Unerlaubte Einfuhr und unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Anforderungen an einen Hang
Gesetze: § 64 StGB
Instanzenzug: LG Aachen Az: 68 KLs 12/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
2Die angebrachte Verfahrensrüge hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargelegten Erwägungen keinen Erfolg.
II.
3Die sachlich-rechtliche Überprüfung der angegriffenen Entscheidung hat Rechtsfehler nur insoweit ergeben, als eine Entscheidung über die Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben ist. Dazu hat der Generalbundesanwalt unter anderem Folgendes ausgeführt:
„Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte bereits in seiner Jugend mit Alkohol und Betäubungsmitteln - Marihuana - in Kontakt kam und seit 2007 regelmäßig Drogen, wiederum Marihuana und auch Kokain, konsumiert. Nach einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und Entlassung aus der Strafhaft im September 2015 wurde der Angeklagte alsbald rückfällig und nahm ab Frühjahr 2016 regelmäßig täglich etwa 0,4 Gramm Heroin, ein Gramm Marihuana sowie - nicht näher genannte Mengen - Kokain zu sich. Daneben trank der Angeklagte regelmäßig Alkohol. Diesen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum finanzierte der Angeklagte, der über kein eigenes Einkommen verfügt (UA S. 13), durch Ladendiebstähle (UA S. 4). Der Angeklagte war zur Tatzeit wohnungslos und lebte bei dem Zeugen R. , dem bereits verurteilten Mittäter der verfahrensgegenständlichen Tat und ebenfalls Betäubungsmittelkonsument (UA S. 12, 17). Der Angeklagte beging die Tat infolge seiner eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit (UA S. 14, 23); er erwarb die Drogen zum unmittelbaren Eigenkonsum und um nach gewinnbringenden Absatzgeschäften seinen weiteren Konsum zu finanzieren (UA S. 13). Die Strafkammer hat deshalb bereits im Urteil ‚für den Fall des Eintritts der weiteren Voraussetzungen‘ ihre Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 36 BtMG erteilt (UA S. 23).
Angesichts dieser Umstände lag es nahe, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen können, namentlich dass beim Angeklagten ein Hang gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und die verfahrensgegenständliche Tat darauf beruhte.
Denn ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt bei demjenigen vor, der aufgrund einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder aufgrund einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich nimmt. Für die Annahme eines Rauschmittelkonsums im Übermaß ist es ausreichend, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Eine solche soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (vgl. Senatsbeschluss vom - 2 StR 200/18 - BeckRS 2018, 14698; BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 622/17 - BeckRS 2018, 2820; vom - 3 StR 563/17 - BeckRS 2018, 1117).
Dass der Angeklagte hier eine intensive Neigung hat, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen, liegt angesichts der Feststellungen zu seinem Konsumverhalten nahe. Da die verfahrensgegenständliche Betäubungsmittelstraftat zumindest auch der Finanzierung des Eigenkonsums des - ansonsten mittel- und wohnungslosen - Angeklagten dienen sollte (UA S. 13), kann auch eine soziale Gefährlichkeit als Folge seines langjährigen Missbrauchs von Betäubungsmitteln nicht ohne nähere Begründung verneint werden (vgl. - BeckRS 2018, 2820). Die festgestellte Eigenkonsumfinanzierung legt auch einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Konsumverhalten und der Betäubungsmittelstraftat nahe (vgl. - BeckRS 2017, 138365).
Die unterbliebene Erörterung der Anordnungsvoraussetzungen erweist sich auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Taten vor dem Hintergrund des eigenen Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten begangen wurden, weshalb die Zustimmung nach § 35 BtMG erteilt wurde (UA S. 23). Denn damit hat die Strafkammer der Sache nach nicht nur den Hang des Angeklagten bejaht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sondern auch den symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und der begangenen Straftat (vgl. - BeckRS 2018, 17348). Eine Unterbringung nach § 64 StGB wäre aber gegenüber Maßnahmen nach § 35 BtMG - die das Vollstreckungsverfahren betreffen - vorrangig zu prüfen gewesen, wobei der Tatrichter sein ihm dabei zukommendes Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar in den Urteilsgründen darlegen muss (vgl. - NStZ-RR 2008, 73).
Dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden. Das Urteil unterliegt mit den zugehörigen Feststellungen insoweit der Aufhebung.“
4Dem schließt sich der Senat an und schließt im Übrigen aus, dass der Strafausspruch von einer unterbliebenen Anordnung einer Maßnahme berührt ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:011019B2STR108.19.0
Fundstelle(n):
JAAAH-41394