Rechtsweg bei Auskunftsansprüchen des Insolvenzverwalters gegenüber dem Finanzamt
Leitsatz
Für Rechtsstreitigkeiten, die auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützte Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters über Bewegungen auf den Steuerkonten des Insolvenzschuldners betreffen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Gesetze: Art 79 EUV 2016/679, § 32e AO 1977, § 32i Abs 2 AO 1977, § 17a Abs 4 S 4 GVG, § 40 Abs 1 VwGO, § 152 Abs 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 15 E 323/19 Beschlussvorgehend Az: 29 K 6935/18 Beschluss
Gründe
I
1Der Kläger ist Insolvenzverwalter. Er klagt unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) auf Verpflichtung zur Gewährung von Auskunft über Bewegungen auf den Steuerkonten des Insolvenzschuldners in dem von ihm betreuten Insolvenzverfahren.
2Auf die Rüge des Beklagten hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom festgestellt, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Die Beschwerde des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene weitere Beschwerde.
II
3Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, § 152 Abs. 1 und § 173 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet. Für Rechtsstreitigkeiten, die auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützte Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters über Bewegungen auf den Steuerkonten des Insolvenzschuldners betreffen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
4Gemäß § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche Zuweisung besteht für Streitigkeiten der hier gegebenen Art nicht. Entgegen der weiteren Beschwerde ist der Weg zu den Finanzgerichten nicht eröffnet. Dies hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht festgestellt.
51. Der Finanzrechtsweg ist zunächst nicht aufgrund der Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO gegeben. Danach ist der Finanzrechtsweg - soweit hier von Bedeutung - in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben; Abgabenangelegenheiten sind danach u.a. alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängende Angelegenheiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Gewährung von Einsicht in Steuerakten und die Auskunft über steuerliche Daten vor diesem Hintergrund eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 2 FGO, wenn über sie auf der Grundlage steuerverfahrensrechtlicher Regelungen zu entscheiden ist oder wenn die betreffenden Begehren im Steuerrechtsverhältnis wurzeln und insoweit mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang stehen (BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 2.12 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 307 Rn. 14 und vom - 7 B 6.18 - NWVBl 2019, 26 Rn. 6).
6a) Die genannte Rechtsprechung geht davon aus, dass der auf das Informationsfreiheitsrecht gestützte Auskunftsanspruch eines Insolvenzverwalters wegen eines Anfechtungsverfahrens grundsätzlich neben Ansprüchen der Abgabenordnung besteht und somit nicht zur Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 2 FGO wird. Hieran hat sich im Ergebnis nichts durch die Vorschriften der §§ 32a ff. AO, welche mit Art. 17 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 2541) in die Abgabenordnung eingefügt wurden und am in Kraft getreten sind, geändert. Nach der neu geschaffenen Regelung des § 32e Satz 1 AO gelten die Artikel 12 bis 15 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 i.V.m. den §§ 32a bis 32d AO entsprechend, soweit die betroffene Person oder ein Dritter nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes oder eines Landes gegenüber der Finanzbehörde einen Anspruch auf Informationszugang hat. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass die Beschränkungen der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 sowie der Abgabenordnung durch die Informationsfreiheitsgesetze verdrängt oder umgangen werden können (BT-Drs. 18/12611 S. 89; vgl. 7 C 31.17 - WM 2019, 1698 Rn. 15). Der Umfang von Ansprüchen nach den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern wird hierdurch im Hinblick auf Abgabenangelegenheiten auf ein bestimmtes Niveau begrenzt. Auch der Umfang der Ansprüche Dritter wird in der Rechtsfolge parallelisiert (Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Mai 2019, § 32e AO Rn. 1).
7Allein deshalb handelt es sich noch nicht um eine abgabenrechtliche Angelegenheit im o.g. Sinne. Maßgeblich für die Bestimmung des Rechtswegs ist die Rechtsnatur des Streitgegenstandes. Dieser richtet sich neben dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt nach der das Rechtsverhältnis regelnden Anspruchsgrundlage (vgl. 10 AV 1.16 - BVerwGE 156, 320 Rn. 5; - BGHZ 121, 367 <372 f.>), hier also nach der Zuordnung der jeweiligen Anspruchsgrundlage entweder zum Abgabenrecht oder zum sonstigen, von § 40 Abs. 1 VwGO erfassten öffentlichen Recht. Unerheblich ist es, ob bei der Prüfung von Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Vorschrift auch andere Vorschriften anzuwenden sind, die ihrerseits dem Abgabenrecht zuzuordnen sind. Denn gemäß § 17 Abs. 2 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Hier folgt die Anspruchsgrundlage aus den Informationsfreiheitsgesetzen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 32e Satz 1 AO, der das Bestehen eines solchen Anspruchs voraussetzt und lediglich auf der Rechtsfolgenseite die Grenzen des Anspruchs regelt. Diese Norm ersetzt nicht die Ansprüche aus den Informationsfreiheitsgesetzen, sondern modifiziert sie (vgl. Schober, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 2018, § 32e AO Rn. 9), was keinen Einfluss auf den zulässigen Rechtsweg hat ( 6 B 10.07 - BVerwGE 129, 9 Rn. 9). Eine Ersetzung der - wie hier relevanten - landesrechtlichen Informationsfreiheitsansprüche durch solche aus Bundesrecht (hier der Abgabenordnung) dürfte auch kompetenzrechtlich ausgeschlossen sein. Aus dem jeweils einschlägigen Informationsfreiheitsgesetz ergeben sich die Voraussetzungen des Anspruchs sowie gegebenenfalls Einschränkungen, die weiter gehen als die von § 32e Satz 1 AO in Bezug genommenen. Steuerverfahrensrechtliche Vorschriften kommen daher allenfalls neben solchen der Informationsfreiheitsgesetze und der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 zur Anwendung. Nur in diesem Sinne kann der 7 C 31.17 - (WM 2019, 1698 Rn. 15) verstanden werden, wenn dort in Anlehnung an die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften (BT-Drs. 18/12611 S. 89) von einer bereichsspezifischen Verdrängung die Rede ist. Die Regelung des § 32e AO wird dort allein als eine Begrenzung auf der Rechtsfolgenseite verstanden.
