Rückforderung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft - unwirksame AVE VTV 2014 - Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG
Gesetze: § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, § 1 TVG, § 3 Abs 3 S 1 VTV-Bau, § 18 Abs 1 S 1 VTV-Bau, § 7 Abs 3 SokaSiG, Anl 28 SokaSiG, § 5 TVG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 19 Abs 1 S 1 GG
Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 2 Ca 1336/16 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 1615/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft, die die Klägerin im Kalenderjahr 2014 leistete.
2Der Beklagte zu 1. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Bei der Beklagten zu 2. handelt es sich um die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft organisierte Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Bau). Sie gewährt zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten. Seit dem zieht der Beklagte zu 1. neben seinen eigenen Beiträgen auch die Beiträge für die tarifliche Zusatzrente ein. Diese führt er an die Beklagte zu 2. ab.
3Die Klägerin mit Sitz im rheinland-pfälzischen S ist nicht Mitglied eines der die Verfahrenstarifverträge schließenden Verbände. Sie unterhielt im Streitzeitraum einen Baubetrieb. Im Kalenderjahr 2014 entrichtete sie auf der Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom idF vom (VTV 2013 II) an den Beklagten zu 1. Sozialkassenbeiträge iHv. 52.824,96 Euro und erhielt von ihm Erstattungsleistungen iHv. 38.490,89 Euro.
4Der Senat hat festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2013 II unwirksam ist ( - BAGE 156, 289). Die Klägerin verlangt deshalb die Rückzahlung der für das Kalenderjahr 2014 gezahlten Beiträge abzüglich der Erstattungsleistungen, die ihr vom Beklagten zu 1. gewährt wurden.
5Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe der Rückzahlungsanspruch gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB zu. Sie habe die Beiträge ohne rechtlichen Grund geleistet, weil die Allgemeinverbindlicherklärung unwirksam sei. Aus dem Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom (SokaSiG) ergebe sich kein Rechtsgrund für die Beitragszahlungen, weil das Gesetz verfassungswidrig sei. Es verstoße gegen das Verbot rückwirkender Gesetze und sei weder mit der Koalitionsfreiheit noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Zudem stelle es ein unzulässiges Einzelfallgesetz dar, das den Grundsatz der Gewaltenteilung verletze.
6Zuletzt hat die Klägerin beantragt,
7Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben gemeint, die Beklagte zu 2. sei nicht passiv legitimiert. Rückforderungsansprüche bestünden nicht. Die Beiträge seien mit Rechtsgrund geleistet worden, weil die Verfahrenstarifverträge in der jeweiligen Fassung nach § 7 SokaSiG kraft Gesetzes anzuwenden seien. Das Gesetz sei verfassungsgemäß.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage, die auf den Rückforderungsbetrag nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gerichtet war, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen geführte Berufung, mit der die Klägerin nach dem Wortlaut ihres Antrags ausschließlich den Rückforderungsbetrag geltend gemacht hat, zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Leistungsbegehren, das den Rückzahlungsbetrag nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz umfasst, weiter.
Gründe
9Die Revision der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche gegen die Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Sozialkassenbeiträge zu.
10I. Die Revision ist zulässig.
111. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Der Revisionskläger muss sich mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Es genügt nicht, das bisherige Vorbringen zu wiederholen (st. Rspr., vgl. etwa - Rn. 11; - 4 AZR 456/18 - Rn. 13 mwN).
122. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision - noch - zulässig. Zwar wiederholt die Klägerin in der Revisionsbegründung ganz überwiegend wörtlich den Vortrag aus der Berufungsbegründung. Sie setzt sich jedoch mit dem Berufungsurteil auseinander, indem sie an ihrem vom Landesarbeitsgericht nicht abgehandelten Vorbringen, das SokaSiG verstoße gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, festhält. Zudem vertieft sie ihre Argumentation, weil sie auf das Zweite Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG2) verweist. Auf diese Weise tritt die Klägerin der Auffassung des Landesarbeitsgerichts argumentativ entgegen.
