies gilt umso mehr, wenn der Gaststättenbetrieb erkennbar darauf angelegt ist, den Konsum der veräußerten Getränke nicht nur im eigenen Schankbereich, sondern auch auf einer angrenzenden Freifläche zu ermöglichen und wenn die Gäste dieses vom erkennbaren Konzept der Gaststätte gedeckte und vorhersehbare Verhalten nach der Schließung der Gaststätte auf der angrenzenden Fläche fortsetzen. Davon ist hier nach den behördlichen, der Prognose zugrunde liegenden Annahmen und den sie bestätigenden Feststellungen der Vorinstanz auszugehen. So ging die behördliche Lärmprognose davon aus, dass dem Gaststättenbetrieb nicht nur der Lärm der 400 auf der Empore zu bewirtenden Gäste zuzurechnen sei, sondern auch der Lärm der 200 Gäste, die es vorzogen, die in der Gaststätte erworbenen Getränke auf dem benachbarten Mittelteil der Grünanlage zu konsumieren. Die behördliche Auflage, bei der täglichen Schließung der Gaststätte die Treppenzugänge von der Empore zum Mittelteil zu sperren, belegt die realistische Erwartung, dass die zunächst auf der Empore sitzenden Gäste ihren Getränkekonsum und ihr Beisammensein nach der täglichen Schließung auf der Grünanlage fortsetzen. Gleichfalls realistisch war die Erwartung der Behörde, dass auch die 200 Gäste, die ihre in der Gaststätte erworbenen Getränke von vornherein auf dem Mittelteil des Platzes verzehrten, ihren Getränkekonsum und ihr Beisammensein nicht - oder jedenfalls nicht nahezu vollzählig - um 22.00 Uhr beenden würden. Deshalb wies die behördliche Prognose darauf hin, dass der Beurteilungspegel für die Nachtzeit dem für die Tagzeit ermittelten entspreche. Aufgrund dessen ist die Annahme des Berufungsurteils, die tägliche Schließung der Gaststätte um 22.00 Uhr beende die Zurechenbarkeit des Lärms, der von ihren auf dem Mittelteil des Platzes verbleibenden oder den Getränkekonsum und das Beisammensein dort fortsetzenden Gästen ausgeht, nicht nachvollziehbar. Die Annahme einer solchen Zäsur konnte auch nicht auf die behördlichen Auflagen zur Treppensperrung gestützt werden. Zum einen traf sie nicht diejenigen Gäste, die vorsorglich vor 22.00 Uhr zum Mittelteil wechselten oder sich von vornherein dort aufhielten. Zum anderen war der Mittelteil des Platzes ausweislich der vorgelegten Lagepläne auf anderem Wege als über die Treppen zu erreichen.

29bb) Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Zumutbarkeit des von der Behörde prognostizierten Lärms in der Zeit bis 22.00 Uhr. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass die Grenzen des Zumutbaren von den Behörden und Tatsachengerichten anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu bestimmen sind, solange Vorschriften zur Bestimmung von Grenzwerten, wie im vorliegenden Fall, fehlen (stRspr, vgl. 4 C 33-35.83 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 66 S. 5 f. und vom - 7 C 12.90 - Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 8 S. 30 f.; Beschluss vom - 4 B 55.03 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 166 S. 17 f.). Dieser Würdigung kann der Kläger im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht seine eigene Würdigung entgegensetzen (stRspr, vgl. zu § 906 BGB: - BGHZ 79, 45 Rn. 34 und vom - V ZR 51/68 - LM Nr. 38 zu § 906 Rn. 26). Revisionsrechtlich fehlerhaft ist die tatrichterliche Würdigung aber jedenfalls dann, wenn das Tatsachengericht bei seiner Abwägung den Bedeutungsgehalt der von ihm in die Abwägung eingestellten Begriffe verkennt, wenn es sachfremde Erwägungen anstellt oder die Abwägung im Übrigen nicht willkürfrei ist.

30Diesem Maßstab hält die Abwägung des Oberverwaltungsgerichts nicht stand, soweit es die von ihm selbst gebilligten behördlichen Prognosewerte im Rahmen der Abwägung relativiert (1), das Prioritätsargument zu Lasten des Klägers verwendet, ohne Veränderungen des Umfangs des Gaststättenbetriebs in den Blick zu nehmen (2), soweit es seine Einschätzung der Sozialadäquanz der Gaststätte an der Zahl ihrer Unterstützer orientiert (3) und zugunsten des Klägers sprechende Gesichtspunkte ausblendet (4).

