BSG Beschluss v. - B 1 KR 21/19 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Klärungsfähigkeit einer materiell-rechtlichen Frage - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Anforderungen an die Begründung der Beschwerde

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG

Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 15 KR 405/16 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 4 KR 2391/17 Urteil

Gründe

1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Befreiung von der Zuzahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert. Sie lebt in einem Pflegeheim und bezieht Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Die beklagte KK setzte für das Jahr 2016 die Belastungsgrenze für Zuzahlungen auf 48,48 Euro fest. Die dagegen und gegen die Festsetzung künftiger Zuzahlungen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Bei Versicherten wie der Klägerin ergebe sich die Zuzahlungsgrenze nach dem Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 (§§ 61, 62 SGB V, Anlage zu § 28 SGB XII), sie sei daher von der beklagten KK zutreffend festgesetzt worden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Das BSG habe bestätigt, dass die Zuzahlungen als Teil des Regelbedarfs gewährt würden und das notwendige Existenzminimum nicht verletzt werde (unter Verweis auf - BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6; - juris). Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit Asylbewerbern bestehe nicht ().

2Das LSG hat die Berufung als unzulässig verworfen (§ 158 SGG). Die Beklagte habe ausschließlich über die Zuzahlungspflicht für das Jahr 2016 entschieden. Die Klägerin habe im Jahr 2016 aber maximal 48,48 Euro zuzahlen müssen. Mit diesem Betrag werde der erforderliche Beschwerdewert von 750 Euro nicht überschritten. Die Festsetzung der Zuzahlung für nur ein Jahr entspreche im Übrigen § 62 Abs 1 Satz 1 SGB V, der die Festsetzung für das jeweilige Kalenderjahr regele. Für spätere Jahre seien weitere Bescheide erlassen worden, die nicht Gegenstand des Verfahrens geworden seien. Das SG habe die Berufung auch nicht zugelassen (Urteil vom ).

3Gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

4II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels den von ihr allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht dargelegt.

5Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

7Jedenfalls die Klärungsfähigkeit dieser materiell-rechtlichen Fragestellungen legt die Klägerin nicht dar. Dazu wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfenen Fragen entscheiden müsste, die Fragen also entscheidungserheblich sind (vgl - juris; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8).

8Da das LSG vorliegend nicht in der Sache entschieden hat, sondern mit der Verwerfung der Berufung als unzulässig eine reine Prozessentscheidung getroffen hat, besteht besondere Veranlassung, die Klärungsfähigkeit der Rechtsfragen zu erläutern. Eine aufgeworfene materiell-rechtliche Frage ist nicht klärungsfähig, wenn das Revisionsgericht an einer inhaltlichen Entscheidung prozessrechtlich gehindert wäre, zB wegen bereits anzunehmender Unzulässigkeit der Klage oder der Berufung (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14i mwN). Wird dennoch das Begehren auf Zulassung der Revision auf materielle Rechtsfragen gestützt, erfordert die Zulässigkeit der Beschwerde zunächst die schlüssige Darlegung, dass die Berufung entgegen der Ansicht des LSG zulässig war, und darüber hinaus einen substantiierten Vortrag, weshalb das Revisionsgericht sich nicht nur auf die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung zu beschränken, sondern auch über die als grundsätzlich bezeichneten materiell-rechtlichen Fragen zu entscheiden habe (vgl - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Derartige Ausführungen sind der Beschwerde aber nicht zu entnehmen. Die - durch nichts begründete - Behauptung, das LSG habe zwar die Berufung als unzulässig verworfen, über die inhaltlichen Fragen aber "stillschweigend mitentschieden", stellt die Unzulässigkeit der Berufung nicht einmal in Frage. Weshalb gleichwohl das BSG nicht an einer Sachentscheidung gehindert sein soll, wird nicht erörtert.

9Revisionszulassungsgründe in Bezug auf die prozessrechtliche Beurteilung des LSG macht die Klägerin nicht geltend.

10Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:170220BB1KR2119B0

Fundstelle(n):
BAAAH-44262