13II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
141. Die Klägerin hat die Klage nicht geändert, indem sie in der Revisionsinstanz auch Verzugszinsen auf den Rückforderungsbetrag verlangt. Nach dem Wortlaut ihres in der Berufungsinstanz gestellten Antrags hat die Klägerin den Rückzahlungsbetrag ohne Zinsen geltend gemacht. In der Berufungsbegründung hat sie jedoch ausgeführt, dass das Urteil des Arbeitsgerichts in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werde. Damit war auch der Anspruch auf Verzugszinsen von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz Gegenstand des Berufungsverfahrens. Im Weg der auf den Rückzahlungsbetrag nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz beschränkten Revision ist der Zinsanspruch in dieser Höhe in die Revisionsinstanz gelangt.
152. Die Klage ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat - ohne zwischen den beiden Beklagten zu unterscheiden - im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Klägerin nicht von den Beklagten verlangen kann, die Differenz zwischen den Beitragszahlungen für das Kalenderjahr 2014 und den Erstattungsleistungen zurückzuerhalten.
16a) Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2. aus ungerechtfertigter Bereicherung besteht nicht.
17aa) Er ergibt sich nicht aufgrund einer sog. Leistungskondiktion. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden sog. condictio indebiti nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sind nicht erfüllt (zur Abgrenzung der Leistungskondiktionen - Rn. 18 f.).
18(1) Danach ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ihm zur Herausgabe verpflichtet.
19(2) Die Beklagte zu 2. hat keine Beiträge durch Leistung der Klägerin iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB erlangt. Unter einer Leistung im Sinn dieser Vorschrift ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Für die Beurteilung, wer Leistender und wer Empfänger einer Leistung ist, kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung an. Maßgeblich ist grundsätzlich der Zweck, den die Beteiligten im Zeitpunkt der Zuwendung mit ihr nach dem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben ( - Rn. 18; - Rn. 17).
20(a) Die Sozialkassenbeiträge sind von den Arbeitgebern und waren auch von der Klägerin an den Beklagten zu 1. als der von den Tarifvertragsparteien bestimmten Einzugsstelle für den Sozialkassenbeitrag abzuführen (§ 3 Abs. 3 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 II). Der Beklagte zu 1. war und ist nach den Bestimmungen der Verfahrenstarifverträge ausdrücklich ermächtigt, auch Sozialkassenbeiträge einzuziehen, soweit sie nicht ihm selbst, sondern anderen Sozialkassen zustehen. Die Arbeitgeber können und konnten im Klagezeitraum nach der tariflichen Regelung des Beitragseinzugsverfahrens auf die Beitragsforderungen aller systemangehöriger Sozialkassen befreiend nur an den Beklagten zu 1. leisten. Dieser hatte und hat die ausschließliche Empfangszuständigkeit für die Sozialkassenbeiträge. Er tritt gegenüber den Arbeitgebern wie ein Vollrechtsinhaber auf, wenn er die ihm tariflich eingeräumten Befugnisse wahrnimmt ( - Rn. 19).
21(b) Der Annahme einer alleinigen Empfangszuständigkeit des Beklagten zu 1. im Außenverhältnis zu den Arbeitgebern als Beitragsschuldnern steht nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1. die fremdnützig eingezogenen, nach den tariflichen Regelungen anderen Sozialkassen zustehenden Beiträge an diese anderen Sozialkassen nach § 667 BGB herauszugeben hat. Das Innenverhältnis zwischen dem Beklagten zu 1. als Einzugsstelle und den hinter ihm stehenden anderen Sozialkassen spielt bei der Rückabwicklung des Leistungsverhältnisses zwischen dem Beklagten zu 1. und einem Arbeitgeber, der ohne rechtlichen Grund Beiträge an den Beklagten zu 1. abgeführt hat, keine entscheidende Rolle ( - Rn. 20).
