Umsatzsteuer | Rückgängigmachung der Option gem. § 9 Abs. 1 UStG (FG)
Ist im notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag auf die Umsatzsteuerbefreiung für die Grundstückslieferung nach § 9 Abs. 1 UStG verzichtet worden, kann dieser Verzicht nachträglich bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft (Unabänderbarkeit) der Umsatzsteuerfestsetzung rückgängig gemacht werden (gegen Abschn. 9.2 Abs. 9 Satz 3 UStAE); dem stehen weder § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG noch Unionsrecht entgegen. (; Revision eingelegt, BFH Az. XI R 22/19).
Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, erwarb mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag vom von der B Immobilien GmbH (Veräußerin) das Grundstück für 320.000 €. Die Veräußerin verzichtete auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen. Die Klägerin wollte das Objekt zunächst steuerpflichtig weiterverkaufen entschied sich dann aber doch für eine steuerfreie Veräußerung. Daraufhin machte die Veräußerin den Verzicht auf die Steuerbefreiung mit einer Änderung des ursprünglichen Grundstücksvertrages rückgängig.
Das FA hielt die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung für unwirksam. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das FA gab die Einspruchsentscheidung mit einfachem Brief an die Prozessbevollmächtigten bekannt. Das Absendedatum datiert auf Freitag, den .
Der Brief wurde von dem privaten Dienstleister C befördert. An Freitagen holen Bedienstete der C die Schriftstücke gegen 11:00 Uhr im FA ab und übergeben sie an die Deutsche Post AG. Die Umschläge werden schon im FA mit einer Frankiermaschine der Deutschen Post AG frankiert. Die für die Deutsche Post AG bestimmten einfache Briefe werden weder von der C noch von der Deutschen Post AG elektronisch erfasst.
Bei den Prozessbevollmächtigten datiert der Posteingangsstempel auf der Einspruchsentscheidung auf den . Im elektronisch geführten Fristenkontrollbuch ist als „Eingangsdatum” ebenfalls der angegeben. Aus dem DATEV-Ausdruck „Eingänge der Kanzlei” ist ersichtlich, dass die Einspruchsentscheidung am im System der Prozessbevollmächtigten erfasst wurde. Der Briefumschlag, in dem die Einspruchsentscheidung versandt worden war, wurde entsorgt. Die Klägerin erhob am (nach Ablauf der regulären Klagefrist, bei Berechnung mit 3-Tages-Fiktion) Klage.
Das FG gab der Klage statt:
Die Klage wurde innerhalb der Klagefrist erhoben (Zulässigkeit):
Die Klägerin hat substantiiert Zweifel an der Dreitagesvermutung vorgetragen, die nicht ausgeräumt werden konnten.
Für die Erschütterung der Zugangsfiktion reicht es aus, dass die Zustellung von einem privaten Zustelldienst unter Zwischenschaltung eines weiteren Dienstleistungsunternehmens erfolgt ist, insbesondere bei einem auf einen Freitag fallenden Postaufgabetag. Es liegt dann im Verantwortungsbereich des FA nachzuweisen, dass die Bekanntgabe innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO durch den privaten Postdienstleister mit gleich hoher Verlässlichkeit zu erwarten ist wie bei einer Versendung i.R. des Postuniversaldienstes (, Rz 14-16).
Das FA konnte nicht nachweisen, dass die Bekanntgabe innerhalb des Dreitageszeitraums durch den privaten Postdienstleister mit gleich hoher Verlässlichkeit zu erwarten ist wie bei einer Versendung i.R. des Postuniversaldienstes.
Die Klägerin konnte außerdem glaubhaft machen, dass die Einspruchsentscheidung tatsächlich erst nach Ablauf des Dreitageszeitraums zugegangen ist.
Aufgrund der besonderen Umstände des Streifalls war es (entgegen der BFH-Rechtsprechung) unschädlich, dass die Klägerin den Briefumschlag weggeworfen hat. Denn das FA hat den Briefumschlag selbst gestempelt, so dass dem Stempel keine erhebliche Beweiskraft zukommt.
Im Ergebnis gilt die Zugangsvermutung daher nicht und die Nichterweislichkeit eines Zugangs am Montag, den geht zu Lasten des FA. Das FG geht also von einer Bekanntgabe am aus, so dass die Klage innerhalb der Klagefrist erhoben wurde.
Die Klage ist auch begründet:
Im Streitfall haben sich die Verhältnisse für den Vorsteuerabzug nicht gem. § 15a UStG geändert. Sowohl der Erwerb als auch die Veräußerung des Grundstücks sind steuerfrei. Die Veräußerin hat ihren Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Grundstückslieferung wirksam rückgängig gemacht. Die Rückgängigmachung des Verzichts im Jahr 2012 wirkt auf das Jahr der Ausführung des Umsatzes (hier: 2009) zurück.
Der Verzicht auf eine Steuerbefreiung kann, obwohl in § 9 UStG nicht ausdrücklich vorgesehen, rückgängig gemacht werden (arg. § 14c Abs. 1 Satz 3 UStG und ; ; ; ).
Denn der Rückgängigmachung des Verzichts steht vorliegend § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nicht entgegen. Nach dessen Wortlaut ist nur der Verzicht auf die Steuerbefreiung (formal und zeitlich) begrenzt, nicht jedoch die Rückgängigmachung.
Die Rückgängigmachung eines Verzichts ist daher ohne die Beschränkung des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft (Unabänderbarkeit) der Umsatzsteuerfestsetzung möglich.
Hinweis:
Gegen das FG-Urteil wurde inzwischen Revision beim BFH eingelegt (BFH Az. XI R 22/19).
Quelle: ; NWB Datenbank (ImA)
Fundstelle(n):
VAAAH-43976