Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör: Anforderungen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers in der Berufungsbegründung
Leitsatz
Die Berufungsbegründung hat, wenn sie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers darzulegen, was bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung des Erstgerichts geführt hätte. Dieser Darlegung bedarf es nur dann nicht, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff ersichtlich ist (im Anschluss an BGH Bes. v. - III ZB 127/15, NJW 2016, 2890).
Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 U 29/19vorgehend LG Magdeburg Az: 31 O 67/18
Gründe
I.
1Die Klägerin begehrt Nutzungsentgelt für die Nutzung von Operationssälen durch die Beklagte zu 1.
2Die Klägerin ist eine Managementgesellschaft, die bis zum eine Praxisklinik mit vier Operationssälen betrieb. Hierzu vermietete sie die Operationssäle nebst Personal an im Großraum tätige niedergelassene Ärzte, damit diese dort ihre ambulanten Operationen durchführen konnten. Die Beklagte zu 1 betreibt eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesiologie; die Beklagten zu 2 und 3 sind ihre Gesellschafter. Die Parteien schlossen am einen schriftlichen "Vertrag zur Hausanästhesie in der Praxisklinik S.". In § 14 Abs. 5 dieses Vertrags heißt es unter anderem: "Die Hausanästhesie zahlt der Praxisklinik ein Nutzungsentgelt für ambulante Operationen, die Abrechnung erfolgt ebenfalls monatlich. Näheres ist in Anlage 1 geregelt."
3Die Klägerin legte in der Zeit vom bis zum gegenüber den Beklagten Rechnung über die Nutzung des Operationszentrums. Nachdem die Beklagten nicht gezahlt hatten, hat die Klägerin beantragt, diese als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 87.879,51 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben bestritten, dass die von der Klägerin abgerechneten Nutzungen stattgefunden haben und dass diese auf der Basis der vertraglichen Vereinbarung abgerechnet worden seien. Im Übrigen haben sie die Einrede der Verjährung im Hinblick auf die Rechnungen vom erhoben.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe zwar zum Anspruchsgrund schlüssig vorgetragen, nicht jedoch zur Höhe des verlangten Nutzungsentgelts. Da die Beklagten Grund und Höhe des Nutzungsentgelts bestritten hätten, habe es der Klägerin oblegen, darzulegen, welche Nutzungsüberlassung den mit der Anlage K2 eingereichten Rechnungen jeweils zugrunde gelegen habe. Diesem Erfordernis habe sie nicht genügt. Darüber hinaus seien die Forderungen der Klägerin, die sie mit den Rechnungen vom über 8.575 €, 4.998 € und 7.056 € geltend gemacht habe, verjährt.
5Die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht mangels hinreichender Begründung verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
6Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
7Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
81. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung auch unter Bezugnahme auf seinen Hinweis vom ausgeführt, dass die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ausreichend begründet worden sei. Zur von der Klägerin allein erhobenen Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs in Form der Verletzung der aus § 139 Abs. 1 und 2 ZPO folgende Hinweispflichten gehöre auch die Darlegung, was bei Gewährung rechtlichen Gehörs auf den Hinweis des Gerichts vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen sei, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung der ersten Instanz geführt hätte. Daran fehle es der Berufungsbegründung der Klägerin. Es genüge nicht, pauschal auf Anlagen zu verweisen.
9Es sei bereits zweifelhaft, ob die Klägerin die Entscheidung des Landgerichts in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und damit die Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil erfüllt habe. Ihr Hinweis auf die zumindest geschuldete übliche Vergütung verkenne, dass die Begründung des Landgerichts gleichermaßen für die vertraglich bestimmte und für die übliche Vergütung gelte. Ohne nähere Darlegung der konkreten Nutzung der Einrichtungen der Klägerin durch die Beklagten im Zusammenhang mit ambulanten Operationen lasse sich weder die eine noch die andere Vergütung bestimmen. Die Klägerin lasse auch in zweiter Instanz dazu jede nachvollziehbare Einzelheit vermissen, so dass nicht im Ansatz zu ihren Gunsten deutlich werde, welchen Effekt ein rechtzeitiger und inhaltlich konkreter Hinweis des Landgerichts in Bezug auf das Klagevorbringen gehabt und wie sich dies möglicherweise auf das prozessuale Ergebnis der ersten Instanz ausgewirkt hätte. Dafür reiche der Einwand nicht aus, das Landgericht habe es der Klägerin nicht ermöglicht, weiter zu den Nutzungen und den vereinbarten Entgelten vorzutragen. Spätestens nach dem Erkennen dieses Defizits habe die Klägerin in der Berufungsbegründung zu ihren Ansprüchen inhaltlich vortragen müssen, um die Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensmangels deutlich zu machen. Unmittelbar und zweifelsfrei ergebe sich die Entscheidungserheblichkeit aus dem bisherigen Prozessstoff gerade nicht.
