BSG Beschluss v. - B 6 KA 22/19 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - ungeklärte Rechtsfragen - Interpretation des § 59 Abs 1 S 1 SGB 10 - Vertragsarzt - Erweiterung der Fachgebietsgrenzen)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 59 Abs 1 S 1 SGB 10, § 135 Abs 2 SGB 5

Instanzenzug: Az: S 14 KA 420/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 11 KA 28/18 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger begehrt die Berechtigung, Leistungen der Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie (Abschnitt G II des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen <EBM-Ä> in der bis zum gültigen Fassung <aF>) zu erbringen und gegenüber der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) abzurechnen.

2Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie und verfügt über die Approbation als psychologischer Psychotherapeut. Er ist hausärztlich tätig und Mitgesellschafter eines Medizinischen Versorgungszentrums. Im Rahmen eines am in dem Verfahren L 11 KA 68/98 geschlossenen Vergleiches vor dem LSG erteilte die Beklagte ihm die Genehmigung zur Erbringung und Abrechnung der Leistungen des Abschnittes G II EMB-Ä aF ab dem laufenden Quartal. Am kündigte die Beklagte diesen Vergleich mit sofortiger Wirkung und berief sich hierzu auf § 59 Abs 1 SGB X. Nach der - zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbaren - Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom - B 6 KA 22/08 R - SozR 4-2500 § 73 Nr 4) seien KÄVen grundsätzlich nicht mehr befugt, Allgemeinmedizinern gebietsfremde Leistungen des EBM-Ä zuzugestehen. Die ergänzende Vereinbarung zur Reform des EBM-Ä zum stelle keine eigenständige Rechtsgrundlage dar. Klage und Berufung, mit denen der Kläger insbesondere geltend gemacht hat, dass seine Qualifikation sich nicht geändert habe und eine unabsehbare wesentliche Veränderung der Verhältnisse nicht angenommen werden könne, sind erfolglos geblieben ( und des ).

3Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie - sinngemäß - eine Rechtsprechungsabweichung geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).

4II. Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

51. Soweit der Kläger (sinngemäß) rügt, das Urteil des Berufungsgerichts weiche von einer Entscheidung des - BGHZ 58, 355, 362) ab, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Eine Zulassung der Revision kommt nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nur dann in Betracht, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Andere Entscheidungen, auch solche eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, ermöglichen keine Zulassung wegen Divergenz ( - juris RdNr 8; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 11).

6Im Übrigen ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Divergenzrüge, dass Rechtssätze aus dem Urteil des LSG und aus einer höchstrichterlichen Entscheidung bezeichnet und einander gegenübergestellt werden und dargelegt wird, dass sie nicht miteinander vereinbar sind und dass das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB - juris RdNr 4; - juris RdNr 8). Der Kläger zitiert zwar einen Satz des BGH, wonach Voraussetzung für die Annahme eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage iS des § 313 BGB ist, dass der Geschäftswille der Parteien auf der gemeinsamen irrigen Rechtsauffassung oder auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand einer bestimmten Rechtsprechung aufgebaut gewesen ist. Er gibt jedoch keinen Rechtssatz des LSG wieder, welcher diesem Rechtssatz widerspricht. Dies beruht schon darauf, dass das LSG in seiner Entscheidung für die Rechtmäßigkeitsprüfung der Vergleichskündigung (allein) die Vorschrift des § 59 SGB X herangezogen hat.

7Im Ergebnis kritisiert der Kläger, dass das Berufungsgericht - seines Erachtens - zu Unrecht darauf abgestellt habe, dass die Voraussetzungen des § 59 SGB X erfüllt seien und dementsprechend die Beklagte den Vergleich hat kündigen können. Mit der geltend gemachten Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall kann der Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz jedoch nicht den Anforderungen entsprechend begründen.

82. Soweit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar ergibt ( - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl - juris RdNr 7).

9Der Kläger bezeichnet allein folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam:"Muß eine Kassenärztliche Vereinigung bei dem Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages damit rechnen, daß sich gesetzliche und/oder untergesetzliche Vorschriften und/oder die Rechtsprechung zu derartigen Normen künftig ändern könnten, oder darf sie - zugleich stillschweigend wie rechtlich schützenswert - kontrafaktisch davon ausgehen, daß die normativen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverändert bleiben und folglich Änderungen der Rechtsgrundlagen des Vertrages in der Zukunft einen Neuregelungsbedarf nicht hervorrufen würden?"

10Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger damit eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert hat, an denen das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu - juris RdNr 15; - juris RdNr 7; - BeckRS 2016, 68283 RdNr 6; - juris RdNr 10; - BeckRS 2009, 74151 RdNr 6). Nur ungeklärte Rechtsfragen, nicht aber der Wunsch nach einer höchstrichterlichen Überprüfung des in einem Einzelfall von der Vorinstanz gefundenen Subsumtionsergebnisses vermögen die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache zu begründen. Jedenfalls hat der Kläger nicht dargelegt, dass sich die Frage über den vorliegenden Einzelfall hinaus auch in anderen Fällen stellt.

11Soweit der Kläger zur Begründung weiter ausführt, die "Interpretation" des § 59 Abs 1 Satz 1 SGB X durch die angefochtene Entscheidung hintertreibe "in der Sache die Bedeutung des Vergleiches für die Herbeiführung von Rechtsfrieden im Prinzipiellen", begründet auch dies keine grundsätzliche Bedeutung. Letztlich wird hierdurch nur die Anwendung von Regelungen auf einen individuellen Sachverhalt aufgeworfen und somit eine Frage der Subsumtion und der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall.

12Auch soweit der Kläger zur weiteren Begründung seiner Beschwerde ausführt, dass eine KÄV "durch Veränderungen des normativen oder judikativen Bezugsrahmens nie überrascht werden" könne, da "das einzig Beständige am Kassenarztrecht seine Unbeständigkeit" sei, folgt daraus nichts anderes. Bereits aus dem Wortlaut des § 59 SGB X ergibt sich, dass dann, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen waren, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist und den geänderten Verhältnissen auch nicht durch eine Anpassung des Vertragsinhalts Rechnung getragen werden kann, das Recht der Vertragspartei zur Kündigung besteht. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Senats auch bereits geklärt, dass eine Änderung der Rechtsprechung sich als eine zur Kündigung berechtigende Rechtsänderung darstellen kann ( - juris RdNr 16). Auch hat der Senat bereits mehrfach klargestellt, dass Fachgebietsgrenzen weder durch persönliche Qualifikationen des Arztes noch durch Sondergenehmigungen der KÄVen zur Erbringung und Abrechnung weiterer Leistungen oder durch berufsrechtliche Berechtigungen zur Führung von Zusatzbezeichnungen erweitert werden können ( - juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 135 Nr 27 vorgesehen; - SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29; - BSGE 84, 290, 295 = SozR 3-2500 § 95 Nr 21 S 90; - SozR 4-2500 § 95 Nr 5 RdNr 8; - juris RdNr 8). In seinem Urteil vom (B 6 KA 47/17 R - aaO) hat der Senat dementsprechend entschieden, dass eine von der KÄV erteilte Fachkundegenehmigung nicht dazu berechtigt, Leistungen abzurechnen, die für seine Arztgruppe generell nicht (mehr) berechnungsfähig sind.

132. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

143. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2 Satz 1, 52 Abs 1, 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:301019BB6KA2219B0

Fundstelle(n):
UAAAH-37641