22(c) Von einer ausschließlichen Empfangszuständigkeit des Beklagten zu 1. für die vom Arbeitgeber abzuführenden Sozialkassenbeiträge ging auch die Klägerin aus. Sie wollte erkennbar ihre tarifliche Verpflichtung zur Beitragsleistung erfüllen und führte die Beiträge deshalb bewusst und zweckgerichtet an den Beklagten zu 1. ab. Damit leistete sie an den Beklagten zu 1. Beiträge iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Es fehlt ein Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin bei der Beitragsleistung an den Beklagten zu 1. zwischen den einzelnen Beitragsanteilen differenzierte und in Höhe der der Beklagten zu 2. zustehenden Beitragsanteile bewusst und zweckgerichtet nicht das Vermögen des Beklagten zu 1., sondern das der Beklagten zu 2. mehren wollte. Selbst wenn die Klägerin einen solchen Willen gehabt hätte, wäre eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers geboten ( - Rn. 26; - IV ZR 39/16 - Rn. 16). Danach musste der Beklagte zu 1. als Empfänger der Beitragszahlungen der Klägerin von einer tarifgerechten Abführung der Sozialkassenbeiträge an ihn als Einzugsstelle des Sozialkassenbeitrags und damit von einer Leistung der Klägerin an ihn ausgehen ( - Rn. 21).
23bb) Auf eine andere bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlage kann sich die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2. nicht stützen.
24(1) Bei der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB besteht ein Bereicherungsanspruch grundsätzlich nur innerhalb des Leistungsverhältnisses. Der Leistende kann sich zum Ausgleich einer ungerechtfertigten Vermögensverschiebung in der Regel lediglich an den Leistungsempfänger, nicht an einen Dritten halten. Aufgrund des Vorrangs der Leistungskondiktion gegenüber der Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB kann ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise nur dann entstehen, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden ist ( - Rn. 23 mwN; - Rn. 16).
25(2) Die Klägerin leistete die Sozialkassenbeiträge an den Beklagten zu 1. iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Der Beklagte zu 1. hatte die der Beklagten zu 2. zustehenden Beitragsanteile nach § 667 BGB herauszugeben und damit seinerseits an die Beklagte zu 2. zu leisten. Die Klägerin kann deshalb wegen des Vorrangs der Leistungskondiktion bei der Rückabwicklung des Leistungsverhältnisses ausschließlich den Beklagten zu 1. als Empfänger einer vermeintlich grundlosen Beitragsleistung in Anspruch nehmen ( - Rn. 24; - Rn. 16 mwN).
26b) Ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu 1. aus ungerechtfertigter Bereicherung scheidet ebenfalls aus. Die Klägerin leistete die Beiträge nicht ohne Rechtsgrund iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Dem Beklagten zu 1. standen die rechnerisch nicht bestrittenen Beiträge für das Kalenderjahr 2014 nach § 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG zu. Die Anlage 28 SokaSiG enthält den vollständigen Text des VTV 2013 II (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom S. 283 bis 295). Die in § 7 Abs. 3 SokaSiG angeordnete Geltungserstreckung des VTV 2013 II auf nicht Tarifgebundene ist aus Sicht des Senats verfassungsgemäß. Die Beitragspflicht der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 1. folgt aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Abschn. V Nr. 20 und Nr. 36, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 II.
27aa) Der im Land Rheinland-Pfalz gelegene Betrieb der Klägerin unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 1 VTV 2013 II). Die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer werden vom persönlichen Geltungsbereich des VTV erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VTV 2013 II). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unterhält die Klägerin einen Baubetrieb, der ausweislich des Handelsregisters Hoch- und Tiefbauarbeiten aller Art ausführt. Er unterfällt nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 20 und Nr. 36 VTV 2013 II dem betrieblichen Geltungsbereich.