31(1) Das Oberverwaltungsgericht durfte als Grund für die Zumutbarkeit der Lärmbelastung nicht berücksichtigten, dass die behördliche Prognose "sicherheitshalber" auch Lärm "normaler Parkbesucher" und spielender Kinder einkalkuliert habe. Damit impliziert es, der dem Gaststättenbetrieb zurechenbare Lärm sei niedriger als der Prognosewert. Eine solche Beurteilung kann nicht im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung getroffen, sondern nur auf rechtliche Einwände gegen die Methode, die Tatsachengrundlage und die Begründung des Ergebnisses der Prognose gestützt werden. Wird diese - wie hier - als rechtmäßig anerkannt, ist ihr Ergebnis der Gesamtabwägung ungekürzt zugrunde zu legen. Im Übrigen dürfte die unzulässige Relativierung des Prognosewerts auf einem Missverständnis beruhen: Die Aussage, nicht dem Schankbetrieb zurechenbare Geräusche von Passanten und Kindern seien nicht ausgeschlossen worden, findet sich in der behördlichen Kritik an den klägerischen Lärmmessungen (vgl. Seite 3 der Stellungnahme des Umweltamtes der Beklagten vom , Bl. 215 der Verwaltungsvorgänge). Sie umschreibt nicht die behördliche Prognosemethode. Diese hat nach den Feststellungen der Vorinstanz gemäß dem Rundschreiben allein Stimmgeräusche der zu erwartenden Gäste in die Berechnung einbezogen. Dass die Gästezahl überhöht angesetzt worden wäre, hat die Vorinstanz nicht festgestellt.

32Auch das Argument des Oberverwaltungsgerichts, der prognostizierte Immissionswert stelle einen Maximalwert dar, der nur bei voller Auslastung der Gaststätte bei schönem Wetter erreicht werde, enthält eine unzulässige Relativierung der behördlichen Immissionsprognose. Denn die Behörde hat ihre Prognose bewusst auf eine "worst-case"-Betrachtung gestützt, die das Berufungsgericht gebilligt hat.

33(2) Fehlerhaft ist die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung auch, soweit sie zu Lasten des Klägers die Herkömmlichkeit der Gaststätte anführt, ohne zu prüfen, ob und in welcher Weise sich der Umfang dieses Betriebs im Laufe der Jahre verändert hat. Langandauernde Übung als eine der Voraussetzungen der Herkömmlichkeit einer immissionsschutzrechtlichen Anlage kann nur angenommen werden, wenn die von der Gaststätte ausgehenden Belastungswirkungen während dieser Zeit weitgehend unverändert bestanden haben.

34(3) Das Oberverwaltungsgericht geht unzutreffend von einer Sozialadäquanz schon wegen der von den Beigeladenen eingereichten Listen mit mehreren tausend Unterschriften aus. Der Gesichtspunkt der Sozialadäquanz kann zwar für die Zumutbarkeit der Immissionen sprechen. Er ist aber nicht schon dann zu bejahen, wenn der unveränderte weitere Betrieb der Gaststätte viele Fürsprecher hat. Als normativ geprägter Begriff setzt Sozialadäquanz vielmehr voraus, dass der Betrieb hingenommen wird und damit dem jeweiligen sozialen Standard entspricht. Hierfür reicht die Existenz von Unterschriftenlisten - auch zahlreicher - Unterstützter einer umstrittenen Praxis nicht aus.

35(4) Die Gesamtwürdigung des Oberverwaltungsgerichts ist schließlich fehlerhaft, weil seine Abwägung nicht auch die naheliegenden Gesichtspunkte der jährlichen Dauer des Weinbrunnens, seine täglichen und wöchentlichen Öffnungszeiten und das völlige Fehlen von Ruhetagen berücksichtigt hat. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als die behördliche Lärmprognose Schallimmissionen nahe der für allgemeine Wohngebiete nach der TA Lärm geltenden Zumutbarkeitsgrenze ergeben hat. Werden einschlägige Grenzwerte nahezu ausgeschöpft, sind Dauer und Kontinuität der Lärmbelastung bei der Gesamtwürdigung besonders zu berücksichtigen.

