BZSt - St II 2 - S 2280-PB/19/00021 BStBl 2020 I S. 251

Familienleistungsausgleich; Umsetzung der BFH-Entscheidungen III R 26/18, III R 17/18 und III R 42/18 zur mehraktigen Berufsausbildung

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Bezug:

Für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG erfüllt sind, z. B. weil es für einen Beruf ausgebildet wird.

Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung wird ein volljähriges Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG jedoch nur berücksichtigt, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Eine erstmalige Berufsausbildung ist grundsätzlich abgeschlossen, wenn sie das Kind zur Aufnahme eines Berufs befähigt. Dabei kann es sein, dass das angestrebte Berufsziel mit dem ersten erlangten Berufsabschluss noch nicht erreicht ist. Setzt ein Kind nach erfolgreichem Abschluss eines Ausbildungsgangs seine Ausbildung fort, kann auch diese Fortsetzung als Teil einer einheitlichen Erstausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusehen sein (vgl. , BStBl 2015 II S. 152). Nach der BFH-Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Der BFH hat hierzu den Rechtsbegriff der mehraktigen Ausbildung geprägt (vgl. , BStBl 2016 II S. 163).

I. Abgrenzung der mehraktigen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung

Der BFH führt in den im Betreff genannten Urteilen aus, dass es an einer einheitlichen Erstausbildung fehlen kann, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Erwerbstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Erwerbstätigkeit in den Hintergrund treten. Der Beurteilungszeitraum umfasst sowohl den weiteren Ausbildungsabschnitt, als auch ggf. den Zeitraum, in dem das Kind sich noch nicht in der weiteren Ausbildungsmaßnahme befindet, sondern auf den nächstmöglichen Beginn der Ausbildungsmaßnahme wartet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c EStG) oder sich in einer Übergangszeit befindet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG). Bei der Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalls sind folgende Kriterien von Bedeutung:

1.) Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf

Das Kind nutzt mit der nach dem ersten Abschluss aufgenommenen Erwerbstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben.

Wird z. B. ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf in den Vordergrund getreten ist. Ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen.

Nimmt das Kind dagegen eine Erwerbstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z. B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z. B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben drei Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.

2.) Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses

Für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an den Arbeitgeber bindet. Eine längerfristige Bindung an den Arbeitgeber besteht, wenn

  1. ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis oder

  2. ein befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer Laufzeit von mehr als 26 Wochen jeweils mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit ausgeübt wird.

Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer mehraktigen Erstausbildung ist.

3.) Zeitliches Verhältnis zwischen Erwerbstätigkeit und Ausbildungsmaßnahme

Für die Beurteilung ist außerdem maßgeblich, inwieweit die Erwerbstätigkeit sich der Durchführung der nächsten Ausbildungsmaßnahmen zeitlich unterordnet und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild neben der Ausbildung durchgeführt wird.

Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden betragen kann, ist allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht ausschlaggebend. Führt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit ein Vollzeitstudium an der Universität durch, kann auch weiterhin der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen. Wird eine Erwerbstätigkeit in Teilzeit so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, kann dies ebenfalls ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung sein.

Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weitere Ausbildungsmaßnahme nur neben der Erwerbstätigkeit durchgeführt wird.

II. Berufspraktische Erfahrung bzw. laufende Berufstätigkeit als Voraussetzung für die Aufnahme bzw. den Abschluss der weiteren Ausbildungsmaßnahme

Wird für die Aufnahme der weiteren Ausbildungsmaßnahme berufspraktische Erfahrung vorausgesetzt, führt dies zu einer Zäsur (vgl. , BStBl 2016 II S. 615) und damit zum Wegfall des notwendigen Zusammenhangs zwischen den Ausbildungsabschnitten. Gleiches gilt, wenn eine Berufstätigkeit zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten aufgenommen wird, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient.

Dagegen entfällt der notwendige Zusammenhang nicht, wenn die berufspraktische Erfahrung bzw. laufende Berufstätigkeit lediglich für die Zulassung zur Abschlussprüfung oder für deren Bestehen vorausgesetzt wird. Entscheidend ist jedoch, dass die Ausbildung nicht von der Erwerbstätigkeit geprägt ist (siehe I.).

III. Objektive Beweisanzeichen

Sofern das angestrebte Berufsziel nach Abschluss der ersten Ausbildungsmaßnahme noch nicht erreicht ist, ist dies der Familienkasse glaubhaft zu machen. Dies sollte anhand von objektiven Beweisanzeichen geschehen.

Objektive Beweisanzeichen sind neben Bewerbungen auch die Korrespondenz mit dem Arbeitgeber bezüglich der weiteren Ausbildungsmöglichkeiten oder andere schriftliche Unterlagen, welche die Absicht zur Aufnahme einer weiteren Ausbildungsmaßnahme wiederspiegeln.