28bb) Die Klägerin war ungeachtet ihrer fehlenden Verbandszugehörigkeit nach § 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG an den VTV 2013 II gebunden. Gegen die Geltungserstreckung auf die Klägerin durch § 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG bestehen aus Sicht des Senats keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ( - Rn. 15 ff.; - 10 AZR 562/18 - Rn. 20 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 84 ff.; - 10 AZR 550/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 39 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 81 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 29 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 47 ff.; - 10 AZR 512/17 - Rn. 32 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201).
29(1) § 7 SokaSiG ist aus Sicht des Senats entgegen der Auffassung der Klägerin formell verfassungsgemäß.
30(a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Der Kompetenztitel „Arbeitsrecht“ begründet eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis (, 1 BvR 1375/14 - Rn. 36, BVerfGE 149, 126). Er umfasst neben dem Recht der Individualarbeitsverträge auch das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen ( ua. - Rn. 126, BVerfGE 146, 71; - Rn. 17; - 10 AZR 121/18 - Rn. 44, BAGE 164, 201).
31(b) Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien in § 5 TVG die Möglichkeit eingeräumt hat, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu beantragen, ergibt sich keine wie auch immer geartete „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Insbesondere war er nicht wegen § 5 TVG daran gehindert, das SokaSiG zu erlassen.
32(aa) Die Geltungserstreckung von Tarifverträgen auf nicht originär Tarifgebundene war allein mit Blick auf § 7 AEntG schon vor Inkrafttreten des SokaSiG nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG beschränkt.
33(bb) Der Gesetzgeber ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen (vgl. ua. - Rn. 144, 147, BVerfGE 146, 71). Daher ist es ihm unbenommen, sich für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung zu entscheiden ( - zu II 2 der Gründe; - Rn. 20).
34(2) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG ( - Rn. 21 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 85 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 41; - 10 AZR 559/17 - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 45 ff., BAGE 164, 201).
35(a) Nach Auffassung des Senats verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung des Verfahrenstarifvertrags einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde ( - Rn. 22; - 10 AZR 562/18 - Rn. 21; - 10 AZR 559/17 - Rn. 34; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48; - 10 AZR 121/18 - Rn. 52, BAGE 164, 201).
36(b) Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit kann entgegen der Auffassung der Revision nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber „erstmals derart in gesetzlich privatautonom geregelte Regelungsbereiche der Tarifvertragsparteien vordringt“ und es wegen des unterschiedlichen Grads der Grundrechtsbindung „einen erheblichen Unterschied macht, ob der Gesetzgeber eine Regelung trifft oder die Tarifvertragsparteien“. Die Tarifvertragsparteien hatten für alle von § 7 SokaSiG in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt. Beim Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung unterliegt der Normgeber der Grundrechtsbindung ( - Rn. 23; vgl. zur Grundrechtsbindung ausführlich - Rn. 43 ff.).
37(c) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt. Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den zukünftigen Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden. Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam ( - Rn. 35 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48 ff.). Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält der Senat angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar ( - Rn. 24; - 10 AZR 549/18 - Rn. 87; - 10 AZR 559/17 - Rn. 43 mwN).
38(3) § 7 SokaSiG „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung der Verfahrenstarifverträge durch eine wirksame - gesetzliche - Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Senats vom entgegenzuwirken ( - Rn. 25; - 10 AZR 549/18 - Rn. 89; - 10 AZR 499/17 - Rn. 95; - 10 AZR 121/18 - Rn. 92 f., BAGE 164, 201).
39(4) § 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ( - Rn. 26 ff.; - 10 AZR 562/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 46 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 58 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 68 ff., BAGE 164, 201). Es kommt allein darauf an, ob die betroffene Personengruppe bei objektiver Betrachtung auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertrauen konnte ( - Rn. 26; - 10 AZR 549/18 - Rn. 91; - 10 AZR 559/17 - Rn. 47 mwN). Das ist nicht der Fall.
