Insolvenzverfahren: Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Akteneinsicht gegenüber Verfahrensbeteiligten; Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter als Beschwerdegericht
Gesetze: § 6 Abs 1 InsO, § 299 Abs 1 ZPO, § 567 ZPO, §§ 567ff ZPO, § 568 S 2 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Instanzenzug: LG München I Az: 14 T 10502/19 Beschlussvorgehend Az: 1542 IN 209/09nachgehend Az: IX ZB 56/19 Beschlussnachgehend LG München I Az: 14 T 10502/19 Beschluss
Gründe
I.
1Die weitere Beteiligte zu 2 (nachfolgend: Gläubigerin) ist Inhaberin mehrerer im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin festgestellter Forderungen. Sie hat Einsicht in die Insolvenzakten und die Forderungstabelle beantragt. Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat den Antrag abgelehnt. Das Landgericht hat dem Begehren auf die Beschwerde der Gläubigerin durch Beschluss des Einzelrichters stattgegeben. Dagegen richtet sich die von dem Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Schuldnerin. Ferner beantragt sie, die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen.
II.
2Der Antrag ist begründet.
31. Das Rechtsbeschwerdegericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 570 Abs. 3 Halbs. 1, § 575 Abs. 5 ZPO die Vollziehung einer Entscheidung des Beschwerdegerichts aussetzen, wenn durch die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint und das Rechtsmittel des Rechtsbeschwerdeführers nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht ist (, NJW 2002, 1658 f; vom - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 31; vom - VIII ZB 3/12, WuM 2012, 158 Rn. 3 mwN). Der Erfolg des Antrags hängt nicht davon ab, ob bereits im Beschwerderechtszug um Vollstreckungsschutz nachgesucht wurde (, WM 2017, 782 Rn. 6).
42. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
5a) Durch die Vollziehung der Akteneinsicht drohen der Schuldnerin größere Nachteile als der Gläubigerin im Falle eines Vollstreckungsaufschubs. Deren Interessen kann genügt werden, indem die Einsichtnahme in die Akte erst nach Erlass der Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, dass Belange der Gläubigerin durch eine Verzögerung der Einsichtnahme beeinträchtigt werden.
6b) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthaft und auch sonst zulässig.
7aa) Die Rechtsbeschwerde ist nur eröffnet, wenn zuvor die sofortige Beschwerde statthaft war. Hat das Beschwerdegericht fälschlich eine unanfechtbare Entscheidung auf die sofortige Beschwerde hin geändert, ist die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde selbst dann unstatthaft, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (, WM 2009, 1582 Rn. 5 mwN). War die sofortige Beschwerde unstatthaft, weil die angefochtene Entscheidung unanfechtbar war, fehlt es für das Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht an einer Grundlage. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts nicht eröffnet werden (BGH, aaO Rn. 7).
8bb) Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, aaO Rn. 8). Hier ergibt die Prüfung, dass die sofortige Beschwerde statthaft war.
9(1) Der Antrag der Gläubigerin auf Akteneinsicht ist als Antrag einer Verfahrensbeteiligten auf § 299 Abs. 1 ZPO gestützt. Handelt es sich um den Antrag eines Verfahrensbeteiligten, ist über eine Ablehnung des Einsichtsgesuchs im Wege der sofortigen Beschwerde nach den §§ 567 ff ZPO und nicht im Antragsverfahren nach den §§ 23 ff GVG zu entscheiden (OLG Celle, ZVI 2004, 114, 115). Über den Antrag befindet das funktional zuständige Rechtspflegeorgan, im Eröffnungsverfahren der Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG) und im eröffneten Verfahren der Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 e) RPflG). Gegen die Entscheidung des Richters findet die sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) statt. Gleiches gilt, wenn der Rechtspfleger entscheidet (§ 11 Abs. 1 RPflG).
10(2) Der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde steht nicht entgegen, dass § 6 Abs. 1 InsO das Rechtsmittel der Beschwerde nicht ausdrücklich gegen Entscheidungen im Rahmen von Anträgen über die Gewährung von Akteneinsicht eröffnet. Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 InsO, der eine Anordnung der Beschwerdemöglichkeit in "diesem" Gesetz verlangt, schließt gleichwohl gegenüber Entscheidungen, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens auf der Grundlage allgemeiner, nicht zum eigentlichen Insolvenzrecht gehöriger Vorschriften getroffen werden, die dafür außerhalb der Insolvenzordnung vorgesehenen Rechtsmittel nicht aus (, ZIP 2000, 755). Die Anordnung der Unanfechtbarkeit nach § 6 InsO betrifft also nur Entscheidungen, die auf Vorschriften der Insol-venzordnung beruhen (vgl. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 4 Rn. 38). Dies gilt nicht für Anträge auf Akteneinsicht, die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zum Gegenstand haben. Gegen die Ablehnung der Akteneinsicht gegenüber Verfahrensbeteiligten findet die sofortige Beschwerde (§§ 567 ff ZPO) statt (, Rn. 3; OLG Celle, aaO; Pape, ZIP 1997, 1367, 1368; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1800, 1804; Thole, ZIP 2012, 1533, 1537; Jaeger/Gerhardt, aaO; MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl., § 6 Rn. 68; HK-InsO/Sternal, 9. Aufl., § 6 Rn. 11; HmbKomm-InsO/Rüther, 7. Aufl., § 4 Rn. 47; FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl., § 4 Rn. 99; aA Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl., § 4 Rn. 36).
11(3) Bei dieser Sachlage war nach Versagung der Akteneinsicht durch den Rechtspfleger gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde zu dem Landgericht eröffnet. Infolge der Zulassung durch das Landgericht ist die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde statthaft.
12c) Der Rechtsbeschwerde sind auch Erfolgsaussichten beizumessen, weil im Streitfall der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (, WM 2019, 1461 Rn. 5 mwN). Wird der angefochtene Beschluss voraussichtlich aufzuheben sein, ist dem Aussetzungsinteresse der Schuldnerin der Vorrang einzuräumen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:291119BIXZB56.19.0
Fundstelle(n):
TAAAH-40640