Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 9 LB 123/17 Urteilvorgehend VG Lüneburg Az: 2 A 45/17 Urteil
Tatbestand
1Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer für das Jahr 2017.
2Sie haben ihren Hauptwohnsitz in der Stadt G. In der Gemeinde L., die Mitgliedsgemeinde der beklagten Samtgemeinde ist, gehört ihnen ein selbstgenutztes Wochenendhaus.
3Die Gemeinde L. erhebt eine Zweitwohnungssteuer auf der Grundlage ihrer Zweitwohnungssteuersatzung in der Fassung der Änderungssatzung vom (ZwStS). Die Steuer bemisst sich gemäß § 5 Abs. 1 ZwStS nach dem Mietwert der Wohnung. § 5 Abs. 2 bis 5 ZwStS lauten:
(2) Als Mietwert gilt die Jahresrohmiete, die im Rahmen der Objektbewertung durch das Finanzamt festgestellt und im jeweiligen Einheitswertbescheid an den Ersteigentümer ausgewiesen worden ist. § 79 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 230) in der zur Zeit gültigen Fassung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Jahresrohmieten, die gemäß Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom (BGBl. I S. 851) vom Finanzamt auf die Wertverhältnisse des Hauptfeststellungszeitpunkts festgestellt wurden, jeweils für das Erhebungsjahr auf den September des Vorjahres hochgerechnet werden.
Die Hochrechnung erfolgt bis Januar 1995 entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Bruttokaltmiete) nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet, der vom statistischen Bundesamt veröffentlicht wird.
Ab Januar 1995 erfolgt die Hochrechnung entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Nettokaltmiete) nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im Bundesgebiet, der vom statistischen Bundesamt veröffentlicht wird.
Festsetzungen in DM werden entsprechend in Euro umgerechnet.
(3) Ist die Jahresrohmiete nach Absatz 2 nicht bekannt, wird sie in Anlehnung an die Miete, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung zum Hauptfeststellungszeitpunkt regelmäßig bezahlt wird, geschätzt und entsprechend Absatz 2 hochgerechnet.
(4) Ist eine Mietfestsetzung nach vorstehenden Absätzen nicht möglich, gilt als Mietwert die übliche Miete i.S. des § 79 Abs. 2 BewG.
(5) Ist auch die übliche Miete nicht zu ermitteln, so treten an deren Stelle (6 v.H.) des gemeinen Wertes der Wohnung. § 9 BewG findet entsprechende Anwendung.
4Mit Bescheid vom zog die Beklagte die Kläger zur Zweitwohnungssteuer in Höhe von 262,94 € heran. Die hiergegen erhobene Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung der Kläger mit Urteil vom zurück. Es hielt den an die Jahresrohmiete zum anknüpfenden Steuermaßstab auch nach dem - 1 BvL 11/14 u.a. - BVerfGE 148, 147) zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung für zulässig, ließ jedoch unter Hinweis auf dieses Urteil die Revision zu.
5Mit Kammerbeschluss vom (- 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 -, juris) erkannte das Bundesverfassungsgericht zu den Zweitwohnungssteuersatzungen zweier bayerischer Gemeinden, dass die Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach dem Maßstab einer auf den festgestellten Jahresrohmiete mit dem Grundsatz der Lastengleichheit bei der Besteuerung nicht vereinbar und seit dem Jahr 2009 verfassungswidrig ist. Gleichzeitig ordnet es für die von den dortigen Verfassungsbeschwerden betroffenen Steuersatzungen deren Fortgeltung bis zum an.
6Zur Begründung ihrer Revision beziehen sich die Kläger auf den vorgenannten Beschluss. Aus diesem ergebe sich die Verfassungswidrigkeit auch der streitgegenständlichen Satzung. Anders als das Bundesverfassungsgericht seien die Verwaltungsgerichte aber nicht zur Anordnung der Fortgeltung einer verfassungswidrigen Satzung berechtigt. Die Regelung in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlange die Aufhebung von Bescheiden, die auf einer verfassungswidrigen Satzungsgrundlage beruhen.
7Die Kläger beantragen,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom zu ändern und den Steuerbescheid der Beklagten vom aufzuheben.
8Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9Sie macht geltend, auch die Verwaltungsgerichte seien in Ausnahmefällen zu einer auf die Vergangenheit begrenzten Fortgeltungsanordnung für eine rechtswidrige Satzungsbestimmung befugt. Eine solche Anordnung sei hier im Hinblick auf das Vertrauen der Kommunen auf die Zulässigkeit des Steuermaßstabs der indexierten Jahresrohmiete und wegen ansonsten drohender Einnahmeverluste gerechtfertigt.
Gründe
10Die zulässige Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO, 1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar; das Bundesverwaltungsgericht kann in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid unter Abänderung der vorinstanzlichen Urteile aufheben (2.).
111. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht, soweit es den in § 5 Abs. 2 und 3 ZwStS der Gemeinde L. geregelten Steuermaßstab der "indexierten Jahresrohmiete" mit dem Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) für vereinbar hält und den angefochtenen Bescheid auf diese Satzungsgrundlage stützt (a); eine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung kommt nicht in Betracht (b).
121. Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt stets auch eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. Der Normgeber hat für die Wahl der Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange diese nur prinzipiell dazu geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (stRspr des BVerfG, vgl. - BVerfGE 148, 147 Rn. 96 ff.; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 29, jeweils m.w.N.).