10Soweit das Landgericht für die am abgerechneten Forderungen Verjährung angenommen habe, fehle zusätzlich ein tauglicher Berufungsangriff. Stütze die erste Instanz ihre Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe, müsse die Berufungsbegründung jeden dieser Gründe infrage stellen. Andernfalls sei das Rechtsmittel insoweit unzulässig.
11Die Auffassung der Berufung, die Beklagten hätten nicht einfach bestreiten können, setze sich genauso wenig mit dem Urteil des Landgerichts auseinander. Unabhängig davon, dass die Erheblichkeit dieser vermeintlichen Rechtsverletzung des Landgerichts für die angefochtene Entscheidung nicht ersichtlich werde, gehe dessen Urteil von einem substantiierten Bestreiten der Beklagten aus. Die Berufung lege nicht dar, dass dieser Feststellung Anhaltspunkte für Zweifel entgegenstünden.
122. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
13a) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser – zugeschnitten auf den konkreten Streitfall und aus sich heraus verständlich – diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung folgt. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind ( - NJW 2016, 2890 Rn. 10 mwN; vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 12/14 - NJW-RR 2016, 80 Rn. 6 mwN).
14Hiernach muss die Berufungsbegründung, wenn sie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers darlegen, was bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Dieser Darlegung bedarf es nur dann nicht, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff ersichtlich ist ( - NJW 2016, 2890 Rn. 11 mwN).
15b) Diesen Grundsätzen entspricht die angefochtene Entscheidung. Den hiergegen geführten Angriffen der Rechtsbeschwerde bleibt der Erfolg versagt.
16aa) Zu Recht hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass sich auch der Berufungsbegründung nicht entnehmen lässt, in welchem konkreten Umfang die Beklagten die Einrichtungen der Klägerin genutzt haben. Allein der Hinweis der Klägerin darauf, dass die Einrichtungen genutzt worden seien und dass dies nicht unentgeltlich erfolgt sein könne, genügt für eine im Rahmen der Gehörsrüge erforderliche Substantiierung nicht, weil sich daraus auch keine konkrete Mindestvergütung ergibt.
17bb) Der Einwand der Rechtsbeschwerde, die Zweifel des Oberlandesgerichts, ob die Klägerin die Entscheidung des Landgerichts in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen habe, rechtfertigten allenfalls eine Zurückweisung der Berufung als unbegründet, nicht aber eine Verwerfung, geht fehl. Sie verkennt, dass das Oberlandesgericht damit zum Ausdruck bringen wollte, dass es die Klägerin trotz ausdrücklichen Hinweises des Oberlandesgerichts nicht darzulegen vermochte, was sie im Falle eines Hinweises durch das Landgericht vorgetragen hätte.
18cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch nicht unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff.
19Unbeschadet der Frage, ob die Beklagten Leistungen der Klägerin in Anspruch genommen haben, verkennt auch die Rechtsbeschwerde, dass die Beklagten bestritten haben, die abgerechneten Nutzungen hätten stattgefunden. Das Landgericht hat sich darauf gestützt, dass die Klägerin zwar zum Anspruchsgrund, nicht aber zur Höhe des verlangten Nutzungsentgelts schlüssig vorgetragen hat. Weil aus ihrem erstinstanzlichen Vortrag nicht zu erkennen ist, wie und in welchem Umfang die Beklagten die Einrichtungen der Klägerin im Zusammenhang mit den ambulanten Operationen im Einzelnen genutzt haben, fehlt es zugleich an einer Grundlage für die Bemessung einer üblichen Vergütung.
20dd) Darauf, dass die Berufung sich auch nicht zur Frage der Verjährung verhalten hat, kommt es nach alledem nicht an.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120220BXIIZB445.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 16
NJW 2020 S. 1525 Nr. 21
NJW-RR 2020 S. 573 Nr. 9
ZAAAH-44763