8Schließlich ergibt sich im Umkehrschluss aus der Regelung des § 32i Abs. 2 AO, dass Ansprüche Dritter nach den Informationsfreiheitsgesetzen nicht zu den Abgabenangelegenheiten gehören (s. hierzu unten, Rn. 10 ff. - 2.). Dort wird für diesbezügliche Ansprüche der betroffenen Person ausdrücklich der Finanzrechtsweg eröffnet; für Klagen Dritter fehlt eine entsprechende Regelung (vgl. - ZinsO 2019, 1956 <1957>; noch nicht rechtskräftig).
9b) Da sich insbesondere die Anspruchsgrundlagen aus den Informationsfreiheitsgesetzen ergeben, wurzelt der Anspruch auch nicht im Steuerrechtsverhältnis (vgl. 7 C 31.17 - WM 2019, 1698 Rn. 24). Für Ansprüche auf Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze bleibt demnach auch nach der Rechtsänderung zum der Verwaltungsrechtsweg gegeben (Schober, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 2018, § 32e AO Rn. 9; zweifelnd Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Mai 2019, § 32e AO Rn. 17).
102. Eine Zuweisung an die Finanzgerichte ergibt sich auch nicht aus § 32i Abs. 2 AO i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO. Diese Regelung gilt allein für Klagen der betroffenen Person. Der Insolvenzverwalter ist keine betroffene Person. Bei der betroffenen Person handelt es sich gemäß Art. 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 um eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person. Betroffen ist diejenige Person, auf die sich die personenbezogenen Daten beziehen. Bei den hieraus folgenden Rechten handelt es sich stets um ein höchstpersönliches Rechtsverhältnis, hier des Steuerschuldners. Dieses wird nicht Teil der Insolvenzmasse und wird daher nicht vom Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO erfasst ( 7 C 31.17 - WM 2019, 1698 Rn. 13; OVG Lüneburg, Urteil vom - 11 LC 121/17 - juris Rn. 53 ff.).
11Soweit die Beschwerde geltend macht, dass § 32i Abs. 2 AO neben Klagen der betroffenen Person noch eine zweite Alternative anspreche, verkennt sie, dass sich diese Alternative auf weitere Klagegegenstände bezieht. Der Kreis möglicher Kläger bleibt auf betroffene Personen beschränkt (BT-Drs. 18/12611 S. 92; vgl. Schober, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 2018, § 32i AO Rn. 17). § 32i Abs. 2 AO dient der Umsetzung von Art. 79 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679, der seinerseits allein Bezug nimmt auf Klagen der betroffenen Person (vgl. Kreße, in: Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl. 2018, Art. 79 Rn. 5; Moos/Schefzig, in: Taeger/Gabel, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2019, Art. 79 DSGVO Rn. 4 f.).
123. Der Umstand allein, dass demnach neben den Finanzgerichten auch Verwaltungsgerichte zum Teil dieselben Normen der Datenschutzgrundverordnung und der Abgabenordnung anzuwenden haben, mag als unpraktisch empfunden werden, soweit dies zu divergierender Rechtsprechung führen sollte. Hierfür sieht die Rechtsordnung mit Art. 95 Abs. 3 GG i.V.m. dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 661), zuletzt geändert durch Art. 144 der Verordnung vom (BGBl. I S. 1474), einen Lösungsmechanismus vor. Im Übrigen obläge es dem Gesetzgeber, diesem Umstand durch eine gesetzliche Rechtswegzuweisung zu begegnen.
13Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Anfechtung der Entscheidung über den Rechtsweg löst ein selbstständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist ( 1 B 1.10 - BVerwGE 137, 52 Rn. 13 m.w.N.).
14Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da für Beschwerden der vorliegenden Art nach Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG eine Festgebühr von 60 € erhoben wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:281019B10B21.19.0
Fundstelle(n):
HFR 2020 S. 190 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2020 S. 611
ZIP 2020 S. 86 Nr. 2
MAAAH-38539