13Bei der Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach der auf den festgestellten Jahresrohmiete gemäß § 79 BewG kommt es durch erhebliche Wertverzerrungen zu Ungleichbehandlungen, die vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sind. Da die Verwendung dieses Maßstabs ganz generell keine realitätsnahe und relationsgerechte Bewertung mehr ermöglicht, können jedenfalls seit dem Jahr 2009 weder das Ziel der Verwaltungsvereinfachung noch Gründe der Typisierung und Pauschalierung die Verwendung des Maßstabs rechtfertigen ( und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 f.).
14Bei diesem auch von der Gemeinde L. verwendeten Steuermaßstab werden seit 1964 veränderte Ausstattungsstandards von Gebäuden ebenso wenig berücksichtigt wie Veränderungen der Lage oder verkehrlichen Anbindung von Grundstücken. Dies führt dazu, dass mit diesem Steuermaßstab der durch das Halten einer Zweitwohnung betriebene Aufwand nicht bei allen Zweitwohnungsinhabern gleichmäßig abgebildet wird, sondern erhebliche Wertverzerrungen auftreten, die eine gleichheitsgerechte Erhebung der Zweitwohnungssteuer verhindern. Die Wertverzerrungen werden nicht durch die Hochrechnung der Jahresrohmiete entsprechend dem Preisindex der Lebenshaltung für Wohnungsmieten ausgeglichen, vielmehr wird die ungleiche Behandlung unterschiedlicher Zweitwohnungsinhaber im Gemeindegebiet durch die Hochrechnung perpetuiert ( und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 und 34 f.).
15b) Die Verwaltungsgerichte sind grundsätzlich nicht befugt, eine zeitlich befristete Fortgeltung für verfassungswidrige Satzungsbestimmungen anzuordnen (vgl. u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 70 zur entsprechenden Frage nach Nichtigerklärung eines Parlamentsgesetzes; 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29 zum Normenkontrollverfahren). Sie sind vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen (BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8 und vom - 11 B 54.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 S. 20). Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen "Notstand" zur Folge hätte, könnte etwas Anderes gelten ( 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29; Beschluss vom - 9 B 109.09 - juris Rn. 8). Von einem derartigen Notstand kann hier ersichtlich keine Rede sein. Einen darüber hinaus gehenden Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen verfassungswidriger Satzungsbestimmungen hat der Gesetzgeber den Verwaltungsgerichten nicht eingeräumt. Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Praxis auf die speziellen Regelungen in § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG (s. zuletzt u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 108), die in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Entsprechung finden.
16Es besteht hier auch kein Grund dafür, einem durch die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Steuermaßstabs (s. 9 C 3.02 - BVerwGE 117, 345) begründeten Vertrauenstatbestand mittels Übergangsregelungen Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar angenommen, dass durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet und bei Änderung dieser Rechtsprechung dem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden kann ( - BVerfGE 122, 248 <277 f.>).
17Eine solche Situation liegt jedoch nicht vor.
18Bereits durch den ausführlich begründeten Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung vom (- II R 16/13 - BFHE 247, 150) wurde das Vertrauen auf den dauerhaften Fortbestand der Rechtsprechung zum Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete erschüttert (vgl. zum Unzulässigwerden des Stückzahlmaßstabs bei der Spielapparatesteuer 10 C 5.04 - BVerwGE 123, 218 <234>). Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Regelungen über die Einheitsbewertung wegen der gravierenden Wertverzerrungen durch das Festhalten am Hauptfeststellungszeitpunkt zum durch das Urteil vom (- 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147) für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten die Gemeinden erst recht nicht mehr davon ausgehen, dass ein Steuermaßstab mit der Anknüpfung an die Wertverhältnisse des Jahres 1964 auf Dauer beibehalten werden kann.
19Auch wenn in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Anschluss an dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Teil noch die Auffassung vertreten wurde, der betreffende Steuermaßstab sei gleichwohl für die Zweitwohnungssteuer weiterhin zulässig, so konnte doch - zudem angesichts gegenteiliger Urteile - nicht mehr auf eine gefestigte Rechtsprechung vertraut werden.
20Unzumutbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt durch die Aufhebung von Steuerbescheiden infolge der Nichtigkeit der Satzungsgrundlage sind regelmäßig und auch hier nicht zu befürchten. Denn für die Vergangenheit sind nur die noch nicht bestandskräftigen Bescheide betroffen. Es besteht keine Verpflichtung, unanfechtbare Bescheide zu überprüfen und anzupassen. Darüber hinaus sind die Kommunen berechtigt, eine ungültige Satzung rückwirkend durch eine neue Satzung zu ersetzen und auf dieser Grundlage Steuern auch für einen zurückliegenden Zeitraum neu zu erheben (stRspr, s. 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8).
212. Das Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO); das Bundesverwaltungsgericht kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die angefochtenen Bescheide können nicht auf § 5 Abs. 4 ZwStS gestützt werden. Das Berufungsgericht legt diese Regelung zwar dahin aus, dass sie nicht an die Verhältnisse am , sondern an die Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Erhebung der Zweitwohnungssteuer anknüpft. Indes kommt die so verstandene Satzungsbestimmung nach der maßgeblichen Auffassung des Berufungsgerichts nur ausnahmsweise zur Anwendung, soweit eine Jahresrohmiete weder vom Finanzamt festgestellt wurde noch gemäß der vorrangigen Regelung in § 5 Abs. 3 ZwStS zum geschätzt und mit der Preissteigerungsrate hochgerechnet werden kann.
22Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:271119U9C6.18.0
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2020 S. 17
CAAAH-43469