Entscheidend ist, dass der Sachverhalt der Familienkasse zum Zeitpunkt der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen vollständig und glaubhaft dargelegt worden ist. Um glaubhaft zu machen, dass das angestrebte Berufsziel mit dem ersten erlangten Berufsabschluss noch nicht erreicht ist, sollten die objektiven Beweisanzeichen grundsätzlich spätestens zwischen dem Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts und dem nächstmöglichen Beginn des folgenden Ausbildungsabschnitts entstanden sein. Liegen objektive Beweisanzeichen für diesen Zeitraum nicht vor, kann dies als Indiz gegen den Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte angesehen werden. Sofern objektive Beweisanzeichen der Familienkasse erst später bekannt werden (z. B. im Rahmen eines Einspruchsverfahrens), führt dies nicht zum Wegfall der mehraktigen Berufsausbildung.

Können von Seiten der Kindergeldberechtigten keine objektiven Beweisanzeichen vorgelegt werden, besteht ausnahmsweise die Möglichkeit, eine schriftliche Absichtserklärung des volljährigen Kindes an die Familienkasse zu übermitteln. Diese dient als Nachweis, dass das Kind das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht hat. Im Gegensatz zu den oben genannten objektiven Beweisanzeichen ist nicht auf die Entstehung der Absichtserklärung, sondern auf das Bekanntwerden in der Familienkasse abzustellen. Eine berücksichtigungsfähige Absichtserklärung muss spätestens im Folgemonat nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts bei der Familienkasse vorliegen, wenn keine anderen objektiven Beweisanzeichen vorhanden sind.

IV. Prüfungsreihenfolge

Ob eine mehraktige Erstausbildung vorliegt, ist nach folgenden Kriterien zu prüfen:

  1. Ist ein objektives Beweisanzeichen gegeben? (siehe III.)

  2. Liegt ein enger sachlicher Zusammenhang vor? (siehe A 20.2.4 Abs. 2 Satz 3 DA-KG)

  3. Liegt ein enger zeitlicher Zusammenhang vor? (siehe A 20.2.4 Abs. 2 Satz 4 DA-KG)

  4. Ist die Aufnahme des weiteren Ausbildungsabschnittes ohne berufspraktische Erfahrung möglich? (siehe II.)

Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt, liegt keine mehraktige Berufsausbildung vor. Sind alle Kriterien erfüllt, ist noch zu prüfen, ob die weitere Ausbildungsmaßnahme im Vordergrund steht. Von einer einheitlichen mehraktigen Ausbildung ist nicht mehr auszugehen, wenn die weitere Ausbildungsmaßnahme aufgrund einer daneben durchgeführten Erwerbstätigkeit in den Hintergrund tritt (siehe I.). Dies ist insbesondere bei folgenden Kriterien anzunehmen:

  1. Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf (I. 1.))

  2. unbefristetes bzw. mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit oder nahezu Vollzeit (I. 2.))

  3. höherer zeitlicher Umfang der Erwerbstätigkeit im Verhältnis zur Ausbildungsmaßnahme (I. 3.))

  4. Durchführung der Ausbildungsmaßnahme ordnet sich der Erwerbstätigkeit zeitlich unter und findet z. B. nur am Abend bzw. an den Wochenenden statt (I. 3.))

V. Anwendung für Zeiträume, in denen das Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b oder Buchstabe c EStG berücksichtigt wird

Laut Rechtsprechung des RdNr. 25 und III R 56/18 RdNr. 25) bestehen keine Bedenken, die Bewertung, ob der weitere Ausbildungsabschnitt Teil einer mehraktigen Erstausbildung oder einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) ist, auch auf die vor Beginn der weiteren Ausbildungsmaßnahme liegende Übergangszeit (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG) bzw. Wartezeit (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c EStG) zu erstrecken, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung der Übergangszeit bzw. Wartezeit rechtfertigen.

Sofern die unter IV. genannten Ausschlusskriterien 1. bis 4. erfüllt sind, ist ggf. im Rahmen einer Prognoseentscheidung anhand der Kriterien a. bis d. zu beurteilen, ob während der weiteren Ausbildungsmaßnahme voraussichtlich der Ausbildungscharakter oder der Erwerbscharakter im Vordergrund stehen wird. Eine Prognoseentscheidung ist in der Regel dann erforderlich, wenn sich die weitere Ausbildungsmaßnahme (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG) nicht unmittelbar (im Folgemonat) an das Ende der vorherigen Ausbildungsmaßnahme anschließt (und dadurch eine Übergangszeit bzw. eine Wartezeit entsteht). Führt die Prognoseentscheidung zu einer Kindergeldfestsetzung, ist zeitnah (spätestens nach Ablauf von drei Monaten seit Beginn der weiteren Ausbildungsmaßnahme) rückwirkend zu prüfen, ob die Entscheidung aufgrund der Prognose Bestand hat. Der Berechtigte kann bereits vorab darüber informiert werden (z. B. im Rahmen der Bescheiderteilung), dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, die später überprüft wird.

BZSt v. - St II 2 - S 2280-PB/19/00021

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Fundstelle(n):
BStBl 2020 I Seite 251
IAAAH-45369