40(a) Mit Blick auf den von § 7 Abs. 3 SokaSiG erfassten Zeitraum konnte sich bei der Klägerin aufgrund der Entscheidung des Senats vom (- 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste sie nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 3 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen ( - Rn. 27; vgl. - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff., BAGE 164, 201). Der in diesem Zusammenhang von der Revision angebrachte Hinweis auf § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG verfängt schon deshalb nicht, weil die Norm nur das Vertrauen in die Wirksamkeit, nicht aber in die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts schützt. Selbst mit der von der Klägerin offenbar für möglich gehaltenen analogen Anwendung der Vorschrift auf Allgemeinverbindlicherklärungen kann das von ihr erstrebte Ziel nicht erreicht werden.
41(b) Soweit die Revision anführt, die Klägerin habe seit jeher an der Wirksamkeit der hier einschlägigen Allgemeinverbindlicherklärung gezweifelt, war ein - etwa - dadurch bei ihr entstandenes Vertrauen auf die letztlich höchstrichterlich bestätigte Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärung jedenfalls nicht schützenswert. Entscheidend ist eine objektive Betrachtung ( - Rn. 64, BVerfGE 135, 1). Objektiv durfte niemand auf die Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärung vertrauen, weil die weit überwiegende Rechtsansicht sie jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Senats vom für wirksam gehalten hatte ( - Rn. 28; - 10 AZR 562/18 - Rn. 26; - 10 AZR 549/18 - Rn. 92; - 10 AZR 498/17 - Rn. 46; - 10 AZR 559/17 - Rn. 49; - 10 AZR 121/18 - Rn. 76 ff., BAGE 164, 201).
42(c) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie aufgrund der Entscheidungen des Senats vom trotz der in der Folgezeit zu beobachtenden gesetzgeberischen Aktivitäten auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut habe. Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtslage steht entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesanzeiger absehbar war ( - Rn. 29; - 10 AZR 562/18 - Rn. 27; - 10 AZR 318/17 - Rn. 62; - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff. mwN, BAGE 164, 201). Nach der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag war ein - etwa - entstandenes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage jedenfalls wieder zerstört ( - Rn. 151, BVerfGE 148, 217; - Rn. 29; - 10 AZR 121/18 - Rn. 90, aaO).
43(5) Das SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG ( - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 63 ff., BAGE 164, 201).
44(a) § 7 SokaSiG führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Baubetriebe, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft. Die tarifgebundenen Betriebe müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien ( - Rn. 31; - 10 AZR 318/17 - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 65, BAGE 164, 201).
45(b) Ob die entgegen der Auffassung der Revision nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann dahinstehen. Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ( - Rn. 33; - 10 AZR 121/18 - Rn. 67, BAGE 164, 201).
46(c) Inwieweit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin zu erkennen sein könnte, dass sich der Gesetzgeber nicht auf den Ausschluss bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsansprüche beschränkt hat, erschließt sich aus dem Vortrag der Revision nicht. Sollte eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG gemeint sein, verstößt § 7 SokaSiG aus Sicht des Senats auch hinsichtlich der Beitragspflicht nicht gegen die Eigentumsgarantie. Ein möglicher Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt (zB - Rn. 34; - 10 AZR 498/17 - Rn. 42; - 10 AZR 318/17 - Rn. 54 ff. mwN; - 10 AZR 121/18 - Rn. 56 ff., BAGE 164, 201).
47(6) Bei dem SokaSiG handelt es sich nicht um ein nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus ( - Rn. 34; - 10 AZR 318/17 - Rn. 64; - 10 AZR 121/18 - Rn. 105 ff., BAGE 164, 201).
48III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:271119.U.10AZR399.18.0
Fundstelle(n):
BB 2020 S. 499 Nr. 9
DStR 2020 S. 12 Nr. 17
RAAAH-42320