36Von einer Erörterung der weiteren vom Kläger gegen die Feststellung der Eignung der Prognose vorgebrachten Verfahrensrügen sieht der Senat gemäß § 144 Abs. 7 Satz 1 VwGO ab.

372. Das Urteil beruht auf den genannten Verstößen gegen Bundesrecht. Weder die Annahme teilweiser Unzulässigkeit der Klage noch der Abzug des Zuschlags für Ton- und Informationshaltigkeit oder die Gesamtwürdigung werden von einer bundesrechtskonformen Alternativbegründung getragen. Die hilfsweisen Ausführungen zur Verletzung materiellen Baurechts ändern nichts an den Fehlern der Prognosebeurteilung und dem Versäumnis, § 12 GastG zu prüfen.

383. Das Urteil ist auch nicht aus anderen Gründen richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

39a) Die Klage ist in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage insgesamt zulässig. Der Kläger hat hinsichtlich des gesamten Streitgegenstandes auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erlaubt der Beklagte jährlich den - nun in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossenen - Beigeladenen den Betrieb des Weinbrunnens während der Sommermonate. Die zwischenzeitliche Heranziehung der §§ 2 f. GastG als Ermächtigungsgrundlage ändert nichts daran, dass die Kernfrage des Streits - das Vorliegen drittschützender gaststättenrechtlicher Versagungsgründe - weiterhin nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG zu beurteilen ist. Dabei wird nach wie vor um die Zumutbarkeit der von der Gaststätte ausgehenden Immissionen für den Kläger gestritten, ohne dass sich aus bindenden Tatsachenfeststellungen oder irrevisiblen rechtlichen Annahmen des Berufungsurteils ergäbe, dass es auf diese Einwände wegen der seit 2015 erteilten baurechtlichen Dispense nicht mehr ankäme. Dass sich die Wiederholungsgefahr seit 2015 jährlich realisiert hat, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Wegen der kurzen Befristung der angegriffenen, jeweils unmittelbar vor Beginn der Gestattungszeiträume erteilten Gestattungen erledigten sich diese so kurzfristig, dass der Kläger keine Möglichkeit hatte, sie jeweils in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen.

40b) Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die angegriffenen Gestattungen sind rechtswidrig gewesen und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 GastG lagen nicht vor. Die Vorschrift ermöglicht die Erteilung einer Gestattung für den Betrieb einer Gaststätte aus besonderem Anlass unter erleichterten Voraussetzungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein solcher besonderer Anlass vor, wenn die betreffende gastronomische Tätigkeit an ein kurzfristiges, nicht häufig auftretendes Ereignis anknüpft, das außerhalb ihrer selbst liegt. Häufig wiederkehrende Ereignisse ohne Ausnahmecharakter sind keine besonderen Anlässe ( 1 C 11.88 - Buchholz 451.41 § 12 GastG Nr. 2 Rn. 11 f.). Danach lag hier kein besonderer Anlass vor. Der "Rheingauer Weinbrunnen" erschöpft sich in der zu gestattenden Bewirtung selbst. Zudem wird die Gaststätte nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts seit 50 Jahren jedes Jahr aus demselben Anlass am Rüdesheimer Platz betrieben.

41Der Kläger kann sich auf die Verletzung des § 12 GastG berufen. Wird eine Gestattung anstelle einer normalen Gaststättenerlaubnis erteilt, darf der Gastwirt seiner Nachbarschaft dem Anlass entsprechende höhere Immissionen zumuten. Die Seltenheit des Anlasses und seine Herkömmlichkeit, Sozialadäquanz und allgemeine Akzeptanz können in der Gesamtbeurteilung zur Verschiebung der Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der von den Immissionen der Gaststätte Betroffenen führen (vgl. Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand November 2019, § 12 GastG Rn. 1). Dem entspricht es, dass der betroffene Nachbar gegen die Erteilung einer Gestattung einwenden kann, deren Erteilungsvoraussetzungen lägen nicht vor.

424. Der Senat kann selbst entscheiden, da die revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts eine abschließende Beurteilung zulassen. Aus ihnen ergibt sich, wie ausgeführt, die Zulässigkeit und Begründetheit der gesamten Klage, ohne dass es weiterer Sachverhaltsaufklärung bedarf.

43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 2 und 3 Halbs. 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:121219U8C3.19.0

Fundstelle(n):
WAAAH-45587